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- Erscheinungsdatum
- 1933-05-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-193305083
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19330508
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19330508
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Riesaer Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1933
-
Monat
1933-05
- Tag 1933-05-08
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Monat
1933-05
-
Jahr
1933
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oder nicht, prüft der Interviewer höchst selten. Für ihn ist die zu befragende Person Mittel zum Zweck. Die Tatsache ist erhärtet, baß Befragungen gern« gelesen werden, die Rithrtgkett einer Zett und di« Rührigkeit eine» Journalisten dokumentieren, also wird großer Wert auf viel« und mög lichst wichtige und schlagende Interviews gelegt. Keine »osten werden gescheut, sie zu erhalten. In Amerika hat sich eine Epezt.es rum .VuSfragern hrrauSgebildet, die vom Morgen bi» «den- «ach Opfern lagt. In Europa ist man b«n Amerikanern bald auf die Spur gekommen und in Deutschland gibt ev heut« viele Journalisten, die von nicht» anderen, träumen, al» von einem Interview mit einer g<oß«n Persönlichkeit, Wir lesen plötzlich, der Kanzler hätte den Chefredakteur eine» Büro» oder einer Zeitung empfangen und ihm ein Interview gegeben, To wät's aber. Der Kanzler hatte etwa» auf dem Herzen, er wollte eine bestimmte Frag« lgnöteren, «r wollte einem engeren oder weiteren KreA, einem bestimmten Lande «ine Mitteilung über die Press« zukommen lasten. Deshalb hat er sich die geeignete Per sönlichkeit kommen lasten, den Journalisten, -er da» richtig« Sprungbrett in die gewünschte Oeffentlichkeit darstellt. Er sagt nun aber nicht etwa: Jetzt fragen Sie bitte, sonder» «r brückt -em Herrn bereits das fertige Interview in die Hand und einige schöne Reben begleiten die positiven Angaben, auf die es ihm ankommt. Die Welt hört von -em Inter view, und fühlt dabei so etwas Persönliches. Was der Journalist alles gefragt Lat, denkt mau, und wie gründlich der Kanzler ihm sofort Bescheid gab und welch« neue De- danken und wichtige Erklärungen er gleich bet der Hand hatte. Jetzt wissen wir, daß alles ganz einfach war. Bon dem Interview ist der Schleier gefallen- Freilich es kommen auch Interviews sozusagen aus dem Handgelenk zustande. Es kommt vor, baß eine Persönlich keit, die an dem Tage gerade etwas Wichtiges sagen kann und sagen müßte, einfach überfallen wirb. Im Hotel, im Theater, am Bier- oder Weinttsch, beim Essen, sogar im Schlaf und auf der Straße, während sie daS Auto besteigen wollte. Der Journalist darf keine Formen haben, er muß sich gelegentlich über den ganzen Formkram Hinwegsetzen und sein Opfer regelrecht überfallen, ob es sich beleidigt fühlt oder nicht. Gr kennt keine Rücksicht, er steht in der Stellung seine» Objekt» seine Pflicht. Und bekanntlich ent schuldigt Pflicht alles. In Amerika ist man denn auch über an drängende, rücksichtslose Reporter nicht ungehalten, und selbst deutsche Führer und Politiker haben inzwischen «in gesehen, daß sie sich nicht hinter eine Wand von Formen und einer Unzugänglichkeit verkriechen dürfen. Wer «in Amt hat, muß Somit rechnen, gelegentlich interviewt zu werben. Er kann die Antworten ja nach seinem Ginne gestalten, kann -ie oder den Frager mit einigen Phrase» abspeisen, wenn er e» in seiner Stellung wagen darf, einfach schweigen, ist fast unmöglich. Und derjenige wirb bewundert, der eS wirklich versteht, Interviewern gegenüber stumm wie et« ' Fisch zu bleiben oder ihnen immer so zu entschlüpfen, daß sic seinen Rockzipfel nicht mehr erhaschen können. Sicherlich liegt für den Befragten eine besondere Ehrung darin. Er wird für würdig gehalten, rein persön lich sich über dieses oder jenes Gebiet, meinetwegen auch über eine rein persönliche Angelegenheit zu äußern. Der Kreis der Interviewten ist immer weiter gezogen worden. Früher einmal lagen nur große Männer, Minister, Wirt- schoftsftthrer, Bankherren, Künstler im Gefecht. Groß« Wissenschaftler wurden heimgesucht, wenn sie zu einer schwe benden Frage sich äußern sollten. Heute kann es Vorkom men und kommt es vor, daß schon der Droschkenkutscher interviewt wir-, sicherlich -ie Filmdiva, die gestern neu ent deckt wurde, -er neue Voxhelb, dem e» gelang, seinen Gegner niederzulchlagen, der Schriftsteller, der ein gute» oder schlech tes Stück endlich auf die Bühne brachte. Jeder, von -em man gewissermaßen eine Minute lang spricht, -essen Namen in einer Verbindung genannt wird, ist heute vor einem Interview nicht sicher. In Amerika ist -as Unwesen, möchte man in diesem Falle sagen, schon sowett «»»geartet, daß auch Personen interviewt werden, die Überhaupt nicht im Tagesgespräch liegen, bi« leine Rolle spielen, die keine Bedeutung haben. Einem Journalisten kommt eine Idee, er braucht den näch sten Grttnkramhänbler und interviewt ihn, weshalb er wohl mehr Rot- oder Sauerkohl verkauft. Für den Geschäft», man» ist La» die beste Reklame, er äußert seine Ansicht gründlich. Soweit sind wir noch nicht. Wa» nicht ist, kann aber werben. und — fall» sie schön und begehrenswert waren — auch die Frauen und Töchter fortnahm und «l» Sklavinnen ent führt«. Auster-«« ging auch der Schuldner selbst al» Sklave in -en besitz -e» DlSubtger« über, »er f«t über ihn ver- fügen konnte, ihn also nicht nur schiverste Arbeiten ver richten lassen- sondern auch Weiterverkäufen konnte! Im alten Lhtna sah «an M jedem säumigen Schuldner ohne lange Untersuchungen von vornherein einen Be trüger. Man nahm HSne «Mtchre* -aß «r einfach nicht zahlen wolle und fein Geld ober Werde versteckt habe, ym. zu erfahren^ wo Rps«»,, Versteck fet, wandte man «in «Len» soll» unmenschlich grausame» Mittel an: man stellt? b«n NichtzaÄer R« atz bä» Kinn tu« Wasser und ließ ibn.-yxt stehen, bi« er vor Erschöpfung itmstfl »nb ertrank, ober aber sich dazu bequemte, da» Versteck feines BermöqenS zu verraten. Wtevteil arme, gepeinigt« Menschen, bi, wirklich nicht zählen konnten, mögen wohl aus -lese Weise grundlos um» Leben gekommen sein . . ,? UM nokhvinmal/pom »Gchul-turm zu sprechen: Hirse eigenartige Methode -er Bestrafung -«» Schuldner» hat man nicht nur ist Deidkschkanb, Frankreich und Rußland ge konnt!, sondern auch in England -iS weit in da» vorige Jahrhundert hinein I In »Klein-Dorrit" erzählt der Humorist Dickens von der „Schulbstadt" »ei London, ei»«« Hlefne«, ganz tu sich abgeschlossen«, und streng be» «achte« Gefängnis, i« -«m -te säumig«« Kahler ge fangen gehalten wurde«. Unfähig, sich irgend «wen Erwerb zu schaffen, saßen sie dort herum, waren auf das Mttletd ihrer Mitmenschen ange- wüssen und hatten nur di« einzige Hoffnung, daß ihre Familie mit Rücksicht" auf de« Skandal sich bereit erklären würde, von sich aus all« Forderungen gegen sie zu bezahlen. Wa» allerdings — nach Dicken» — nur in -en seltensten Fällen vorkam. Andere Zeiten, andere Sitten . . . Vchuldturm und Pranger find un» heutigen Menschen nur noch Gespenster au» längst vergangen«« Zeiten. Aber auch für un» ist Schuldenhaben all«« andere al» ein Vergnügen. Ossen- barungSaid, Pfändung und Zwangsverstei gerung lasten genau so schwer auf un» w'e da» Pranger stehen auf unseren Vorfahren. U«ber -i« Prügelstrafe und da» Gklavenjoch allerdings sind wir im Laufe der Jahr hunderte doch schon hivauSgewachsen . . . Vom Schnldtnr« -iS »n« Osfenbarnngbeid. .MWMkSW'kMlMt. Eine kulturhistorisch« Plan»«««» ,«« The»« .Schuld«»* Von Lothar Bergmann. ES ist noch nie «tu Vergnügen sewesrm Schulden zu haben und sie nicht bezahlen zu können. Solang« e» bi« Begriffe .Schuldner" und.Gläubiger" gibt, steht Feind schaft »wischen dem Kreditgeber und -em Kve-itn«hm«^ «eil der «ine — uud sei «r noch so gutmütig und «ntgegrnkom- mend — letzte» End«* doch darauf dringen muß, sein Geld nebst Zinsen und ZinseSztn» »urückzurrhalten, und weil der andere hierin nur .unverschämte Blutsauaavrt" steht, Un freundlichkeit und Bosheit. Da er außerdem immer der Unterlegene ist gegenüber dem — auf Schuldschein oder Wechsel sich stützenden - Gläubiger, fühlt er sich gleichzeitig unterdrückt und benachteiligt, ist also im ganzen — in den eigenen Augen wenigsten» — ein armer, bemitleidens werter Mensch. Diese Meinung von sich und seinen Leidensgenossen soll und kann «besonder» bei den gegenwärtigen Verhältnissen) keineswegs bestritten werden. Und trotzdem kann man nnr sagen: cs ist ein Glück für all« Schuldner Europas und der zivilisierten Länder, heute zu leben und nicht etwa in einem vergangen?« Jahrhundert. Denn damals mar de« säumig, Schuld»«« wirklich nstlenlp» dem Gläubiger ««Sgeliefeet, der nicht nur das Recht hatte, sein gesamte» Vermögen zu beschlagnahmen, sondern ihn obendrein noch an Leib und Leben bestrafen zu lassen. Man denke doch nur an den .Schuldturm", der — vor gar nicht so langer Zeit erst ab geschafft — alle diejenigen Unglücklichen aufnahm, di« ihre Schulden nicht bezahlen konnten. Unter den grausamsten Verhältnissen fristeten sie hier ihr Lehen, ohne Aussicht, je mals befreit zu werden, da sie erst dann entlassen werden durften, wenn ihre ganze Schuld einschließlich der Zinsen bezahlt war. Da ihnen im Schuldturm aber keinerlei Ge legenheit gegeben war, zu arbeiten und zu verdienen, und von den Verdiensten Abzahlungen leisten zu können, be deutete damals Verurteilung zu Schuldturm nicht» andere» als Verurteilung zu lebenslänglicher Haft ...! Noch grausamer ging daS Mittelatter mit dem Schuldner um. In der Zeit vor und mährend des SOjährigen Krieges wurde nicht nur der Schuldner selbst für wine Säumigkeit gestraft, sondern mit ibm auch seine Famtlfel I« seiner großartigen Zettschtlderuna, dem „DimpltciuS Gtm- pliMimus", erzählt Grimmelshausen von einem schwedi schen Rittmeister, der einen »Roßtäuscher" (Pferdehändler) auf Zahlung des Gegenwertes für ein bereit» gelieferte» Reitpferd verklagte. Da» Feldgericht machte kurzen Prozeß und lieb sowohl dem Schuldner selbst al» auch seiner Frau flüssiges Blei in di« Kehle gießen, ein Verfahren, das — obwohl besonders grausam — damals recht häufig ange wandt wurde! Vielleicht war der Roßtäuscher Grimmelshausens wirk lich «in böswilliger Betrüger, der -wohl zahlen konnte, aber nicht wollte. Und vielleicht hat man ihn nur deswegen so unmenschlich hart bestraft. Trotzdem aber finden wir die gleiche Grausamkeit dem Schuldner gegenüber in viele» Dokumenten aus jener wilden Zett. Beliebt war die Be strafung eine» .Nichtzahler»" damit, daß man ihn „an den Pranger stellte", d. h„ i« «inen Käsig sperrte und ibn so ans dem Marktplatz ausstellte. Ein bewaffneter Stadt soldat stand daneben und schrie mit weithin schallender Stimme: „Dies ist der Bürger Clan» Elausen.^vr wurde schand bar an s.. Schuld nebst Und in den meisten Fällen wurde über den Unglücklichen außer drm .Prangerstehen" auch noch «ine Prügelstrafe verhängt, die — unzählige Male wiederholt — ost Spuren für das ganze Leben an den Mißhandelten hinterließ — — Ebenso grausam wie im Mittelalt«« verfuhr man auch Im Altertum mit dem säumigen Zahlen TaeituS ger- mantcuS erzählt von den alten Deutschen, bab sie — die un vorstellbar freiheitsliebend waren — widerspruchslos in Knechtschaft gehen mußten, wenn sie Schulden nicht bezahlen konnten. Ebenso wissen wir von den alten Acgyptern, da ss« recht rücksichtslos mit ^faulen" Schuldnern umgingen: dort begnügte man sich damit, unbezahlte Rechnungen da durch auSzuglojchen, daß man dem Schuldner Hab und Gut M Melimli du MwiM. Zwei Dinge veranlassen mich, bi« Frage des Interview» aufzuwersen. Einmal hat der größte Interviewer der Gegenwart, der Franzose mit dem schönen deutschen Namen Sauerwein» seine Stellung aufgegeben, weil sein« politische Tendenz nicht mehr mit der seine» Blatte» vereinbart war, und ist freier Mitarbeiter einer Anzahl französischer, eng- ljschcr, amerikanischer usw. Blätter geworden —, sodann, der Berliner Polizeipräsident Grzesinski weilt augenblick lich in Paris, inkognito, und obwohl er unbekannt in Paris weilt, hat ihn dennoch die nach Wichtige« hetzende Journa listik aufgefunden und ihn zu interviewen versucht. Grzesinski hat e» abtr verstanden, sich allen AuSfragern zu entziehen un- auSzuwrichen. Richtig: Ein Interview ist «in« AuSfragung, und man spricht heute so gerne gute» Deutsch, daß vielfach nur «och von einer Austragung und von Austrägern die Rede ist.. Diese Ausfrager haben kein leichtes Leben. Die Großen sitzen niemals still, sie sind immer auf Reisen, denn sie , haben sich in den Kopf gesetzt, Irgend eine bekannte Persön lichkeit in einem bestimmten Zeitraum wie eine Zitrone ... . „„ - ..... auszuquetschen. Sie bereiten ihren Fahrplan stets sorg- de„ Pranger gestellt vor allem Volke, weil er feine I sättig vor. Nur selten schießen sie wie ein Pfeil aus ein nebst ZinS und ZinseSzinS nicht hat zahl«« wollen!" ' ahnungsloses Opfer. Da» Opfer ist zumeist schon lange rvnir.n nn», > Lqvon unterrichtet, baß e» befragt, auSgefragt, interviewt werden soll. ES erhält vielfach «ine Frageltstr sogar zuge stellt und kann die persönliche Begegnung umgehen, wenn eö die Frageliste sorgfältig und gewissenhaft ausfüllt. Namentlich Staatsmänner sehen ihre AuSfrager in den seltensten Fällen. Sie erhalten die Fragebogen zugesanbt, beantworten sie oder teilen mit, daß sie noch kein Interview geben können. ES gibt nun Fälle, da der auf» Korn Genommene da» Interview wünscht, au» Reklamemotiven, au» politischen Gründen, au» persönlicher Eitelkeit, ober da er durch die andrängenden Journalisten au» seiner ruhigen Bahn ge worfen und belästigt wirb. Ob jemand sich belästigt fühlt MW, die SM MM LWIMU Bon Dr. Leonore Kühn. DaS ist eine seltsame Stadt, die dq quf der öden Hochfläche Kleinasiens erstanden ist, nachdem da» türkische Reich durch den Weltkrieg seiner europäischen Länderteile so gut wie völlig verlustig ging. Durch Energie und ange strengte Bautätigkeit ist uun au» der uralten Felsenfeste Ankyra (türkisch Ankara genannt) ein wunderliche» Gemisch von weltverlorenem Brrgnest mit primitivsten Holzbauten und von fieberhaft aufstrebender „Großstadt" nach modern sten und großartigen Planungen geworden, — breite statt liche Straßen, einsam aufragende hohe Mietskasernen und NeprnsentattonSaebäude neben elenden Lolzbaracken und ungepslasterten Straßen, in denen man bei nassem Wetter den Fuß von der Haustür nur direkt in den Wagen setzen kann, nm nicht in grundlosem Schmutz zu versinken! Schon weil der deutsche Nnternehrnungsgeist — durch dl« Person de» bekannten Städtearchitekten Prof. H. Jansen — mit diesem Werk des nenerwachten nationalen Türkentum» verbunden ist, lohnt e» sich, einen Blick auf diese» be deutungsvoll gewordene Stadtqelnlde zu werfen, das dem ehrwürdigen und kunstreiche» Konstantinopel zur Nachfolge bestimmt wurve. Schon die Fahrt von Konstantinopel nach Angora bietet viel des Merkwürdigen und jene» gleiche seltsame Gemisch von Primitivität und europäischer Bequemlichkeit. Gut 18—20 Stunden dauert die Reise im direkten „Schnell zug" von Konstantinopel, oder richtiger, vom jenseitigen Haidar Pascha au», der stattlichen modernen Kopfstation der Anatolischen Eisenbahn auf dem asiatischen User de» Bosporus. Wunderschön ist die erste Strecke, die noch längs der User de» Marmarameere» führt, mit herrlichen Ausblicken auf freundliche Vororte und auf die Prinzen inseln, wo sich Trotzki ein Asyl schuf, aus den fernen schnee bedeckten Olymp — den asiatischen Olymp und die cchttürklsche Stadt JSmid mit ihren schönen Minarett» und klobigen Befestigungen an blauer Bucht. Hannibal» Grabstätte liegt hier in der Nähe, und manche anderen Erinnerungen tauchen mit den interessanten, zypressenum- standcuen Ruinen längs der Küste auf. Bald aber sind wir im primitivsten Hinterland. Der Anqora-schnellzug ist ein Ereignis für die handelStüch- Ligen Einwohner der kleinen Stationen: Kinder und Frauen mit zierlich geschmückten Körbchen voll rotbackiger Aepfel- chcn, junge Bursckien mit langen Stangen, auf denen die sehr wohlschmeckenden sesgiubestreuten Brezeln aufgereiht sind, Händler mit frischen Eiern und sogar riesigen zappeln den Hummern, Hühnern und sonstigen Eßwaren zu billig sten Preisen, — so suchen die Einwohner diese Markt gelegenheit auszuutttzen. Manche junge türkische Hausfrau besseren Standes — wie wunderhübsche, sehr gepflegte Kinder auzusehen — macht vom bequemen Polsterwagen aus (es sind unsere guten, heimatlichen Wagen 2. und 1. Masse mit dem wohlbekannten Plüschpolster) voll Wichtig keit und Eifer ihre Einkäufe. Aber daneben reckt manche arme bleiche Frau im schwarzen Kopftuch ihren ver mummten Säugling bettelnd hoch vor die Fenster des Bahnwagens, und auf jeder Station sitzt eine Galerie abge- rnagerter, scheuer Hunde mit sehnsüchtigen, hungrigen Augen vor der nahrungSspendenden Wagenreihe oder galoppiert sogar um ein Stückchen Brot lange noch ver zweifelt dem fahrenden Züge nach! Nun windet sich der Zug durch großartige Schluchten und wilde enge Flußtäler hoch, — zuletzt in Gebirgen, deren graugrünlicher, tonhaltiger Lehm eine fast leichen farbige, unlieirnltche Landschaft von seltsamsten Formen schasst; spärliche, einsame kleine Ortschaften liegen darin verstreut. ES macht sich nun die Annäherung der falz wüste bemerkbar, und auf der Hochfläche Kleinasien» fährt man stundenlang durch eine endlose, eintönige Landschaft, deren einziger größerer Ort ESkischehr ist, der Knotenpunkt für die Bahnlinien von Smyrna und Konstantinopel. Man sieht buchstäblich nicht», nicht», nichts, außer einigen jäm merlichen Ortschaften, und die stolzerfüllte Aufregung der Einheimischen, al» man sich, kur» vor Angora, derMuster- farm des allmächtigen und regsamen Kemal Pascha, de» „Ghozi", näherte, ist nur verständlich, wenn man weiß, daß eben sonst wirtlich kaum etwas in dieser trostlosen Ebene vorhanden ist! (Än relativ stattliches „europäisches" Stationsgebäude und einige ratternde Automobile auf öder Zufahrtsstraße künden die Nähe der Billa deS Ghazi mit den Musteranlagen an. Auch einige industrielle Unter nehmen mit funkelnagelneuen Baulichkeiten unt«rbrechen die Monotonie dieser Berawüstenlandschaft. Und dann steigt man, in Angora angekommen, einfach auf di« blanke, schneefeuchte Erde aus, ohne eine schützende Halle über dem „Bahnsteig", und jagt mit einem der Auto», die mit asiatischem Geschrei und Gewirr vor dem niedrigen Stationsgebäude durcheinanderrattern, den weiten Weg auf yeqer, pder Straße zur Stadt, die sich fern am Berg empovzieyt. Rings umgeben niedrige Bergzüge in riesigem Kranz eine weite, flache schneebedeckte Talmulde. Ueberraschend und erfreulich war bei der Ankunft in dem ordentlichen, recht behaglichen Hotel sowohl da? bayrische Stubenmädel — eine tapfere Münchnerin — wie auch das warme und kalte fließende Wasser in jedem Zimmer: dazu bis schönen, riesigen Teppiche des Landes in verschwenderischer Fülle. Auch sonst trifft man hilfreiche Landsleute — meist' Techniker oder Bauarbeiter. Denn die Unternehmungen bedürfen mancher deutschen Arbeits kraft, die ja in" der Mrkei hochgeschätzt uud mit Sympathie betrachtet Wird wie dort noch, immer alles Deutsche Ja, da gibt eS rinn sogar auf dem Hauptplatz AngoraS ein modernes Denkmal, auch moderne Bankgeväude und ew großartiges Museum hoch oben auf einem sonst öden Schutthügel, der einige Klctterpartien durch Steine, Scher- bqn und grundlosen Lehm verlangt; denn die Autos können noch nicht Überall ihingelangen. Sogar eine kunst- aewerblich« Schule ragt einsam an «inem der öden, breiten Boulevard» aus, und diese raffinierteren Geschmackskünste berühren dort ganz eigenartig, wo noch nicht einmal die primitivsten Leben»- und Wohnbedürsnisse auch nur zum Teil erfüllt sind! Die eigentlichen Bazarviertel der Altstadt mit ihren schmalen Holzbudenreihen au» ge nagelten Brettern und den primitiven Eßwaren, die malerischen Gruppen von Kamelen, Ziegen und Eseln an den Brunnen und vor den Moscheen, die bunten, zer lumpten Trachten der dunkelfarbigen Männer, von unheim lichem, wtld-grotzartigem TYP, und die Frauen, die meist noch entsetzt das Gesicht hinter dem schwarzen riesenhaften Tuch verbergen, das die ganze Gestalt nonnennaft ver hüllt — da» gibt doch einen nachdenklichen Kontrast zu den wenigen verlorenen modernen Prunkbauten der Stadt, deren größter Teil übrigen» zunächst weiter weg vom alten Zentrum AngoraS sich entwickelt, sozusagen eine zweite, neue künstlich« Stadt, di« viel Kosten gemacht hat. Sogar da» Trinkwasser mutz als kostbarer Import von Konstantinopel herangebracht werden, u»id die Gemüse werden zunächst noch alle von weither hera-raeschafst! Die türkische Hausfrau, die nicht gerade die allerprimitivste Lebensweise führen will, hat «» in Angora nicht einfach, und auch mancherlei gesundheitliche Gefährdungen sind für die Nichteinheimischen zu Überwinden. Sehr interessant sind eine Reihe großartiger, uralter hettitischer und sonstiger asiatischer Skulpturen, — Grabsteine und gewaltige Reste von uralten Kultbauten, die vor einem vom Deutschen Archäologischen Institut vor kurzem ausgegrabenen stattlichen Tempel, dem Augustus tempel au« römischer Zeit, im Freien gruppiert sind. Um sie zu besichtigen, mußte aber erst der dickste Schmee von diesen seltenen Kunstwerken abgesegt werden, und man watete bis über die Knöchel im nassen Schnee. Da» Klima ist naturgemäß auf dieser Hochfläche sehr rauh. Eine Feuersbrunst hat Vor einigen Jahren große Teile der Altstadt zerstört und so von selber Platz für Neues geschaffen. Aber noch stehen ganze Gassen von Holz häusern mit vorspringenden, primitiven Erkern, die bei Taüwetter den Passierenden unbarmherzig durchnässen, der sich etwa mit dein offenen Wagen in bas Gewirr diejer oberen Straßenviertel wagt, um zu der interessanten alten Burgmauer mit ihren vielen Türmen zu gelangen oder zum uralten Schloß, das auf einem steilabfallenden Felsen über stillen Tälern thront. Außer den berühmten Angorakatzen und Angoraziegen ist hier noch höchst merkwürdig eins der allcral testen menschlichen Gefährte: der Ochsenkärren mit zwei klobigen Rädern und an Stangen ausaehänatem Ledersack, als schwankender Behälter für den Reisenden. Auch ein primitiver Dreschschlitten aus Holz mit eingesetzten scharfen Steinen und andere» urtümliche Gerät hat sich hier noch im Gebrauch erhalten. So reichen sich in Angora älteste Kulturtraditionen und neueste Kulturbestrebungen die Hände.
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