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Peter Hagen: V»U^Lk«-»kL»7LLc«UI1 VVLLN vt^ » 1 1 ÜÜ^mueraö MW-M - ' Tonne EL.' -Hr» braunen Lolöaien ellernes Denkmal -. Fortsetzung Ueverraschcnd wurde Tonne durch da- harte Leven tn Neue Bahnen gedrängt. Eines Tage» muhte der Schuster Schirmer seine amerikanische Schnellbesohlanstalt schließen. Trotz ihres schönen gelben Anstrichs und trotz ihrer pompösen Fahnen hatte sie den Stürmen der Inflation nicht widerstehen können. Schirmer war nicht schuldlos daran. Er batte Beispiele vor Augen, wie man diese Inflation mit einigem Geschick dazu benutzen konnte, Geld zu »machen"; leider schlugen jedoch seine Spekulationen fehl. Und anstatt einem anderen das aufgesparte vermögen vor der Nase wegzuzaudern, mutzte er da» seine drangeben, verbittert schloß er seinen Laden zu und ging davon. Tonne aber stand wieder auf der Straße, ohne Arbeit Und ohne Geld. Markgraf fragte ihn spöttisch, warum er sich nicht an seinen Wandervogelbund wende. AlS Tonne gereizt erwiderte, der Bund sei doch keine Ver- sorgungsanstalt. fertigte ihn der Vormund mit der ve- merkung ab, der Wandervogel sei also eine Be schäftigung für Mußestunden und versage, wenn eS um Fragen des praktischen Lebens gehe. Auf dem nächsten Heimabend sprach Tonne mit Alfred Mennig über seine Notlage. Der Lehrer meinte, er soll« sich keine unnützen Gedanken darüber machen; solange er keine Beschäftigung habe, würde die Grupp« seinen Anteil am Fahrgeld und an der Verpflegung schon mit gufbringen. Tonne war von dieser Antwort ganz und gar nicht be friedigt. Er wollte von Mennig keine Ratschläge für Fahrterleichteruna, sondern für seine Zukunst haben. Noch sah er über ihr die Ideale leuchten, von benen «n der Jugendbewegung immer wieder die Rede war. Da wurde vom ständischen Aufbau de» Staate», vom Hand« werk als Kunst, und von vielen anderen schönen Dingen gesprochen. Mennig aber erklärte, die Beschaffung einer neuen Lehrstelle sei Sache des Vormundes; im übrigen wöae Tonne nur reckt bald wieder unter Dach und. Lack So kam Tonne unter die „Latscher". Markgraf sträubte sich allerdings zuerst mit Händen und Füßen dagegen. Es handle sich da um eine Einrichtung der bürgerlichen Gesellschaft, die im Absierben begriffen sei. erklärte er. Und es sei Verrat am Proletariat, wenn sich Tonne von den Wandervögeln umgarnen ließe. Aber schon damals zeigte Tonn«, daß er nicht an nachgeben dachte, wenn er sich für eine Sache entschieden hatte. Selbst als der Setzer stärkstes Geschütz auffuhr und erklärte, Tonne verrate die heilige Sache, für die sein Vater gefallen sei, drang er nicht durch. Der Junge wurde schweigsam und störrisch, ließ sich aber von seinem Vorsatz nicht ab« bringen. Die Wandervogel-Gruppe bestand au» einer Anzahl Jungen, die sich schon von früher her kannten. Sie hat« ten in einer Klasse gesessen, waren dann aber auS- einandergewebt worden. Einige besuchten das Real« gymnasium, die anderen waren in der Lehr« oder arbei teten im Geschäft ihrer Eltern. Waren sie dadurch einander entfremdet worden, so wurden st« nun durch den Wandervogel wieder zu Kq^neraden. Tonne als Arbeiterjunge betrachtete die Gedanken welt der Jugendbewegung, die sich da plötzlich vor ihm auftat, mit einem verbissenen Ernst — im Gegensatz zu den höheren Schülern, die vom Leben noch nicht gezaust worden waren, und die sich tn der neuen Gemeinschaft mit einer gewissen spielerischen Behaglichkeit umtaten. Sie konnten sich ihrer pennälerbasten Gewohnheiten vorerst nur schlecht entwöhnen; sie unternahmen auch als Wandervögel noch Sauftouren und flirteten mit den Mädchen des LyzeumS. Manche von ihnen kehrren der Gruppe denn auch bald den Rücken. Tonne jedoch verschlang alle Werke, die Alfred Mennig über die Jugendbewegung besaß. Für ihn war da» gedruckte Wort noch eine Offenbarung, während die Gymnasiasten kö schon als anfechtbar erkannt hatten. So wurde Tonne bald zu einem Fanatiker de» Wandcrvogelgedankens. Auch im Dienst trug er jetzt stets die kurze Nippclsamthose und den Kittel au- derbem Leinen; er rauchte nicht mehr und trank keinen Alkohol. In feiner freien Zett durchstöberte er die klei- nen Buchhandlungen und kaufte sich billige Schriften zusammen, die nicht immer dazu angetan waren, Klar- yeit in seinen Junacnkovf zu bringen. Aber Alfred Mennig sorgte schließlich doch immer wieder dafür, daß alles, was Tonne auS diesen Büchern tn sich ausgenom men hatte, im Gehirnkasten des Jungen an seinen rech ten Platz kam. Tonne wurde kritisch. Die Jugendbewegung erhielt tn dieser Zett einen starken Austrieb. Und e» war die beste deutsche Jugend, die aus den Steinkästen der Städte tn die Wälder hin- vuszog, um hier ein einfaches und derbes Leben zu führen. Nie zuvor waren die Gegensätze schärfer: Dort versumpften bet schrillem Ntgaersong Halbwüchsige tn schreiend bunt ausgemachten Lokalen — hier schlossen sich Jungen und Mabel von dieser verrotteten Welt ab, saßen an rauchenden Lagerfeuern, schliefen tn dünnen gelten und tippelten über die Landstraßen. Und tn ihren Herzen erwuchs der Gedanke eines schöneren und beste- ren Lebens. Aber die »blaue Blume der Romantik" lockte auch auf abseitige Wege, die über träumerische Versunkenheit zur Weltfremoheit führten. So konnte die bürgerliche Jugendbewegung ihre geschichtliche Sendung nicht erfüllen. zu kommen suchen, damit er die Gruppe finanziell nicht allzulange belaste. AlS Tonne nach Hause kam, sprach er zunächst nicht über seine Enttäuschung. Seiner Mutter gegenüber war er überhaupt ziemlich verschlossen. Nickt, doch er sie Nicht lieb gehabt hätte -- aber er glaubte, daß Beruf-sacken und ähnliche Dinge nur unter Männern besprochen werden könnten. Gewiß, er hatte schon immer gesehen, dah die Mutter still ihre häuslich« Arbeit tat, daß sie alles sauber und ordentlich hielt, und daß sie für Essen sorgte. Heute machte er sich zum erstenmal Gedanken darüber, wie sparsam sie mit ihrer kleinen Pension ge wirtschaftet Haven mutzte, und wunderte sich^daß sie Über den Ausfall seine» kärglichen Lohne» kein Wort verlor. Die Mutter sah am Küchentisch und häkelte an einer kleinen Decke. Tonne saß auf dem Fensterbrett und iah ihr zu. Während er ihre abgearbeiteten Finger beim flinken Sin und Her der Nabel beobachtete, kam ihm plötzlich ihre Genügsamkeit zum Bewußtsein. Er stand auf und hob ihren Kovf in die Höhe. „Mutter," sagte er, „ich muß jetzt sehen, daß ich irgendwo etwas zum Ber- dienen finde. Wenn'S keine neue Lehrstelle ist, dann werde ich mir eine andere Beschäftigung suchen. Von deiner Pension allein können wir doch nicht leben .. Die Mutter hob erschrocken die Augen. „Junge, was machst du dir für Gedanken? Essen für dich habe ich immerl" Eine seltsame Verwunderung lag in ihrer Stimme. Tonne lächelte. „Du Mußt dich schon damit abfinden, Mutter, daß ich nun kein Kind mehr bin. Ich muß mich jetzt auch darum kümmern, wo das Geld herkommt und wie wir am besten wirtschaften ..." Am späten Abend kam Markgraf noch einmal mit herauf. Er fand Tonne in aufgeräumter Stimmung. „Ach, steh mal einer an," sagte er bissig, „der Wander- vogel ist aus dem Nest gefallen und pfeift noch lustig. Bis ihn die Katze holt . . ." Der Junge ging aber aus diesen ironischen Ton nicht ein. Er faßte Markgraf um die Schulter wie einen vertrauten Freund und zog ihn in die Stube. Dabei kam dem Setzer zum erstenmal zum Bewußtsein, wie groß und kräftig Tonne nun schon geworden war. „Wir müssen vernünftig miteinander reden," sagte Lonne. „Ich werde mir setzt irgendeine Arbeit suchen, wo ich etwas Geld verdienen kann, von Mutter» Pen sion allein können wir nicht leben. Fange aber nicht wieder vom Wandervogel an; der ist vorläufig abgetan für mich. Darüber können wir später mal sprechen. WaS meinst du aber dazu, wenn ick als Radfahrer oder Bot« irgendwo unterzukommen suche?" Markgraf war ebenso erstaunt wie die Mutter. Er sagte, datz ihm jede Arbeit recht sei; Tonne solle nur zu sehen, recht bald wieder etwa» zu bekommen, damit er nicht auf der Straße zu liegen brauche. » * Stz Din grauer Serbstnachmittag lag über der Stadt; grau, wie die Häuserwände tn dieser Straße. Braun- gelbe und rotgelbe Blätter wirbelten im leichten Wind um da» Dreirad, auf dem Tonne durch die Straßen fuhr. DaS Gefährt rumpelte und klapperte mit seinem gewal tigen Kasten, und Tonne mußte sich mächtig in die Pedale stemmen. Der Kasten war hellblau gestrichen und trug in verschnörkelten Buchstaben die Firma „Keksfabrik Lajewskt". Ihre Erzeugnisse mutzte Tonne gegen einen täglichen Lohn von ungefähr zwemndetncr- »alben Goldmark auösahren. Diese Transporte waren sehr anstrengend und ermüdend. Herr Lajewskt war ein kleiner schwarzer Man«, der einen unsteten Blick hatte. Tonne hörte einmal, wie er einem Besucher sein Leid klagte: Er habe eine Konditorei gekauft, könne aber die Konzession dafür nicht bekom men; aber es wäre nun wohl bald damit zu rechnen, weil er jetzt dem Mittelsmann eines StadtrateS eine ge- hörige Portion Eier zugesteckt habe. Eine Hand bewegung Lajewskis deutete an, datz er mit diesen „Eiern" Geld meinte. Da mutzte Tonne an den Ber- Walter Jansen denken. Das war auch so ein Mann, der die Konjunktur auszunutzen verstand. Ob er wohl schon Stadtrat geworden war? Tonne hielt jetzt Augen und Ohren offen. Bald hatte er heraus, daß es überall faul war. Man sprach ganz offen davon. Durch dies« Erfahrungen aber wurde Tonne bewußt politisch. Gr kaufte stch Zeitungen verschiedener Rich tungen und studierte Ne. Da entdeckte er denn sehr oft, daß hier ein und dieselbe Sache zwar tnimer mit dem gleichen Brustton ehrlicher Ueberzeugung — aber von dem einen für und von dem andern wider vorgetragen wurde. Zu etkem eigenen Urteil konnte der Junge zwar noch nickt gelangen, aber er sah voller Ekel, wie Lüge und Verleumdung stch breit machten, und daß an« scheinend kaum jemand stch Gedanken darüber machte. Hin und wieder ging er auch einmal in ein Kino. Aber die Wandervogel-Ideale wurzelten noch zu tief tn ihm, so daß er diese Besuche bald wieder eiNsteÜte. Eines Sonnabends jedoch, alS er bereits am frühen Nachmittag sein« Tour ansaefahren hatte, packte ,yn plötzlich ein« unbegreifliche Unruhe. ES kribbelte ihm in allen Gliedern, etwa» Besonderes zu unternehmen. Er legt« fick aufs Sofa, um zu lesen. Als er kein« Be friedigung dabet fand, faßte er kurzerhand den Entschluß, allein auf Fahrt LU geben. Er zoa feinen Wanderkittü Über, tat einige Schnitten in den Brotbeutel und ging los. Am Stettiner Bahnhof erst Überlegte er, wo er binfahren solle. Er entschied sich für die Wälder büt Bernau. Die weiten Felder, die stch zu beiden Seiten der Land straße nach Biesenthal auf- und ntederschwattgen, waren im Äbenddunkel nur zu ahnen. Die Landschaft schien in einer geheimnisvollen Bewegung zu sein, die auch Tonne mitriß. Seine genagelten Stiefel gaben auf der tzandstratze einen scheppernden Laut, der einsam ver hallte» Weit hinten in der Dunkelheit ahnt« Lonne Dörfer und Städte mit heimeligen Häusern und warmen Stu ben, mit Hellen Fenstern und schützenden Dächern. Heber ihm aber stand unnabdar der Sternenhimmel. Noch nie hatte Lonne allein eine nächtliche Wanderung gemacht. So konnte er sich heut« zum erstenmal ganz dem Ge- heimntS der Nacht ytngeven, konnte zum erstenmal allen Stimmen des Dunkels lauschen, dis sonst im Gesang der wandernden Horde ertrunken waren. — Tonne hörte das Rauschen in den Lelegraphendrähten, dte sich laNgS der Straße hinzogen. DaS ist die Welt, dachte er, die brausende und geschäftige Welt, deren Nerven selbst m dieser dunklen Nacht zittern. Einmal sprang er über den Straßengraben und lehnte den Kopf an eine der feuchten HolzstangM, dte da» Drahtaewtrr trugen. Klingen und Knistern drang daraus hervor wie au», einer großen Seemuschel. Tonne meinte, er habe sein Ohr an das Herz der Welt gelegt.,« Das Städtchen Biesenthal schlief schon. Ein Stein baukasten, den ein Kind vor dem Zubettgehen nicht wieder einaeräumt hat. Aus einer Kneipe nur drangen lärmende Stimmen. Tonne ging an den gelb verhange nen Fenstern vorbei und bog tn einen Feldweg em, der erst über dte Felber und dann durch den Wald zum klei nen Lehnssee führte. An seinem Ufer hatte Alfred Mennig mit der Wandervogel-Gruppe oft ein fröhliches Zeltlager errichtet. Die mannsgroßen Wachholderbüsche ließen Tonne im mer wieder erschrocken den Kopf wenden; immer wieder meinte er, ein Mensch stehe zwischen den schlanken Kte- fernstämmen und recke drohend den Arm. Aber dann mußte er lachen und lief weiter. Jetzt ging'» zu einer Wiese hinunter, über die Nebel- chleter einen grauen Teppich gebreitet hatten. Der chmale Pfad war kaum noch zu erkennen, als Tonne mich da» nasse Gra» stakste. Die Büsche, dte au» der Nebelflut herausragten, schienen auf ihr zu schwimmen. Inmitten der Wiese lag, von einem Schilfgttrtel um schlossen, der See. An seinem nördlichen Ufer wuchs ein Sandhügel aus dem weichen Wiesengrund empor. Hier standen kleine Kiefern, und im Sommer schimmerte der grüne Teppich zu ihren Füßen blutrot vor lauter süßen Walderdbeeren. Auf dieser Höhe schlugen in der war men Jahreszeit Wandervogel und Pfadfinder ihre Zelte auf. Heute, in herbstsrischer Nacht, aber war der Wald leer. Die Wiesennsbel leckten mit langen Zungen fast über die Kuppe hinweg. Als sich Tonne unter den Bäumen niedergelassen hatte, spürte er erst dte Nachtkühle. Da er weder Deck« noch Zeltplane mitgenommen hatte, konnte er nicht daran denken, im Freien zu schlafen. Nachdem er gegessen hatte, sprang er wieder auf und schlug sich die Arme um den Lew, um das Blut tv regeren Umlauf zu bringen. Dann stieg er den Hügel hinunter und lief weiter nach Norden zu. Al- er a» einen breiten Back kam, folgte er seinen Krümmungen An einer Stelle, die ihm schmal genug schien, wagte et endlich den Sprung. Er landete zwar am anderen Ufer steckte aber biS über die Knöchel im zähen Schlamm Fluchend stolperte er weiter, bi- er wieder auf feste» Boden gekommen war, auf dem er frisch tn die Nach/ hinein marschieren konnte ... B , * ^Fortsetzung folgt.!