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GGttKKS « „Bravo, lieber Herr Marquardt! Ich wußte ja, daß ich es mit einem vernünftigen Menschen zu tun habe. Natürlich weih ich, wohin wir Fräulein Priska schicken wollen. Sie soll nach Bad Brambach. Es besitzt eine starke Radiumquelle und auch sonst alle Vorzüge, die für uns in Frage kommen. Es ist ganzjährig geöffnet, und Fräu lein Priska wird sich dort auch den Winter über sehr wohl fühlen. Sie werde» sehen, wie sich Fräulein Priska dort er hole», wie sie zu einem neuen Menschen aufblühen wird. Und der Gedanke der Trennung von Ihnen und des Lohnes der endlichen Wiedervereinigung wird ihr vollends helfen, ganz gesund zu werden." * , * Schon seit Ende August weilte Priska von Wallis in Bad Brambach. Es kam ihr vor, als ob es eine Ewigkeit her war, seitdem Ulrich Marquardt sie hierhergebracht und st« dem leitenden Arzt des Sanatoriums übergeben hatte. Zuerst hatte sie geglaubt, vor Sehnsucht sterben zu müssen. Was nutzten seine täglichen Briefe, wenn er selbst nicht da war! Auf ihre sehnsüchtigen Ergüsse hin war Ulrich ge kommen und einige Tage geblieben. Solange er da weilte, war alles gut gewesen. Nachher aber war das Alleinsein «och schlimmer zu ertragen, und Priskas Zustand hatte sich bedeutend verschlechtert. Der Arzt hatte deshalb Ulrichs Besuche energisch Ver bote». Ulrich schrieb Priska immer wieder, daß sie sich znsammennehmen und daß sie gesund werden müsse, um sobald wie möglich seine Frau zu werden. Er berichtete ihr, daß er das große Bild, den „Ruf des Lebens", an den Louvre in Paris verkauft und daß er für den Erlös des Bildes ein hübsches Häuschen im Grünewald gekauft hatte, Has bereitstand, die Herrin zu empfangen. .... Tu mußt für mich gesund werden, Liebling — vergiß das nicht! Für mich, der Dich unsagbar liebt, für den es kein Leben gibt ohne Dich und keine Freude." Priska las olle diese Briefe mit wehmütiger Freude. Sie wollte ja gesund werden; sie gab sich die größte Mühe, wenn.es auch noch so schwer war, ohne Ulrich aus- znkommen. Sie wußte, Ulrich liebte gesunde und kräftige Menschen. Und wie sah sie jetzt aus? Ueberschlank war sie und so blaß, daß keine Spur von Farbe in ihrem Gesicht zu sehen war. Sie kam sich selbst ganz fremd vor. Jetzt hätte sie Ulrich nicht mehr Modell sein können, mit ihren eckigen, schmalen Hüften und Schultern. Wenn sie nicht anders wurde, würde Ulrich sie bald nicht mehr lieb haben können. Sie mußte den Willen haben, ganz gesund 'zu werden, mußte alles das essen und trinken, was der Arzt ihr verordnete; sie wußte es selbst. Und ihr Wille war stark genug, sich dnrchzusetzen. Was zuerst Zwang gewesen, wurde bald Selbstverständlichkeit. Die täglichen, immer weiter ausgedehnten Wande rungen verschafften ihr guten Appetit. Die Radiumkur richtete ihren geschwächten Körper auf, und es dauerte nicht lang», bis sich ihre Glieder rundeten und bis sie frischer und Wohler aussah. Ihre Nerven beruhigten sich lairgsam, und allmählich fing sie auch an, sich für ihre Umgebung zu interessieren. Sie näherte sich langsam wieder der einstigen Priska. Weihnachten durfte Ulrich für ein paar Tag« kommen. Obwohl der Arzt ihn über Priskas Fortschritte auf dem kaufenden gehalten hatte, war er doch überrascht, als er st« fah. So froh und so gesund, hatte er nicht gehofft, sie zu sehen. Mit heißer, überströmender Liebe schloß er sie in die Arme, und seine Lippen wollten die ihren nicht loSlassen. Wie im letzten Jahr«, überschütt«t« «r st« wieder mit Geschenken, und st« waren fröhlich und ausgelassen wie Kinder; «s waren heilige Stund«», di« st« zusammen unter d«m Nein«« Weihnachtsbaum verbracht«», der in Priskas Linunrr stand. Pfingsten würden sie heiraten, das stand nun end gültig fest. Heiß und stürmisch küßte Ulrich seine Braut, als sie davon sprachen. Priska wurde schwindlig vor diesen ver langenden, saugenden Küssen. Beinahe wäre sie schwach geworden, wenn der Mann sich nicht zuletzt auf sich selbst besonnen hätte. Er wußte, was auf dem Spiel stand; er mußte den Kopf oben behalten. Dann kam der Tag, an dem er wieder abreisen mußte. Priska war bleich vor Abschiedsschmerz. Sie begleitete ihn zum Bahnhof. „Sei vernünftig, Kind", sagte er, als er ihr blasses Gesichtchen sah, das sehnsüchtig i» das Coupöfenster hineinblickte. „Mach mir das Fortgehen nicht so schwer! Die paar Monate werden so schnell vergehen. Am liebsten würde ich dich ja gleich mitnehmen. Aber ich sehe ein, daß es das einzig Richtige ist, du bleibst noch hier. In der Woche vor Pfingsten hole ich dich, und dann gehörst du endlich mir, mir ganz allein. Kannst du dir vorstellen, wie das sein wird?" Er sah die Tränen in ihren Augen. Schon stand er wieder auf dem Bahnsteig, schlang seine Arme um ihren Hals. „Ulrich — ich hab' solche Angst. Wenn du jetzt di« ganze Zeit in Berlin bist — die vielen anderen Frauen.. Wen» ich dir nicht mehr schön genug bin..." „Kind — kleines, dummes Kind! Es gibt keine ander« Frau für mich. Du bist die Einzige, die Schönste, die Frau, die für mich bestimmt ist." Sie erglühte wie eine Rose unter seinen heißen Worten. Seine Augen sahen in verzehrender Liebe in die ihren. Erstickt stammelte er: „Ich möchte dich verschlingen, Mädel. Ich zähle die Tage, bis du ganz bei mir bist. Ich kann es kaum er warten ..." Priska zitterte am ganzen Körper bei seinen heißen Worten, seinen glühenden Küssen. Es war gut, daß vas Zeichen zum Einsteigen gegeben wurde. Noch ein leises Liebeswort, ein Kuß — dann fuhr der Zug langsam an, fuhr schneller und war nicht mehr zu sehen. Priska stand allein auf dem Bahnsteige. Aufatmend kehrte sie um, ging den Weg zum Sana torium zurück. Unter Ulrichs Weihnachtsgeschenken befand sich auch eine vollständige Skiausrüstung. Der Arzt hielt es für gut, wenn Priska mit diesem Sport begann, und gleich nach Ulrichs Abreise nahm sie die ersten Stunden. Sie stellte sich sehr geschickt an, und es dauerte nicht lange, bis sie selbständig drauflos fahren konnte. Fast den ganzen Tag verbrachte sie jetzt draußen im Freien, in der herrlichen Wintersonne. Sport und Bewegung bekamen ihr außerordentlich gut. Sie hatte glänzenden Appetit und schlief die ganze Nacht durch wie ein Bär. Priska blühte auf wie eine Rose. Wohl war ihr Teint noch immer zart; aber das gesunde Rot, das die Winter- sonn« hervorrief, nistete sich allmählich ein, um nicht mehr zu verschwinden. Schön war Priska jetzt, ganz anders als früher. Ein« Lieblichkeit und Weichheit lagen über ihrer Schönheit und zuweilen eine leise Schwermut, die ihr eine eigene Not« gaben. Ihre Bewegungen waren anmutiger als früher und von einer kindlichen Gelöstheit. Biegsam wie eine Gerte war ihr schlanker Körper; nichts erinnerte mehr an di« klassische Schönheit auf Ulrich Marquardts Bild. Man verehrte und verwöhnte Priska von Wallis im ganzen Sanatorium, um so mehr, als man wußte, daß sie die Braut des berühmten Malers war, von dessen Louvre-Bild man überall sprach. Anfangs März wurde Priska mit einem Mal« un ruhig. Sie wußte selbst nicht, wall plötzlich über st« ge kommen war. Ulrich halt« seltener geschrieben in den letzten Wochen, hatte dringend« und übermäßig« Arbeit vorgefchübt. und es war ihr »oraekommen. «lS »d sei« ZA LZ«« AL—«>- L «Ä -- L Bries« ein wenig zerstreut gewesen wären. Wohl wären «s dieselben Worte gewesen wie früher, aber alles hatte einen anderen Klang gehabt; irgend etwas sprach zwischen den Zeilen, schien ihr. Es war Unsinn, sie redete sich's immer wieder «in. Und doch, da war etwas in ihr, das sich nicht beruhigen ließ. Sie mußte nach Berlin, koste es, was es wolle. Sie konnte nicht länger hierbleiben, nicht warten, bis Ulrich sie holte. Zwar hatte er kürzlich geschrieben, daß er nicht bis Pfingsten warten wolle, daß er schon kurz vor Ostern komme, sie zu holen und sie zu seiner Frau zu machen. Aber sie konnte diese vierzehn Tage nicht mehr warten, sie mußte zu ihm, gleich; es ging nicht anders. Sie war ja kerngesund, braucht« keine Hilfe mehr, kennte ebensogut allein fahren. Und wie schon würde es sein, wenn sie ihn im Atelier überraschte. Wild klopfte ihr das Herz, wenn sie daran dachte. Priska sprach mit dem Arzt, der nichts gegen ihre Abreise einzuwenden hatte. „Sie sind gesund, gnädiges Fräulein. Selbstverständ lich können Sie abreisen. Daß Sie auch in Berlin ver nünftig leben müssen, brauche ich Ihnen nicht erst noch einmal zu sagen. Viel spazierengehen, draußen in Ihrem Grünewald, gut essen, nicht zu viel bummeln. Sie werden sehen, wie gut Ihnen dann die Ehe bekommen wird..." Es war gegen zwei Uhr mittags, als Priska am An halter Bahnhof ankam. Sie nahm eine Taxe und fuhr zum Nollendorfplatz. Ihr Herz klopfte wie rasend, als sie die vier Treppen zu Ulrichs Wohnung hinauflief. Ungestüm kreiste ihr Blut in den Adern. Sie hatte die Schlüssel zur Korridortür, schloß leise auf. Lautlos ging sie durch den Flur, ebenso lautlos öffnete sie die Wohnzimmertür. Gerade wollte sie hinüber gehen zum Atelier, als sie sah, daß die Ateliertür einen Spalt weit offen stand. Wie angewurzelt blieb sie stehen, als sie durch die Türspalte Lolott de Rigo sitzen sah, in einem malerischen Kostüm. Ulrich konnte sie nicht sehen. Es war drüben ganz still. Mit erloschenen Augen sah Priska Lolotts Gesicht und erschrak vor den heißen, hungrigen Augen, mit denen sie den Maler betrachtete. Der Strauß Veilchen, den Priska für Ulrich gekauft und den sie ihm von hinten her unter die Nase halten wollte, war ihren kraftlosen Händen entfallen, ohne daß fie es bemerkt hatte. Jetzt hörte sie jenes sinnverwirrende Lachen, das sie schon das erste Mal erschreckte, als fie diese Frau ge sehen hatte. „Dummer Bub, als ob ich dich jemals vergessen könnte. Ach, Ulrich..." Priska hörte nichts mehr; sie hatte sich zurückgeschlichen zur Korridortür. Ging leise und unhörbar, wie sie ge kommen war. Nur daß sie jetzt ganz, ganz langsam die Treppe hinunterschlich. Gedankenlos lief si«, bis sie vor Kulickes Wohnung stand. Was wollte sie eigentlich da? Aber es war schon zu spät. Mechanisch hatte sie auf den Kltngelknopf gedrückt. „Ach, das ist ja das Fräulein Priska", sagt« Herr Kulick«, der geöffnet hatte. „Ich bin heute ausnahmsweise zu Hause; jedoch meine Frau ist gerade weggegangen, wird ab«r jeden Augenblick wiederkommen." „Es ist gut. Herr Kulicke. Ich will nur für einen Augen blick in mein Zimmer." PriSka stand einen Moment still. WaS wollte st« denn hier? Sie mußte ja gleich wieder fort, weit, weit fort. Nur... Mechanisch zog sie d«n Verlobungsring vom Finger, steckte ihn in einen Briefumschlag, adressiert« ihn an Ulrich Marquardt. Dann ging sie schnell aus der Woh nung, ohne Herrn Kulicke ein Wort zu sagen. Planlos irrt« si« durch di« Straßen. Ein einziger Ge danke hatte Raum in ihrem zerquälten Kopf: Sie mußt« sterben. Es gab keinen anderen Weg mehr für sie. ES war aus, ganz aus. Jetzt hatte sie keine Heimat mehr; keinen Menschen, der zu ihr gehörte. Sterben war das einzige, das ihr geblieben war. Aber war sie nicht schon tot? Dort, wo bisher ihr Herz geklopft hatte, lag ein schwerer, kalter Stein — ein Stein, der sie erdrückte. Lolott war wieder da und halt« sie aus Ulrichs Herzen verdrängt. Ulrich! Hatte sie jetzt nicht laut aufgeschrien? Rein, fie konnte auch nicht mehr schreien; auch dazu hatte sie nicht mehr die Kraft. Alles war tot in ihr, gestorben. Wenn sie nur in Brambach geblieben wäre! Aber nein, es war besser so. Jetzt wußte sie wenigstens, wie sie dran war. Schon die ganze Zeit über hatte sie irgend etwas geahnt, hatte sie gemerkt, daß Ulrich sich von ihr gewandt hatte. Jetzt hatte sie die Gewißheit. Und nicht einmal weinen konnte sie. Sie hatte kein Gefühl mehr; es war, als ob alles Gefühl und alles Leben aus ihrem Körper gewichen wäre. Weshalb nur die Sonne schien? Sie sehnte sich so nach Dunkelheit, nach irgendeinem Winkel, in den sie sich ver kriechen konnte. Sie mußte fort, fort von hier. Ganz gleich, wohin — nur weit fort. Fast ohne Ueberlegung trat sie in einen Stadtbahnhof, löste eine Karte nach Potsdam, stieg sie in den Zug... Ulrich Marquardt malte Lolott de Rigo. Ziemlich widerwillig hatte er die Aufgabe über nommen, aber schließlich: Geschäft war Geschäft. Weshalb hätte er die berühmte Künstlerin nicht malen sollen! Beim Silvesterball hatte er Lolott wiedergesehen. Er hatte aus Berufsgründen den Ball besuchen müssen, hatte auch ein- oder zweimal mit Lolott getanzt, um den anderen kein Schauspiel zu geben. An diesem Abend hatte sie ihn gebeten, sie zu malen. Wenige Tage später hatten die Sitzungen begonnen. Lolott ließ sich in dem ungarischen Kostüm malen, in dem sie gegenwärtig im Metropoltheater auftrat. Ulrich Marquardt wußte, daß er auf seiner Hut sein mußte. Er wußte auch, daß Lolott es sich in den Kopf gesetzt hatte, ihn sich zurückzuerobern. Sie war raffiniert bis in die Fingerspitzen, und es würde nicht leicht sein» ihren Künsten zu widerstehen. Ulrich arbeitete mit angespannten Nerven. Er haßte dies« Frau, die in sein Leben eingreifen wollte; aber «r fürchtete sie auch. Er liebte Priska, liebte sie mehr als sein Leben, und er konnte den Tag kaum erwarten, bis sie endlich sein war, bis sie nie mehr getrennt waren. Er freute sich unendlich auf das, was kommen würd« Immer wieder fuhr er hinaus in den Grünewald, in daS Haus, das er für sich und für Priska gekauft hatte. Es lag an einem der schönen Seen, hell und licht, mit großen Fenstern und Terrassen. Priska sollt« viel Sonne haben, damit sie gesund blieb und nichts mehr wußte von trüben Gedanken. Mit aller Liebe hatte er das Hans eingerichtet, Stück für Stück zusammengetragen. Das Schönste war ihm für s«in Lieb gerade gut genug. Jetzt war alles fertig und wartet« auf di« Herrin. Immer wieder stellt« er sich Priska vor, so wie sie jetzt «uSsah. Ihr Gesicht zeigte nicht mehr die leere Schönheit de» unberührten Jugend wie ehedem. DaS Leid hatte ihr« Züg« verklärt, hatte ihnen etwas Geheimnisvolles gegeben und etwas Verklärtes, daS er immer wieder anstaunen mußte. Wenn ihm früher jemand einmal gesagt hätte, daß «r so fiir eine Frau empfinden könnte! WaS waren da die koketten Bemühungen einer Lolott d« Rigo? Wie schal war das alles und wie leichtfertig! Und doch! Lolott hatte Rasse, und si« verstand «s, den Gin« eines Manner zu berücken. Man mußt« sich vor idr