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68. Weißerih-Zeitung Dienstag. Erscheint Dienstags und Freitag«. Zu beziehen durch alle Postanstal- len. Preis pro Quart. l ONgr. Ein unterhaltendes Wochenblatt für den Bürger und Landmann. 5. September 1854. Inserate werden mit 8 Pf. für die Zeile berechnet ch u. ln allen Ex peditionen an genommen. Verantwortlicher Redacteur: Carl Jehne in Dippoldiswalde. Räumung der Donaufürstenthümer. Rußland hat sich seither bei dem Kriege mit der Türkei wenig darum geschoren, ob auch Tausende leiner Soldaten bei den Gefechten, in Lazarethen, durch unge sundes Klima und mangelnde Nahrung umgekommen sind. Wir überschätzen die Zahl der Todten nicht, wenn wir sie auf 50,000 annehmen, welche in jenem Kriegt auf eine der angegebenen Weisen um ihr Leben gekommen sind. Nun haben jüngst die russischen Heere die widerrecht lich besetzten Donaufürstenthümer räumen müssen. Da hat nun der commandirende Obergeneral Gortschakoff bei seiner Abreise aus Bukarest versichert: der Kaiser habe nur deshalb den Befehl ertheilt, die Wallachei zu räu- men, um — man staune über die Zärtlichkeit! — seine Heere nicht in ungesunder Gegend weilen zu lassen. Also blos „zur Gesundheit" machen die Nnssen diesen großartigen Rückzug. Nun vielleicht dient derselbe doch zur Gesundheit Vieler, nämlich zur Gesundheit Rußlands, damit es von den stolzen Marotten, die Türkei zu erobern und Europa in Krieg zu stürzen, für längere Zeit geheilt werde, und zur Gesundheit Europa's, damit dieses von der Russen furcht genese, nachdem man gesehen, daß Rußland sogar vor den Heeren der Türkei hat RcißauS nehmen müssen. Sodann dürfte in Rußland die krankhafte Idee wan kend geworden sein, daß die „rechtgläubigen Heere" von unwiderstehlicher Tapferkeit find, daß vor ihnen die „Hei den des Abendlands" die Flucht ergreifen müssen und daß „Gott ist mit Raub- und Eroberungszügen Rußlands." Nicht minder dürfte der gesundere Gedanke Wurzel schlagen, daß oft „todtkranke Männer" gewissen voreiligen Erblustigen die Knochen im Leibe noch recht gut zurecht setzen und ihnen den Appetit auf fremdes Eigenthum be nehmen, und wir rufen aus: „zur Gesundheit!" Endlich dürfte auch das russische Volk auf die ge- sunde Idee kommen, daß man sich recht gründlich verrech nen kann, wenn für die „rechtgläubigen Heere" schon im Voraus „im Namen Gottes der Sieg vekündigt" wird, und daß die Rathschlüsse ihrer Regierung nicht so weise find, daß sie den Nathschlüssen Gottes gleichkommen; denn der mit pomphaften Phrasen verkündigte Sieg ist in einen sehr bescheidenen Gesundhritsrückzug umgcschlagen. Und auch das ist den Herren Russen ganz gesund. Somit ist wirklich Gortschakoff gerechtfertigt. Der Rückzug geschieht nämlich „zur Gesundheit;" er ist Europa eben so gesund wie Rußland. Allein wenn man krank gewesen ist, so bedarf es in der Regel einer Nachkur, wenn die Krankheit nach eini ger Zeit nicht wieder ausbrechen soll, und diese Nachkur wird Rußland hoffentlich erhalten; vorzüglich werden ei nige Pillen noch gute Dienste leisten. Oh ihm diese Pil len durch Landungstruppen in der Krim oder durch Ka nonen bei Sebastopol oder Kronstadt beigebracht werde», läßt sich zwar noch nicht sagen, aber nöthig ist sie. Dieser Nachkur wird sich Rußland jedenfalls unter werfen müssen. Es wäre ein unverzeihliches Unrecht, nach dem von Seiten des übrigen Europa's Geld und Men schen geopfert, nachdem die empfindliche Lähmung deS Han dels und der Geschäfte durchgemacht, wenn man die gün stige Gelegenheit nicht benutzen wollte, den „Pfandneh mer" in einen „Pfandgeber" umzuwandeln; es wäre eine Lächerlichkeit für Europa, wenn man zu Rußland sagte: Du hast zwar deine Hand nach fremdem Gute ausgestreckt und Europa in einen Krieg verwickelt, da du aber auf deinem Raubzuge tüchtig heimgeschickt worden bist, so bist du nun wieder unser guter Freund. Solche Ideen wird kein Staatsmann hegen, der die künftige Ruhe Europa's für ein kostbares Gut hält. Die Kur, welche der „todtkranke Mar;»" gegen Ruß land gebraucht, hat ganz gut angeschlagen. Der Pfand nehmer hat durchaus nicht mehr jenen krankhaften Appetit nach fremden Eigenthume; aber nichts in der Welt sichert uns gegen die Rückkehr des sonderbaren Appetits, als eine recht glückliche Nachkur. Diese Nachkur beginnt bereit»; zu ihr gehören: die Operationen der Engländer an den Donaumündungen, welche bereits soviel gewirkt haben, daß sich die russiMen Heere recht hübsche gesunde Bewegung machen. Die Mündungen der Donau, dieses deutsche« Stro mes, gehören nämlich zur Schmach Deutschland- und Oesterreichs, den Russen. Nun hat Rußland wohl per- sprachen, diese Mündungen in gutem Stande zw erhalten, damit Fahrwasser für die Handelsschiffe bleibt; -her trotz aller Mahnungen, hat Rußland recht gründlich für Ver sandung und Verschlammung der Sulina, der Hauptmün dung der Donau, gesorgt. Seit einigen Wochen haben aber die Engländer ihre Operationen im Bereich dieser Mündungen begonnen, und sie dringen zwar langsam, aber siegreich vor. Wir machen besonder- auf diesen Punkt der Donaumündungen aufmerksam, weil eS unS scheint, daß hier die Geschichte etwas schneller spielen wird, al« vor Sebastopol und Kronstadt. Diese beiden ungemein festen Plätze zu nehmen, dazu gehört Zeit und riesenhafte Anstrengung. Ganz anders ist eS aber mit dem Gebiete der Donaumündungen. Hier gilt eS nicht einer bloßen Zerstörung, welcher sodann ein Verlassen deS zerstörten Gebiets folgen würde, sondern hier wird eine dauernde Eroberung notwendig, wenn Rußland nicht Herr des Handels auf der untern Donau bleiben soll. Man hat aber die Dona« nicht frei, wenn Rußland deren Mündungen besitzt. Hier muß Ruß land zur Gesundheit Europa's rin Stück kleiner gemacht werden.