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Erscheint Dienstag« nn« Freitag«, Zn beziehen durch alle Postanstal ten. Preis pro Quart. l ONgr. s. ' Ins,rat. werde» mlt SW M dje Zeile berechnet ch u. in allen Er» ptdttione» an genommen. Ein unterhaltendes Wochenblatt für den Bürger und Landmann. Verantwortlicher Redacteur: Earl Jehne in Dippoldiswalde. Die Stenographie. Wir befinden uns auf der Zuhörertribune einer Ttändeversammlung. Indem wir, der Debatte folgend, binabsehen in den geräumigen Saal, bemerken wir dem Präsidentensitze gegenüber zwischen den Stühlen der De- putirten an einem längern Tische einige ämiig mit Schreiben beschäftigte Männer; sie lösen sich in dieser Beschäftigung nach einer Viertelstunde oder längerer Zeit ab und begeben sich in nebenan gelegene Räume. ES sind dies Steno graphen. Ihr Beruf ist, die hier vorgetragenen Reden mittelst einer systematisch festgestellten Kurzschrift wört lich niederzuschreiben, um sie dann außerhalb de« Saales in einem andern Arbeitszimmer durch Kopisten, denen sie ihre Niederschriften möglichst schnell dietiren, in Current schrift umzuwandeln. Nach Zusammenstellung des Ganzen wird dasselbe zum Druck befördert. Schon seit alten, undenklichen Zeiten gab «s Köpfe, die sich damit beschäftigten, Schriftzeichen zu erfinden, die zu ihrer Ausführung möglichst kurze Zeit beanspruchten. ES existiren aus alter Zeit mehre Schriftalphabete, die eine Chiffreschrift oder Geheimschrift zu nennen find, da sie an Zeitaufwand und gefälliger Form der gewöhnlichen Schrift nachstanden, Frankreich, besonders aber England, haben dann später in dieser Hinsicht Fortschritte gemacht, die in der neuern und neuesten Zeit eine Vollkommenheit und einen Aufschwung erreichten, die unsere gerechte Be wunderung erregen müssen, da sie fast bald nichts mehr zu wünschen übrig lassen. Wer kennt nicht die Nachrichten über die außerordentlich schnelle und sichere Mittheilung und Verbreitung der englischen Parlamentsreden? Kaum einige Stunden nach Beendigung derselben kann man sie in einem mehr als dreißig Meile» entfernten Orte wört lich gedruckt lesen. In Deutschland sind hier und da, namentlich in den südlich gelegenen Ländern, jetzt „Systeme der Stenogra- phie" aufgetaucht. Einige von ihnen waren zu compli- kirt, ander« in der Ausführung unsicher. Nur eins dieser Systeme hat sich behauptet und scheint den Sieg über alle davon tragen zu wollen, das Gabelsberger'sche, nach seinem Erfinder, dem zu München verstorbenen Ministe- rialseeretär Franz Xaver Gabelsberger, genannt. Gabels berger stellte nach elfjährigen gründlich wissenschaftlichen Studien sein System als ein praktisches auf und es hat sich auch bis heutigen Tag als solches bewährt. Der Er finder bildete Schüler, von denen einige bei verschiedenen deutschen Ständeversammlungen mit Erfolg arbeiten oder durch Unterricht zur Verbreitung der Stenographie nach Kräften beitragen. Das Gabelsberger'sche System zeich net sich besonders durch Klarheit, Leichtigkeit und Com- binationssähigkeit der einzelnen Schriftzüge Vortheilhaft aus und bietet dem Lernenden bei gutem Willen keine Schwierigkeiten. Von den sonst noch existirenden Methoden verdient die ebenfalls nach ihrem Erfinder sogenannte Stolze'schr Methode al- die bessere unter ihnen erwähnt zu werde». Der Nutzen der Stenographie im Allgemeinen ist so bekannt, daß eine noch größere Verbreitung und lebhaf tere Betheiligung beim Unterrichte wohl gewünscht und erwartet werden sollte. Jedem Gebildeten, der sich täalich über das Hemmende und Schleppende der gewöhnliche» Kurrentschrift zu beklagen Ursache hat, sollte die Kenntniß der Stenographie als Erleichteruugsmittel feiwer Arbeit willkommen sein. Die Ersparniß an Zeit und Raum, die man durch Anwendung der Stenographie erreicht, kann gar nicht hoch genug angeschlagen werden. Hanse mann dictirte «in großes Werk von 20 Bogen «inen» Stenographen in 8 Tagen. Derjenige mag sich aller dings täuschen, der da glaubt, daß nur ein LehrcursuS der Stenographie genüge, nm sogleich den» ersten besten Redner folgen zu können. Das ist nicht der Fall. Um einem geübten Redner wörtlich nachschreiben zu können, dazu gehört langjährige praktische Uebung. Einem Ste nographen, der jederzeit bereit sein will, allen Anforde rungen zu genügen, dürfen auch gründliche wissenschaft liche Bildung, namentlich Sprachkenntniffe, Kenntniß der Geschichte und ein ruhiges Temperament nicht fehlen. Nur so wird er sicher arbeiten können, da er keine störende Ueberraschung zu fürchten hat. Allein auch der Studirende z. B., der seine Collegienheste nachzuschreiben hat, kann von einiger Anleitung in der Stenographie immer schon einen bedeutenden Nutzen ziehen. Mit Fleiß und gutem Willen ist eS in fünf bis sechs Monaten schon möglich, von dieser Kunst einen nützlichen Gebrauch zu machen. Die Zeit kann nicht fern sein, wo es Jedem Bs- dürfniß werden wird, sich Kenntniß der Stenographie an- zueignen, will er nicht Zurückbleiben hinter dem Fluge der Zeit. Monats-, Wochen- und Tageblätter werden uns noch einst die neueste» Berichte der Politik, der Künste, Gewerbe u. s. w. in stenographischer Schrift bringen. Schon jetzt existiren solche Blätter, alle Anhänger der Ste nographie correspondiren in dieser Schrift, Lithographen, Kupferstecher, Schriststecher und Schriftsetzer werden darin unterrichtet, um den Anforderungen der Vervielfältigung genügen zu können. Zahlreiche stenographische Vereine, deren namentlich in jeder großen Stadt wenigstens einer besteht, haben sich fast ohne Ausnahme lediglich die Verbreitung der Steno graphie zum alleinigen und Hauptzweck gemacht. Die Mit glieder kommen wöchentlich zusammen, um sich im Inter esse der Stenographie zu besprechen, sich auch wohl ge meinschaftlich darin zu üben. Außerdem haben einzelne Vereine die Herausgabe von Zeitschriften und Lehrbüchern