Volltext Seite (XML)
Pekr Hagen -W braunen öoidaten ekernes Denimrü ouLLu vencsa 0tLSük^LlLl.L,ir, weno^u / §z. 12. Zortjetzung „Gehst du hin?- fragte Fritz. ,,. Tonne hob den Kops. „Ick kann nicht, im bin zu müde. So spät ins Bett, so früh wieder raus, und dann batten wir ziemlich zu tun. — Ich mutz mich erst mal richtig ausschlafen, glaube ich." „Warst wohl mit Grete weg?" Grete — Tonne sah den Kameraden starr an. bis dem ein ängstliches Mackern in die Augen kam. „Ich weiß nicht, ob du das verstehst, Fritz," sagte er, „aber gestern war ich nicht mit Grete zusammen. Ich bin ihr . . . untreu geworden. — Stell dir vor: Ich traf ein anderes Mädchen, ein Zierpnppchcn, war mit ihr im Eafö Jäger — kennst du das? — und dann . . , ich weitz nicht mehr „Du hast Schwein bei den Weibern!" sagte Fritz an erkennend. Da stand Tonne auf und ging aus dem Zimmer. In der Badestube hielt er den Kopf unter den dicken Strahl. Aber das war noch nicht genug! Mit fliegen, den Händen zerrte er sein Hemd über den Kopf, streifte Hosen und Strümpfe herunter und sprang in die Wanne. Erbarmungslos kalt regnete die Brause über seinen nackten Leib. Wie mit Peitschenschlägen sprühte es auf feine heitze Haut. Erst als seine Glieder zu zittern begannen, stieg er heraus und rieb sich ab. — Es war ihm, als habe er nicht nur äußerlich allen Dreck abgewaschen, sondern als sei er nun bis in den Kern seiner Seele wieder sauber. Kälte war schön, eisige Kälte! DaS mutzte man noch lernen, zur rechten Zeit kalt zu bleiben. Aber vielleichr mutzte man auch heitz sein, um die Kälte schätzen zu lernen! Dann zog Tonne sich an und ging zu Uli. Als er durch den breiten Torweg auf den Hof kam, schlug ihm ein Brodem yon üblen Gerüchen entgegen. Kinder mit grauen Gesichtern spielten vor den Müll kästen. Sie beachteten den Fremden kaum. Es roch nach Kohl, und Müll, nach Keller und nn- aclüfteten Betten. Daß hoch oben trotz allem ein Stück- chen blauen Himmels gespannt war, wußten sicher die wenigsten, die hier wohnten. Auf dem ersten Treppenflur schwatzten zwei Frauen. AuS der einen Wohnungstür quoll eine Wolke von Wasserdampf, die nach billiger Seife roch. Im vierten Stock endlich, unter dem Dach, fand er das gesuchte Namensschild: Beetz. Stube und Küche, eine richtige Proletarierwohnung. Eie war ärmlich eingerichtet: aber Tonne sah, -atz alles sauber war. Durch die offenen Stubenfenster sah man die schmutzigen Dachpfannen des Vorderhauses und einen breiten Schornstein, von dem sich ein Antennen- draht verwegen in die Luft schwang. Auf einem knarrenden Korbstuhl saß der alte Beetz. Er war mit seinen abgequetschten Beinen an das Zimmer gefesselt, denn seine einfachen Hvlzprothesen verursachten ihm große Schmerzen. Neue hatte ihm die Wohlfahrt abgelehnt. Die kleine Rente, die er bezog, war zu klein, um davon leben zu können. Aber Uli arbeitete bet einem Kohlenhändler, und Krau Beetz hatte Aufwartestellen. - Tonne wurde von den Leuten mit stiller Freundlich, keit ausgenommen. Frau Beetz setzte ihm eine Tasse Kaffee vor und schmierte zwei Buttersemmeln. Ult hatte sich verändert, seit Tonne ihn das letztemal gesehen hatte. Er war noch gewachsen und kräftig ge worden. Die beiden Jungen standen am offenen Fenster. — „Du bist also Kommunist geworden," sagte Ult. Tonne nickte. In einer Art Befangenheit fand er nicht die rechten Worte. Er war fa schließlich hierher gekommen, um seinen alten Freund in die Reihen des Proletariats zurückzuholen. Aber er hatte sich Uli anders vorgcstcllt, hatte geglaubt, einen zweifelnden Menschen vorzu- finden. Und nun saß ihm dieser Ult gesund und kräftig gegenüber,- in seinem Gesicht prägten sich Beständigkeit uns Festigkeit aus, die Tonne verwunderten. Der Kranke lag still im Bett. Tonne saß am Tisch, Len Kopf in die Hände gestützt. Er sprach kein Wort, sondern starrte vor sich hin und grübelte, grübelte ... Wie hatte das alles nur geschehen können? — ES war ihm nicht um das Geld, daS er verschuldet hatte, nein, das reute ihn nicht. Aber der Rausch war zu schnell verflogen. Jetzt schon war alle- dahin. Marianne? — Ein Name nur . . . Der Kranke regte sich. „Hast du deinen Brief schon gelesen, Tonne? Ich glaube, es ist der Nazi, der dir geschrieben hat." Ja, Tonne hatte den Brief schon gelesen. Er sollte Uli besuchen kommen, heute noch. — Nein, heute nicht! Heute wollte, heute konnte er nicht! Heute mußte er erst mit sich selbst ins reine kommen!! »Sie tanzen wohl nicht?" fragte sie fetzt. „Nein," antwortete Tonne ehrlich, „ich habe eS auch Noch nie versucht. — Aber nun nehmen Sie mich wohl nicht ganz für voll, was?" „Heute," lachte sie, „wo jeder Pinsel tanzen kann? — Nein, danach kann man doch nicht gehen!" „Ich gehe überhaupt nicht gerne in solche Bums lokale." „Bumslokale? Nein, auf großen Sälen fühle ich mich auch nicht wohl. Aber es gibt so entzückende kleine EaföS, in denen cs sehr gemütlich ist!" Tonne nahm allen Mut zusammen. „Kennen Sie solche Cafös hier in der Nähe?" Sie hatte begriffen. „Ja, daS ist auch bester, als hier auf der Straße herumznlaufen. Außerdem wird es so wieso gleich regnen. — Waren Sie schon mal bei Jäger? — Nein? Na, dann kommen Sie man mit, eS ist gar »richt weit!" Im Cafö Jäger saßen sie in einer kleinen Koje. Eie war mit rotem Samt ausgespannt, der vor Alter schon ins graue schimmerte. Aus winzigen Kännchen gossen sie pechschwarzen Kaffee in lächerlich kleine Tassen. Im Hintergrund lärmte ein Lautsprecher. „Ist es hier nicht nett?" fragte das Mädchen. Tonne Nickte mit dem Kopf; er fühlte sich in ein verwegenes Abenteuer eingesponnen. „Wie heißen Sie überhaupt?" wollte daS Mädchen wissen. „Ich heitze Tonne, das heitzt, Georg, natürlich Georg ..." Das Mädchen lachte laut auf. «Tonne? — Ist daS Ihr Vatersname?" „Nein, mein Spitzname. Aber den habe ich schon, solange ich denken kann!" „Und richtig heißen Sie Georg? DaS ist hübsch! Ich heitze Sonja. Aber ich will ganz ehrlich sein, so werde ich nur genannt, weil es so gut zu mir paßt. Richtig habe ich nämlich einen ganz dosen Namen — Marianne!" „Das finde ich viel hübscher als Sonja," sagte Tonne. „Trinken Sie eigentlich Likör?" fragte sie plötzlich. „Doch! Wollen Sie auch einen trinken?" „Ja, aber keinen Sherry, den kann ich nicht ver tragen." So tranken sie denn zwei Liköre. Und dann noch zwei Liköre. Schließlich, nach knapp einer Stunde, waren es schon sechs geworden. Und Tonne hatte einen SchwipS. Als er sich über die Hände deS Mädchens neigte, ritz sie seinen Kopf hoch und küßte ihn heiß und verwegen, ganz anders, als Grete ihn geküßt hatte. ES klang und wirbelte in seinen Ohren, eS funkelte und schwirrte vor seinen Augen, eS war ein großer, bunter, tönender, jubelnder Rausch. Ja, daS war daS Leben, um daS es sich lohnte, auf der Welt zu sein! Dann zuckten mahnende Bilder herauf: Grete und auch -er kranke Kamerad. Aber sie wurden von den Wogen des Rausches fortgespült. „Marianne! Marianne, du, du, Marianne!" Und das Mädchew nahm immer wieder seinen Kopf, küßte ihn auf Mund, Ohren und Augen .. . Ein winziges Kännchen Kaffee — drei lächerlich kleine Liköre — und dieser glühende Rausch . . . Mariannes Augen waren ganz dicht vor den seinen. Schwarz waren sie, funkelnd, lachend, toll . . . Ja, das mußte doch die Liebe sein, die richtige, be seligende Liebel Tonne fühlte eine Kraft in sich, eine gewaltige Kraft. Gr hätte jetzt zu Pferde sitzen mögen, einen blanken Säbel in der Faust, und retten, reiten, reiten . . . Rei ten, das Mädchen vor sich im Sattel und dann wie toll durch einen Wall von Feinden galoppiert, alles mit -em Säbel niedermähend. Und irgendwo auf den Felsen, zwischen dunklen Tannen ein ragendes Schloß. Üeber die Äohlenbrücke poltern die Pferdehufe, hei, bis in den ltchtsprühenden Saal hinein gebt der wilde Ritt. Da klirren die Gläser, und der rote Wein ergießt sich aus den weißen Damast, als er seinen Degen mitten in die weißgedeckte Tafel hineinstößt. Musikanten, nun wielt! Laßt Fanfaren schmettern, reißt die blitzenden Trompeten hoch, jubelt, jubelt meine große Lust in die Nacht hinaus, daß die Sterne erzittern und vom Himmel stürzen, stürzen wie ein feuriger Regen .... Ach, das ist alles noch nichts! ES mutz mehr sein, Piel mehr . . . Sterne und kreisende Sonnen wirbelten vor TonneS geschlossenen Augen. Wieder ritz er daS Mädchen an sich, wieder suchte er ihren Mund. Und wie er sie küßte, da bohrten sich ihre Zähne schmerzhaft in seine hectzen Lippen ... Ueberhaupt: Die kleme saubere Wohnung erschien ihm wie eine sichere Insel in der Flut von Schmutz und Zank dieser Mietskasernen, wie eine feste Burg in mitten dunklen und haltlosen Getriebes. Jede Be wegung nnd jedes Wort der Eltern bestärkten ihn in diesem Gefühl. Uli schien übrigens der Mittelpunkt der Familie zu sein. Ueber Belanglosigkeiten hin glitt daS Gespräch all mählich auf politisches Gebiet. Vergeblich suchte Tonne bei seinem früheren Wandervogelfreunde nach Wider sprüchen, wo er einhaken konnte. Ulis Weltanschau ung war so fest gefügt, daß Tonne sich schließlich glatt weg in die Verteidigung gedrängt fühlte — er. der sich sonst immer im Angriff befand! „Du forderst klares und logisches Denken", hielt Ult ihm vor. „Dabei hast du nichts von dem, was du gegen uns vorbringst, aus eigener Erfahrung! Du kennst uns ja nur vom Hörensagen, von euren Rednern und aus euren Zeitungen. Du kennst aber mich und meine Kameraden nicht, du kennst unsere Führer nicht, und kannst daher auch gar nicht beurteilen, ob sie es ehrlich meinen oder nicht!" ,^)ch kenne euer Programm, Uli", entgegnete Tonne leise, ,,und ich will ganz ehrlich sein: Diese fünfund- zwanzig Punkte könnten mich begeistern. Aber die wenigsten von euren Führern sind Proletarier. Wie kann man ihnen glauben, datz sie den Sozialismus wollen? — Ebeüsogut könntest du einem Löwen glau ben, der dir versicherte, er sei Vegetarier . . ." Uli lachte. „Mit solchen Vergleichen machen euch eure Führer besoffen, Tonne. Immerhin, für eine Maste, die zu faul ist, selber nachzudenken, mögen sie gut sein. — Wir sind alle Menschen, nicht wahr? Da ihr aber sagt, -aß alle Menschen gleich sind und dann unsere Führer als Löwen bezeichnet, sind auch alle anderen Menschen Löwen. Also kann man auch den kommunistischen Löwen nicht glauben, datz sie Vegeta rier sind!" „Nun gut," lenkte Tonne ein, „mein Vergleich paßte nicht. Aber, wie wollt ihr beweisen, datz eure Führer eS ehrlich mit euch meinen!" „Tonne," sagte Ult nachsichtig, Dasselbe könnte ich dich ja auch fragen! Das ist einfach eine Sache des Glaubens. Entweder man glaubt an seine Ideale und an seine Führer, »der man glaubt nicht — und dann kann man eben nicht weitenämpfen. Wenn ich den Glauben an unsere Bewegungen- an Hitler verloren hätte, dann wäre ich keinen Tag länger National sozialist geblieben." „Ich kann aber nicht blind an irgend jemand glauben, den ich nicht kenne!" sagte Tonne scharf. „Du glaubst doch an den Kommunismus? Du glaubst doch an Thälmann oder an Lenin oder an Marx?" „Ich glaube an das Proletariat!" „Und ich glaube an mein Volk!" „Aber die Schieber, Uli, die Industriekapitäne, die Ausbeuter, die gehören doch auch zu deinem Volk!" „Die sind nur eine dünne, teilweise sogar noch volksfremde Schicht. Aber sie allein sind doch nicht das Volk! Das Volk sind wir, die Arbeiter, die Bauern, die Bürger. Alle, die arbeiten, gleichgültig, ob mit der Stirn oder mit -er Faust. — Und das Volk, Tonne, bat schon oft genug Beweise seiner Zusammengehörig keit gegeben. Denke an 18l3! Die internationale Soli darität des Proletariats aber steht bisher nur auf dem Papier. Denke an 1914!" „Ich komme aber nicht darüber hinweg, Uli, datz die einen hungern, während die anderen schlemmen. Es ist doch so! Immer sind nur die Proletarier die Aus gebeuteten. Wenn sie sich freikämpfen wollen, dann können sie das nur aus eigener Kraft, dann dürfen sie sich nicht auf die Hilfe derjenigen verlassen, die ein Interesse an ihrer Unterdrückung haben!" Uli schüttelte den Kopf. „Das haben nur die wenigen, die von dir Ausbeuter genannt werden, Tonne. Die klugen Bauern und Bürger aber wissen selbst, daß eS auch ihnen nur daun gut geht, wenn der deutsche Ar beiter unter anständigen Bedingungen leben kann. Und diese Leute hat Adolf Hitler um sich gesammelt. Wir sind gegen die marxistische Irrlehre, wir kämpfen aber auch gegen bürgerliche Beschränktheit. Unsere Parteigenossen kennen keinen Standesdünkel. Sie wissen, -aß sie aufeinander angewiesen sind und daß sie zusammenhalten müssen, wenn eS unserem Volk wieder besser gehen soll. — Ist das nicht ein Ziel, um daS sich jeder Einsatz lohnt? — Wir sind nur wenige bisher in unserer Bewegung — aber waren wir tm Wandervogel denn viele? Und dort haben wir an unsere Ideale doch auch geglaubt und ruhig den Spott -er anderen auf uns genommen!" Die Nacht stand nun mit wenigen Sternen über -er Mietskaserne. Frau Beetz zündete eine kleine Petro- leumlampe an, die mit ihrem warmen Schein die klein« Stube füllte. AuS der Tiefe des HofschachteS klang Schimpfen herauf. Man hörte Türen schlagen und das Scheppern eines BlecheimerS. Dazwischen tönte der Gesang einer brüchigen Mäbchenstimme. Ein Hund bellte. Sie sprachen nun nicht mehr viel. Tonne hatte den Kampf aufgegeben, aufgeben müssen. In dieser Familie herrschte ein Geist, der ihn verwirrte. Er sah trotz Not und Elend Entschlossenheit und Glauben. Und da eS bicht etwa aus den Worten, sondern aüs dem ganzen Sein der drei Menschen zu ihm sprach, bewegte eS ihn mehr als UliS Rede. Das war eine Welt, Sie er bis her noch nicht kannte. (Fortsetzung folgte ÄÜHameraö