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Das war für den Gewaltiges etwas Außergewöhnliches! Nun — man kannte den Väter, da mußte man schon etwas tun Dann stellte er vor: »Herr Intendant Dr. Mah»n vom städtischen Tkeater in F" Der Intendant musterte Susi interessiert, ließ sich in seinen Sessel nieder und murmelte: .Sie kommen in erster Linie für die Oper in Frage?" - Der ermähnte noch: „Also — umgehend die Unterschrift des Herrn Papa herbeischaffen. Sie sind noch nicht einund- zwanzig, daher bedarf der Vertrag der Einwilligung des Vaters, bzw Vormundes!" Und Susi ging. Sie hatte den entscheidenden Schritt ins Leben gewagt. Susanne war etwas beklommen, als sie zwischen l-sn Herren Platz nahm. Dann sagte sie ängstlich: „Ja — man hat mir gesagt, daß meine Stimme völlig für die Oper reiche. Ich würde aber auch gern« in der Operette tätig sein!'' > „Wo hatten Sie zuletzt Unterricht?" „Bei Frau Kammersägerin Olden-Wittenau." Der Theaterpascha nickte und nahm den Zettel mit dem Repertoire der jungen Künstlerin entgegen. Er las und schien befriedigt. „Das ist ja allerhand! — Aber — Sie standen noch nicht ruf der Bühne?" Susi schluckte vor Erregung. „Nein! Nur in Konzerten hab« ich gesungen! Lampenfieber ist mir fremd!" Doktor Maßen wandte sich an den Rat „Lasten Sie doch Moldenhauer hereinkommen!" Ein kleiner, etwas verwachsener Mensch schob sich durch die Tür. „Begleiten!" Dieser Kapellmeister ohne Engagement lebte zur Zeit da von. daß er in der Agentur die Stellungssuchenden begleitete und dafür je drei Mark erhielt. Der Klavierdeckel klappte hoch. Da fiel es Susi ein, daß sie ihr« Notenmappe im Vorraum vergessen hatte. Sie lief hinaus, die Blicke des Intendanten sa gten ihr. Der sagte halblaut zu Mittelmann: „Ein nettes Kerlchen! Wenn sie was kann, nehme ich sie. Aber billig muß das Mädel iein, denn wir müssen sie doch erst dressieren. In kleinen Rollen and so " Nun stand Susi neben dem Klavierspieler. Sie hatte die lkappe abgenommen, um möglichst ungehindert zu sein, und >as fein«, seidenweiche Haar legt« sich in malerischem Gewirr ,m ihre glühenden Wangen. Nein — sie kannte kein Lampenfieb«r, aber etwas ängst lich war ihr doch zumute, „Was ioll ich singen?" „Egal!" winkte Mittelmann mit der Hand. „Eine leichte und eine «twas schwere Sache!' Und sie sang zunächst das Goldfischlied aus der „Geisha" und dann die Arie der Adele aus der „Fledermaus". Den , Beschluß bildete der Hirtenknabe aus dem „Tannhäuser". Der Kapellmeister ließ die Finger auf den Tasten ruhen. Scheu blickte lich Susi um Sie wußte, sie hatte gut. gesungen. Draußen im Vorzimmer lauschte man auf die Töne, die sich hell und klar emporrangen. Und der kleine Sekretär sah von seiner Maschine aus und raunt« dem oermickerten Tippmädel zu: „Donnerwetter, die hat's weg!" Der Intendant lehnte sich zurück: „Stimme aut! Technik noch besserungsfähig! Wir wollen es versuchen! Im Sommer theater 'n Bad P-, das ich zur Zeit leit«, ist durch Erkrankung ein Posten für zweites Fach freigeworden Antritt in drei Tagen! Später übernehme ich Sie für mein Stadttheater in E Und dann nannte er die Gagen für Sommer und Winter. Im Sommer? Das war ein Trinkgeld! Das Wintergehalt reichte gerade, um knapp davon leben zu können Schon war sie im Begriff, Einwände machen zu wollen, da dachte sie an daheim. Nein — wieder ein« Enttäuschung mit nach Hause bringen? Nun hieß es stark sein und sich durchbeißen. Der Vater war ja in der Lage, ihr noch eine Unterstützung zu geben Bester io, als wenn sie tatenlos den Eltern zur Last fiel. So sagte sie denn: „Ich nehme an! Habe ich später Aus sicht aus Verbesserung?" Der Intendant nickte geistesabwesend, denn er hielt bereits das Bewerbungsschreiben eines Sängers in Händen. „Natürlich, Kind! L«rnen Sie nur erst etwas!" Und io unterzeichnete Susi Tettenborn den Kontrakt, den ihr der Kommissiansrat binübal^ An einem glühend heißen Nachmittag begleitete Frau Tettenborn ihr Kind zur Bahn. Vom Balkon aus winkt« der Vat«r, der dort, weich ge bettet im Lehnstuhl saß, einen letzten Gruß. Mit Tränen in den Augen sah sie zurück. Der gute Papa! Wenn es nach ihm ginge, er hätte sein Töchterchen nicht ziehen lassen Aber das Schicksal war stärker, als das Gefühl der Zu sammengehörigkeit. Dies Opfer mußte gebracht werden. Fräulein Else schlug den Schlag des Autos zu, das Susis Koffer zum Potsdamer Bahnhof bringen sollte. Mit erstickter Stimme sagte sie: „Leb' wohl, Susi! Schreib« bald!" Die antwortete nicht, sondern nickte nur. Um vier Uhr ging der Zug Man hatte lange geschwankt, ob Susi zweiter oder dritter Klasse fahren sollte. Aber Fräulein Tettenborn bestand auf ihren Köpfchen: „Nun heißt es, das Geld Zusammenhalten! Ich fahre dritter. Die Menschen dort sind wahrlich nicht schlechter. Und das bißchen harte Bank mildert meine Reisedecke" Und dabei blieb es! Als der Zug die Halle verließ, und das Tuch der Mutter in Dampf und Dunst verschwand, lehnte sich Susi erschöpft in die Ecke zurück. Am Fenster strich der heiße Sommerwind vorbei. Hinten am Horizont ballte sich leichtes Gewölk zusammen. Eine beklemmende Spannung lag über der Natur. Sie schüttelte die Abschiedsstimmüna, die ihr noch in allen Gliedern lag, ab, und dachte an die Zukunft, di« ihr winkte. Bad P. kannte sie noch nicht, so weit sie auch schon herum gekommen war. Es sollte sehr schön sein, und sie freute sich des Reuen. Nun verlangsamte der dahinjagende Zug die Fahrt, Pots- d""' näherte lich Ihr fiel jener Tag ein, als sie mit Finkendors über Pots dam nach Werder fuhr. Nach kurzem Aufenthalt ging es weiter. Werder zog im Glanz des Sommertages vorüber. Werderi Es bedeutet« eine Etappe auf ihrem Wege durch den Irr garten der Liebe, aber es war keine erfreuliche gewesen' Späten der Nacht traf Susi in P ein und bezog in einem guten Hotel das vorausbestellte Zimmer. Auf dem Nachttisch lag bereits «ine Mitteilung der Direktion, daß sie am folgenden Morgen um 9 Uhr zur Probe kommen müsse. Die zwei Tage, die ihr noch geblieben waren, hatte sie- vor- und nachmittags bei der Olten-Wittenau an ihrer ersten kleinen Rolle gepaukt, die ihr der Intendant im letzten Augenblick noch nachrief. So war sie wenigstens einigermaßen vorbereitet und tappte nicht ganz ins Dunkle hinein. Sie erhob sich zeitig, frühstückte und ging durch di« herr lichen Parkanlagen, die sich um das Kurtheater dehnten. Noch stand die Sonne hinter den waldigen Bergen, wenige Menschen waren unterwegs, und sie genoß mit Wohlbehagen den Reiz dieses wundervollen Morgens. Sie sah nach der Uhr: Halb neunl Sie fetzte sich auf eine Bank und blickte noch einmal in den Klävierauszug. Sie war ihrer Sache sicher, sie konnte ihre Rolle. Kurz vor neun durchschritt sie das Portal und meldete sich auf dem Büro der Direktion. Der Intendant war natürlich noch nicht anwesend, aber der Vorsteher nahm ihr« Anmeldung entgegen, um die Per sonalien der Kurverwaltung mitzuteilen. Auf der Bühne waren schon verschiedene Herren und Damen versammelt. Es war ihr doch etwas ängstlich zumute, als sie in den fremden Kreis trat und sich oorstellen mußt». Sinnend blickte Susi vor sich nieder. Zwei Männer traten gleichzeitig vor ihr geistiges Auge. Fritz van Höoeln und Kurt Grillol Oh, es gab noch Treue und Glauben in der Wett, Die Sommerwochen flössen schnell vorüber. Abgesehen von einigen Zusammenstößen mit verschiedenen Damen und der Notwendigkeit, zwei besonders stürmische Herren in ihr« Schranken zurückzuweisen, ging di« Sache leidlich. Sie mußte fast Tag und Nacht lernen, denn ihr Anfänger tum spielte ihr doch manchen Streich Ohne den Kapellmeister hätte sie es nicht geschasst. Mehrere Stunden am Tage nahm sie ihn in Anspruch, und es war ihr peinlich, daß sie immer und immer wieder uw Gest» schreiben mußte. Die Herren waren sehr liebenswürdig und zuvorkommend. Mit besonderem Interesse knisterten sie Susis elegante Kleidung und ihr distinguiertes Aussehen. Das mußte eine von denen sein, die sozusagen nur zum Vergnügen zur Bühne gingen. Di« Damen dagegen zeigten sich mehr als reserviert. Ein flüchtiges „Guten Tag", dann ließ man d>e „Neue" allein und zog sich im Hintergrund in Gruppen zusammen, nm entsprechend zu kritisieren. Der Spielleiter erschien. Augenscheinlich verkatert und schlechter Laune» Susi stellte sich ihm vor. » Er legte einen Finger an den Hut und mustert« sie eilig. „So — so! Wir sprechen nachher darüber! In den ersten Szenen sind Sie nicht beschäftigt!" Schluß! Dann klappte er in die Hände. „Vorwärts, meine Herrschaften! Ich habe keine Lust, hier womöglich noch am Nachmittag zu biwakieren! Gestern war es schon ein Skandal! Viel zu viel Mühe um dieses Nudel brett!" Er wußte, daß der Direktor erst gegen Mitternacht ins Bad zurückgekehrt war und diese Probe kaum stören würde. So konnte er sich schon einige kleine Ausfälle gestatten. Das tat wohl und stärkte den Charakter. Susi war ernüchtert, aber sie wußte, daß sie mit Illusionen nicht weit kam. Auf einem Stuhl, den sie sich selbst herbeiholt«, folgte sie hinter den Kulissen der Probe. Sie war von einer geradezu grausamen Nüchternheit! Der Kapellmeister schalt mit dem Orchester und den Dar stellern. Immer wieder klopfte er ab und begann von vorne. Der Regisseur. Herr Görzke, vom Landestheater in B., sprang wild umher Nichts war ihm recht. Nach einer halben Stunde rief er Susi auf. Sie hatte eine kleine Szene zu spielen. Noch nie war sie so wenig in Stimmung gewesen. Trotzdem sollte sie ein kleines albernes Lied möglichst neckisch singen Als sie einsetzte, klappte es mit dem Orchester nicht. Sie hörte den Dirigenten schreien: „Halt! Halt! Herrgott, Fräulein, Sie haben wohl noch nicht ausgeschlafenl Sie sind ja einen halben Takt voraus!" Die nicht beschäftigten Damen lächelten erfreut. Schließlich ging es. Und als sie das Lied mit ihrer herrlichen Stimme gesungen harte, wurde das Antlitz des Kapellmeisters milder. Gewiß eine Anfängerin! Teufel noch eins — das Mädel brachte aber wenigstens Material mit. Daraus war was zu machen Welche kläglichen Enttäuschungen erlebte man doch in dieser Hinsicht. Damen, die beim Probesingen leidlich abgeschnitten hatten, versagten auf der Bühne vollständig, manchmal heulten sie vor Aufregung so, daß die Probe unterbrochen werden mußte Die Tettenborn biß di« Zähne zusammen und schluckte jeden Anschnauzer. Ein tapferes Mädel! So urteilten die Herren, als man gegen zwei Uhr todmüde auseinander ging. Am Nachmittag traf sie sich mit dem Kapellmeister im Musikzimmer des Kurhauses. Susi befolgte klug den Rat, den ihr ihre mütterliche Freundin, Frau Olden-Wittenau, mit auf den Weg gab. „Kindl Machen Sie sich an den Kapellmeister heran! Bieten Sie ihm an, gegen Bezahlung Ihre weitere Aus bildung und das Rollenstudium in die Hand zu nehmen. Haben Sie den Mann für sich gewonnen, find Sie aus dem Schlimmsten heraus. Er wird sich hüten, die Dame, die bei ihm studiert, irgendwie über Gebühr zu schikanieren!" Nun übte sie mit Herrn Rotwasser eine volle Stunde und er erhielt dafür fünf Mark. Täglich wollte man zusammenkommen, und Herr Rot wasser, der in Aachen noch Frau und Kind zu ernähren hatte, empfand diesen unverhofften Zuschuß lehr angenehm. Hier im Kurtheater, wo ein Stück selten mehr als drei- oder viermal wiederholt wurde, arbeitet« man mit Dampf- »rakL Anstrengend, aber ein« gut« Schule für «ine Anfängerin! Kurz vor Beginn erschien der Intendant und sprach mit dem Kapellmeister. „Na, wie macht sich die Tettenborn?" „Gut, Herr Intendant! Die Anfängerschast guckt zwar noch überall heraus, aber da schlummert eine große Be gabung. Es lohnt sich, hier Hand anzulegen. Während de» Sommers -rillen wir sie, im Winter ist sie dann schon gan- gut zu verwenden. Ich habe mit dem Kritiker des Badeblatte» gesprochen, er wird sie schonlich behandeln, damit sie den Mut nicht verliert!" Dr. Maßen nickte. „Na, wir wollen mal sehen!" Und es klappte alles zur Zufriedenheit mit Ausnahme einer Stelle, wo die erste Subrette Susi ein falsches Stichwort gab. Geschah es mit Absicht oder — aus Versehen? Auf jeden Fall griff der Intendant energisch ein, als man Susi heftige Vorwürfe mackte.. Am nächsten Tage brachten di« Zeitungen eine sehr an erkennende Allgemeinbeurteilung der Darbietung, und der Kuranzeiger hob das frische Organ der neuen Kraft freundlich hervor. Das verdankte Susi Herrn Notwasser, besten ständige Schülerin sie blieb. . Fast täglich schrieb sie nach Haufe. Dicke Briefe -er Mutter kamen an. Dem Vater ging es bester Er hatte schon am Stock ein bißchen gehen können. Zwischen den Zeilen durch aber klang die Sorge um das einzige K'nd. Ermahnungen folgten, und doch die unerschütterliche Zuver sicht, daß die Liebe zu den Eltern Susi alle Anfechtungen werde überstehen lasten. In solchen Stunden, wo das jung« Mädchen in ihrer einfachen Pension — denn das teure Hotel hatte sie schon am Tage daraus verlassen — die Schreiben las und beantwortete, hielt sie Einkehr und entspannte ihr« Nerven, die unter fortgesetztem Druck standen. Bald waren es die Anstrengungen der Proben und Auf führungen, bald die Anfeindungen der Kolleginnen oder plumpe Annäherungsversuche der Herren, die sie vorüber gehend aus der Fassung brachten. Dann weinte sie sich einmal aus. um neu gekräftigt an ihr Werk zu gehen. Eines Tages aber erhielt sie einen besonders dicken Brief. Das kam, weil ein Schreiben beilag. dessen Anschrift ihr unbekannt war. Sie erbrach es mit Spannung und last „Sehr geehrtes gnädiges Fräulein! Da ich kein« Gelegenheit fand. Sie wieder zu sehen, und höre, daß Sie das Elternhaus verlosten haben, teil« ich Ihnen auf diesem Wege mit: daß ich mein Wort ge- halten habe! Wie wäre es auch denkbar, es Ihnen gegenüber zu brechen! Das van Höoelnsche Unternehmen ist saniert! Für die Fabrik bricht «ine neue Zeit an! Vergrößerungen auf dem Gelände bei Tegel sind in Aussicht genommen! Möge uns ein glücklicher Zufall ein Wiederjeben bescheren! Mit ergebenem Gruß Ihr , Kurt Grills? Z Zt. Berlin. August 1929." 22 LN ZK § « -iS D - I