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129 3. Nach einigen Tagen saß Dahl eifrig arbeitend in seinem Zimmer, als der Onkel hereimrak, der Dahl'S Knaben auf vem Arm trug, während die junge Muller mit lächelndem Gesicht folgte. Da bringe ich den Herzensjungen, rief der alte Herr, dem Neffen die Hand schüttelnd, er will seinen Papa sehen. — Da, sieb Junge, Du hast einen tüchtigen Baker. Nimm Dir ein Beispiel an ihm, und doch auch wieder kein Bei spiel, daS heißt, werde wie er ein wackerer Mann, aber werde kein Weltumkebrer, der mit dem Kopf durch die Wand will. Dahl lachte, während sich der Direktor setzte, und sagte dann: Es kommt darauf an, ob sein Schädel so hart ist, daß er die Wände wirklich damit einrennl. Nun, erwiderte der alte Herr, und waS hat man an zerbrochenen Mauern? Ein HauS, in welchem man nicht wohnen kann. — Ich soll Sie einladen, Dahl, ich habe eS übernommen. Sie sollen heut Abend bei Seiler sein. DaS Gesicht deS ObergerichtSraths verfinsterte sich. — Ich bin entschlossen, nicht wieder zu Seiler zu gehen, sagte er, wenigstens jetzt nicht. Ach, Possen! rief der Director. Ihr seid nahe Ver wandle, Ihr müßt Euch nicht trennen und anfeinben. Das ist auch fern von mir, erwiderte Dahl. Sie treffen Ihren Freund Grimnitz dort und daS Fräulein Uttenhofen, fuhr der alte Herr fort. Aussöhnung, Verständigung, daS ist jeyt die Hauptsache, darnach rüst man von allen Seiten, und der ist ein Thor, der aus dem durchlöcherten Wrack bleiben will, während Alles sich aus'S feste Land flüchtet. — Man lebt neu auf, die Majorin hat ganz Recht, und Sie, Dahl, Sie müssen auch wieder auf leben. — Keine Widerrede! sagte er, alS der Neffe ant worten wollte, Seiler streckt die Hand versöhnend aus; wir Alle wollen Ihnen wohl, wollen die Dissonanzen fort, jagen, Frieden schließen, unö dazu bietet sich jetzt die Ge legenheit. Erschien noch etwas Wichtiges beifügen zu wollen, besann sich aber und begann von Anderem zu sprechen. Nachdem er eine Weile über häusliche und Vermögens verhältnisse geredet Halle, sagte er: Ihr wohnt hier zu ein sam und zu beschränkt, gebt keine Gesellschaften und haltet Euch zurück. - Woran liegt daS, Dahl? — Sie haben ja Vermögen und Gehalt? — ES mangelt doch nicht? ES reicht zu dem, waS wir nölkig haben, überflüssig hin, sagte Dahl. Aber Hugo hat manche Verluste gehabt! fiel die junge Frau ein, zu dem giebk er, so viel er kann. Aha! Gleichheit und Brüderlichkeit! rief der alte Herr scherzend, ich glaube wohl, daß eS Geld kostet. Nun, daS wirb sich ändern, und ich will dazu beitragen, nur — zum Henker! eö muß heraus — nur möchte ich nicht, daß Eure Klubs und Vereine oder Eure Herren Demokraten mein Geld verzehrten. — Ich will Euch einen Vorschlag machen. Zieht in mein HauS, ich räume Euch das ganze untere Stockwerk ein. Ach, Onkel, sagte die Nichte erfreut. Was giebl'S da zu Onkeln! fuhr er gemüthlich fort. Ihr seid ja doch meine Erben. Seiler bekommt seinen Jahreszuschuß; der hier — er deutele auf Dahl — hat nichts gewollt, weil er meinte, er könnte seine Frau selbst ernähren; aber ich will kein Unrecht, Ihr sollt die Woh- nung haben und daS Uebrige wird sich finden. — Dabei schloß er die kleine Frau in den Arm, gab ihr einen Kuß auf die Sfirn und einen ander» auf den Mund, reichte ihr den Knaben und griff nach seinem Hut. Also kommt nicht zu spät, sagte er, und hören Sie, Dahl, machen Sie mir keine Querstriche. — Ich will, Ihr sollt gut zusammen stehen — Mit Seiler? fiel Dahl ein; wir stehen wirklich so gut, wie eS irgend angehl. DaS heißt, drei Schritt vom Leibe, oder wo möglich eine halbe Meile. Es giebt ja viele Menschen, mit denen man die beste Freundschaft hält, wenn man sie nicht steht, meinte der ObergerichtSralh lachend. Aber die da sind Schwestern, rief der Direktor gereizt. Alle Wetters über den Juristen, der ewig widersprechen muß. — Sie wissen nicht, wie Seiler Sie achtet, waS er von Jhr,en Fähigkeiten denkt. Also eS bleibt dabei. Und kommt nicht später, wie eö sein muß; nicht so, wie neulich, Wo beinahe weg'en Euch eine HungerSnoth auSgebrochen wäre. AlS er fort war, setzte Dahl feine Arbeiten fort, bald aber kehrte Clara zurück, legte den Arm um seinen Racken und sagte, ihn freundlich anblickend: Du siehst so finster auS, alS wäre Dir etwas recht BöseS geschehen! Das ist eS auch, etwiderte er. Diese Einladung ist mir im höchsten Grade fatal. Du darfst sie nicht auSschlagen, flüsterte sie bittend; du vergißt, daß er Dein Schwager ist. DaS vergesse ich nicht, fiel Dahl ein, nur glaube mir, er vergißt es noch weniger. Alles, waS er thur, ist be rechnet, und hinter dieser Einladung steckt ohne Zweifel irgend eine Nichtswürdigkeit! (Fortsetzung folgt.) Die Constituirung einer freien christ lichen Gemeinde in Dresden. (Schluß ) Der greise Sprecher kommt nun auf die Hauptgedanken der freien Gemeinden zurück und zieht warm uird überzeugend eine Parallele zwi schen dem Alten und seiner Gemeinde ln Magdeburg. Prediger, Lehrer und Nettesten sind die Männer freier Wahl. Erstere stehen unter den Nettesten, ohne Abstimmung; eS werden gesellige Zusammenkünfte außer den Erbauungsstunden gehalten, um Wissenschaft und Bruderliebe zu fördern; der Wille muß zur That werden. Der Sprecher zergliedert nun die Organisation seiner Gemeinde und schildert mit der Freude, die jedes Gelingen einer guten That hervorbringt, den Segen, welchen das hervorgerufene Bessre schon gebracht hat. Sclbstberechtigung der Einzelnen und volle Berechtigung der Gemeinschaft stelle ich oben an, d. h. nicht ohne Leitung. An Natur, Gegenwart und Vergangenheit suchen wir die Wahrheit. Jesus steht bei uns in besonderm Interesse, wir find ja im Ehristenthume aufgewachsen, und halten Jesu» für den Weisesten der Weisen. DaS Vergangene giebt uns die Idee der Neu zeit, unser» Glauben hat Christus gestiftet, darum nennen wir un» Christen. Wäre eS denkbar, daß ein Bessrer als Jesus erstände, so würden wir diesem folgen müssen. JesuS hat kein Glaubensbckenntniß gegeben, der heilige Geist ist die Kraft der Sittlichkeit und Liebe. Verstand und Gemüth haben in Religion gleichen Anspruch. Nach genauer Auseinandersetzung des Wesen Jesu geht der Redner auf die CultuSiormen überund berichtet, wie solche in seiner Magdeburger Ge meinde seien. Gemcindesang, Predigt, Abendmahl, Taufe, Trauung und Leichenbegängnisse finden in ihr statt; denn man muß Formen nicht abschaffen, ehe man beffre neue hat; wir haben aber auch nur da» Vernünftige. In dieser Weise unterscheiden wir uns freilich von mancher andern freien Gemeinde. Mit warmen, dringenden Worten legt er der Versammlung an'ö Herz, wohl zu überlegen, ehe man den Schritt deS Beitritts thut; man soll di« Opfer wohl erwägen, und sich vor allem selbst prüfen, damit man der Gemeinde auch Ehre mache. Und sq schließt denn der begeisternde Redner mit den herzlichsten Wunsch deS Gedeihens und Blühens der jungen Geuuinde. Obgleich wir eS nicht billigen können, daß bei so wichtigen, s» erhabenen Reden Zeichen deS Beifalls gespendet werde», so wollen wir eS gern entschuldigen, daß ein allgemeiner Beifall von Jeglichen dem wacker» Uhlig zuströmte, eS war der Ausbruch der tiefergrtffenen Ge- müther, es war der AuSruf der Begeisterung. *