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Duo ungemem gefielen. Ferner fagre ihr zu, vatz Klaus Groterjan aus einem kinderreichen Dorfschulhause stammte. Er war von neun Kindern der Zweitälteste, hatte also Gelegenheit genug gehabt, mit jüngeren Kindern umzu gehen und deren Behandlung zu lernen. Auch die be scheidene, fast schüchterne Schreibweise seines Briefes hatte Agnes Aast gefallen. Sie wollte sich und HannS in erster Lknie vor einem Rauhbein hüten, wie es der Lehrer am Enoch-Stift ihrer Meinung nach war. HannS hatte mit seinem neuen Lehrer Glück. Klaus Groterjan war in der Tat das Urbild eines sanften, schüchternen Mannes — eines jener Vichen Gemüter, die sich scheuen, laut aufzutreten, weil es vielleicht irgend jemand stören könnte. Agnes Rast war eine sehr schöne und sehr elegante Frau. Wenn sie den Kandidaten anredete, wurde er ab wechselnd blaß und rot. Er rang sekundenlang nach Worten, die ein unerklärlicher Zauber in der Kehle ge fesselt hielt, und brachte dann schließlich stotternd ein paar Mühsame Sätze hervor. Anfangs hatte das Agnes Rast gestört. Sie plauderte gern. Dem Kommen des Kandidaten sah sie freullig ent gegen, well er ihrem Unterhaltungsbedürfnis den längst ersehnten Ersatz für den meist abwesenden Gatten bieten sollte. Robert und Hedwig, die beiden ältesten, waren stille Kinder und führten ein eigenes Innenleben. Davon ver stand die Mutter nichts, weil sie ihre ganze Zärtlichkeit dem Jüngsten zugewandt hatte und den beiden anderen Kindern fast fremd gegenüberstand. Diesen ging es nicht anders; sie sahen Hanns, unter dessen heimlichen Bos heiten sie viel zu leiden halten, sich beständig vorgezogen. In ihnen wurden daher allmählich ein Mißtrauen und eine scheue Zurückhaltung groß, die nichts Mitteilsames julieben. Agnes Rast begann das Wesen des Kandidaten sehr bald zu schätzen, nachdem sie ihre Hoffnung, einen unter haltenden Partner in ihm zu finden, begraben hatte. Sie sah, daß Klaus Groterjan der Mann war, der ihr als Er zieher des Lieblings vorgeschwebt hatte. Es söhnte sie mit seinem Rot- und Maßwerken, mit seinen gestammelten Sätzen aus. Am meisten war Hanns mit seinem Lehrer zufrieden. Denn der schüchterne Mann ließ sich geduldig quälen, ohne jemals seine Autorität zu gebrauchen. Das Quälen verstand Hanns gründlich. Machte Groterjan doch einmal den Versuch, den energischen Erzieher hervorzukehren, wenn die Ungezogenheiten des übermütigen Jungen gar zu arg, und nicht nur zur Geißel des Lehrers allein, sondern des ganzen Hauses wurden, dann sagte der schlaue Hanns: »Ich sage es Mama! Du hast mich hauen wollen! Mama hat dir das streng verboten! Weißt du es nicht mehr?" Hanns sagte Du zu seinem Erzieher, auf Wunsch der Mutter, well sie in dieser vertraulichen Umgangsform den Grundstein zu einem herzlicheren Verkehr der beiden sah. „Du hast mich hauen wollen!" waren die Schlagworte, mit denen der wilde Junge alle Reformgelüste des Lehrers fesselte und in Bann hielt. Der schlaue Bengel hatte sich nämlich hinter einem Vorhang versteckt, als der Kandidat angekommen war und von Agnes Rast auf seinen künftigen Wirkungskreis vorbereitet wurde. Hanns gestand das später, nach einigen Jahren, einmal lachend seiner über raschten Mutter. So konnte er alle guten Ermahnungen mit anhören, die der ängstlich und verlegen auf seinem Stuhl sitzende Kandidat für die neue Lebensaufgabe er hielt. Agnes Rast sagte: „Hanns ist ein gutes Kind, das nur leider viel ver kannt wird. Es stimmt, daß Hanns ein wenig lebhaft und hitzig ist; aber daraus dürfen wir ihm keinen Vor wurf machen, es ist das Erbteil seines Vaters. Was habe ich in der erste« Zeil unserer Eh« unter der Hitzköpfigkeit meines Mannes ru leiden arbabt! Setzt« ich. ihm den gleichen Trotz entgegen, dann wurde es nur noch schlimmer. Als ich dagegen sanft" und ergeben wurde, ging es, und heute kommen wir sehr gut miteinander aus. Das heißt: wir leben mehr nebeneinander, doch das bringen die Ver hältnisse mit sich. Mein Mann ist wenig zu Hause. Hanns ist ein gutes, aufgewecktes Kind, das wie weiche Butter in der Hand dessen ist, der es zu behandel« versteht. Sie müssen ihn individuell behandeln, sich in sein Ge mütsleben versenken und seinen kleinen Schwächen gegen über nachsichtig sein. Strenge macht ihn schlecht und bos haft. Schlagen dürfen Sie ihn nie — niemals, hören Sie? Ich dulde es auf keinen Fall! Wir würden Freunde ge wesen sein. Ich mußte gerade genug unter den Roheiten jener beiden Lehrer leiden, die Hanns geschlagen haben. Das Kind war nicht wiederzuerkennen. Halten Sie eine Bestrafung für nötig, dann sagen Sie es mir, ich werde das Richtige schon treffen und Sie unterstützen. Hanns ist aber ein so gutes Kind, daß Sie dies nie nötig haben werden. Voraussetzung ist natürlich, daß Sie der richtige Mann für Hanns sind. Also niemals schlagen!" Dieses „niemals schlagen" hatte Hanns sich eingeprägt, mit ihm operierte er und machte den Lehrer gefügig. Klaus Groterjan gefiel es in dem wohlhabenden Lause. wo er sich zum ersten Male in seme.» sattesten konnte, und zwar an lauter guten Dingen. Diese liebte der junge Kandidat, wenn er es auch nicht einmal sich selbst eingestand. Hanns war ein begabter Junge und lernte leicht. Soweit man bei ihm überhaupt von Lernen reden konnte. Der Kandidat hatte sich für seinen Zögling aber eine eigenartige Methode ausgedacht, mit der er ganz hübsche Erfolge erzielte. Er brachte dem fahrigen, immer durch Dummheiten und Schwänke zerstreuten, durch schlechte Streiche abgelenkten Jungen seine Wissenschaft im Spiel bei, so daß Hanns keinen Zwang verspürte. Tie ungemein leichte Fassungsgabe des Knaben begünstigte dieses System, so daß die Mutter bei gelegentlichen Prüfungen immer wieder in Erstaunen über ihren klugen Jungen geriet. Hanns unterstützte seinen Lehrer bei diesen Gelegen heitsprüfungen absichtlich, denn einerseits war er eitel und nahm das gern gespendete Lob mit Vergnügen auf; andererseits lag ihm daran, die schwache Mutter in ihrem Glauben an des Lieblings Vollkommenheit zu bestärken. Zog er doch daraus immer wieder Vorteile, die der schlaue, durchtriebene Bengel wohl zu würdigen und zu verwerten wußte. Kamen von anderer Seite Klagen, was sich sehr häufig ereignete, so glaubte Agnes Rast es einfach nicht. Sie ver teidigte dann ihren braven Jungen, den sie als immer folgsam und fleißig kannte, und sie zürnte dem Ankläger, dessen schwarzes Herz nur von Uebelwollen gegen das gute Kind erfüllt war. Schuld an den Klagen trug — nach Agnes Rasts Meinung — stets der Kläger selbst, weil er es Hanns gegenüber in irgendeiner Weise versah. Warum batte die Mutter niemals Grund zu einer ernsten Klage? Warum kam der Kandidat nie mit einer Beschwerde? Die Klageführer zuckten dann Wohl die Achseln über die „kurzsichtige, verblendete Frau", die sicher „noch einmal Schlimmes an ihrem Jungen erleben würde"; aber sie merkten sich die Lehre und klagten nicht wieder. Sie griffen lieber zur Selbsthilfe, womit sie wohl ihre augen blickliche Aufwallung beschwichtigten, aber auch die Sache nur noch schlimmer machten. Denn Hanns war rachsüchtig. Bei nächster Gelegenheil zahlte er durch noch bösere Streiche doppelt zurück, was man ihm angetan hatte. Zu Agnes Rast kam er wegen solcher Vorfälle nicht mehr, dazu war er zu gewitzigt. Er half sich selbst, und fast immer mit dem Erfolg, daß der andere den hoffnungslosen Kampf ausgab. So wuchs Hanns unter der Leitung des sanften, stillen Kandidaten auf und entwickelte sich körperlich zu einem vräcbttaen Menschen. Er war groß und Küttig, da beendet doch schlank, geienng und biegsam wie ein Rohr. Seine Züge hatten die weiche, edle Schönheit der Mutter geerbt. Die Haut war weiß und samtweich, sein Haar dunkel und gelockt, seine Nase edel geschnitten und der Mund rot und voll. * Agnes Rast erschien am nächsten Morgen schon vor acht Uhr im Speisezimmer. Sie mußte das Frühstück aber allein einnehmen, denn Hedwig und Hanns waren bereits fort zur Schule. Die sechzehnjährige Hedwig besuchte die städtische Studienanstall in der Neustadt; sie hatte also einen sehr weiten Weg. Die Mutter trug sich zwar schon seit einiger Zeit mit der Absicht, ein Auto anzuschaffen, um beiden Kindern den Schulgang zu erleichtern; aber die unsichere wirtschaftliche Lage ließ Agnes Nast immer wieder vor der beträchtlichen Ausgabe zurückschrecken. Hanns konnte mit einiger Mühe auf dem Vitztumschen Gymnasium untergebracht werden, nachdem es festfiand, daß Klaus Groterjan sichere Aussichten auf die Pfarrstelle in Schöne bach hatte. Als Ida, das Stubenmädchen, den Tee brachte — in ihren Augen las man das Erstaunen darüber, die Gnädige so früh auf der Bildfläche erscheinen zu sehen —, sagte Agnes Nast: „Telephonieren Sie die Autowache am Hauptbahnhos an, Ida! Es soll sofort ein Wagen herauskommen." Zehn Minuten später stieg die schöne Frau, elegant wie immer, in ihren kostbaren Breitschwanzpelzmantel mit dem breiten Zobelkragen gehüllt, in das harrende Auto. „Zur Beckerathschen Bank an der Ringstraße. Fahren Sie so schnell als möglich, ich habe es eilig. Vor der Bank warten Sie!" Als Agnes Nast den großen Kassenraum des alten Bankhauses betrat, dessen zahlreiche Spezialschalter Zeug nis für den Umfang des Verkehrs ablegten, erregte di« schöne, elegante Erscheinung großesAufsehen. Es ereignete sich nicht allzu häufig, daß die vornehmen Kundinnen der Bank so frühzeitig im Kassenraum, erschienen. „Könnte ich Wohl Herrn Meißenbach sprechen?" fragte Agnes Nast den dienstfertig herbeistürzenden jungen Bank- beamten. „Gewiß, gnädige Frau! Ich werde Herrn Meißenbach sofort rufen. Wollen gnädige Frau inzwischen drüben aus einem der Sessel Platz nehmen!" Bald darauf erschien der Schulkamerad des jungen Kandidaten und nunmehrigen Pfarrers Klaus Groterjan. Agnes Nast kannte ihn nicht. „Womit kann ich dienen, gnädige Frau?" fragte Otto Meißenbach. Er war noch jung, sah aber ernst und ver trauenerweckend aus. „Sie wünschten mich persönlich zu sprechen?" „Herr Klaus Groterjan, der Hauslehrer meines Sohnes, erzählte mir von Ihnen, Herr Meißenbach. Sie waren Schulkameraden?" „Jawohl, gnädige Frau! Klaus Groterjan, Hetty Erusius, der sich mit jungen Jahren bereits Weltruf er warb — er ist der berühmte Püotoaravb und Lorlchuuas- ..,,ende des .Kosmopoltt' —, zowre meine waren in jenen glücklichen Friedens- n«L Schuljahren ein unzertrennliches Trio." „Das freut mich, Herr Meißenbach! Nun darf ich wohl bestimmt auf Ihre Unterstützung und Hilfe in einer An gelegenheit rechnen, die Ihren Freund Groterjan sehr nahe angeht. Bevor ich Ihnen Näheres mitteile, müssen Sie mir Ihr Ehrenwort geben, daß Eie strengstes Still schweigen bewahren werden. Es ist Ihnen hoffentlich be kannt, daß ich seit vielen Jahren'Knndin der Beckerathschen Bank bin?" „Gewiß, gnädige Frau! Ich kenne Hhr^Honto sogar sehr genau, da ich es seit einiger Zeit bearllrÜe. Es ist selbstverständlich, daß ich «nverboSchltcheS^Schweigen be wahren werde. Ich gebe Ihnen «MM» twck »«in Ebrenwort. anädia« Lra^ »Ich danke^Ihnen, Herr Meißenbach! Sie find darüber unterrichtet, daß Sroteja« seine jahrelangen Ersparnisse in fremde« Devisen angelegt hat. Sie ßAbst rieten ihn, dazu." „Sehr wohl, gnädige Frau! Er hat meine« Rat zu seinem Hell auch befolgt. Auf der Sparkasse würden die paar tausend Mark heute so gut wie keinen Saufwert mehr haben. Die fremden Devisen behielten ihren vollen Wert. Ihre Sauflraft ist unter den verrückt gewordenen Verhältnissen in DeutsOand sogar ganz bedenterch größer als im eigenen Lande." »Sie gaben GroherjM. ferner den Rat, sAue Devisen nicht »ehr im Tresor Ihrer Bimk aufzubewahren, sonder« sie an sich zu nehmen urtd niemand etwas von seinem Besitz zu verratest." „Soviel sch mich erinnere, hat er auch diesen Rat be- sojsgt, gnädige Fy»v! Haben Sie etwa dagegen Bedenken? Ich schützte dadurch Groterjan vor der zwangsweisen Beschlagnahme seines Eigentums." „Das weiß ich, Herr Meißenbach! Groterjan brachte sein kleines Vermöge« in einem Geheimfach seines Schreibtisches unter. Da er Dresden heute vormittag ver läßt, um seine Psarrstelle in Schönebach anzutreten, packte er gestern abend seine Sachen ein. Bet dieser Gelegenheit entdeckte er, daß seine Devisen verschwur^«« sind." „Verschwunden, gnädige Fra«? DaS heißt doch Wohl so viel wie gestohlen! Hoffentlich hat Groterjan sofort Anzeige bei der Polizei erficht? Da eS sich um hoch wertige Auslandsdevisen handelt, kann es nicht schwer sein, den Dieb zu finden. Er mutz sich in irgendeiner Weise verraten." „Herr Groterjan hat keine Anzeige «Mattel, wird viel mehr strengstes Stillschweigen Wer den Diebstahl be wahren. Er erfüllt damit meine dringende Bitte." „Ich verstehe, gnädige Frau! Als Täter kommt der- mutlich jemand in Betracht, der Ihne« oder Ihrer Familie nahesteht. Was ist da zu tun?" „In der Sache des Diebstahls: nichts, Herr Meißen bach! Sie muß für immer geheim bleiben. Deshalb komm« ich auch nicht zu Ihnen. Sie sollen mir lediglich helfen, Ihren Freund für seinen schmerzlichen Verlust so zu ent schädigen, daß er in jeder Beziehung gedeckt ist. Ich selbst will ihm seine Devisen, in denselben Arten und Mengen, ersetzen. Dabei sollen Sie mich, im Interesse Ihres Freundes, unterstützen. Wenn ich ihm seinen Verlust in deutschen Papiermark ersetze, läuft Groterjan Gefahr, daß das Geld in ein paar Monaten oder einem halben Jahre nur noch einen winzigen Bruchteil des heutigen Kauf wertes haben wird. Sie selbst äußerten Groterjan gegen über derartige Bedenken. Mir wurde die Richtigkeit dieser Befürchtungen erst gestern abend durch einen ausgezeichnet unterrichteten Freund bestätigt. Einer solchen Gefahr soll der brave Groterjan nicht ausgesetzt werden. Es wäre ein schlechter Dank für seine fünfjährige Treue und für das Vertrauen, das er in die Sicherheit meines Hauses setzte." „Es wird schwer halten, so viele gute Devisen mit einem Male flüssig zu machen, gnädige Frau! Ihnen ist gewiß bekannt, daß die Banken durch sehr streng« gesetz, liche Bestimmungen gebunden sind." „Das weiß ich, Herr Meißenbach! Eben deshalb habe ich mit Ihnen und nicht mit Herrn Direktor Huster oder einem Ihrer beiden Prokuristen gesprochen. Di« Herren sollen nichts davon wissen, daß in meinem Haus« ein Dieb- stahl begangen wurde. Mir liegt aber daran, di« An gelegenheit des Ersatzes sofort zu regeln, weil ich weiß, daß Groterjan in ein völlig leeres Pfarrhaus kommt und beträchtlich« Mittel für die Anschaffung der Möbel und Wirtschaftsgegenständ« braucht. Er soll seine Devisen mit- nehmen, wenn er um zehn Uhr mein Haus verläßt. Hätte ich acht Tage Zeit, wäre es ein leichtes, mir die nötigen Devisen bei einer meiner Banken in Zürich oder Amster- dam zu besorgen. Das will ich ohnehin tun. Dir Beck» rathsche Bank soll mir die nöligen Devisen laut diesen^ Verzeichnis nur iür einüu Laa« e»r Berfügnng stellen