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- Erscheinungsdatum
- 1929-07-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-192907233
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19290723
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19290723
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Riesaer Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1929
-
Monat
1929-07
- Tag 1929-07-23
-
Monat
1929-07
-
Jahr
1929
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M Mski,,.. S. E. Lion s. Rh. im Juli 1929. „Hoben Tie jemals einen Kampf »wischen Kühen ge sehen?" srogte mich ein Schweizer in Genf. „Meinen Tie. ob ick fröhliche dobingaloppierende Kühe .gesehen habe?" . . . „Kämpfende," betonte er. ,„Haben Sie nie mals zwei Mhe kämpfen sehen... mit blutunterlaufenen Augen und fliegenden Nüstern? Sie kennen gewiß Stier kämpfe und Pferderennen. Wer einen Kuhkampf, zu dem die Menge mit derselben Begeisterung strömt, wie zu einem Stierkampf in der Arena von Barcelona, den kennen Sie sicher noch nicht." . . . „Nein." . . „Gut, kommen Sie nächsten Sonntag mit nach Sion, und ich will Ihnen den Nationalsport der Bewohner des schweizerisklxn Rhone- talS zeigen. Es ist ein unbezwungenes Bolk. Bis heute ist sein Hauptsport der Kuhkampf." Während der vierstündigen Fahrt nach Sion erzählt mir mein Begleiter einiges ans der Geschichte der kämpfen den Kühe. Im allgemeinen ist die Kuh, wie man weih, gar keine Kampfnatur. Anders liegt der Fall bet den Kühen des' Rbonetals. Das Tier ist ungemütlich, solange cs eine unbesiegte Gefährtin in der Nähe weiß. Trifft es auf eine Kuh anderer Art oder Rasse, so stampft es auf den Boden, schnaubt, hat blutunterlaufene Augen und ruht nicht eher, bis der Kamps ausgetragen ist. Diese Eigen schaft der Schweizer Kühe hat in einigen Kantonen den merkwürdigen Sport des Kühkampfes ins Leben gerufen. Im Kuhkampf vereinigt der praktische Schweizer S ort Und Geschäft. Eine Championkuh ist nicht nur ein Sportob jekt. sie ist auch Führerin der Herde. Königin wird sie genannt. Sic braucht niemals mit derselben Kuh zweimal zu kämpfen. Hat sic eine Kuh besiegt, fo ist ihre Stellung als Königin gesichert: zu abermaligem Kampf wird sie nur von Neuankömmlingen gerufen oder sie kämpft mit der Königin einer anderen Herde um einen guten Weide platz in den Bergen. Ein Kampf der Kühe ist ein Volks fest. Alle Königinnen werden an einem Ort zusammen gebracht, vor Tausenden erregter Zuschauer findet das „Match" statt. Das Rhonetal ist das bekannteste dics-r Veranstaltungen; eine besonders kleine, aber eisenhart ge- baute Kuhart trägt hier den Kampf aus. Sicher bestand und besteht das Vermögen der Schweizer in ihrem Kuh besitz. Die Berghänge, an denen Weiden liegen, sind Gcmeindegut und werden jährlich verpachtet. Im Som- mer. nach der Schneeschmelzc, treibt man die Herden, je etwa 200 Stück, auf die Alm. Wenn man bedenkt, wie eng der Bauer mit den Kühen verbunden ist, wird man verstehen, daß eine gute „Königin" unbezahlbar ist. Sion liegt tief versteckt im Tal. Der Sonntag war ein prachtvolle- Tag. Wir hatten den Kuhkampf fast vergessen und saßen nach d<»n Essen auf der Terrasse des Hotels. Da rief uns ein tönendes Läuten schnell in die Wirklichkeit zurück. Mit einem Ruck setzte die Kellnerin die Kanne auf den Tisch und rannte ans die Straße. „Der Umzug" schrie sie, „kommen Sie rasch!" Die letztjährige Königin der Königinnen an der Spitze, geführt vom stolzen Dom Zuhause. Trotz find die Aufgaben der Frau, di« au« de« Wo-»! ! nung «in Heim. «in Zuhause schaffen will. Es ist nicht ge- Ian mit all den notwendigen äutzerlichen Dingen, die gewiß nicht fehlen dürfen und die für manch« den ganzen Tag und all ihre Kraft ausfüllen, nein, wichtiger al» dies ist die Innere Gestaltung des Heim», in dem sich Mann und Kin der behaglich fühlen sollen. ! Ueber ihrer vielen sorgenden Arbeit, über dem Denken, an den andern Tag und seine Forderungen vergißt di« Frau gar zu oft die Seele, die eigene und die der Ihren , Tief unter Alltagshast liegt das Fordern dieser Seelen ver^ schüttet, unter Stauo und Lärm, datz ost die feine, stille Stimme nicht mehr heraufdringen kann. Dis Hausgenossen, aber suchen bewußt oder unbewußt dies« Stimme, sie au» der Wohnung «in Heim macht und aus d«m Hause ein Zu hause. Finden sie die in der Welt, die ihnen die Frau und, Mutter vabeim schafft — und sei sie noch so schlicht — so werden sie dort ihre Wurzeln haben, ihren Ruhepunkt, auch wenn sie weit fort sind. Und doch verstehen es nur so wenig Frauen, diese tieb verschüttete Stimme hervorzuhalen, ihr achtsam zu lauschen, ihr freudig zu dienen. Sie meinen, sie hätten keine Zeit dazu. Denn viele von ihnen halten immer noch an den Gewohnheiten vergangener leichterer Zeiten fest und halten vieles im Hause für notwendig, was bei richtiger Eintels lung durchaus nicht notwendig wäre. Das ist der Punkt,! an dem die Frau «insetzen mutz, richtige und planmäßig«, Einteilung der Arbeit über die richtige Zeit. ' Die andere große Gefahr aber liegt darin, daß die Frau nur gar zu leicht geneigt ist, ihre Arbeit — auch wenn sie ihr nur Pflicht und keine Freude ist — den Forderungen der Heim-Seele voranzusetzen So sehr ist sie oft im Alltages Sleichmatz, auch innerlich eingesponnen, datz sie diese Forde rungen oft gar nicht mehr sieht. Vielleicht will ihr Mann «in wenig bei ihr sitzen und über dies oder das mit ihr sprechen. Sie aber fühlt die oft nicht laut ausgesprochene! Bitte kaum. Sie läuft davon zu irgendeiner Arbeit, die ebenfogut noch eine Stunde oder zwei hätte warten können. Aus unzähligen Kleinigkeiten baut sich das Zuhause! auf, und eines seiner Grundpfeiler ist der Frau und Mutter Fähigkeit: Zur rechten Stunde Zeit zu haben, das ist der Boden, auf dem dann eine rechte Harmonie im Heim erwächst, und damit die gestaltende, lebenschaffende, kulturfördcrndej Kraft der Familie. Diese Zeit sich zu schaffen, trotz aller äußeren Ungunst und Widerstände, ist die Aufgabe der Frau die sie mit gutem Willen und Ueberlegung lösen muß, und die ihr ein weites Wirkungsgebiet schafft, über ihr eigenes Leben hinaus in kommende Zeiten und deren! "Kultur hinein. j Besitzer, zogen W Kuye vorver. yeoe rrug eine rlesiae flocke, die weithin schallte so daß die Hundert einen tüchtigen Radau machten. An oen Flanken jeder Königin Ang eln Schild mit Nummer. Spekulierende wogen di« Tüchtigste ab, große Gummen wurden gewettet. In der Arena zeigte man uns die 99 Kühe. Violette hieß die Siegerin der letzttn zwei Jahre. Der Besitzer gab ihr Ater mit zwölf Jahren an und xrzählte. daß man ihm schon 3000 Francs für das Tier geboten' habe. Violette sei keine gute Milchkuh. Er Labe Mhe. die mehr Milch liefern. Unbezahlbar aber sei sie als Leittier der .e^rde. Die Arena ist eine Fläche von 50 Meter Dur icsser von einem Zaun aus starken Planken umgeben. Etwa m der Mitte waren vier Pfähle und einige kleine Zedern- bäume zu sehen. Die ersten Kühe, die etntraten, rannten auf die Pfahle zu, wühlten mit dem Kopf im Sande. Gewissermaßen eine Vorbereitung. Dann steckten sie den Kopf in die Bäume und waren nun in guter Kampfver fassung. Wenn zwei Kühe aneinander geraten, werfen sie zunächst sand auf und beschmutzen sich den Körper. Mit geducktem Kopf schätzen sie dann die Lage ab. Plötzlich gehen sie aufeinander los. Hin und her wogt der Kampf, bis es der einen Kuh gelingt, hie andere in die Knie zu zwingen. Die Besiegte geht folgsam vom Platz, und keine Macht der Erde könnte sie von neuem zu einem Kampf mit der Siegerin bestimmen. Sie weiß zu gut, datz sie unterlegen ist. „Wenn diese Mhe solche Kämpfer sind, müssen die Bullen ja geradezu tollwütig sein'" meinte ich. „Ganz und gar nicht," wurde mir erklärt. „Im letzten Jahr kamen wir auf die Idee, einmal Bullen kämpfen zu lassen. Wir trieben sechs in den Ring. Sie spielten wie Puppen zusammen, alles lachte, und wir mußten sie entfernen und durch Mhe ersetzen." Ich erkundigte mich nun nach den ungeheuren Kuhglocken, die alle Tiere tragen. „Die Anhänglichkeit der Tiere an ihre Glocken ist seltsam," belehrte man mich „Eine Kuh fühlt sich ver- loren ohne ihre Glocke, und eine neue Glocke macht sie halb verrückt. Nehmen Sie einer Königin die Glocke, so ist sie unfähig zu neuen Kämpfen." Es sah wirklich so aus. als ob die Tiere während des Kampfes absichtlich di« Köpfe zusammenstießen, um ihre Glocken tönen zu lassen. Der spannendste Teil kam, als Violette mit sieben anderen ausgezeichneten Königinnen in den Ring gelassen wurde. Fünf der Königinnen, die bis jetzt jeden Kampf ausge nommen, weigerten sich, Violette entgegenzutreten. Es war 6 Uhr abends geworden, als Ver neue Sieg Violettes aus posaunt wurde. Sie war wieder für ein Jahr Königin der Königinnen und Herrscherin über 25000 Mhe des RhonetalS. » »erde« Neubestellungen auf das „Riesaer Tageblatt" von aste« ZeitungStragern und zu» Bermittluug a« dies« von der Tageblatt-GeschSftS» Kelle. Goelbestraße SS. eutgegeugeuommeu. — ossenstehende Pforte zu ihr hin. Nichts als dieser Staub war übriggeblieben von Anita Krumbholz' letztem Aben teuer. 11. Als Anita Krumbholz endlich in den Nassauischen Hof zurückkehrte, war sie überzeugt, daß ihr niemand die furcht bare Enttäuschung anmerken könne. Eine geraume Weile hatte sie freilich noch in dem kleinen Garten verweilen müßen, ehe sie überhaupt imstande gewesen war, den Weg in die Stadt zu Fuß zurückzulegen. Ihr Herz blieb bei diesem unvorhergesehenen Schlußakt völlig unbeteiligt. Einzig die Erkenntnis, daß sie von diesem Betrug bettoffen werden konnte, daß sie sich durch ihn — verbreitete der Fürst das Geschehnis — lächerlich, ja unmöglich machen werde, versetzte sie in diesen Zustand unbeherrschter Wut, der ihr Gesicht zu einer Fratze verzerrte. Keiner ihrer Gedanken empfand für den Uebeltäter das geringste Mitleid. Sie erwog deshalb auch nicht die Beweg gründe, die ihn hierzu gebracht, begriff nicht, daß er eigentlich weder Lüge noch Betrug verübt, sondern lediglich durch sein verschweigen gewisser, rein äußerlicher Dinge, ihren phan tasievollen Wünschen keinerlei Zügel angelegt hatte. Ver gaß diese letzte Unterredung, durch die er alles klarstellen wollte, vergaß auch, daß sie — und immer nur sie — spielte und betrog. Als die erste, tobende Wut verebbt war, setzte sofort wieder die nüchterne, eiskalte Erwägung ein, die einzig chrem Wohl galt. Ob sich jetzt der Mann, den zu bezaubern und zu ver wirren sie nicht unterlassen, in unerträglichen Qualen wand, ob er von dem Fürsten davongejagt und nun ohne Erwerb sei, ob er ihr fluche oder sie weiterliebe, dies alles ging sie nichts mehr an! Schwieg der Fürst, und das war sowohl nach der Charakte ristik, welche die Gräfin Lüderitz gezeichnet, als auch nach Anitas persönlich von ihm gewonnenen Eindruck anzu nehmen, war alles gut. Redete es sich jedoch herum, daß Anita Krumbholz mit dem Diener des Fürsten während einer Woche täglich viele Stunden währende Ausflüge unternahm, stand es fest, daß dies als pikantes Reiseerlebnis von ihren gleichfalls in Wiesbaden zur Kur weilenden Berliner Be kannten in Erfahrung gebracht und daheim herumgetragen wurde. Dagegen, überlegte sie blitzschnell, half wohl nur ein einziges wirksames Mittel: der schleunige Besuch ihres Ver lobten Jürgen von Kerst, den sie brieflich herzubitten beschloß und dem sie — noch ehe er von anderer, ihr gehässig gesinnter Seite alles erfuhr — in geeignet zurechtgestutzter Form selbst von diesem Abenteuer zu berichten gedachte. Dies Spiel der Gedanken verankerte sich sogleich zum Ent schluß. Und mit ihm begann ihr Blut wieder lebendiger zu kreisen, ihr Lebenshunger zurückzukehren. Schon war sie geneigt, das Erlebnis als etwa» Amüsantes anzusehen und den neuen Forderungen des Tages Rechnung zu tragen. Ein Blick in den Taschenspiegel belehrte sie, daß diese letzte Ent täuschung einige recht unschöne Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen habe. Die Augen waren matt. Die Haut erschien grau und durchaus nicht faltenlos. Geschickt hockte sie am Srabenrand der Fahrstraße nieder, stellte das Spiegelcken vor sich und bediente sich emsig der verschiedenen künstlichen Farben. Den Lippen verlieh sie das brennende Karmin des Klatschmohns. Die feinen Fältchen um Augen und Mund füllte ein zartes Rosa aus, auf den Wangen erglühte das Rot prangender Jugend. Trotzdem mußte irgend etwas Auffallendes an ihr hasten. Als sie nämlich das Foyer des Nassauischen Hofes betrat, fühlte sie die bedeutsamen Blicke, welche Portier, Ober und die sonst ko taktvolle Empfangsdame miteinander aus tauschten. Eiskalt überlief es sie. Was sollte die» bedeuten? Es war völlig ausgeschlossen, daß jetzt schon — kaum zwei Stunden nach dem Geschehnis — etwas durchgesickert sein konnte. Ihrer sonstigen Gewohnheit entgegen richtete Anita ein paar belanglose aber freundliche Fragen an die sym pathische Auskunft, befragte den Portier, was beute im Km- theater gegeben werde, obschon iie natürlich oarüber genau unterrichtet war, verweilte noch ein paar Sekunden, als sie fühlbar zögernde und verwirrte Antworten erhielt und bestieg dann, den Liftboy heranwinkend, fluchtahnlich den Fahrstuhl. Bevor sie in das erste der beiden von Mutter bewohnten Zimmer eintrat öffnete sich besten Tür und die Gräfin Lü deritz kam ihr entgegen. So hastig, al» wolle sie auf jeden Fall erst draußen ein paar Worte mit der scheinbar sehnlichst Erwarteten sprechen. Anita Krumbholz' Herz begann rasend zu klopfen. Sie hatte genau dieselbe Empfindung wie damals, als sie mit knapper Not dem Tode entrann. Man wußte vielleicht doch schon? Nein! Es war etwas anderes! Die Gräfin mit rotge weinten Augen flüsterte Worte, die Anita nicht verstand Ehe sie eine Frage tun konnte, fühlte sie sich über die Schwelle geschoben. In der Mitte des Zimmers stand eine hochgewachsene, sehr schlanke Frauengestalt, die wie Ruth aussah. Anita Krumbholz rieb sich die Augen und versuchte zu lachen, damit sie die frierende Angst verlor. Es war wirklich Ruth von Alvensbrink „Wie kommst du hierher? Was willst du?" stotterte Anita und hatte von neuem mit einem grausamen Gefühl der Furcht, die ihr doch völlia sinnlos erschien, zu kämvfSn „Die Mutter . . . unsere Mutter bat mich hergerufen." antwortete eine Stimme, tief, metallen, das Verborgenste aufrüttelnd, wie nur Ruth sie hatte. Alle Gegenstände im Zimmer vcllführten einen wilden Tanz. „Die Mutter?" „Testern abend erhielt ich ihren Brief, in dem mich jede Zeile zur möglichst ungesäumten Abreise drängte." „Davon habe ich keine . . . Ahnung gehabt." „Bist du denn diese letzten, schwersten Tage nicht dauernd um sie gewesen, Anita?" Was meinte Ruth? Diese letzten . . .? Weshalb denn „diese letzten" .. .? Anita sträubte sich aus einem unklaren Gefühl heraus. „Ich will nicht . . . will nicht," widersetzte sie sich in Ge danken. Diese Stimme war stärker als ihr Wille, zwang sie zu unbedingtem Gehorsam. Das erste, was ihr in dem Schlafzimmer auffiel, war der schwarzverhangene Spiegel aus Kristall, in den sie beide so gern hineinsahen, weil er ein Schmeichler war Der war doch überaus notwendig. Nicht nur während der Toilette. Weshalb dies? War es eine neue Marotte von Ruth, ihnen die Eitelkeit abzugewöhnen? Das Zimmer war angefüllt mit graugrüner Luft. Die breiten, dunkelgrauen Jalousien waren heruntergelasscn. Das ergab diese eigentümlich ge heimnisvoll oerschwimmende Färbung. Anita wandte sich nach dem Ruhebett, das die Mutter während der verflossenen drei Tage kaum verlosten hatte. Es war leer. Di« künstlichen Lichter des Tiaerkopfes glimmten hinterhältig au« dem tadellos gehaltenen Fell der Decke. Mechanisch, wie eine aufgezogene Puppe lief Anita nun auf das eigentliche Bett zu, das machtvoll und prunkhaft wirkte. " Darin schlief Frau Adelheid Krumbholz, mit zwei üppigen roten Rosen in den gefasteten Händen ... den letzten, tiefen, süßen Schlaf. Anita hatte bisher noch keinen Toten gesehen. Was sie vom Sterben wußte, beschränkte sich auf kostbare Kränze und — wenn es durchaus nicht anders ging — auf ein Begleiten mst einem Strom stummer, schwarzgekleideter Menschen, die sämtlich sehr unvorteilhaft aussahen, zum Gottesacker Gegen- wärtig geblieben war ihr von solchem Zwang nur der eigentümlich scharfe Geruch, den Lebensbaum und Tuberosen hinterließen. Nun sah sie auch das, was allem vorangehen mußte. Die große, tragische Borbedingung. Sonst strdnuen Anita Krumbholz' Tränen leicht. Hier konnte sie nicht weinen Grauen vereiste den unsichtbaren Quell des Gefühls und verlangt« dieser Stätte ungesäumt zu entfliehen Aber das wagte sie nicht. Eie ließ sich von der Gräfin von dem Pracht bett zurückMren und auf og» Tigerfell ntederhrtzSen. Er leichterung überkam sie, als sie merkte, daß die Gräfin neben ihr Platz nahm Ruth von Alvensbrink hatte sich in die Stadt begeben, um alles Notwendige für die baldmöglichste Ueberführung der Leiche nach Berlin zu veranlassen und um dem Stiefvater zum zweitenmal zu telegraphieren. „Armes Kind! weinte die Gräfin auf. „Weiß sie es doch schon," grübelte Anita und fror. Im gedämpften Ton begann die Gräfin zu berichte»- „Als Ruth heute gegen ein Uhr mittags eintroi war die Mutter noch völlig bei Besinnung. Nur sehr matt. Ich wartete im Nebenzimmer, während Ruth sie sogleich unter sucht«. Ruth sprach sich zwar nachher nicht aus. aber ich merkte, daß sie sehr besorgt war. Ueberall hat sie nach dir herumtelephonieren lassen In jede Konditorei. Nach außer halb, zum Beispiel nach Biestenmühi. kurz, wohin nur Ver bindung bestand. Es war natürlich vergeblich. Aber durfte man abraten? Es hätte ja auch sein können, daß man deiner habhaft geworden wäre Als es augenscheinlich wurde, daß es zu Ende ging, mußte ick an das Sterben meines armen Bruders denken Damals gab der Arzt ununterbrochen Kampfer und Koffein. Ruth wollte nichts davon wissen. Sie wird ihre Gründe gehabt haben Eine Stunde, bevor du kamst, ist sie heimgegangen Ruths Hand in der ihren." „Ob sie noch . . . nach mir gefragt hat?" würgte Anita hervor. „Ich hatte ihr zuvor gesagt, daß heute bestimmt für dich die Entscheidung fallen werde. Und das war keine bloße Ausrede oder Beruhigung Mein Gefühl hielt sich ehrlich davon überzeugt. Da hat sie zufrieden genickt." Anitas Zähne schlugen hörbar zusammen. „Nicht mehr? Nur genickt?" „Wir wollen nachher Ruth fragen. Es ist möglich, daß die noch etwas anderes weiß, einen Auftrag für dich erhalten hat." Anita Krumbholz schüttelte sich vor Frost Die Angst vor ^r unvermeidlichen Auseinandersetzung mit der Sticf- - 'der sie ihr Rede und Antwort wegen ihrer "^'e wuchs mit jeder verrinnend -- Minute. Ruth wußte alles von ihr! Ruth würde unbarm herzig genug sein, dies, auch dies Jürgen von Kcrsi mitzu teilen, ihm zu sagen, daß eine Tochter ihre sterbende Mutter verlassen konnte. Aber hatte sie denn diesen Ausgang auch nur jemals in Betracht gezogen? Nein, tausendmal nein! Und das war keine Lüge! Der Tod, hatte Anita gemeint, wenn sie überhaupt über ihn nach gedacht, müsse langsam mit monatelanger oder doch zum mindesten mit wochenlanger Vorbereitung — allen merklich — herschleichen. Dies plötzliche Ueberfallen und Auslöicher faßte sie einfach nicht! Dps mußte sie auch nachher Ruth unbedingt beteuern Wohin war Anita Krumbholz' Keckheit entschwunden? Sip fürchtete sich vor der lebendigen Stiefschwester kaum weniger als vor der toten Mutter. Bor Ruths Stimme . Bor ihren Augen, die tief, ganz tief nach innen «chauten und alle», was unsauber und verlogen war, ans Licht hoben daß es offenbar und völlig klar wurde. Wohin sollte sie sich vor diesem entsetzlichen, sinnlosen Gespenst retten? Wie viele Nächte hatte Anita Krumbhoiz doch schon m ihrem kurzen Dasein wachend verbracht? Die ersten in reifender Kindheit, wenn die früh ausgepeitschien Sinne an dern lüsternen Flüstern wurmstichiger Klasiengenossmnen aus den Streiflichtern zotiger Geschehnisse in Mienen und Toi auf der Straße nächtlich mit verhaltenem Atem und logendcm Blut schwüle Bilder formten Die anderen schlaflosen Nächi- nach der ersten verstohlenen Umarmung kecker Iüngi-na" dem Lesen solcher Bücher, die ivgar vor Frau Äüeibr-b Krumbhott Kammerzofe ängstlich gcheimge halten werden mußten. Und gar die Schar der lcp.en Nächte, dieser gierig süßen, die dem Spanier a^n »n, Fortsetzung folgt.
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