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»Ich bin des Kampfes müde. Und hier drüben kommt man genau so wenig vorwärts, wenn man kein Gtück hat, wie daheim. Ich wollte dir gewiß treu sein, Sibylle, doch es ist so schwer, auch weiter arm bleiben zu wollen, wenn einem endlich das Glück die Hand reicht. Die einzige Tochter meines Chefs liebt mich seit langem. Und nun — vergib mir, Sibylle, du weißt ja nicht, was ich alles durch machen mußte. Gib mir mein Wort zurück.* Diese Zeilen, indirekt zu einem Satz vereint: Gib mich frei! Sibylle weinte nicht. Peinlich und genau faltete sie dieses erste Lebenszeichen oon Friedrich Keller zusammen. Dann verwahrte sie es bei den Briefen, die sie früher von ihm empfangen hatte, als er noch in Deutschland war, als er sehr oft nach Mah low kam und doch schon in den nächsten Tagen von toller Sehnsucht schrieb. Vorbeil Tot! Wozu über etwas klagen, das sowieso schon längst nicht «ehr zu ändern war?! Still verrichtete Sibylle ihre Arbeit. Daß sie blaß und still war, fiel in dem Vorbereitungstrubel zur Hochzeit Edelgards niemandem auf. — Oder doch? Die Mutter sah es! Aber sie dachte, daß Sibylle sich nun doppelt verlassen fühlte, weil die Schwester jetzt so glücklich war. Wenn doch Friedrich Keller endlich etwas von sich hören lassen wollte! Die Mutter ahnte ja nicht, daß die Entscheidung über Sibylles Glück bereits gefasten war. Sibylle wollte es ven Eltern erst dann sagen, wenn Edelgard mit ihrem Manne avgereist war. Das junge Mädchen wußte es schon jetzt, daß sie nie- «nals wieder einem Manne vertrauen würde! In ihrer Brust war alles tot! Der Brief an Friedrich Keller war abgeschickt worden. Er war frei! Niemals hätte die weichherzige, schöne Sibylle Mahlow -aran gedacht, sich auf ein Recht berufen zu wollen, wenn der Mann, den sie geliebt hatte, von ihr seine Freiheit verlangte. ... Und dann kam John Kornes zurück von seiner Rhein- iandreise. Er brachte gleich wieder einen Strom von Fröh lichkeit und Frische in das alte Gutshaus. Und eigentlich war er doch ein ernster, reifer Mann. Aber es ging eben von ihm etwas unsagbar Wohl tuendes aus. Und das teilte sich allen Familienmitgliedern sofort mit. Die behagliche Stimmung war da, wo John Korne war! Voll tiefen Glücks fühlte es auch Edelgard. Und sie liebte den Verlobten täglich mehr. Ihm strahlte das Glück auch nur so aus seinen dunklen Augen. Ein wundervoller Herbsttag! Die früchtetragende Pracht eines gesegneten Jahres! Voll Sonne und Licht und Frieden! Edelgards Hochzeitstag! Und sie wußten es alle: So, wie dieser heutige Tag, voll Sonne, Licht und Frieden, würde Edelgards Leben sein, solange John Kornes Liebe sie umgab! Die Glocken läuteten in feierlichem Dreiklang. Die kleine Dorfkirche von Dorf Mahlow war von Neugierigen überfüllt. Alle wollten sie doch noch einmal das Fräulein sehen. Und den Bräutigam mußte man auch kennenlernen. Aber man war hochbefriedigt. „Ein schönes Paar*, stellte Frau Lina Fromholz fest. Und was die sagte, stimmte immer. Horst Mahlow hatte nun auch am Ehrentage seiner „-7rr ist vor die Hunde*, meinte der Dorfschulze zu feinen Freunden. Die nickten. Natürlich war er vor die Hunde, denn sonst wäre er Wenigstens am Hochzeitstage hier gewesen. „So ein hübscher, rassiger Kerl. Na, er tut mir leid!* Bauer Friedel sagte das ein bißchen wehmütig. „Leid hat der schöne Kerl uns allen getan. Aber schließ lich hätte er nicht so leichtsinnig sein sollen*, meinte der Mühlenbejitzer Schönlein. Das tiefsinnige Gespräch ging in derselben Tonart weiter * . * Inzwischen saß man in Mahlow im schönen, alten Speisezimmer. In allerengstem Familienkreise wurde die kleine, schöne Feis'r abgehalten. In der Nacht reisten die Neuvermählten dann ab. Es gab Tränen, viele gute Wünsche und herzliche Um armungen. Blaß und schön stand Edelgard vor ihrer Mutter. „Weine doch nicht, Mütterchen, ich reise ia ins Glück!* sagte sie schlicht. Da küßte die Mutter ihr schönes Kind. Dorette flüsterte: „Grüße Horst recht herzlich und sage ihm, daß ich Mich auf seine Heimkehr freue!* „Ich will es ihm ausrichten, Kleine.* Und nun<waren sie fort. Im Gutshause verlöschte ein Licht nach dem anderen. Dorette lehnte am Fenster in ihrem Zimmer und sah W die Nacht hinaus. „Horst, lieber Horst!* sagte sie leise vor sich hin. Herr Mahlow fühlte sich jung und rüstig wie noch nie. Das frohe Bewußtsein, wieder in guten Verhältnissen leben zu können, ließ ihn unermüdlich schaffen. Und seine Frau freute sich, weil er wieder froh sein konnte. Eine Woche nach der anderen verging. Von den Neuvermählten trafen Briefe ein, die jedes mal etwas mit von dem großen Glück herüberwehten, das in der jungen Ehe herrschte. Kalt strich der Wind bereits über die Stoppelfelder. Scharen von Vögeln zogen gen Süden. Manchmal waren die Tage noch sonnig; doch es wurde fühlbar Spät herbst. Dämmerstunde» Fritz kam jetzt immer erst spät heim. Er tat geheimnis voll. Am Schulhimmel schien für ihn ein guter Stern auf zusteigen. Daneben leugnete er nicht, daß er mit seiner Tanzstundendame und deren älterer Schwester zuweilen ein Kino besuchte. Schwager John Korne hatte sich zu einem fürstlichen Taschengeld verpflichtet. Nun konnte man sich ab und zu solche Extravaganzen leisten. Dorette streifte viel allein umher. Merkwürdigerweift besuchte sie jetzt sehr selten ihre vielen Freundinnen. Und diese kamen auch nicht mehr so oft wie früher nach Mah low. Frau Mahlow dachte lächelnd: Liebt Dorette auch bereits? Dieser völlig neue, fast feindliche Zustand ist doch rätselhaft? Das Kind wird doch nicht vor seinem achtzehnten Geburtstage noch irgendeine Ueberraschung liefern? Die Situation würde doch dadurch nur unnütz verwickelt, denn vor ihrem achtzehnten Ge burtstage darf sie es doch nun einmal nicht erfahren. Wie sie es nur aufnehmen wird, die kleine Dorette? Und nun war sie auch zur Dämmerstunde nicht da. Irgendwo draußen mochte sie sich amüsieren. Vielleicht war sie auch mit Erich, dem Kleinknecht, und Marie, der Magd, aufs Feld gefahren. Es wurden jetzt noch die Wasserrüben hereiqgeholt. Und bei solchen Arbeiten war Dorette gern dabei. Sie kutschierte dann. MSalich war es auL Laß üe in einem-der weftkrs. weißen Kleider, die ihr Frau Ahnert zurecht zauberte, sich in die Ecke des Hellen, geblümten Sofas gekuschelt batte und träumte. Sibylle saß bei den Eltern. Sie konnten sich einander längst nicht mehr sehen. Sie sprachen miteinander von diesem und jenem. Herrn Mahlow war in den letzten Wochen das Aus sehen Sibylles auch ausgefallen. Er schob es aber ihrer Sehnsucht nach Friedrich Keller zu. Auch jetzt, während das Gespräch nach und nach ins Stocken gekommen war, dachte er daran. Und aus diesen Gedanken herausvsagte err „Es ist eigentlich nicht recht von Friedrich Keller, daß er dir nicht einmal schreibt, Sibylle. John hätte sicher viel für ihn tun können. Ich war ja vollständig überrascht, als mir mein Schwiegersohn seine geradezu märchenhafte Ver mögenslage klarlegte. Einmal sprach ich mit ihm von deinem Verlobten, und Korne bedauerte es aufrichtig, daß er nichts für ihn tun konnte. Mädel, Mädel, du vertrauerst hier ein Jahr nach dem anderen, vertrauerst deine besten, schönsten Jugendjahre! Weshalb schreibt er dir denn nur nicht?* Eine klare, leiddurchtränkte Mädchenstimme klang aus dem Dunkel heraus: „Oh, Vater, darum sorge dich nicht! Friedrich Keller weiß, was er will. Er hat mich einige Tage vor Edel gards Hochzeit um seine Freiheit gebeten. Er will sich mit der Tochter seines Chefs verheiraten. Wir dürfen ihm nicht böse sein. Er konnte ja nicht ahnen, daß John Korne inzwischen zu uns gehörte.* „Sibylle, meine arme, liebe Sibylle!* Die Mutter hatte es gesagt, und im Dunkeln tastete sie sich zu der Tochter hin. Herr Mahlow schwieg noch immer. Man hörte nur seine keuchenden Atemzüge. Dann fiel polternd ein Stuhl um. Herr Mahlow war aufgestanden. Seine Hand tastete nach dem Schalter. Das Licht flammte auf. „Sibylle, Friedrich Keller ist ein Lump!* „Nein, Vater! Er war nur des Kampfes müde. Wir wollen ihn nicht schmähen. Er ist tot für mich, und Tote schmäht man nicht.* Da wandte sich Herr Mahlow ab und ging hinaus. Die Mutter aber sagte nichts mehr. Sie strich nur mit linder Hand über die Stirn der Tochter. Jmmxr wieder! Und da kamen endlich die Tränen- Sie linderten, schwemmten ein unsagbares Leid hinweg. Sibylle hob den Kopf. „Ich werde meine Liebe nur noch kranken Menschen schenken. Die weiße Haube der Schwestern von Sankt Barbara soll meine Myrte sein.* Da schrie die Mutter auf: „Sibylle!* Und Sibylles stilles, blaffest Gesicht bestätigte es ihr, daß dieser Entschluß unumstößlich sei. Da schlangen sich der Mutter Hände um diejenigen der pochier. „Dann gehe deinen Weg mit N»tt, Sibylle!* Nun war es wenigstens einmal gesagt! Sibylle w« froh darum. Immer wieder hatte sie es verschoben. Immer wieder. Weil sie gewußt hatte, wie es sie treffen würde! Die Eltern, die doch auch so fest an Friedrich Kellers Heimkehr geglaubt hatten. Es war gut so, daß sie es nun wußten. Sibylle sagte sich, daß es noch einen schweren Kämpf kosten würde, ehe der Vater seine Einwilligung zu dem Beruf gab, den sie sich nun erwählt hatte. Aber wenn sie fest blieb, wenn er einsah, daß es ihr heiligster Ernst war, dann würde er schon MchaelM. -Wenn er vielleicht an» Heimlich dabei die Hoffnung nährte, daß sie eines Tages -urückkam! i Doch sie würde nie, nie zurückkommen. Denn sie würde Friedrich Keller nie vergesPn! „Ich streike! Ich kann nicht mehr. So viele Kleider kann man ja niemals abtragen.* Edelgard, schön, rosig, mit großen, glücklichen Augen, lehnte sich zurück. John Korne winkte. Der elegante Vertreter des berühmten Modenhauses verschwand mit seinem Stab, der aus elf jungen Mädchen bestand. „Aber John*, meinte die junge Frau vorwurfsvoll, „wie kannst du denn nur solch eine Verschwendung mit mir treiben?* „Für meine Königin ist nichts kostbar genug!* ver sicherte er in größtem Ernst. Dann küßte er sie plötzlich stürmisch „Du mein Glück!* Edelgard lag still an seiner Brust. Ließ sich küssen und liebkosen. Und küßte wieder. Aber dann hob sie den Kopf, „John, wir sind beide so glücklich — *ynd die arme Sibylle... l* „Traurig ist das, ich gebe es zu. Aber meinst du nicht, Edel, daß Sibylle an ihm nichts verloren hat? Ein solcher Charakter macht sich eben doch auf irgendeine Weise ein mal bemerkbar. Es wird gut gewesen sein, daß Sibylle beizeiten erfuhr, daß dieser Mann sie doch nicht so liebte, wie sie auf Grund ihrer eigenen großen Liebe von ihm erwarten durfte. Meinst du nicht auch?* Sie lehnte den Kopf an seine Schuller. „Gewiß hast du recht — aber daß sie nun gerade diesen Beruf für sich wählen will, ist mir unfaßbar.* John Korne sagte nachdenklich: „Und doch ist dieser Beruf am ehesten geeignet, einer Frau das seelische Gleichgewicht wiederzugeben.* Ein Weilchen schwiegen sie; dann sagte Edelgard: „Mama schrieb mir einen ganz verzagten Brief. Und sie hat im stillen gehofft, Papa würde seine Einwilligung verweigern. Wider Erwarten hat er sie jedoch gegeben. Nun wird eben alles seinen Gang gehen.* „Wir können vorläufig daran nichts ändern. Aber vielleicht kehrt Sibylle doch eines Tages nach Mahlow zurück?* Edelgard schüttelte entschieden den schönen, dunklen Kopf; dann sagte sie: „Nein! Sibylle tut nie etwas nur halb. Wenn sie sich diesen Beruf erwählt hat, dann wird es für immer fein.* Korne drückte sein junges Weib fest an sich. „Dann soll man einen in sich gefestigten Menschen auch nicht quälen, indem man ihm zuredet, den einmal gefaßten Entschluß zu ändern. Schrieb Mama übrigens, wann Sibylle ihren neuen Beruf ausüben wird?* „Sie bleibt da, bis Horst heimkommt. Mama schreibt, vielleicht würde es ihm gelingen, Sibylle anderen Sinnes zu machen.* „Ich glaube nicht, daß Horst sich da einmischt*, meinte Korne. Edelgard fsh ihren Mann aufmerksam an; dann sagte sie zu ihm: „Herzensmann, du verbirgst mir etwas!? Du — bifi so seltsam!* Lächelnd blickte er sie an und erwiderte: „Horst kommt heute abend hier an und reist dann ii» einigen Tagen nach Deutschland. Papa schrieb mir, daß ihm die Verwaltung von Sandersheim doch zuviel werde» müsse und daß es gut sei, wenn Horst bald komm«. Sandersbeim kei ein viel »u großer Besitz, als dak er va»