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nnd der Angst. Hinter diesem Borhang spielt sich ein Drama ab, Heinz; ich fühle es. Bin doch sonst kein Geister seher. Dieses Licht beleuchtet ein.. .' Horst verstummte jäh, und auch LrusiuS überlief ein seltsames Gefühl. Das einsame Licht war erloschen, das Haus in tiefes, geheimnisvolles Dunkel gehüllt. Die beiden Freunde lauschten noch eine Weile stumm, doch kein Laut, außer den geheimnisvollen Geräuschen der Nacht, war zu vernehmen. Crusius zog seine kostbare Glashütte» Uhr und ließ das Läutewerk spielen, weil das Zifferblatt im Dunkeln schwer zu erkennen war. Die Uhr zeigte genau fünf Minuten nach Mitternacht an. »Komm, Horst, laß uns Heimwander»! Morgen beim Hellen Sonnenschein wirst du, werden wir beide über diese GespensterhSrerei lächeln.' Horst Hupfer warf noch einen angstvollen Blick auf da stille Haus. Es barg einst und barg wahrscheinlich heute noch das Wesen, das ihm das Teuerste auf Erden war. Dann schritt er mit festgeschloffenem Munde neben dem Freunde her. In dem stillen Zimmer der Villa Sather Straß« 211, besten Fenster nach dem großen Garten hinter dem Hause gerichtet waren, von der Straße aus also nicht gesehen werden konnten, faß eine einsame Frau am Schreibtisch. Das Zimmer war mit vornehmer Behaglichkeit ein gerichtet. Rechts von der Eingangstür stand über Eck ein dreiteiliger Bücherschrank, hinter dessen geschliffenen Glas scheiben reiche Bücherschätz« schimmerten. Blickte man Näher auf die Einbände, so erkannte man die Namen fast aller modernen, aber dem Maffenlesepublikum abseits stehenden Schriftsteller. Doch auch die Klassiker waren vollständig vertreten. Ihre Buchdeckel bewiesen, daß sie nicht nur da waren, sondern auch gelesen wurden. Reben dem Bücherschrank standen zwei bequeme Klub sessel, nicht in der wuchtigen Ausladung, wie man sie in den Hallen großer Hotels findet, sondern in schlankerer Form, so recht für ein .Frauenzimmer', dieses in doppeltem Sinne, geeignet. In der rechten Fensterecke hatte ein ovaler Schreibtisch Platz gefunden, glatt, ohne überflüssige Verzierungen, aber praktisch und bequem. Die Ecke am linken Fenster füllte ein Nähtisch aus; «in hoher, bequemer Sessel mit schmalen Lehnen, so daß die Arme beim Nähen nicht behindert waren, lud zum Sitze» und Arbeiten ein. Die breite Querwand nahm ein Sofa ein, davor stand ein schöner runder Tisch mit einer kost baren Spitzendecke und vier bequemen Sesseln. Sofa und Sessel waren mit Gobelinstoff iu einem satten violetten Grundton überspannt. Zu beiden Seiten der Ouerlehnen standen, mit dem Sofa harmonisch verbunden, Nein«, niedrige Schränkchen mit buntem Meißner und Nymphen burger Porzellan, zierlichen Bronzen und chinesischen Nippes. Die trauliche Ecke neben dem als Kamin verkleideten Heizkörper der Heißwafferanlage, die Kacheln von einem feuchtenden, satten Blau, füllte ein runder Teetisch mit einer von Künstlerhand gepuuzten Messingplatte aus, um- igeben von drei zierlichen Sesseln und einem Hocker. Der Ton der Möbel war in einem warmen, aichcimelnden Van-Dyck-Braun gehalten. Spinnwebfeine, kostbare Gardinen an den Fenstern, ein ovaler Spiegel mit ganz schmaler, runder Leiste aus mattem, echtem Silber zwischen den Fenstern vervollflkn- digten den fraulichen und wohnlichen Charakter dieses Zimmers, das Frieden und Ruhe atmete. Zwei große Perser in leuchtenden Farben und fünf Nein« Kelims dämpften die Schritte. An den Wänden hingen sieben große Oelgemälde, sonnige Frühjahr-- und Sommerland schaften, sowie eine größere Anzahl Aquarelle und Radierungen. Die einsame Fra« schrieb eifrig in ei» kleines, in echt« Schlanaenbaut gebundenes Buch. Di« buntaeblümle SNde der elektrische» SchreibttWampe mit dem schlank aufstrebenden Bronzefuß warf farbige- Licht auf ihr blasses Gesicht. Zuweilen hielt die Schreibende inne und faßte sich nach dem Herzen, al- schmerzt« es. Tann fiel rin hellerer Schein auf ibr Gesicht, und man sah, daß es von großer Schönheit war. Leise wurde die Tür neben dem Klubsessel geöffnet, und ein schlankes junges Mädchen huschte ins Zimmer. Hedwig Nast war »och im seidenen Abcndmantel, wie sie soeben aus dem Opernhaus gekommen war. Sie trat hinter den Sessel der Schreibenden und streichelte weich über ihr volles Haar: .Roch immer fleißig, Mutters Was schreibst diq eigentlich Wichtiges, daß du dich, seit ich wieder bei dir bin, gar nicht mehr vom Schreibtisch trennen kannst?' Agnes Rast legte die Feder hin und zog die Tochter an sich. So verharrten sie eine Weile still. Dann sagte die Mutter mit einem schmerzlichen Seufzer: .Was ich schreibe, Kinds Eine Beichte! Oder Weng du willst: die Geschichte einer verblendeten Mutter und ihres verzogenen Lieblings.' „Du quälst dich damit, Mutter. Warum tust du es? Es regt dich auf und schadet deinem armen, kranke» Herzen. Lege die Feder weg und überlasse das Schrift, stellern, den dazu Berufenen. Wie kamst du nur auf dies« Idee?' .In langen, schlaflosen Rächten der letzten Monat« stand mein vergangenes Leben vor mir auf. Alle die vielen Torheiten, das Unrecht, das ich in meiner mütter- lichen Schwäche an dir und Robert begangen habe, indem ich Hanns euch immer und überall vorzog, wurvc» lebendig. Gesichter starrten und Nagten mich an, und weiße Hände zeigte« verdammend auf mich. Ta fahle ich den Entschluß, mir alles von der Seele herunterzuschreiben. Ich bin schon längst sehend geworden.' „Du solltest dich nicht so quälen, Mutter', bat Hedwig, .Was und wen kann es nützen, daß du Vergangenes, nicht wieder Gutzumachendes zurückrufst?' .Kind, das eben ist mein — vielleicht törichter — Ge danke. Ich träume davon, daß ich anderen Menschen viel- leicht nütze, wenn ich sie durch meine eigene Geschichl« warne. Wenn ich ihnen einen Spiegel vorhalte und zeige, wie unselig übergroße, blinde Liebe zu einem Kinde für dieses selbst, für die Mutter, ja, für die ganze Familie werden kann. Ich will büßen und nützen, Hedwig! Des halb schreibe ich die Geschichte eines verzogenen Kindes, das einer verblendeten Mutter Liebling war und durch sie und ihre übergroße Liebe zu einem schlechten Menschen, vielleicht sogar zu einem Verbrecher wurde.' Agnes Nast barg das Gesicht in beide Hände, währen!» heftiges Schluchzen ihre zarte Gestalt erschütterte. Hedwig kniete neben der Mutter nieder, zog ihre Hände vom Ge sicht und küßte sie: .Richt so schwermütig sei», Mutter! Es kann noch alles gut werden. Hanns wird sich bessern. Er muß doch sehen, wie sehr er dich durch sein jetziges Leben quält. Hoffe, Mutter! Denke vor allem an dein armes, kranke- Herz, das Aufregungen nicht mehr gewachsen ist. Doktor Rother hat dich so eindringlich gewarnt. Du hast auch eine Tochter, die dich lieb hat.' .Das quält mich am meisten, Hedwig!' schluchzte di« Mutter. .Du hast mich lieb, machst mir nur Freude — und womit habe ich das verdient? Von Nein auf warst du das Aschenputtel und Hanns der goldene Prinz. Er bat dich um eine sonnige Kinderzeit gebracht, hat dir die Mutterliebe genommen und den Geliebten...' Glühende Röte stieg in Hedwigs Gesicht auf. Hastig legte sie die Hand auf der Mutter Lippen: .Davon haben wir für immer schweigen wollen, Mutter!' sagte sie, und ein herber Unterton klang in der weichen Stimme mit. »Run sei brav. Folge schön und geh zu Bett! Es ist schon halb zwölf Uhr.' ^sa, Kind! Nur «in paar Seite« laß mich noch schreiben. Jetzt kann ich doch nicht schlafe». Das Schreibe» dtvchiLt mich und «»acht mich müde. Ich werd« aan» »rav >e,n. In elner yarven Stunde spritze ich die Feder au- und mache für heute Schluß. Ich bin ohnedies am Ende meiner Beichte angelangt, habe nur wenig« Worte »och zu sagen. Du darfst ruhig auf dein Zimmer und zu Bett gehen. Siehst so blaß aus, Kind. Du überarbeitest dich wahrscheinlich auf der Universität. Brauchst Vir- Schlaf, um Kräfte zu sammeln. Wer weiß, was alle- »och kommt.' .Richt unken, Mutter, sonst komme ich mit der Rute!' scherzte Hedwig und küßte die Mutter auf de« Mund. .Brav sein! Eine halbe Stunde gebe ich dir noch, dann aber ins Bett! Denke an dein Herz, das ist so eigen sinnig.' Von der Tür aus winkte Hedwig der Mutter noch «inen Gruß zu, dann war Agnes Rast wieder allei«. Sinnend blieb sie zusammengesunken am Schreibtisch fitzen und starrte ins Leere. Dann klappte sie mit plötz lichem Entschluß das Buch, das sie bei Hedwigs Eintreten geschlossen hatte, wieder auf, griff zur Feder «nd schrieb in nervösen, unregelmäßige« Zügen. Pom sonnigen Zimmer im zweiten Stock, da- Hedwig bewohnte, erklangen leichte Schritte. Dann war wieder alles still. Totenstill. Rur die Feder hört« man i« hastigen Strichen über das Papier eilen. Agnes Rast wußte nicht, wie lange sie geschrieben hatte. Plötzlich fuhr sie jäh auf und lauschte. Was war dass Huschten im Rebenraum, ihrem Schlafzimmer, nicht verstohlene Schritte? Raschelten nicht Schlüssel? le einsame Frau strich sich mit der Hand über die kalte Stirn und lächelte: Torheit! Meine Nerven sind überreizt und ich höre Gespenster. Sorgfältig wischte sie die Feder aus, legte sie aufs Schreibzeug und schob den Sessel zurück. Das Buch vergaß sic zu schließen. Plötzlich fuhr sie totenblaß in die Höhe. Agnes Nast hörte es ganz deutlich: im Schlafzimmer hantierte jemand mit Schlüsseln. Ganz leise zwar, aber ibr seines Ohr hörte es doch. Ihre Knie wankten, und die zitternden Hönde suchten eine Stütze am Sessel. Tann preßte sie die Rechte auf das stürmisch und unregelmäßig klopscnve Herz, und ihre Lippen flüsterten tonlos» .Hanns!' In plötzlichem Entschluß richtete die bebende Frau sich aus und ging langsam, mit nachtwandlerischen Schritten, zur Tür, die zu ihrem Schlafzimmer führte. Sie öffnete leise uno trat über die Schwelle. Das nach der Straßen seite zu gelegene Zimmer war vom matten Schein der großen, mit einem Schirm aus weißer Seide versehenen Stehlampe am Kopfende des Bettes erleuchtet. Auf dieses, durch einen goldgelben Seidenvorhang von der Außenwelt abgeschlossene Fenster starrte in diesem Augenblick, wie hypnotisiert, unten auf der Straße Horst Kupfer. In der Ecke neben dem Bett, vor einer ziemlich großen eisernen Kassette, in der Frau Nast Wertpapiere und bares Geld verwahrte, kniete eine männliche Gestalt. Die Hände wühlten gierig in dem tiefen Kasten. Bei Agnes Rasts Eintreten wandte der Kauernde sich erschreckt um. Zwei aufgcriffcne Augen starrten die Frau sekundenlang entsetzt und unentschlossen an. Frau Rast sah nichts und erkannte nichts, vor ihren Augen flimmerte es und tanzten graue Nebel. Plötzlich fuhr der Eindringling mit einem wilden Satz aus. Frau Nast stieß einen Schrei aus, und im selben Augenblick erlosch das Licht. Man hörte noch einen dumpfen Fall, hastige, verstohlene Schritte und das Rascheln von Papier. Einen Moment blitzte der Schein einer elektrischen Taschenlampe auf, dann blieb alles in Stille und Dunkelheit gehüllt. Heinz Crusius war ein Frühaufsteher, während Horst Kupfer, wie viele Gelehrte, zu den Langschläfer» gehörte. Crusius wußte das, er kümmert« sich daher auch nicht um de» Freund, als er um sieben Uhrin den Lrüültückskaal kam. I« dieser frühen Stunde waren nur wenig Gäste anwesend. Crusius suchte sich einen Platz und bestellt« bei einem freundlichen jungen Kellner Tee, zwei Weiche Eier and reichlich kalte- Fleisch. Bis das Bestellte kam, mustert« er unauffällig die Gäste. Richt weit von seinem Tische saß ein älterer Herr, der so eifrig kaute, als ob er dafür bezahlt würde. Dabeik steckte er nur sehr selten einen Bissen in den Mund. .Aha!, kein« Zähne mehr!' sagte Heinz leise vor sich hi«. „Zum künstlichen Gebiß hat er noch nicht den Mut gefunden.* Eine für dieses elegante Hotel auffallend einfach gekleidet« Dame mittleren Alters au einem anderen Tisch machte dem kauende» Herrn Konkurrenz. Sie kaute noch eifriger, führte aber all« Sekunden einen recht große» Bisse« in de« Mund. Der BrSIchenkorb auf ihrem Tisch war scho» fast geleerl, rmd mit gierigen Auge« schaute sie nach de» Körben auf de» anderen Tische«. .Die geizig« «ckte Schachtel!' schmunzelt« Crusius. .bi« ißt sich für de» ganzen Tag an den Frühstückssemmel« satt. Zum Mittagessen kann sie nicht kommen, well sie gar^ keinen Appetit hat. Ihre beträchtlichen Zinsen spart sie! für di« lachendem Verwandten, falls k« a«rad« «wtlcham eurem zeer.„etten uuo eurem .» Testament sterben sollte, sonst bekommen das viele Geld ein paar Stiftungen!' Ein junges Ehepaar trat ei«, eilig und »och mich«. .Wolle« wir hier Platz nehme«, SSßing?' fragt« der Gatte und steuerte auf einen Tisch zu. .Wenn eS dir recht ist, Herz?' erwiderte si« schmelzend« „Auf der Hochzeitsreise!' lächelte Crusius. „Sie fahre» mit demAchtuhrzug in die Sächsische Schweiz, »achWehl«», um durch den Uttewalder Grund nach der Bastei zu klettern. So steht es im Programm. Sie hätten zwar viel lieber noch geschlafen, aber das vorgezeichnete Prm gramm muß eingehalte« werden. Vor dem Kriege, st auch nicht im Gold« Schwimmende die Hochzeitsreise »och in die wirkliche Schweiz und nach Italien mache» konnteaz weil die Reisekosten auch in jenen entfernten Ländern sich auf erschwinglicher Höhe hielten, hatten es die Hockett»! reisenden besser. Damals braucht« nur» sich nicht so fll», visch ans Programm zu halten, weil die zärtliche Ve^ wandtschafi jene fernen Gegenden nicht so genau kannte» Aber die Sächsische Schweiz? Kennt jeder! Läßt sich niemand was vormachen. Muß man selbst dagewese» u»d jeden bizarren Sandsteinfelsen persönlich beaugenscheinigt haben. Bastei, Bärenstein, Königstein, Lilienstein, Broich, Schwedenlöcher, Kuhstall, Prebischtor, Edmundsklamu^ Tiffaer Wände und so weiter. Sonst merke« sie, daß ma» schwindelt. Wie zärtlich sie schmachtet: Wenn es dir recht ist, Herz? In ein paar Jahren wird ihr kein Tisch recht sein, der ihm recht ist.' Crusius wurde in seinen Betrachtungen unterbrach««« Der freundliche junge Kellner lam und bracht« ihm da« Bestellte. Es war sehr reichlich. Crusius war gewohnt, beim Frühstück tüchtig cinzuhauen, weil er dann bis Mittag nichts mehr aß. Sein wechselvoller Berus brachte e- mit sich, daß Crusius den Magen in seiner Gewalt hatte. Etz konnte nur selten die regelmäßigen Eßpausen einhalte« wie andere Menschen. .Ist es recht, Herr CrufiuL?' fragte der Kellner und hantierte geschickt und geschäftig mit Geschirr und TabletQ Crusius blickte auf: .Erkannt? Woher wissen Sie, daß ich Herr CrusiuSl bin, junger Mann? Meines Wissens trag« ich kein« Brosche mit meinem Name».' »Wer sollte den berühmten Weltreisenden Herrn Crusius nicht kennen!' erwiderte der Kellner stolz. .Jhq und seine Abenteuer. Seine berühmten Entdeckungen ge heimnisvoller Verbrechen.' .Sachte, sachte, junger Herr!' meinte Crusius gemüt- ltch. .Wenn Sie sonst nichts zu meiner Verteidigung vor- ,«bringen haben, al- di« paar Verbrechen, die ander« Leute beqinacu..'