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Nr. 4 r ..... Werßerih-Zeitung Verantwortlicher ^cdacteur: Carl Jchne in Dippoldiswalde. Freitag. Erscheint Dienstags und Freitags. Zu beziehen durch alle Postanstal- ten. Preis pro Quart. I ONgr.. Ein unterhaltendes WochenSlatt für den Bürger und Landmann. 12. Januar 1855. Inserate werden, mit 8 Pf für dir Zeil« berechnet ^und in all« Expedition«« angenom««». Zeitbetrachtnng. Nach den Neujabrsstürmen, woran ein Erdbeben, welches man in Frankreich verspürte, schuld sein soll, ist in der Natur ziemliche Windstille und mildes, frühling ähnliches Wetter eingetreten. Aber man traue deshalb dem alten Burschen, dem Winter, nicht; er wird über kurz oder lang die Friedensaussichten zerstören und sich als ächter Eisbär zeigen. Vielleicht ist die Natur nur ein Vorbild von der politischen Zukunft Europa s. Kaum in. das neue Jahr eingetreten, haben wir die alten leidigen diplomatischen Konferenzen wieder und zwar wieder in Wien; dort wird von den Vertretern Frank reichs, Englands, Oestreichs und Rußlands über die Frie- denSgarantiepunkte verhandelt und um den 15. Januar wird Fürst Gortschakoff vom Kaiser Nicolaus nähern Be fehl haben über die Meinung in Petersburg. Am Ende bringt uns das neue Jahr in seinen ersten Wocken nach träglich noch gar ein Nenjahrsgeschenk, den europäischen Frieden; aber wenn uns eine solche Frucht geschenkt'würde, so ist noch sehr die Frage, ob eS eine gesunde, dauernde Reinette, oder ein fauler Apfel ist. Wir unfern TheilS halten den Friedensschluß jetzt nicht gerade für wahrschein lich, aber außer dem Bereiche der Möglichkeit liegt er nicht, und den Herren Diplomaten ist gar Vieles möglich. Eine höchst merkwürdige Erscheinung bei den Wiener Eonferenzen ist die, daß Preußen, die „fünfte Groß macht", und mit ihm die Mittel- und Kleinstaaten Deutsch lands, nicht mit berathen. Das neue Jahr findet Preu ßen auf der Schwelle der I so liru ng, während die vier Großmächte im Innern des europäischen Gerichtshofs be rathen. Wir sahen diese Frucht ein langes Jahr hinter dem diplomatischen Blätterwerk reifen; jetzt löst sie. sich nach Art der reifen Früchte ab und erschreckt die ruhigen Schläfer, die pünktlich geweckt zu werden hofften, wenn der FriedenScongreß in Wien begänne. Dieser Cougreß hat begonnen, aber mit einer Hintenausetzung des euro päischen Staatsrechts, gegen welche Preußen entweder protestiren oder sich beugen muß; eS muß protestircn ge- gen den neuen Rechtszustand, der aus dieser Berathungs- form hcrvorgeht, oder eS muß anerkennen, daß es aus- dem Rathe und Reckte der europäischen Großmächte aus getreten ist. Eine ander« Alternative vermögen wir nicht herauszufinden. Unbefangene Leute sahen ein solches Ende vom Liete voraus, obne gerade Propheten zu sein; aber der Eintritt diefir Wendung muß Preußen dennoch er schüttern, weil sie eine Calamität für Preußen und die ihm concentrischen deutschen Kreise ist. Noch vor Kurzem glaubten preußische Blätter, der Graf v. AlvenSlebcn werde Preußen auf dem Wiener Kongreß vertreten, und nun hat «r begonnen ohne Preußens Mitwirkung. I» die Nacht Heß geschiedenen Jahres velflnken wie Schalten die Früchte der früher» Verhandlungen, versinken die Persuche, Oest reich auf der Bahn der Allianz mit dem Westen aufzu halten, die Versuche, England zu einem Sonderbü.tdniffe zu bewegen. Der Vorralh der Hoffnungen und außer gewöhnlichen Mittel ist in Preußen verbraucht, und bei jedem Schritte wird eS vom 2. Dec. an mit vollendeten Thatsachen überrascht, die sich ohne Preußens Mitwirkung gebildet haben, es erscheint eine neue Ordnung der Dinge, die nicht mehr nach Preußens Zustimmung fragt. Während in Wien berathen und der Antwort des Kaisers Nicolaus entgegengesehen wird, wüthel der Krieg in der Krim bei dem Uebergange zweier Jabre. Vor 12 Monaten konnte der Weihnachtsgruß: „Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen" auch im irdischen Sinne noch ein wahrer und zutreffender Gruß sein in den heiligen Nächten, in welchen die Welt di« Geburt des Heilandes und das große Fest ihrer Ver jüngung feiert. Die große gesittete Welt mochte damals noch hoffen, daß sie nur einen Kampf auSznfechten habe» werde, nämlich den W.tlstreit in der Vervoll'ommnung der Künste des Friedens und in der Ausbildung der gei stigen und materiellen Kultur. An beiden Seiten deS atlantischen Oceans. in London und Ncu-Uork, errichtet« die Industrie und Wel'verbrüderung ihre kristallenen Wnnderbauten, und der Genius des Handels legte Schie- uenstraßen und elektrische Drähte um den Erdball. Selbst die großen Völkermumien des fernsten OstenS, China und Japan, schienen zu einem neuen Leben sich aufrichten zu wollen bei dem Lärm der Fortschrittssignale, die von Ca- lifornien herüber und von den Inseln der Südsee dir vor dringenden „Angelsachsen" erschallen ließen. In der Offenbarung Johannis steht von mehrer» furchtbaren Reitern. Von ihnen hat das vorige Jahr den schrecklichsten i» die Welt gesendet, den, dessen Pferd roth ist, „und ihm ward gegeben den Friede» zu nehme» von der Erden, daß sie sich unter einander erwürgten, und ihm ward ein groß Schwert gegeben" und sein Name ist Klieg. . Schaut man auf das Würgen des Kriegs, den unS das alte Jahr als schlimmes Erbe hinterlassen, so ist auf den ersten Anblick wenig von Fortschritt und Besserung zu erkenne». Zwar auch dem Kriege hat die fortgeschrit- tenr Wihenschasl ihre Dienste dargeliehen, aber nur, um seine VerwüstungSmittcl wirksamer und entsetzlicher zu machen. Die kheinie Hal ihn mit den zerstörendstert Kräften der Natur ausgerüstet, die Mechanik ihm ihre sinnreichen Erfindungen zur Verfügung gestellt und die Schranken hinweggeräumt, welche Raum und Meer einst, gnädig seinem Wüihen zogen. Die Krim, das alte Fabel»,. land der Medea und Jphigenia, zittert jetzt unter den Donnern, welche die britischen und fränkischen kyklopen Hunderte von Meile, westwärts geschmiedet haben, unh