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sahen. M« Berührung hatte Priska aus ihremlähmenden Entsetzen geweckt. „Sie brauchen sich nicht vor mir -« fürchten, mein Fräulein. Ich tue Ihnen nichts zuleide. Aber Sie find sehr schön, Kind. Und ich wäre glücklich, wenn Sie mein Modell werden würden." Roch lagen sein« Arme leicht um di« Schulter» deL Mädchens. Er fühlte das Zittern, das durch den schmalen Körper ging. „Ziehen Sie sich an, Kind! Dann wollen ivir alles Weitere besprechen." Sanft suhlte sich Priska hinter die Wand geschoben. Wie besinnend strich sie sich über die Stirn. Was war das nur? Was hatte sie getan? Das An- beiden geschah ebenso mechanisch wie das Ausziehen. Dann setzte sie sich auf den Stuhl, der hinter der Wand -and, und begann zu weinen, fassungslos. „Aber Kindchen, wer wird denn weinen!" Schon ergriffen zwei Hände die ihren, zogen PriSka euS ihrem Versteck hervor. Sie fühlte sich in einen tiefen Sessel geschoben, hörte ein leises Lachen und beruhigende Wort«. „Kleines Fräulein, da gibt es doch nichts zu weinen. Var es denn gar so schrecklich, was Sie getan haben?" „Oh, ich schäme mich — so sehr!" „So, also machen Sie jetzt mal die Augen auf und sehen Sie sich das an, dann werden Sie diese Worte nicht wiederholen." Unter Tränen blickte Priska auf und sah das Blatt, das der Maler von ihr gezeichnet halte, sah den Halbakt, ihren Kopf, ihr« Schultern. „Run, Kind, gefällt Ihnen das Bild?" „Ja, aber das bin ich doch nicht — so schön bin ich doch nicht..." „O ja, kleines Fräulein, Sie sind noch viel schöner, zumal jetzt, wo Sie schon ein bißchen freundlicher drein schauen." Hilflos und verlegen fah Priska zu ihm auf. „Also, liebes Fräulein, wollen Sie mir nicht erst einmal Ihren Namen sagen?" „Ich heiße Priska von Wallis." „Wallis — Wallis... Hatten Sie vielleicht «inen Prüder im Felde?" „Rein, ich habe keine Geschwister." „Ich war mit einem Leutnant Gert von Wallis im Felde. Er fiel bei Lüttich." „Tas war mein Vetter." „Oh, gnädiges Fräulein, da freue ich mich doppelt, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. Gert war mein guter Freund." „Oh, daß Sie mich auf diese Weise kennengelernt Haden! Wenn meine Pettern das gesehen hätten, wie hätte ich mich vor ihnen schämen müssen!" „Weshalb schämen, gnädiges Fräulein? Sie irren sich, irren sich vollkommen. Wenn man so schön ist wie Sie, muß man sich seines Körpers freuen, darf au nichts Häß liches denken, nur an den Dienst, den man der Kunst leistet, wenn man ihr diesen Körper schenkt. Ich muß es Ihnen sagen: Ihre Schönheit hat mich begeistert. In meinem Kopf ist gleich rin Bild lebendig geworden, daL ich malen will, malen muß. Ich bitte Sie, sagen Sie ja, werden Sie mein Modell!" „Run, ich bin ja aus diesem Grunde zu Ihnen ge kommen, Herr Marquardt. Ich will ganz offen sein. Rur die Not hat mich zu Ihnen getrieben; nur die Not zwingt mich, Ihr Angebot anzunchmen, alles das zu vergessen, was mir bisher heilig war. Meine Verwandten, wenn sie davon erführen, sie würden mich verachten, würden mich nicht begreifen können..." „Ja, sind Sie denn jemand Rechenschaft schuldig, Fräu lein von Wallis? Sie stehen mir Modell; das ist Ihre eigene Angelegenheit. Wenn Sie nicht wollen, brmnhen Eie mit niemandem darüber zu red««.' „Sie haben recht, Herr Marquardt. EH tz-gte ja auch niemand danach, ob ich verhungerte." „Geht es Ihnen jo schlecht, Fräulein von Wallis?- „Ja, Herr Marquardt. Ich siehe dem Nichts gegenüber, Das bißchen Vermögen, daS ich von meinen Ellern geerbj hatte, wurde von der Inflation aufgezehrt. Von Onkes und Tante, de» einzigen überlebenden Verwandten, hab« ich nichts zu erwarten. Ich mußte mir selbst mein Brot verdienen. Und es ging ganz gut, bis unsere Firma Konkurs machte und ich auf der Straß« lag. Es ist un möglich, jetzt irgend etwas zu finden. Ich muß nehmen, was sich mir bietet. Selbst aus die Gefahr hin, von dieser Tätigkeit herabgezogen zu werden." „Wie kann Kunst herabziehen, Fräukein von Wallis? Ich glaube, Sie dürfen ruhig alle Bedenken fallen lasten. Sie werden sicher froh werden, wenn Sie erst länger mit mir zusammen gearbeitet haben. Also wann darf ich Sie zur ersten Sitzung erwarten?" „Jederzeit — wann es Ihnen paßt, Herr Marquardt.* „Dann, bitte, übermorgen um elf Uhr. Und dann, Fräulein von Wallis, darf ich Ihnen einen Teil de- Honorars im voraus bezahlen?" „Aber ich habe ja noch gar nichts geleistet, Herr Mar« quardt?" „Rein, sie haben mir noch nicht gesessen. Aber ich hab« schon eine Zeichnung von Ihnen gemacht, da können Si« den Vorschuß ruhig nehmen." In seinem Ton lag eine Bestimmtheit, die keinen Widerspruch duldete. PriSka war jäh errötet; dann nahm sie den Zehnmarkschein, ohne etwas zu sagen. „Schreiben Sie mir Ihre Adresse, bitte, auf diesen Block, Fräulein von Wallis. Im Falle ich Ihnen irgend «twas mitzutcilen hätte." Priska schrieb die Adresse auf, dann wandte sie sich zum Gehen. „UudSiewcrdenwiederkommen.Fräulcinvon Wallis?* „Mein Wort darauf, Herr Marquardt." Der Maler küßte Priskas Hand und fah ihr dabei in die Augen. Rasch wnrde ihm die Hand entzogen, Priska schritt zur Tür. Er folgte ihr. „Auf Wiedersehen übermorgen, gnädiges Fräulein." „Ans Wiedersehen, Herr Marquardt." Tann stieg sie die Treppen hinnntcr, ging aus dem Hause. Ohne zu überlegen, gedankenlos schritt sie weiter. Sie fühlte nichts, hörte nichts, sah nichts, wußte kanm, daß sie sich auf der Straße befand. Ein einziger Gedanke beherrschte sic: Ein fremder Mann hatte sie gesehen, ganz nackt. Es war unbegreiflich, daß sich die Erde nicht geöffnet, sie nicht verschlungen hatte. Unfaßlich, daß sie sich hatte dazu entschließen können. Endlich raffte sie sich auf, ging nach Hause. Sie war todmüde, als sie endlich in ihrem Zimmer stand. Sie legte Mantel und Hut ab, dann fiel sie wie leblos auf das Sofa und blieb dort sitzen, lange und regungslos. Grübelte vor sich hin, ob sie wieder zu dem Maler gehen, ob sie diese Tortur auk ücb nehmen sollte. . ES ktopsie. Frau Helueman» trat ins Zimmer. „Run, Fräulein von Wallis, hat es geklappt heute?" „Was meinen Sie, Frau Heinemann?" „Run, Sie sagten doch gestern «twas von einer anq gebotenen Stellung." „Ich weiß noch nicht..." „Oh, das ist aber schade, Fräulein von Wallis. Sehrs schlimm ist das. Ich weiß ja, wer Sie find, sonst — sonst müßte ich mich nach einem anderen Mieter umseLen, s» leid mir das tun würde. Aber haben Sie keine Sorges ich will noch eine Zeitlang Zusehen, weil Ti« es sind. Rur» heute war jemand da, der wollte gern dieses Zimmer hier haben. Vielleicht, daß Sie sich einstweilen mit dem Hinterzimmer begnügen würden, Fräulein von Wallis?* Priska saß wie erstarrt. Es war das erste Mal, daß Frau Heinemann so zu ihr sprach. Was sollt« daraus werden? Jetzt wußte sie, daß es keine Ueberlegung mehr für sie gab: Sie mußte die Stellung bei Marquardt an nehmen, sie batte keine Wahl. Sie mußte Geld verdiene«, auf welche Weise es auch ging. „Es ist nett von Ihnen, Fra,^ H^iizkMyn, daß tzjt mich behalten wollen. Und ich hoffe, meine Schulden bet Ihnen bald erledigen zu können. Es ist doch wahrschein lich, daß ich Arbeit bekomme. Allerdings erst von über morgen an. Vielleicht können Cie sich noch so lange ge dulden, Frau Hetuemann." „Aber das ist doch selbstverständlich, Fräulein von Wallis. Ich freue mich, daß Sie etwas gefunden haben. Aber glauben Sie mir, ich hätte Sie mich so nicht gehen lassen. Man weiß doch, wen man im Hanse hat. Aber es ist «in Glück, daß Si« etwas gefunden haben, heutzutage." „Ja — Glück", sagie Priska, und «an sah ihr an, daß fie mit ihren Gedanken ganz woanders weilte. Frau Heinemann streift« fragend daS Gesicht ihrer Mieterin. Sie wußte, daß jetzt nichts mehr aus ihr heraus- zubringe« war. Fräulein von Wallis war immer ziemlich zugeknöpft; aber wenn fie ihre verschlossene Miene auf- setzte, dann war noch weniger mit ihr anzufange». Nm übernächste« Tag«, Punkt elf Uhr, stand Priska wieder vor dem Atelier Marqiurrdts. Auch diesmal öffnet« ihr der Maler selbst. Aber er benahm sich heute garrz geschäftlich; seine liebenswürdige Verbindlichkeit ließ er gänzlich beiseite. Mit einer kurzen Gebärde wies er auf die spanische Wand. Priskas Herz klopfte kaum weniger als das letzte Mal, während sie sich entkleidete. Si« hatte eine ungeheure Angst, während «in Stück nach dem anderen von ihrem Körper glitt. Inmitten des Ateliers stand ei« Sockel, auf de« sich Priska stellen mußte. Der Maler probierte alle möglichen Posen aus. Hi» und wieder stellte er sich selbst auf den Sockel, Priska eine Pose vormachend. Endlich hatte er die Stellung gesunden, die ihm zusagte. Ulrich Marquardt war zufrieden, begann sofort mit seiner Arbeit. Auf der gespannten Leinwand erstand der Grundriß, auf einem Stückchen Papier eine schnelle Skizze. Es kostete Priska unendliche Anstrengung, die un gewohnte Stellung auszuhalten, um so mehr, als sie di« Arme in die Höhe strecken mußte. Endlich sah der Maler die Ermattung seines Modells. „Ruhen Sic sich ein wenig aus, Fräulein von Waüts. Ich kann mir denken, daß Sie müde sind; Sie sind das Modellstchen ja nicht gewöhnt. Hier, bitte — es ist «in wenig kühl hier —, vielleicht legen Sie das Tuch um." Ter Maler sagte es kühl und knapp, ohne Priska weiter anznschcn. Zwischen seinen Lippen hing eine Zigarette. Er arbeitete eifrig an einer Bleistiftskizze. Er nahm während der ganzen Panse keine Notiz von Priska, die in einem Sessel saß und ihre Augen fchen ninhersircifen ließ. Ucbcrall an den Wänden, wohin man sah, nichts als Skizzen, Pastellmalereien, Oelgemäld«. Aus allen sprach eine kühne Phantasie, ein überaus reicher Jdeenschatz. Aktteile, Arme, Beine, dazwischen ein lachendes oder ein finster blickendes Mädchengesicht. Frauen in allen möglichen Landestrachten, ab und zu eine Dame in eleganter, moderner Kleidung. Weiß, hell und freundlich war der gmrze Raum. In einer Ecke befand sich unter dem schrägen Glasdach ein großer Zeichentisch. Eine Tür führte in ein Nebengemach, die zweite Tür in den Korridor. Eine andere Ecke war wohnlicher ausgestattet; dort stand ein Ruhebett mit einem wunderschönen orientalischen Ueberhaug, davor lag ein prächtiger Gcbetteppich; ein kleiner runder Tisch mit einer seidenen Decke und ein bequemer Ohrensessel vervollständigten die gemütliche Eck«. Ueber dem ganzen Raum lag — Priska wußte nicht ein mal, wieso man das sah — das Odium der Wohlhabenheit. Und dann sah sie de« Man» selbst, der jetzt vor seiner Staffelei stand; er stand im Profil zu ihr, sie konnte ihn genau beobachten. Er war ein schöner, großer, schlanker Mensch, kräftig und gesund, etwa einen halbe« Kopf größer als sie selber. Unter seinem Malerkittel trug er einen eleganten, Hellen Anzug. Ter dunkle, marstutte SavL dab Och scharf von dem Hellen Kittel ab. Sr trug das Haar glatt um den Kopf gelegt, »ach hiulcn gestrichen. Eine scharf vorspringende Rase, ein energisches Kinn und ein weich geschwungener, schöner Mund, der beim Lachen zwei Reihen tadelloser weißer Zähne sehe» ließ — das alles gab ein überaus harmonisches Bild. Seine ganze Erscheinung erinnerte an jene Röurer, denen man zur Zeit der römischen Kaiser den Titeh Arbiter eieL-rntiLeium gab und die in allen Dingen der Kultur und des Geschmacks tonangebend waren. Datk ganze Aeußcre und das Wesen dieses Mannes waren an genehm und gewinnend. Priska wnrde durch die Stimme des Malers aus Gedanken aerillenr . itc>mack-en, wenn es Ihnen recht ist, Fräulein von Wallis." Wik eine ertappte Sünderin fuhr Priska in die Höh«. Schnell stand sie auf und begab sich hinüber, an ihren Platz. „Ein Nein wenig höher den Arm, bitte. Den Ober körper ein wenig mehr nach vorn beugen. So ist eS recht. Bald werden Sie sich die richtige Stellung ein-eprä-t Haden." Ein leichter Seufzer entfloh PriökaS Lippen» „Ist es so schwer?" „Rein, »s wird schon gehen." Ein leichtes Lächeln lag um den Mund dcS Mastrk Dann arbeitete er still weiter. Nach zwei Stunden hört« er auf, Priska durste g«hen. Der erste Tag ihrer Sitzung war vorüber. Als fie aus dem Hause trat, atmete sie erleichtert »u^ Eigentlich war es gar nicht so schlimm gewesen. D«r Maler war «i» netter Mensch; er machte ihr alles so leicht, was si« als f» unmöglich angesehen hatte. DaS Bei sammensein mit ihm fiel ihr gar nicht schwer. Und wie angenehm das war, daß er ihr heute gleich hundert Mark gegeben hatte. Zuerst war fie «rfchrocke» gewesen über^die groß« Summe. So lange brauche fi« doch wohl gar nicht zu kommen, daß fi« dies« gan-q Summ« verdiene, hatte p« gemeint. Lächelnd hatte er ihr geantwortet: ; „Kleines Mädel, was wisst« Sie, wie ka«g« et« Mal«» stin Modell braucht? Hter, das Geld wird genommen, ohne Widerrede. Und auf Wiedersehen morgen." Und jetzt war fie so froh. Run konnte fi« mit «tnent Male fast ave ihre Schulden koSwcrden. Jetzt konnte fitz wieder freudiger in dst Zukunft schauen. > ! >> t! i * * . Drei Wochen ging fi« mm schon ins Atelier, und trotz dem überfiel fie immer wieder das dumme Herzklopfen, wenn st« an der Tür täutete. Genau wie am ersten Lag«. Heut« war es sehr kalt draußen. Die letzten Oktober tage waren «och ganz lau und angenehm gewesen; auf einmal war ein Lenrperaturumschlag gekommen. Peit schend fuhr ein kalter Wind durch die Straßen. Im Atelier war tüchtig geheizt. „Sine schöne Kälte bringen Sie mit, Fräulein PriSka. Sie werden ganz durchfroren sein, denke ich." „Ja, Herr Marquardt, es ist schrecklich kalt draußen. Aber hier ist es herrlich." „Na, ich werde Sie doch nicht frieren lassen, lvenn Sie so »hnr Kleider dastehen müssen, Fräulein PriSka." Marquardt hatte sich nichts bei diesen Worten gedachr. Ader Priska konnte es nicht verhindern, daß ihr heiße Röt« ms Gesicht schoß, als er diesen immer noch Wunden Punkt berührte. Dann trat si« ivortloS hinter die spanisch« Wand, kkidete sich aus mrd kam hervor, i« daS große seidene Tuch etngehüllt, das fie immer trug, wenn sie nicht auf dem Podium stand. „Kommen Sie erst einmal her, Fräulein Priska. Setzen Sie sich -« mir, wir wollen uns ein Wenig stärken. Ich selbst bin «och ganz durchfroren, bin auch eben erst aus der Stadt zurückgekommen. Ich habe für uns beide be legt« Brötchen machen lassen. Und das Glas Portwein Wird St« ein wenig nach der unaewohnt-n winterlichen «Ut« bete»-« *