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Nr. 14 Weißerih-Zeitung 15. Februar 1856. Inserate werde» mit 8 Psg. für df« Zeile berechnet und in alle» Expeditionen angenommen. Freitag Erscheint Dienstags und Freitags. Zu beziehen durch alle Postanstal ten. Preis pro Quart. lO Ngr. Ein unterhaltendes Wochenblatt für den Bürger und Landmann. Verantwortlicher Redacteur: Carl Jehne in Dippoldiswalde. Gedanken und Erfahrungen über daS Bettelwesen und die Einführung von Armenvereinen. Es ist eine den Menschenfreund schmerzlich berührende Erfahrung, daß in unseren Tagen die Verarmung immer mehr um sich greift. Mag eS dazu der Ursachen mancherlei, vielleicht manche durch Menschenmacht nicht zu beseitigende, geben, so muß eS doch einem Jeden als doppelt noth- wendig erscheinen, in seinem Kreise alle seine Kräfte und Mittel aufzubieten, diesem Uebel für Familien, Gemeinden und Staaten steuern zu helfen. Unsere Landesgesetze, be sonders die Armenordnung vom Jahre 1840, enthalten dazu treffliche Anweisungen und höchst zweckmäßige Anord nungen. Würde ihnen in allen Stücken, namentlich in den kleinsten Kreisen, in Familien und Gemeinden pünktlich und kräftig nachgegangen, es würde mancher Verarmung vorgebeugt, manchem Verarmten aufgeholfen werden. Leider aber wird die Anordnung in manchen Stücken, besonders durch das oft leichtsinnige Legen auf das Betteln und das meist aus Furcht entstandene Dulden desselben, zum großen, insbesondere sittlichen Nachtheile der Gesell schaft frevendlich umgangen. Die LandeS-Armenordnung verbietet streng daS Betteln und gedieret dagegen ein geregeltes Versorgen der Hilfsbedürftigen durch die Ge meinden. Betteln ist meist nicht bloS ein trauriges Zeichen der -lrmuth; nein, eS ist etwas viel Schlimmeres; es ist der sichere Weg zur tiefsten Verarmung und zum betrübendsten moralischen Sinken. Ein altes, im Munde deS Volks immer noch leben des Sprüchwort sagt in seiner zweiten Hälfte: „Bor vettelbrod behüt' uns, lieber Herr Gott!" Darin lag ein Abscheu vor dem Betteln. Wie leichtsinnig und pflichtvergessen handeln daher manch« Aeltern, indem sie ihre Kinder, statt durch Wort und Beispiel zur Arbeit, lieber zum Betteln anhalten! ES giebt Beispiele, daß Leute, die einen großen Theil des Jahres guten Verdienst finden, im Winter aber die armen Kinder betteln, sogar auf andere Dörfer betteln schicken, während ein anderer Familienvater bei Fleiß und Genügsamkeit mit viel geringerem Lohne bei gewöhnlicher Handarbeit die Seinen redlich selbst ernährt. Anfangs, wie natürlich, schämen sich bettelnde Kinder; bald verschwindet die Scham — diese kräftige Schutz wehr gegen die Sünde. Das Kind wird dreist, keck, unverschämt, lernt verthun, vernaschen, lügen, seine Hände nach fremdem Gute aus strecken und verliert die Lust zur Arbeit. Aeltern, die Ihr Eure Kleinen so verführt, wie wollt Ihr das vor Gott verantworten? Drückt Euch und die Eurigen ein bittrer Mangel, warum schlagt Ihr nicht den gesetzlichen Weg zur Erlangung Eurer Br» dürfnisse ein, da Euch doch Hilfe werden muß? Ach, schonet die Unschuld der Kleinen! Daraus er, klärt sich aber auch, wie pflichtvergessen eS ist, wenn man in einer Gemeinde das Umherziehen von Bettlern, ins» besondere von bettelnden Kindern, duldet. Wohnen sie im Orte, warum gehen Vater oder Mutter nicht lieber selbst und suchen sich, ohne eigentlich zu betteln, in schwerer Zeit eine Unterstützung zu erbitten?, ist'S nicht ihre Pflicht zu sorgen? Sind sie fremd, giebt'S nicht andere Mittel unk Wege, Hilfsbedürftige in benachbarten Gemeinden in edler wirkender Art zu unterstützen? Zu solchem Zwecke habe» sich nun in neuerer Zeit in verschiedenen Gegenden sogt» nannte Armenvereine gebildet, theilS für einzelne Orte, theilS für ganze Bezirke. Man denke sich darunter aber nicht etwa Vereine der Wohlhabenderen gegen die Armen, zu ihrer Be drück u n g. Nein, es sollen sein echt christliche Vereine für di* Armen, zu ihrer geregelten und zweckmäßigen Unter» stützung theils mit Arbeit, theilS mit Lebensbedürfnissen, ohne daß sie sich zum Betteln genöthigt sehen. Ist'S denn nicht auch menschlicher, der arme alte Greis erhält sei» Brod regelmäßig, als daß er'S erst — noch gegen da- Gesetz — oft bei übler Witterung vor Anderer Thüre« suchen muß? Kommt der reisende Handwerker nicht besser, wenn er unbehelligt sei» Gemeindegeschenk nehmen und unge hindert seine Straße ziehen kann? Vereine sind eS allerdings gegen Träge, die lieber müßig gehen, betteln, das Pfund ihrer Kraft vergraben, als daß sie im Schweiße deS Angesichts ihr eigenes Brod essen; gegen Schwelger, welche herrlich leben wollen, als sie es bei ihrer Hände Arbeit können, und sich außer dem ganz unnöthige Genüsse, (Cigarren, Branntwein u. dgl.) zu verschaffen suchen; gegen Unehrliche, die dabei' stehlen, oder sich wenigstens die Gelegenheit dazu auSer» sehen wollen; gegen Vagabonden und Tauchenichtse, die sich so lange als möglich umher treiben, erbettelte Kleider für einen Spottpreis verkaufen und noch verschie denes anderes Unheil anrichten, ehe sie der Arm der Ge rechtigkeit ereilt; gegen bettelnde Kinder, um von ihren jungen Seelen das die Herzen verderbende Gift, daS im Bettelwesen verborgen liegt, fern zu halten. Es ist nicht immer gut, bloS auf das Gefühl zu hören; der Verstand muß die Regungen desselben leiten. So denkt Mancher, vom Mitleid getrieben, dem bettelnden Kuide eine Wohlthat zu erzeigen, indem er ihm Geld