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- Erscheinungsdatum
- 1920-06-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192006245
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19200624
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19200624
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1920
-
Monat
1920-06
- Tag 1920-06-24
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Monat
1920-06
-
Jahr
1920
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LoNnerStag den 24. Juni 1920 ,>,»1sch, V»II, »kr. 141, Sr:,« 2 Abgegeben wurden insgesamt etwa 1600 MO Stimmen, die Wahlbeteiligung betrug nur bü Prozent. Es ist gar keine Frage, daß die Unabhängigen und die Sozialisten alles aus die Beine brachten, wa» für sie nur irgendwie in Betracht kam. Tie Uebcigen stürzten sich in früher Morgenstunde auf die Züge, suchten das Weite, und ließen Berlin im roten Sumpfe versinken. Diese Schlappheit und Interesselosigkeit des Beiliner Bürgertums muß auch vor dem Land« auf das schärfste gebrandmarkt werden, denn die unsagbare politische Unreife, die es in diesem Verhalten zeigte, wird nicht nur Berlin, sondern auch dem ganzen Reiche zum schlimmsten Schaden gereichen. Die Groß-Verliner Gemeinde wir- nunmehr das Versuchskaninchen für die unabhängige» und sozialistischen KommunalisierungS» und SozialisicrungSphantasien sein. Man wird ja nun sehen, waS dann herauskommt, vorausgesetzt, daß die Unabhängigen min auch wirklich einmal an einem praktischen Erempel ihren Anhängern „beweisen", was sie lebten können. Damit werden sie es ja nun nicht mehr eilig haben, denn manche „Liebe" ginge dabei in die Binsen. Die Stärke der Unabhängigen in Berlin ergabt sich daraus, daß sie von 1 600 000 Stimmen mehr als 600 000 Stimme» allein aus sich vereinigten. Bei den Reichstagswahlen stellte sich in Groß' Berlin die Zister der Unabhängigen aus etwa 460 000. Man stelle sich vor, was eine solche ungeheuerliche Masse von über 600 000 Un abhängigen, wenn es sich wirklich »m entschlossene, kampfbereite An hänger und nicht um verärgerte Mitläufer bandelte, ill"S in Berlin an,-»richten und was sie alles dem Bürgertum aufzuzwingen ver möchte. Da muß man sich vor Augen halten unter Berücksichtigung der Tatsache, daß immer und immer wieder, so auch jetzt nach dem ungeheuren Erfolge der UnabMngigen-im Kampfe um das Berliner Rathaus, die unabhängige Dresse auf daS schärfste betont, daß der eigentliche Kamps ja gar nicht in der Gemeinde oder im Parlament, sondern außerhalb der Parlamente und mit außerparlamentarischen Mitteln, mit Gewalt und Diktatur, auSgefochten werden muß. Gegenüber den Unabhängigen haben die Mehrheitssozialdemo kraten in Berlin mit ihren 270 000 Stimmen gar nichts mehr zu be sagen. Sie werden in einer sogenannten vereinigten sozialistischen Gruppe nur die Gedulde'en sein. Es ist aber bezeichnend, daß die Mehrheitsso-iäldemokraten gegenüber den Wahlen vom 6. Juni mit etwa 190 000 Stimmen doch diesmal nahezu 30000 Stimmen ge wonnen haben. Gegenüber dem sozialistischen Block spielt das Bür gertum nur eine unteraeordnete Rolle Die Deiitsche Volkspartei er hielt etwa 285 000 Stimmen, die Deu-schnationalen etwa180 000, die Demokraten etwa 115 000 und das Zentrum etwa 60 000 Stimmen. Bemerkenswert ist, daß das Zentrum seine Stimmen- zister in Groß-Berlin gegenüber den Wahlen vom 6. Juni um über 4000 Stimmen zu steigern vermochte. Die Demokraten haben wieder den verhältnismäßig größ'en Verlust erlitten. Eine wirtschaftliche Bereinigung vereinigte etwa 65 OM Stimmen auf sich, wirkte damit aber nur aus die bürgerlichen Bartelen schwächend. Eine von der früheren deutschnationnlen Abgeordneten Fräulein von Gierke propagierte eigene Frauenliste erlitt einen vernichtenden Zusammen bruch sie konnte in ganz Groß-Berlin kaum 1000 S'Immen zusam menbringen. Tie einzelnen Parteien werden nun im neuen Stadt parlamente von Groß-Berlin, zu dem neben dem Steinmeer der Innenstadt nun auch die sämtlichen Außenvororte gehören, wie folgt vertreten kein: Unabhängige 38, Sozialdemokraten 38. Deutsche Volks- par'ei 40. Deutschnationale 25. Demokraten 16, Wirtschaftliche Ver einigung 9, Zentrum 8. So alioKhat Berlin seine politische „Reise" bewiesen. DaS „souveräne Volk von Berlin" hat nun die Negierung die es wollte, mon knnn ihm dazu grntulieren! Aber eS soll sich nun mich nicht beklagen, wenn man im Reiche draußen sich nun mehr als das bisher der Fall war, von diesem „Mnsterkops" abwend-t, und wenn nnnmebr die -'"Ai Schuld de- Bürgerlichen in dm Sattel ge hobene sozialistische Mebrheit Experimente in Szene setzt, die den Ruf: LoS von Berlin! im Lande nur noch verstärken müssen. Der Streit um den LokriabFuq Die Tatsache, daß der Steuerabzug vom Lohn und Gehalt vom 25. Juni 1920 ab wirksam wird, führte zu lebhaften Erörterungen. Man bemängelt sehr das Verfahren, bedenkt aber nicht, daß es sich hier für die deutsche Steuerpraxis um eine vollkommene Neuerung handelt. Auch die Höhe des Abzuges wird kritisiert und dabei ver gessen, daß beides, der Abzug an sich, wie auch das Verfahren inl Einkommersteuergcsetz vorgesehen ist. Die Reichsfinanzver waltung hat dieses Gesetz auszuführen. Sie muß um so mehr aus die Durchführung des Gesetzes dringen, als die Finanz lage des Reiches nach wie vor ungemein schwierig ist. Die Bestimmungen über den Lohn- und Gehaltsabzug sind der Nie derschlag eingehendster Beratung.'« mit de« sämtlichen in Frage kom menden BemsSvertretungen. Daß sich bei ihrer ersten Durchführung eine Reihe von Schwierigkeiten ergeben, ist nicht weiter zu venvun- dem, da es sich hier eben um ein in Deutschland noch nicht erprobtes Verfahren handelt. Andere Länder haben ja die Erhebung der Ein kommensteuer an der Quelle für daS gelamte Einkommen, was zwei fellos von den Steuerpflichtigen viel größere Arbeiten verlangt als der verhältnismäßig einfache Lohnabzug. Dieser Lohn- und Gehalts abzug erstreckt sich nur auf Lohnempfänger, und zwar im weitesten Sinne des Wortes. Den« er trifft genau so gut da» Gehalt de» ReichSpräfldenten oder de- Generaldirektors einer Aktiengesellschaft wie den Arbeitslohn der Hausangestellten., Als Arbeitslohn gelten nicht nur Geldbeträge. >s andern auch Natural- und sonstige Sachbezüge- Würden letztere nicht darunter fallet, so würden zum Beispiel die landwirtschaftlichen Arbeiter, die einen mehr oder minder großen Teil ihre Lohne- in sogenannten Deputaten erhalten, und die HauSange. stellten, die außer ihrem Barlohn freie Wohnung und Verpflegung genießen, besser gestellt sein als die gewerblichen und Industriearbeiter, die ihr ganzes Gehalt in Geld beziehen und die Kosten Ihrer Woh nung und Verpflegung selbst zu tragen haben. Bei Zusammen treffen von Geldbeträgen und Naturalbezügen sollen jedoch, da der nach den Lohntarisvereinbarungen oder nach den von den Versicheningsämtern festgesetzten Sätzen zu bemessende Wert der Naturalbezüge zum Teil ein recht erheblicher ist und daher vom Barlohn unter Umständen ein verhältnismäßig sehr hoher Betrag ab gezogen werden müßte, in den Fällen, in denen der Wert der Natu ralbezüge den Barlohn übersteigt, höchstens 20 Prozent des Barlohnc abgezogen werden dürfen. Für die Stadt Berlin beispielsweise wird die Anwendung dieser Verordnung im allgemeinen nicht praktisch wer den. da der Wert der Naturalbezüge gegenwärtig nur auf zirka 703 Mark, also 59 Mark monatlich, festgesetzt ist und daher wohl regel mäßig hinter dem Barlohn Zurückbleiben wird. Bei einem Haus angestellten, der monatlich 90 Marl in bar erhält, würden also nur 14.90 Mark monatlich abzuziehen sein. In anderen Kreisen sind die Sätze aber schon erheblich höher, zum Beispiel auf 3000 Marl fest gesetzt. Hier würde bei 90 Mark Barlohn der Wert der Geld- und Sachbezüge also monatlich 340 Mark betragen. Es dürfen also nur 18 Mark gekürzt werden. Auf das Jahr umgecechnet würde der insgesamt zu kürzende Betrag also 216 Mark betragen. Dieser Betrag bleibt noch immer um 54 Mark hinter dem Gesamtbeträge der Einkommensteuer zunick, die eine ledige Person von einem Gesamt einkommen von 4000 Mark zu zahlen hat: denn diese beträgt unter Berücksichtigung des einkommensteuersreien Betrages von 1500 Mark 270 Mark. «r»^«r»Vr, htzrrto Leipzig 11 SOZI oder-nvchSei«- Sparkasse ot>e»-)eittrrrg. Die Einzahlung des gekürzte» Betrages erfolgt entweder durch Einkleben und Entwerten von Marken in der Steuer karte des Arbeitnehmers oder durch unmittelbare Ueberweisnug des gekürzten Betrages seitens des Arbeitgebers an die Steuerhebestelle. Die Steruerkarten werden von den Gemeindebehörden unenigcltlich ausgestellt. Wo die Steuerkarten zu beziehen sind, wird für jeden Landesfinanzbezirk in den nächsten Tagen in den Tagesblättern be kannt gemacht. Die Steuermatten sind bei den Postanstalten zu be ziehen; vorerst werden Marken im Betrage von 10 Ps., 50 Ps, 1 MI., 2 Mk.. 5 Mk., 10 Mk und 25 Mk. zum Verkauf gestellt. Das Ein kleben und Entwerten erfolgt grundsätzlich bei jeder Lohnzahlung, auf Antrag kann jedoch gestattet werden, daß für ständig beschäftigte Per sonen die Steuermarken erst am Ende eines Monats oder am Ende eines Kalendervierteljahrs eingeklebt oder entwertet werden. Die unmittelbare Ueberweisung erfolgt auf Antrag des Arbeitgebers beim Landesfinanzamte. Grundsätzlich soll der ein zubehaltende Betrag unter Beifügung einer Nachweisung, für welche Formulare bei den Finanzämtern zu beziehen sind, in doppelter Aus fertigung an die zuständige Steucrhebastclle des Arbeitnehmers abge- führt werden. Beschäftigt jedoch der Arbeitgeber mehr als 100 Ar» beitnebmer, jo kann auf seinen Antrag die Abführung an die für seine BetriebsstStte zuständige Steuerhebestelle erfolgen. In diesem Falle hat er jedoch die Nachmessung In dreifacher Ausfertigung einzureichen. Die Abführung soll grundsätzlich spätestens bis znm 10. des auf di? Lohnzahlirng folgenden Monats erfolgen; auch hier kann jedoch auf Antrag die Einzahlung erst innerhalb der ersten zehn Tage nach Ab lauf des Kalendervierteljahres gestattet werden. Die Anrechnung des gekürzten Betrages ans die für das Rechnungsjahr 1920 geschuldete Einkommensteuer soll gnmd- sätzlich erst nach der endgültigen für daS Kalenderjahr 1920 vorzuneh menden Veranlagung erfolgen. In der Presst ist hieraus hier und da die Schlußfolgerung gezogen, daß Arbeitnehmer n diesem Jahre eine doppelte Einkommensteuer zu zahlen hätten, indem sie neben der Kürzung ihres Arbeitslohnes auf Steueranforderungsschreiben auch noch die Steuer von demjerzjgen Einkommen zu zahlen hätt'n. das für die landesrechtliche Veranlagung der Einkommensteuer im Jahre ü'19 festgestellt ist. Diese Auffassung ist irrig. Denn erstens ist nach M->g- lichten dafür gesorgt, daß solchen Steuerpflichtigen, bei denen sich die vorläufig zu entrichtende Steuer nicht höher als der zehnprozeulige Abzug von ihrem Arbetiseinkommrn berechnet, ein Steueransorde- rungsschreiben überhaupt nicht zugeht. Und zweitens wird, wo diese Voraussetzungen nicht zutreffen, also wenn zum Beispiel »och and res Einkommen als Arbeitslohn» vorhanden ist, die geküßte Steuer so gleich auf die einzelnen nach dem Steueranforderungsschi eiben zu ent richtenden Beträge ungerechnet. An weitere eincngende Vorausr^m- gen ist die Zulässigkeit der Anrechnung nicht geknüost. Eine bare Herauszahlung findet grundsätzlich auch erst bei der endgültigen Veranlagung für 1920 statt. Vorher, also im Laufe dieses JahreS, wird nur dann herausgezahlt, wen» die rom Arbeitnehmer endgültig zu entrichtende Einkommensteuer Voraussicht- lich weniger als 10 v. H. des mutmaßlich im Jahre 1920 zu erziele»'?!, Arbeitseinkommens des Arbeitnehmers beträgt. Besteht das Ei», kommen §mn Beispiel nur aus 4800 Marl Arbeitslohn und ist der Steuerpflichtige verheiratet und hat vier minderjährige Kinder, so ist bei der endgültigen Veranlagung überhaupt keine -Einkommensteuer zu zahlen; in diesem Falle werden die jeweils monatlich gekürzten ill Mark sofort zurückgezahlt. Die Behauptung, daß gerade die L'i- stungsunfähigsten die Steuer zunächst bezahlen müßten und erst im nächsten Jahre zurückerhielten, damit dem Reiche gleichsam ein zins loses Darlehen gewährten, ist also unrichtig. Die Bestimmungen über den Abzug vom Arbeitslohn treten om 25. Juni in Kraft, das heißt, ihnen rrnterliegen alle vom 25. Juni ab fälligen Gehälter, Löhne usw. Durch vorherige Auszahlung dies« Beträge können die Bestimmungen über den Steuerabzug nicht um gangen worden. Bei der Wertung der grundsätzlichen Bestimmung des Lohn- abzuges darf nicht vergessen werden, daß mit dieser ZahlungSweise sih den Lohn- und Gehaltsempfänger eine Reihe von Vorteilen Verbunds, sind. Die Bezahlung in vierteljährliche« Raten ist dem, der vor dem Ertrage seiner Arbeit leben muß, oft genug sehr schwer, da es !><h um größere Posten handelt, Durch den direkten Abzug von 10 Pro zent der Lohn- und Gehaltszahlung wird die Steuerentrichtung wcstni- lich erleichtert, um so mehr, als bei sehr vielen, vielleicht bei dm meisten Steuerpflichtigen mit Rücksicht auf die Freigrenze und doi Familienprivileg die endgültige Abrechnung kaum eine höhere Steuer- Pflicht als 10 Prozent ergeben wird. Und es sollte vor allem doch auch nicht vergessen werden. ivlz die Finanzlage des Reiches beschaffen ist. Eine weitere Verschlech terung unserer Finanzlage würde zu einer Gefahr für unsere gan,r Baikswlrsschast auswachsen und damit am meisten den Arbeittrste.nd schädigen. Prozeß Erzberger-Helfferich (Eigener Drahtbericht der „Sächs. Volkszeit ung'j Berlin, 24. Juni. Wie wir hören, ist dem früheren Finanz, minister Erzberger das Urieil nebst Begründung in seinem Progj gegen Selfferich zugestellt. Erzberger hat Revision cm- gelegt. Das Urieil ist somit »och nicht rechtskräftig. Wie wir weit» hören, wird Erzberger während der Sommertagunge» aus Kt- sundheitsrücksichten an den Verhandlungen des Reichstages nicht teilnehmen. Der Botschafter Frankreichs (Eigener Drahtberichtder .Sächs VolkSzeitung'j Paris, 24. Juni. Der französische Botschafter in Berli, ist, wie verlautet, bereits ernannt, doch wird sein Name noch M heim gehalten, da seine Ernennung erst heute der deutschen Ncgip rung notifiziert wird. Die Wahl ist weder aus Allizo noch aus Herbette gefallen. Man glaubt, daraus schließen zu dürfen, daß die französische Regierung auf die Entsendung eines Nurstplo- malen nach Berlin überhaupt verzichtet und es vorgezog-n bot, eine mit den Wirtschafts- und Finanzsragen besonders vertraute Per sönlichkeit zum Botschafter in der deutschen Haupsstadt zu ernennen. Die Geschäftsträger der Ententegroßmacht in Berlin werden t» deutschen Regierung heute gemeinsam die Nennung ihrn Botschafter notifizieren. Der Berliner Magistrat gegen die Er höhung der Lebcnsmittelpreise Berlin, 23. Juni Wie der „Abend" mitteilt, hat der Berliner Magistrat beim Ernähriingsminister dringende Vorstellungen erhoben gegen die unerlrägliche Höhe und weitere Steigerung der LebenSmittelpreise, die neuerdings in vielen Städten zu schweren Unruhen geführt haben Die sechs Matties Roman von Jgna Maria (14. Fortsetzung.) Der täglich wiederkehrende Trott, daS ewige Wiederkäuen der 'Schulthemen sielen Hans Matties, der trotz seiner Jugend über ein ziemliches Wissen verfügte, auf die Nerven und steigerten sich zu einem förmlichen Haßgesühl auf alles, was Snninar und Schule hieß. Direktor Habermann sah in Hans Matties, der still und ruhig feiner Wege ging, einen heimtückischen Rebellen der allerhand aus. rührerische Gedanken hinter seiner hoben Stirn verbarg, außerdem hielt er sich bei seinen Aussätzen und Ausarbeitungen niemals an die Aufstellung, die der Seminardirektor ihnen gegeben. « Es lag völlig klar, dieser Matties wollte eigene Wege gehen dieser Matties lehnte sich gegen die Schule ausl „Matties, nimm dich vor dem Alten in Acht!" mahnte sein Freund Theodort Lernemann, den der Direktor übrigen? auch auf dem Strich hatte mit wegen seiner Freundschaft mit Hans MattieS. Hans lächelte geringschätzig. „Wenn ich ihm die Randbemerkungen aus radier« aus seinem Buche, dann ist er fertig. Dabei lehrt der Mensch jahrein, jahraus denselben OuarkI Und muß sich noch Randbemerkun gen machen. So ein armseliger Tropf! Wär ich nur schon glück lich rau-I" „Geh doch ab," ries Lernemann „Du paßt ja gar nicht zum Lehrer. Tu bist ein Dichter! Doch Matties du bist ein Dichter, und ich habe dein Frühlingsgedicht gesunden. Das laß mir gut sein, du bist ein Dichter!" Hans lachte gequält: „Vom Dichten kann man aber nicht leben! Du hast gut reden, abgehenl Was soll denn dann aus mir werden? Ich habe doch keinen Pfennig Vermögen, znm Kaufmann tauge ich erst recbt nicht" Direktor Habermann hatte Wiede- einmal seinen kritischen Tag. „I du Schockscknverenot!" fauchte er seine Seminaristen an. „Sie haben wieder nicht präpariert. Dorgmaycrl Ich schreibe Ihnen eine Vier! Setzen Sie sich — segnenz Lernenmn.i Honigkuchenbäckerl" Sein schallendes Gelächter, womit er seinen eigenen Wik belachte, erfüllte die Klasse. Zu dem „Honigkuchenbäcker" wnr Lernemann 'gekommen, weil er einst für das biblische Manna — Honigkuchen »«gegeben hatte. Lernemann redete also recht und schlecht sein Pensum h-runtcr. „Da will Ich Sie mit einem neuen Dichter bekannt machen. Hihihi! In der Hildesheimer Zeitung hat so ein Geschwafel ge. standen, so «in unreifes, grüne- Geschwätz!" Und er laS mit hohn, durchtränkter Stimme und abscheulicher Betonung ein kleines Früh. kingSlied — daS Gedicht von Hans Matties, da» Theodor Lernemann / ohne dessen Willen der Redaktion -ingelandt hatte. Die großen, stets zu Spöttereien aufgelegten Seminaristen wurden unwillkürlich von der Schönheit und der edlen Sprache des kleinen Gedichtes ergriffen. „Der ruhmbekränzte Dichterling sitzt unter uns! — MattieS, tehen Sie aus, wenn ich mit Ihnen rede!" zischic er Ken völlig Kon termerten an. „Jetzt bilden Sir sich wohl wunder was auf Ihr Ge- chwafel ein. I du Schockschwerenot und lein Endel Sie sollten lie ber die Geschichte der VLdagogik stvV.e-»», als Reime drechseln. Setzen Sie sich." Von jetzt an ln'te Han? Matties keine ruhige Stunde mehr. „Matties, Sie sollten lieber dichten: Du, o edle Grammatik, Brichst mir sicher noch'? Genickl Ihre Leistungen in Grammatik sind höchst mangelhaft." Die Klasse wieherte vor Vergnügen. „Den Al'en läßt MattieS Ruhm nicht schlafen," flüsterte Lernemann seinem Nachbar zu. ^ „Warum lachen Sie nicht, Lernemann?" herrschte Johann Habcrmann ihn an. „Sie sind ein schlechter Mensch! Sie haben kein kindliches Gemüt mehr!" Hans Matties wurde das kindische Gebaren deS alten Schul meisters schließlich zum Ekel. '» M O In der Eckemeckerstraße aber wohnte Minni Reiner. „Das laß nur gut sein/ sagte Theodor Lernemann „Minni Reiner ist «in nettes Mädchen! Heut» nachmittag hat sie Klavier- stunde, ihr Lehrer wohnt auf dem Marktplatz zwei Häuser, von der Judenstraße. Wir holen sie ab Tu gehst doch mit?" Hans verspürte wenig Lust, den Elefanten für die Beiden ab. zngebcn, ging aber trotzdem mit. Punk' halb sechs lam Minni Reiner, die mächtige Mnsikmnppe am Arrn, auer über den Marktplatz. Mit der vollendeten Höslichieit spanisch:! Grand'« machten die zwei Semi. naristen ihren Kratzfuß. „Fräut-in Reiner, Sie gestatten, mein Freund MattieS!" Minni Reiner nickte das; ihr dicker aschblonder Hängezopf in pendelnde Bewegung gechek. ,Der Dichter des Frühlingsliedes, das in der Hildesheimer Zeitung gestanden? Ts ist wunderschön, flh habe es mir ausgeschnitten und in mein Poesiealbum gelegt. Unsere ganze Klasse kann eS auswendig." „DaS freut mich aber, Fräulein, daß Ihnen mein Gedicht ge fällt. Lernemann ist schuld, baß eS gedruckt wurde, er hat es de- Zeitung ohne mein Wissen eingssandt, und die hat «S dann gleich abgedruckt." „Sir sind doch wirklich ein guter Freund," lobte Minni, „das haben Sie fein gemacht." Lernemaun wehrte In bescheiden-m Stolze ab. „Wollen w>r nicht einen Umweg machen, sonst sind wir gleich zu Haufe. W'e wäre es, wenn wir im Kaffee Kadtentidt Erdbeeren mit Sahne äßen? Ott, haben Sie leine Zeit, Fräulnn Reiner?" Für Erdbeeren mit Sahne hatte M:nnl Reiner immer M, „Das können wir tun," sagt« sie gönnerhaft, während ihr Mädchm- herz hüpfte, „meine Aufgaben für mocgen sink sowieso schon fettig.' Also saß man wieder an einem der runden Marmortische uni vertilgte unheimliche Portionen Schlagsahne mit Erdbeeren. Der Matties ist eigentlich o-el netter, stellte Minni Reiner frsi, der kann einem mit seinen schwarzen Augen ansehen daß es einm kalt am Rücken herunterläustl — Solche) zu beabsichtigen lag Hut Matties völlig fern. Das Mädchen war ganz annehmbar, schönet Haar hatte sie und schneeweiße Zähne, trotzdem reute ihn, daß er mit gegangen war, er hätte zehnmal Leber auf einer verschwiegenen Demi oben auf dem Wall gesessen. Nach völliger KampfunfShigkeit nahm man selbander den Mg nach der Eckemeckerstraße. Na," fragte Theodor Lernemann, als sie allein waren, „trat habe ich gesagt? Ist sie nicht ein nettes Mädchen?" „Ja, sie Ist recht nett." „DaS laß nur gut sein," ereiferte sich Theodor, „dich mag st gern, das Hab ich schon gemerkt. Sie wußte doch sogar dein Gedicht auswendig." „Sie hat einen prachtvollen dicken Zopsl" sagte Hans. „Tal muß ja wie ein goldener Mantel sein, wenn sie das Haar offen tzön- gen lässt. Solch wunderschönes, goldenes Haar. . . Er ging aber doch nicht wieder mit, wenn sein Freund Miimi Reiner abholte, so daß sie eines Tages ganz pikiert sigte: „ßcrk Matties hat wohl eine Flamme, weil er nie mehrmitkomntt?" „Siehst du, Matties," Theodor Lernemann war ebrl-h bctr-tbt, „Minni Reiner hat sich schon beschwer«, daß du nie mebr mitMt.' „Ich habe doch nicht immer Zeit," verteidigte sich Hans, „nach« stens gehe ich auch wieder mit." Aber er wußte es stet? so einznnch- len, daß eS nie dazu kam. Minni war wütend. So ein hochmütiger Mensch Ziefer Mat- tiesl Sie wahr ihm wohl nicht gelehrt genug? Warte nur! Sie ballte ihre Hände. „Du sollst noch klein werden, o, so Nein! Nach läufen sollst du mir!" Das Glück war ihr hold. Als sie eine^ Nachmittags aul tc»> Kehrwiederwall spazierte, sah sie ans einer Bank — Hans Mül-? sitzen. Er soll mich ansprechen, schoß eS ihr durch den Kops. Niet wie fange ich eS an? Ich kann mich doch unmöglich z» ihm setzen, Und Minni Reiner schlug ihr Buch auf und ging lesend an dek Bank vorüber. HanS MattieS sah einen kleinen Zettel zur Ecde flattern, die Lesende hatte den Verlust offenbar nicht bemerkt vr hob ihn auf — sein Frühlingslied ans einen weißen Bogen i-m säuberlich aufgellebt und mit Vergißmeinnicht und HImmelschMI- chen bemalt. (Fortsetzung folgt)
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