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Als nach einer Stunde der Arzt kam, fand er Rechts anwalt Weltner sehr erschöpft vor. Ina, die den Arzt begleitet hatte, sagte mit leise« Borwürfen: »Ich mutz mich über unseren Patienten beklagen, Herr Doktor. Trotz Ihrer Anordnung, sich ein paar Tage etwas Ruhe zu gönnen, arbeitet er fast wie ein Gesunder. Gestern abend harte er die Sekretärin zum Diktat, und heute früh zeitig wurde schon Herr Lange herbestellt.' .Das geht auf keinen Fall!' erklärte der Hausarzt «nergisch. .Wenn Sie so weitermachen, lieber Weltner, wird sich Ihre völlige Genesung länger als nötig in die Länge ziehen.' Bei diesen Worten fühlte er den Puls des Patienten: »Das Herz ist außerordentlich nervös und übermüdet. Ich werde Sie noch einmal gründlich untersuchen. Aber fetzt schon kann ich Ihnen sagen, daß diese anstrengenden Diktate im Augenblick viel zu viel sind. Das müssen Sie «irischen.' Weltner nickte: ^Za, ich sehe es ein.' Um nichts auf der Welt hätte er verraten mögen, daß «S jenes Erlebnis der heurigen Nacht war, das ihn so rief getroffen hatte. * * Am Vormittag fuhr Ina Hartwig wieder unter dem Borwand, den kleinen Ralph von der Schule abholen zu wollen, eilig in die Stadt, um sich in dem gleichen Kaffee haus, wie vor einiger Zeit, mit ihrem Vetter Fritz von Dubian und Gühring zu treffen. Sie fand die beiden Herren schon wartend vor. .Alles geht gut, gnädige Frau', sagte Gühring mit einem langen Handkuß. .Wir haben alles in Händen, was wir brauchen. Ich habe heute früh schon mit Dubian das ganze Material durchgesehen Jetzt handelt es sich nur noch darum, die entscheidenden Zeugen zu bearbeiten, die sich allerdings nicht hier aushalten. Aber bis zur Verhand lung werden wir sie schon herumgekriegt haben.' Fritz von Dubian sah verwundert in das Gesicht Inas, das sorgenvoll und bedrückt blieb. ,Ra, was hast du denn, Ina? Alles ist doch gut. Hast deine Sache sehr brav gemacht, das heißt', fügte er groß sprecherisch hinzu, »gemacht habe ich es eigentlich. Donner wetter, der Augenblick, als die Wirkung des Schlafmittels nachlieb, und die Bernheim auszuwachcn drohte — der Augenblick, in dem der gute Weltner wie ein Nacht gespenst in der Tür erschien — da ist mir doch das Herz fiehengeblieben. Aber es gibt nur einen Lebensgrund satz: Sich nicht verblüffen lassen! Und damit habe ich es! auck> aeschokst Aber als ich dann glücklich aus dem Hause war, haben mir tatsächlich die Knie gezittert. Doch es ist ja nun vorbei. Wenn Weltner Lunte gerochen hätte, wäre ja schon längst eine Explosion erfolgt. Also seien wir ver gnügt und feiern heute abend ein kleines Fest. Wie wäre es, Gühring? Ich habe schon lange keinen französischen Sekt getrunken.' Gühring lachte: „Darauf soll es mir nicht ankommcn, wenn die gnädige Frau mit von der Partie ist.' .Wo denkst du hin, Fritz? Wie kann ich denn jetzt abends ausgehen, solange Weltner krank ist? Was für einen Eindruck würde das machen? Damit könnte ich mir alles verderben. Wir müssen schon warten, bis alles in Ordnung ist.' .Schade, Ina! Man muß die Feste feiern, wie sie fallen. — Aber ich füge mich natürlich deinem Wunsche.' Gühring entnahm seiner Brieftasche einen aus geschriebenen Scheck. »Eine kleine Vorschußzahlung, gnädige Frau, damit Sie mehr Freude an dem Geschäft haben. Vielleicht können wir wieder einmal etwas zusammen machen.' Er legte einen Scheck vor Ina hin, der auf 10 000 Mark lautete. „Sie können das Geld heute schon abheben. Den rr ---KT 8 § 8 c-rr >«sr anderen Teil der vereinbarten Summe erhalten Sie, so wie der Prozeß erledigt ist.' Ina nahm mit einem leisen Dank das Papier ent gegen. Merkwürdig, wenn man ihr vor acht Tagen gesagt hätte, daß sie unvermutet in den Besitz einer solchen Summe gelangen würde, sie wäre vor Freude außer sich gewesen, denn der Gedanke an alle die unerledigten Rech« nungen und Mahnungen lag wie ein Alpdruck auf ihr. Heute aber vermochte sie sich über diese Rettungssumme nicht zu freuen. Es war alles zu glatt gegangen; sie konnte ein Gefühl der Angst nicht unterdrücken. Alles fügte sich ihren Wünschen zu gut. Auch die Rivalin, diese un angenehme Edith Bernheim, war ausgeschaltet. Es war, als ob das Schicksal ihr selbst alle Trümpfe in die Hand geben würde. Und dennoch, die richtige Freude wollte nicht über sie kommen. Nach kurzer Zeit trennte sie sich von den beiden Männern und wartete alsbald vor der Schule auf Ralph, Er kam, blaß und gedrückt, und ging auf keine Neckerei der Kameraden ein, obgleich wieder gerade eine wilde Schlacht im Gange war. Sonst hätte er sich sofort mitten hinein gestürzt. Aber jetzt lag die Furcht, unartig zu sein und dadurch ein schreckliches Schicksal über den Vater und sich heraufzubeschwören, zentnerschwer auf der kleinen Seele. Während er sich sonst immer versteckt hielt, wenn er abgeholt wurde, ging er jetzt schnurstracks auf Ina zu uns ließ sich artig an der Hand nach Hause führen. Er wagte kein Wort zu fragen, wie es dem Vater ginge, denn er fürchtete immer, etwas Schreckliches zu hören. So trottete er schweigend neben Ina Hartwig her. Die beobachtete ihn verstohlen von der Seite, und etwas wie abergläubische Furcht kam über sie, angesichts des so gänzlich veränderten Kindes. Auch hier war ihr alles über Erwarten gelungen. Weliner würde staunen über Ralphs verändertes Wesen und seine unbedingte Fügsamkeit ihr gegenüber. Er würde nicht mehr daran zweifeln, daß sie es mindestens so gut verstand, mit dem Jungen umzugehen, wie Edith Bernheim. Siebenundzwanzigstes Kapitel. Vierzehn Tage waren ins Land gegangen. Rechts anwalt Weltner war von seinem Krankenlager ausgcstan- den. Aber er hatte sich noch nicht recht erholt. Immer noch sah er bleich und erschöpft aus. Ein heftiger Husten war zurückgeblic-ben, der ihm des Nachts den Schlaf raubte,§ und immer noch fühlte er sich des Abends von Fieber« schauern gequält. . Aber mit eiserner Energie hielt er sich aufrecht. Er! mußte die Endarbeiten für den großen Prozeß erledigen.' Vorher konnte er sich keine Ruhe gönnen. Als er das erste Mal wieder ins Büro kam und Ediths Platz verwaist sah, ging ein schneidender Schmerz durch! seine Seele. Jetzt erst sah er, was er verloren. Mit aller! Gewalt raffte er sich zusammen. Er wollte nicht mehr an Frau Bernheim denken. Aber er konnte es nicht verhindern, daß seine Gedanken in jeder freien Minute ihr Bild heraufbcschworcn. Immer sah er sie vor sich mit dem süßen, blassen Gesichtchen, den bangen Augen, dem leidgezeichneten, mädchenhaften Munde. Es wollte ihn wie eine leise Neue überkommen/ daß er sie fortgeschickt, ohne den Mut gefunden zu haben) ihr selbst den Grund der Kündigung mitzuteilen. Vielleicht hätte sie doch ein Wort der Aufklärung ge-! funden, das ihr Verhalten in einem milden Licht hätte er scheinen lassen? Manchmal kam ihm der Gedanke, ob er! sie nicht nur dann vergessen würde, wenn er an eine neuö^ Heirat dächte? Für ihn selbst gab es ja kein Glück mehr nach der schweren Enttäuschung, die er an Edith Bernheini erlebte. Doch er durfte nicht nur an sich, er mußte auch an Ralph, feinen Sohn, denken. Wie blaß und verstört war- vas Kino dem Vater zum ersten Make nach Wellners Krankheit entgegengekommen. Weltner schob es darauf, das Ralph sich nach seiner Tante Edith bangte. Er hatte Ina gebeten, dem kleinen Ralph gegenüber einen Grund für das Fernbleiben Edith Bernheims zu finden. Er ahnte nicht, daß Ina dem kleinen Ralph jede Frage nach Edith Bernheims Fernbleiben verboten hatte. Und Ralph, der seit Inas Drohungen eine panische Furcht hatte, gegen irgendein Gebot zu verstoßen, hatte auch nicht ge- iraar Als Weltner selbst eines Taac^ »» llu .Nun, mein kleiner Kerl — nicht wahr, du vermißt die Tante Edith nicht mehr, denn du hast wohl Tante Ina fetzt auch sehr lieb gewonnen?', da hatte Ralph nur leise genickt. Er hatte den Par« dabei nicht angesehen. Niemand wußte ja, was der kleine Ralph in diesen Wochen durchmachte. Die Angst, die Ina ihm eingeflößt, die Sehnsucht nach Edith Bernheim und die unverständ liche Unterredung, die er in jener Nacht zwischen Fritz von Dubian und Ina Hartwig mit «»gehört — alles ver dichtete sich zu einer Last, die für das Gemüt eines kleinen einsamen Jungen zu schwer war. > Blaß und mager war er in diesen Wochen geworden. Sein Schlaf war von schweren Träumen gequält, und immer war in ihm die Angst vor irgend etwas Schreck lichem. Wenn er seinen Vater erschöpft Heimkommen sah, den Husten hörte, der die hohe Gestalt erschütterte, dann zuckte er jedesmal angstvoll zusammen. Vielleicht war er noch nicht artig genug, daß der Vati immer noch nicht ge sund war? Vielleicht drohte das Furchtbare, das Tante Ina ihm'prophezeit, doch noch? Rechtsanwalt Weltner verstand das veränderte Wesen seines kleinen Lieblings falsch. Er glaubte, daß es die Sehnsucht nach einer Mutter wäre, die den kleinen Sohn vor der Zeit ernst und traurig gemacht. Und immer mehr erwog er den Gedanken, ob nicht um Ralphs willen die Lücke im Hause ausgefüllt werden müßte, die seit dem Tode Marias bestand. Ina Hartwig merkte sehr Wohl, daß Weltner oft forschende Blicke von ihr zu Ralph gehen ließ, daß er sich immer häufiger nach Ralphs Verhältnis zu ihr erkundigte. Sie verstand es geschickt, in Wellners Gegenwart Ralph gegenüber einen liebevollen und innigen Ton anzu schlagen. Ralph hatte sich früher gegen jede Zärtlichkeit Inas mir wildem Trotz gewehrt. Er hatte mit seinem feinen Kindsinstinkt sehr wohl gefühlt, daß diese Zärtlichkeit nicht ! von Herzen kam, sondern Wohl berechnet war. Jetzt aber wagte er auch diesen Widerstand nicht mehr. So konnte es denn scheinen, daß zwischen ihm und Ina das denkbar beste Einvernehmen herrschte. Auch um das Behagen Wellners bemühte sich Ina immer mehr. Sie schien keinen anderen Gedanken mehr zu kennen, als für ihn zu sorgen. Sie war frühmorgens schon vor ihm am Kaffeetisch. Es war ein anmutiges Bild, wenn er sie gepflegt, rosig, mit der stolzen, schönen Gestalt und dem gemmenhaft geschnittenen Kopf am zierlich ge deckten Tisch seiner wartend sah. Sie legte ihm vor und ruhte nicht, bis er trotz seiner Appetitlosigkeit gegessen hatte. Sie wußte immer etwas zu erzählen, was ihn aus seinen trüben Gedanken befreite, und wenn sie ihm dann Ralph brachte, den Kleinen mit zärtlicher Gebärde umfaßt haltend, so verdichtete sich in ihm der Gedanke immer mehr, daß er Ina als seine Frau erwählen könnte. Oft traf ihn ihr Blick in scheuer Frage, aber niemals hatte sie mit irgendeinem Wort auf jenen Abend angespielt, an dem sie noch tief in der Verwirrung des Schlafes ihm die Sehnsucht ihres Herzens verraten hatte. Sie mußte ebenso stolz wie tapfer sein, daß sie so schweigend ihre Liebe unterdrücken konnte. Robert Weltner wäre kein Mann gewesen, wenn ihn diese Liebe nicht dennoch mit einer gewissen Befriedigung erfüllt hätte. Er hatte ja immer die bewundernden Blicke bemerkt, die ihr gefolgt waren, wenn er sich mit Ina i» der Oeffentlichkeit gezeigt hatte. Bei den Festlichkeiten in seinem Haufe, zu denen ihr» seine Stellung verpflichtete, hatte es Ina an Bewunde rung niemals gefehlt. Zum ersten Male dachte er daran,! daß Ina eines Tages ein neues Glück au der Seite eine»! anderen Mannes finden könnte. Zu gönnen wäre eS 1h» ja, nach den schweren Enttäuschungen ihrer ersten Ehe, di« sie ihm einmal kurz angedeutet hatte. Wenn sie aber einem anderen Ranne ihr Jawort geben, würde, dann wär« sein HauS wieder ganz verwaist,, würde er seinen Neinen Sohn wieder unbekannten Erziehe»! rinnen ausliefern müssen. Das durfte auf keinen Fall ge schehen. Eines Abends saß er nach dem Abendbrot «och ei«err Augenblick bet einer Zigarette mit Ina zusammen. Sie saß, mit einer feinen Handarbeit beschäftigt, unter der Stehlampe, die ihr mildes Licht auf ihren schöne« Frauen kopf warf. Weltner ließ seinen Blick von ihrem glänzenden Haar hinuntergleiten auf die ebenmäßige Gestalt, die sich in einem dunkelblauen, knappen Tuchkleid aufs vorteilhafteste präsentierte. Wirklich, Ina war eine schöne Frau. ES war, als würde sie mit jedem Tag« jünger und mi- mutiger. - . l Weltner legte seine Zeitung hin und sagte plötzlich in das Schweigen: „Sag' einmal, Ina, hast du nie daran gedacht, dich wieder zu verheiraten? Eine Frau, jung und schön wie du — da kann es dir doch an Bewerbern niemals gefehlt haben.' Ina Hartwig beugte den schönen Kopf tiefer auf ihre Stickerei. Ihre Hände schienen leicht zu zittern, und ihr Atem ging rascher. Aber sie antwortete nicht. Weltner sah, welche Erregung durch die schöne Frau bebte. .Willst du mir nicht antworten, Ina?' fragte er sanft und gütig. Ein tiefes Erzittern ging durch Inas Körper. »Quäle mich doch nicht!' kam es dann wie ein Hauch von ihren Lippen. .Quäle ich dich denn, Ina?' fragte er sanft zurück. Da schlug sie die Hände vors Gesicht, als wollte sie Tränen verbergen. Weltner stand auf und trat sanft' neben sie. p-ik" -r ihr übers Haar. .Habe ich dich neulich recht verstanden, Ina, als du i« der halben Verwirrung ves Traumes deine Arme um mich legtest? Würdest du dich entschließen können, meinem Kinde und mir zu ersetzen, was ich verloren habe?' Da ergriff Ina Robert Wellners Hand, sah mit tränen schimmernden Augen zu ihm auf und flüsterte: .Alles würde ich für dich tun, Robert, denn ich liebe dich.' Ein Gefühl, fast wie Scham, kam aus Robert Well ners Herzen empor. Da war nun eine Frau, schön, blühend, die schweigend und entsagend eine tiefe Liebe zu ihm im Herzen getragen. Und er konnte diese Liebe nicht er widern, denn sein Herz hing an jener anderen, die ihn so bitter enttäuscht hatte. Was er Ina zu geben hatte, es war im besten Falle Dankbarkeit, Güte und Kameradschaft. Aber nicht dieses leidenschaftliche tiefe Gefühl, das Ina für ihn hegte. Um so mehr mußte es sein Bestreben sein, sie glücklich und zu frieden zu machen. Leise zog er die schöne Frau empor und küßte di« Weiße stolze Stirn. »Ich danke dir, Ina', sagte er bewegt. »Möge dein Entschluß, mir dein Jawort zu geben, für dich und uns alle zum Glück führen.' Ina schloß die Augen wie in tiefer Erschütterung des Glückes. Aber um ihren Mund lag ein Zug des kalten und befriedigten Triumphes. Achtundzwanzigstes Kapitel. Edith Bernheim hatte seit ihrer Kündigung qualvolle Tage erlebt. Bleich, mit tiefen Schatten um die Auge»,