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Seite Ihr Herz neigte: zu oenr »remsen Manne, ver jetzt in seiner Augenblicksnot nach ihr verlangte, nachdem er seine guten Tage ganz vergnügt ohne sie verlebt hatte, oder zu dem Freunde, der sich so völlig eins mit ihr fühlte, daß er unter ihrem körperlichen Fehler fast emp findlicher litt als sie selber? Nein, sie waren zusammen- gekchmiedet für das ganze Leben — aber nun fühlte sie auch, daß es nicht allein der Beruf war, der sie zu ihm zurück zog, sondern über allem die Sehnsucht nach der Person des Lieben, Einzigen — nach ihrem Klaus. Am andern Tage fuhr sie ab und traf ganz unverhofft in der Anstalt wieder ein. Klaus befand sich auf dem Nachmittagsrundgang durch die Krankensöle, uns sie wartete in seinem Sprechzim mer auf seine Rückkehr. Sie hatte sich tief in eine Ecke gesetzt, um nicht von einer zufällig in das Zimmer blickenden Schwester gesehen zu werden, und so bemerkte auch er sie nicht, als er eintrat. Er sah abgespannt aus, und er ließ sich auch sogleich mit einer müden Bewegung auf den Stuhl vor scmem Schreibtisch sinken, aber nicht, um zu arbeiten — er stützte den Kopf in die Hände und saß ganz still. Ta trat sie leise zu ihm, legte ihm die Arme um den Hals, und ihr Gesicht an seinen Kopf schmiegend, sagte sie tref bewegt: „Da bin ich, Klaus!" „Etta!" Aus dem ernen Wort hörte sie erschauernd, wie leidenschaftlich er sich nach ihr gesehnt und wie schwer er unter der Trennung gelitten haben mußte. Er faßte rasch nach ihren Händen und hielt sic fest. „Du hier, Etta? — Und so bald ?" „Muhte ich nicht kommen, wenn du mich so energisch an meine Pflicht mahnst?" „Nein, du mußtest nicht! — und eine Pflicht hast du auch nicht, deinen Urlaub abzubrechcn." „Ter Mensch hat auch Pflichten gegen sich selber." „Und die haben dich zurückgeführt?" „Ja — und nun gehe ich nicht wieder fort." Er wandte sich, daß er ihr ins Gesicht sehen konnte, aber er ließ ihre Hände nicht frei. „Zu wem bist du gekommen? — Zu ihm oder zu mir'?" Sie lächelte ihm strahlend schelmisch in das ernste, fieberisch gespannte Gesicht und wiederholte, was er bei seiner Rückkehr zu ihr gesagt hatte: „Ich habe mich nach dir gesehnt und gehofft, du wür dest mir bei meiner Ankunft jubelnd um sen Hals fliegen und mich küssen, Klaus." Da hatte er sie bereits an sich gerissen und auf seine Knie gezogen. „Einzigste du!" „Ich weiß, daß ich dir gut genug bin," sagte sic unter seinen Küssen erglühend. „O du! — Ich habe dir schon immer gesagt, du hast die Macht, Glück mit vollen Händen auszuteilen. — Armer Hinnerk — er dauert mich!" „Er hat andere Götter geliabt, Klaus, und wird sich zu ihnen zurückfinden." «Bist du nicht wirklich ein wenig grausam mit ihm? Du kannst nicht wissen, wie sehr dich lieben muß, der dich kennt." Sie schüttelte den Kopf. „Uns trennt zu vieles. Er lebt in einer ganz anderen Welt als ich, wir werden uns nie so zueinander fiicken können, daß wir ineinander aufgehen, wie wir zwei, Klaus. Wir müßten beide umlernen, und keiner wird dabei Freude empfinden. Du und ich, wir wurzeln körperlich und seelisch in demselben Heimatbooen, und die Einsamkeit der kargen Heide hat uns zu schwer blütig für ein Dasein sorgloser Genußfreudiglcit ge macht, wie es der reiche, unabhängige junge Mann bis- her , als sein Lebenselement betrachtet hat, und auf sas er seiner ganzen Veranlagung nach auch in der Zukunft nicht wird verzichten wollen. Er würde mich bald als einen Hemmschuh empfinden — und bei alledem würde ich die Almoscnempfängerin sein. Aber was ist das alles gegen das eine: ich liebe dich, Klaus — und ich bin dir nötig." Er preßte sie an sich. „Ja, du bist mir nötig — wie sehr, das habe ich jetzt gesehen. Ich habe nicht gewußt, wie ich ohne mein zweites Ich weiterleben sollte. Unser Beruf streicht uns nicht mit sanften Händen die Kuinmerfaltcn von der Stirn und reicht uns nicht schmeichelnd den goldenen Lecher der Schönhcir mit dem Trank der Vergessenheit Wir müssen sie ihm hart und bar mit Arbeit und Opfern bezahlen." „Und doch würden wir ihn nicht gegen einen ander» eintauschen wollen, Klaus." „Wenn wir beide zusammenstehen bleiben — nicht um alle Schätze der Welt!" Hinnerk hatte sich auf einen stillen Platz dcS partigc« Anstaltsgartcns zurückgezogen. Eine Brille mit großen dunklen Gläsern schützte das schwache Auge und verbarg zum großen Teil auch den schwarzen Deckel über der leeren Augenhöhle, die noch nicht genug ausgeheilt war, urti das künstliche Auge aufzunehme«. Aus seinem Gesicht war Ungewißheit — — nur vag ihm sein Beruf nicht Zeit ließ, sich in seinem Kummer zu vergraben. Und mit der Ehrlichkeit, die immer zwischen ihnen ge waltet hatte, schrieb er an Etta: „Cs ist nicht nur feig, es ist grausam von dir, in sicherer Entfernung die Entwickln»« emer Angelegenheit abzuwarten, deren Entscheidung allein bei dir liegt. Glaubst du, ein Recht dazu zu haben, zwei Menschen ans die Folterbank zu spannen?" Sie war in die Heimat eingekehrt wie eine Schiff brüchige, die sich in einen sicheren Hafen flüchtet. Nun war sie wieder in ihrer geliebten Heide, bei den teuren Menschen, die ihr jeden Windhauch fernhielten, jedes Steinchen aus ihrem Wege räumten: brauchte nicht Leiden und Schmerzen, nichts Schlimmes und Häßliches zu sehen, konnte frei über sich und ihre Zeit verfügen, und statt immer bereit zu fein, fremden Menschen zu dienen, wurde sie selber gehegt und gepflegt wie ein zartes, schonungs bedürftiges Kind. Wie wohl das tat? Wie gütige Elternhände Balsam wenden kSnncu! Und wie die hehre Einsamkeit der Heide das Herz weitete und weich machte und alle bitteren Emp- sindungen mit linden Fingern daraus hinwegnahm! Tage- lang war sie wie in einem seligen Traumzustand, in dem ihre Füße über rosenrote Wolken schritten und alle Ge danken an Störendes und Beunruhigendes ausgeschaltet Goaren. Dana siel der erste dunkle Schatten in ihre strahlende Glückseligkeit, als sie am Pastorhause vorüber- aina und fremde Gesichter sie aus dessen Fenstern an- »lütten. Unwillkürlich hatte sie den Weg an ihm vorbei bis dahin gemieden. Seitdem die Pastorsleute tot waren, empfand sie eine Scheu vor dem ihr einst so lieben Haufe. Sie waren ihr teuer geworden, fast wie die eigenen Eltern, und Klaus hatte den schweren Verlust noch immer i^cht Verwunden. Jetzt stand der Freund allem in der Welt. Sein anstrengender Beruf und sein leidenschaftlicher Arbeits eifer hatten ihm nicht Zeit gelassen, sich nach neuen Freun den oder einer Lebensgefährtin umzusehen. Er hatte nie mand als sie. Das war immer eine Beruhigung und ein Stolz für sic gewesen. Er hatte nur sie, aber er hatte sie ganz und sie genügten sich beide. Run aber jagte plötzlich dies Bewußtsein eine fie bernde Unruhe und Unsicherheit in ihr Mut. — Er hatte sie — aber wie lange würde er sie noch haben? Ja würde er sie jetzt noch haben, wenn sie bei ihm geblieben wäre? War sie nicht geflüchtet, weil sie vor der Untreue, die sie an ihm zu begehen im Begriff stand, Angst hatte? Und hatte ihr Herz diese Treulosigkeit nicht überhaupt schon be gangen? Die Empfindung ihrer llnwürdigkeit quälte sie un säglich, raubte ihr Ruhe und Schlaf, ließ die Schönheit der Heide verblassen und bohrte die Dornen der Selbst vorwürfe über ine Undankbarkeit und Mangel an kind licher Hingabe in das Zusammensein mit den Eltern, denen sie von Rechtswegen in diesen kurzen Wochen ganz gehören sollte. Wie erbärmlich Nein sie war! — Wie unfähig, auch nur einem Menschen unwand.llare Trenc zu Und allmählich erwuchs eine Sehnsucht in ihr — riesen groß — n<A ihrer Tätigkeit, ihren-Kranken und den Sor gen und Mühen, die sie ihr bereiteten — nach ihrem Beruf und allen Lasten, die er ihr aufbürdete, daß sie in heißer Angst oft meinte, das müßige Leben nicht länger ertragen zu können, und sich doch wieder der frevent lichen Gedanken vor den Elten» erbärmlich schämte. Ganz zerrissen war sie im Gemüt. Und in diese ihre zwiespältige Stimmung hinein traf Klaus' Brief. „Du bist nicht nur feig, du bist auch grausam!" Sie erschrak nicht über ihn, er war ja nur eine Be stätigung ihrer eigenen Empfindung, im Gegenteil, sie atmete wie von einem Alb befreit auf, denn nun war die Entscheidung da. Dieser Brief mit seinen klaren, energischen Schrift zügen ließ dm Freund vor ihr erstehen in seiner gevie- aenen, zielbewußten Männlichkeit, seiner immer wachen, sich immer gleichbleibenden Freundschaft und Ehrlichkeit, seinem Streben, das sie teilte, seinen Neigungen, die die ihren waren. Und nun wußte sie, daß ihre Sehnsucht nach ihrem Beruf ureigentlich dein Freunde gegolten hatte, daß sie den einen des andern wegen so schmerzlich ver mißte, daß sie gar nicht mehr ohne ihren Klaus sein konnte. Alles hatten fie bisher gemeinsam getragen, Freud und Leid, Erholung und Arbeit. Uno waren nicht gerade die Stunden der Arbeit die schönsten gewesen, wenn sie sich Seite an Seite in ihrem Berus mühten, zusammen um einen Kranken sorgten, sich über ein gelungenes Werk im Dienste der Menschheit freuten? Wollte sie in Zukunft darauf Verzichten? — Würde sie das überhaupt vermögen? Ganz ungeheuerlich erschien ihr jetzt der bloße Gedanke. War fie denn mit BlintM-it geschlagen gewesen, daß sie auch nur nnen Augenblick hatte schwanken können, auf wessen sie rrankyafle Blässe gewichen, und seine Haltung er schien in diesem Augenblick nickst so lässig und gleichgültig wie gewöhnlich, sondern zeigte eine gewisse nachdenkliche Gespanntheit. Am Tage vorher war von der Universität Göttingen eine Aufforderung an ihn ergangen, die außer ordentliche Professur für Kunstgeschichte, um die er sich vor Ausbruch des Krieges bereits beworben hatte, nun mehr anznnchmen. Seine soldatische Tätigkeit könne als beendet gelten, und seine Gesundheit gestatte ihm die Aus übung seines Berufs. Und der von »hm geschätzte Rektor, sein ehemaliger Lehrer, hatte in warmen Zeilen privatim dringend zur Annahme geraten. Tic Hochschule lege ganz besonderen Wert darauf, ihn, den feinsinnigen Knnstgc- lehrten, als Lehrer zu erhalten. Tas war wie ein Lebenselixier in sein Wesen ge drungen, und seitdem sah Hinnerk Groth die Welt nicht mehr nur in der Verschleierung, die seine dunklen Augen gläser über sie warfen. Er stand vor einer Entscheidung, die klaren Blick und bewußtes Handeln verlangte. Und als er den Geistern der Vergangenheit erst einmal die Tür zu seinem Innern spaltweit geöffnet hatte, da rissen sie sie sogleich vollends auf und hielten ihren triumphieren den Einzug. Sie hatten lange genug vor seinem Eigen sinn und seiner Feigheit bettelnd draußen gestanden. Natürlich nahm er das ehrenvolle Anerbieten der Universität an. Nach einigen Wochen würde er daraus imstande sein, die Vorbereitungen für seine Lehrtätigkeit zu treffen. Gott im Himmel! War die Seligkeit zu fassen? Er. der noch vor ganz kurzer Zett an seinen geistigen Tos geglaubt hatte, sollte wieder seine heißgeliebten Studien und Forschungen aufnehmen, in dem einzig ihm daseins würdig erscheinenden Element leben dürfen? — Daß er nicht verrückt vor Freude wurde !— Statt dessen hatte er sich in undankbarer Verbitterung einer grauen Me lancholie hingcgeben und gar nichts Wertvolles und Gutes in seinem Leben mehr erblicken können, weil ein Mädchen, das er noch nicht einmal von Angesicht gesehen hatte, es nicht mit ihn» teilen wollte. Er zuckte auch jetzt wieder in schneidendem Weh inner lich zusammen, und ein schwerer Seufzer glitt über seine Lipven. Warum konnte er nicht beides zusammen haben? — Mar das zu viel des Glücks für ein armes, kleines Menschenherz? Vielleicht wäre sie sein geworden, wenn er blind ge blieben wäre! — Aber wenn es nun einmal eine Schick- salsnotwendigkeit war, auf ei» Glück von den beiden zu verzichten — was wog schwerer: die Möglichkeit, sein Leben aus eigener Kraft nach seinen Fähigkeiten und Wün schen in Harmonie mit seinem eigenen inneren Wesen zu gestalten, oder in körperlicher und geistiger Abhängigkeit von der angebeteten Frau ein berauschendes Liebesglück genießen, dafür aber völlig überantwortet sein ihrer Güte, ihrer Einsicht, ihrem Pflichtgefühl! — ihr Leben leben und ihren Tod sterben? Darf Liebe allein überhaupt Endzweck und Ziel des Lebens eines Mannes sein? Kann mit Zuversicht auf etwas so Wandelbares die Existenz des ganzen Lebens aufgebaut werden? In sein Grübeln hinein erklang das Geräusch sich nahender Schritte. Eine Schw.stec kam lnsan den Weg herauf. Sic ging wie in tiefem Sinne» und blickte nicht rechts noch links. Zum Schutz gegen die grelle Sonne hielt sie ei» großes Huflattichblatt vor die Stirn. Tas war — das war doch Schwester Maria? Er sprang auf und eilte ihr entgegen, vergessen war aller Zwiespalt. „Schwester Sonnenschein — Sic sind schon zurück? — Oh, nun ist alles gut!" Sic stand vor ihm und ließ langsam die Hand mit dem Blatt sinken Herr Gott! — Er starrte sie an, ratlos — niedergeschmcttcrt, um dann wie vernichtet auf die Bank zir sinken. ' « Sic war blaß wie er, aber ihre Augen blickten ihn ruhig forschend an, und das Zucken, das um ihre Lipven ging, war mehr wehmütig und ergeben als anklagend und bitter. „Ich habe Ihnen gesagt, daß Sic sich wieder vor mir entsetzen würden." Da fuhr er empor. „Nein! Das ist's nicht! Im Gegenteil, mir geht es wie einem, der ein Gewitter er wartet hat, und es geht mit einem Wetterleuchten ab. Nach all den geheimnisvollen Andeutungen mußte ich auf etwas ganz Schlimmes gefaßt sein — statt dessen ein kleiner trüber Flecken auf einem glänzenden Spiegel. Darum brauchten Sic nicht unter die Blinden zu gehen." „Sie haben nicht immer so geurteilt." „Oh, Cie ivissen, daß ich mich geändert habe und ein blödsinniger Narr war — damals — und auch das wer den Cie wissen, daß Sic trotz Ihres Fehlers schön sind — Nein, das ist's nicht! Aber, daß Sic die ganze Zeit über schweigen, als eine Fremde neben mir stehen, sich wohl hnmlich über den Narren lustig machen, ja, daß Sie meine Beichte mit anhören konnten, ohne den Schleier zu lüften — und diß MauS zu der Täuschung die Hand bieten konnte — das trifft mich bart! Und wenn ich die Hilflosigkeit des Blindseins noch nicht voll kenne« ge lernt hätte, das würde mir ihn beweisen. Ein Blinder» ein Spielball in den Händen ver Sehenden, eine Sache, die nach Bedarf bald hierher, bald dorthin geschoben wird." Er lachte zornig auf. „Ich habe mich bttter in ghuen getäuscht, Schwester Maria!" Sie hielt ihn, tapfer stand und schlug nicht einmal die Augen unter seinen heftigen Worten zu Boden. „Ich habe diese Vorwürfe erwartet und selber unter der Unwahrhastigkeit gelitten — aber ein Recht zu einer Anklage bietet sie Ihnen nicht. Es lag für mich kein Grund vor, den Schleier zu lüften — und auch keine Beran» lassung. Sie fühlten sich unter Schwester Marias Ob hut wohl, und es war fraglich, ob es unter Etta Johann sens ebenso der Fall sein würde. Der Erhaltung Ihrer zu Ihrer Genesung so notwendigen Seelenruhe wäre es sicher nicht zuträglich gewesen, fortdauernd an ein Ereignis Ihres Lebens gemahnt zu werden, das nach Ihrer eigenen Aussage keine angenehme Erinnerung bei Ihnen hinter lassen hat. Wenn Sie blind geblieben wären, würden Sic niemals Aufklärung über die Person Ihrer Pflegerin er halten haben, und das Andenken an Ihren Aufenthalt in unserem Hause wäre unbeschwert von unangenehmen und überflüssigen Nebendingen geblieben. Warum also hätte ich mich Ihnen zu erkennen geben sollen?" „Damit ich jetzt nicht mit diesem — diesem ver teufelt beschämenden Bewußtsein, halb der Schuld und halb des Belcungtseins vor Ihnen zu stehen brauchte." „Dazu haben Sie in meinen Augen keinen Grund, wenn Sie jedem von uns beiden nur das Recht zugestehen wollten, zu sein und bleiben, was wir stick»." Er machte eine ungeduldig abwehrende Bewegung. „Ich bin nicht mehr das, »vas ich war, und ich würde gar nichts dagegen haben, wenn Sie auch einmal etwas anderes als die eifrige Moralpredigerin mir gegenüber sein wollten." Sie trat ihm rasch näher und sagte warm und dringend: „So lassen Eie mich einmal frei von Herz zu Herzen mit Ihne» reden; Hinnerk Groth! Sie haben mir damals unendlich weh getan, und dafür danke uh Ihnen heute von ganzer Seele, wenn Sie es auch nicht verdient haben. Denn Sie haben sicher nachher nicht mehr »ach dem dummen, kleinen Heidemädel u. seinem Schicksal gefragt und ahnen nicht, daß mein damaliges Erlebnis mit Ihnen ausschlaggebend für meine ganze Zukunft gewesen ist. Es hat mich auf den Weg geführt, der der einzig richtige für mich war, weil er Seite an Saite mit dem Freunde läuft, der von unserer Kindheit an immer unwandelbar treu zu mir gestanden und seine starke Hand behütend über mich gehalten hat, — bis wir nun fürs ganze Leben untrennbar eins geworden sind. Vielleicht hätten wir uns ohne Ihr Dazwischenkommen nie so fest zusammengcfunden — oder doch nicht so bald — also haben wir Ihnen viel zu danken, und es ist mir ein Glück und eine Be ruhigung, daß auch ich Ihnen bei Ihrem Wiedereintritt ins Leben ein wenig behilflich habe sein können." Er saß in sich zusammengesunken in finsterem Schwei gen vor ihr, die Zähne fest übereincnü»er gepreßt. Sein Gesicht trug wieder deutlich den Stempel körperlichen und seelischen Leidens. Und ein unendliches Mitleid stieg rn ihr empor, ein Mitempfinden beiß und doch zart, schmerzlich und selbstlos, wie das einer Mutter. Sie hätte ihni lind und tröstend die blasse Stirn streiche», ihn zärt lich in ihre Arme nehmen mögen. Jetzt erst konnte sie an seinem Schmerz ermessen, wie viel ihr selber dieser letzte, schwerste Kampf um ihr Lebensglück gekostet hatte „Wenn Sie mir doch glauben wollten, daß Schwerer Maria stets und freudig zu jeder Dienstleistung für Sie bereit sein wird, daß Sie keine bessere Freundin auf Erden haben als sie," bat sie dringend. Er raffte sich zusammen, richtete sich mit einem Ruck energisch empor und sagte in bitterem, aber gereiztem Ton: „Ich hoffe nun bald wicher allein geheck zu können und keine Schwester Maria mehr zu brauchen. Und da die Etta Johannsen mir so großmütig freiwillig Absolu tton erteilt hat, bleibt mir nichts mehr übrig, als ihr für ihren ferneren Lebensweg Glück zu wünschen." Er sah, wie sie, von seinen herben Worten getroffen, traurig und ergeben den Kopf senkte. Ta packte ihn noch einmal der ganze Jammer des Berlassenseins. Er riß ihre beiden Hände an sich, preßte sein Gesicht hinein uns bat: „Ja — ja, bleibt menie Freunde, Schwester Sonnen schein und Klaus — helft mir, steht mir bei! Ich werde euch noch nötig haben, denn ich bin nun ganz allein!" „Wir haben beide keine Geschwister und Sie werden uns immer der liebste Bruder sein! Und nun kommen Sie, Hinnerk, nehmen Sie meinen Arm. So großen Auf regungen ist Ihr Befinden noch nicht gewachsen. Sic müssen ruhen." ' Da war wieder die mütterliche Sorgfalt: die mit gütigen Händen Balsam streut. Er legte gerührt, mit weh mütigem Lächeln, seinen Arm in den ihren und ließ sich willia von iltt ins Haus führen.