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/rcitag .l- 86 Weißerih-Zeitnng.M pedtttoü,« «t, - - cienommen.' 3. Uovember Hafer-,r ? Dienstags und Freitags Zu beziehe« durch alle Pvstanstal- ten. Preis siro Quart. lONgr. . . . , gen°»ni«n Ein unterhaltendes Wochenblatt für den Bürger und Landmann. Verantwortlicher Redacteur: Carl Jechne in Dippoldiswalde. >>.. " ! „ s, > W uiil . -II.UU Die Belagerung SebastopolS. Das Bombardement der Festung Sebastopol wird in gegenwärtigen Tagen noch fortgesetzt werden, wenn nicht diese wichtige Feste bereits in der Gewalt der Alliir- ten ist. Am 8. Octbr. wurden wir über die Täuschung be lehrt, welche dem ganzen Europa, mit Einschluß höchster und allerhöchster Herrschaften, jener fabelhafte Tartar be reitet hatte, der die Nachricht von dem Falle SebastopolS in das Hauptquartier Omer Pascha'S getragen haben sollte. Wenn sich auch alle Leute , welche einen Begriff davon baden, waS die Eroberung einer Festung ersten Ranges sagen will, anfänglich ungläubig stellten, als die Sieges post auS dem Orient ankam, so traten doch die Details deS Gerüchts in den Tagen nach dem ersten Eintreffen der SiegrSpost von mehrer» Seiten mit so glaubwürdiger Bestimmtheit und Genauigkeit auf, daß am Ende auch die Ungläubigsten dem fabelhaften SiegeSzug der Alliirten Glauben schenkten. In gewissen Fälle» muß man selbst ein Spitzbube sein, um nicht betrogen zu werden, sagte Herr v. Mirabeau. Ein solcher Fall lag vor, und alle europäischen Zeitungen habe» sich durch den berühmt ge wordenen Tartarenboten leimen lassen. Dieser unglück liche Postbote des »»heiligen römischen Reichs osmanischer Nation hat auf mehrere Wochen das ganze Urtheil der Christenheit gestört, welche so gern an Sonn- und Feier tagen und mitunter auch in den Wochenabenden ein Ge- spräch von Krieg und Kriegsgeschrei hört, vorausgesetzt, daß hinten, weit in der Türkei, die Völker auf einander schlagen. Wäre dem tartarischen Postboten sein Pferd gestürzt, man würde nicht so fabelhaft enorme Ansprüche an di« Leistungsfähigkeit der Alliirten gestellt haben, man hätte nicht erwartet, daß eine so stark« Festung wie Seba stopol im Fluge genommen werden sollte. Wäre der Tar tar nicht mit seinem Pferde gekommen und hätte die Chri stenheit gründlich versohlt, die Erwartungen von der Ex pedition der Alliirten nach der Krim wären in ihrem natürliche» Gleise geblieben; man würde sehr zufrieden sein mit Len hergestellten Belagerungsarbeiten; die An sprüche der Neuigkeitsjäger hätten heute noch den näm- liehen Maßstab in der Hand, mit welchem sie dem Ab segeln deS neuen Argouautenzuges von Varna zuschauten. Sebastopol mag bereits gefallen sein, oder es mag heute fallen, e- wird nur den - Eindruck eines dramatischen Schlusses im fünften Akte machen, den das ganze Par terre im ersten Auszuge mit mathematischer Bestimmtheit vorhersagt. Aber man erinnere sich doch rin wenig der ersten Tage deS Septembers, als die Einschiffung der «ng- lisch-sranzöstsch-türkischen ExpeditionS-Armee von Statten ging. Wie sprach man denn damals? Hieß eS nicht auf drr einen Sette, die Alliirten fühlten, um das Geschrei der Unzufriedenen in Europa zu beschwichtigen, da» Be- dürfniß, irgend etwas zu unternehmen, wenn «S auch et was Dummes oder Nutzloses wäre? Sagte man damals nicht, die Lorbeeren von Bomarsund ließen Herrn de St> Arnaud nicht schlafen und er werde irgend eine obskure russische Festung, Anapa oder dergleichen, zu nehme« suche«, sich aber wohlweislich hüten, an einem ernsthaften Unter nehmen, an einem Angriffe auf das uneinnehmbare Seba stopol, die Stärke seiner Waffen zu erproben? Ward nicht berichtet, wie hohe englische und französische Offiziere in dem entscheidenden Kriegsrathe zu Varnä die Unmöglich keit militärischer Erfolge in der Krim und di« Unmöglich keit einer Landung daselbst unwiderleglich bewiesen hätten? Alles das sind wir erbötig, aus den Septembrrzettungen nachzuweisen. WaS ist nun geschehe» ? Die Alliirten füh ren eine in der Kriegsgeschichte bisher unerhört« Operation, die rasche Landung einer großen, mit dem reichsten KrirgS- materialr versehenen, Armer, aU eint« hundtttt von Mei len von ihrer Heimath entfernten feindlichen höchst mangel haft bekannte» Lande auS; sie besiege» am vierten Tage der Landung die russische Streitmacht unter all«r Ungunst, welche vortheilhafte Stellung und Terrainkenntniß dtS Feindes ihnen bereiten konnte; sie bewerkstellige» eine Um gehung SebastopolS im Angesichte des im Feld« stehenden russischen Feldherrn und bemächtigten sich eisier Stellung, welche vom Fürsten Mentschikoff für so uneinnehmbar ge halten wird, daß er sich nicht einmal di« Mühe genomm«» hatte, für ihre Verlheidigung zu sorgen. Von dWr Stellung aus eröffneten sie die Vorarbeiten zu einer regel rechten Belagerung SebastopolS, und gelangten binnen acht Tagen dahin, die Basis für den Angriff auf die Festung zu etabliren. Das sind doch glänzende KriegS- thaten, wie sie in der Geschichte des Kriegs kaum erhört find, aber sie machen keinen Eindruck auf die Leser wegen des Tartarenboten. Während nun diese wundervollen Thaten geschehen, fällt mitten in das harrende Europa hinein eine falsche Nachricht, welche alle künftigen Triumphe schon vorauSerzählt, antieipirt; alle Welt würde, ohne das falsche Siegsgeschrei über den Fall SebastopolS, erstaunt sein über die Erfolge, welche das Heer der Alliirten in kurzen vier Wochen unter den schwierigsten Umständen errungen hat. In der That, wenn wir bei unsrer Cigarr« und dem dampfenden Kaffee nicht jeden Tag Ungerechtig keiten begehen wollen, müssen wir anerkennen, daß die Alliirten und mit ihnen die Herren Türken alles nur Mögliche geleistet haben, so müssen wir Omer Pascha'S Tartaren völlig vergessen, Aber ein« werthvoll« Lrhr« möchten wir jenem reitenden Boten verdanken. Der Bei- trag nämlich, den er zur Naturgeschichte d«S politisch«» Nimbus geliefert hat. Rußlands militärische Capaeitäten haben den diesjährigen türkischen Feldzug erst ungeschickt genug leiten müssen, eh; Europa zu dem Glauben verleitpt