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- Erscheinungsdatum
- 1920-05-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-192005086
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19200508
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19200508
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Riesaer Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1920
-
Monat
1920-05
- Tag 1920-05-08
-
Monat
1920-05
-
Jahr
1920
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koscr, rverrn ich — em audcrrnak —" uiü> Witt schon zur Tür Lliimrs, als -rangen d e Hausglocke ertönt. ' „L. arten Siel Das lann Herta sein — und dann tonnen Lte ja gleich —" Wanda eilt hinaus, und der Jüngling glaubt be merkt zu habe:«, dass ihr Auge zornig ausleuchtete. So *^pas hat er nie an ihr kennen gelernt, und in ihm ^It wieder das Herz in der Schwebe, sein armes Herz. und während der Zeit da draußen bei der Tür die Zwilunge in lei em Gespräch. .»Ich geh nicht wieder hinein, ich habe Kopfschmerzen — sag' ilnn das!" „Kopfschmerzen? Tie hast du sonst doch nie!" ,^Loch, Zahnschmerzen zuweilen, und die sind im Kopf, und letzt hämmert mir auch Schloss dabei. Und was soll ich da drinnen? Dir will er etwas gestehen. Las «st klar." „Etwas zu gestehen, das bringt er nicht mehr fertig. (Ja, früher, da war ec noch ein Mann. Jetzt aber ist er schwankendes Rohr. Aber trotzdem — du hast ihn doch lieb. Komm also!" Ta ruft die Ainanda, so laut ruft sie das, daß die Schwester warnend den Finger aus die Lippen legt: „Ich ihn lieb? Ich will nichts mehr von ihn« wissen. Du kannst mit ihm machen, »vas du willst." „Gut, dann will ich ihn tüchtig zappeln lassen." ,L»e rate ihn doch! Darauf allein steht dock« dein Sinn!" So die sanfte Ainanda. Tigerin ist sie geworden, den Mann da drinnen könnte sie zerreiße««, tut sich selber aber nur weh. Sie geht rasch in ihre Kammer uns wirft s.ch angeklcidet anfs Bett und weint still in die Kissen hinein. Die andere aber denkt: Machen kann ich mit ihn«, was ich null? Hab' Dank, Schwesterchen! Dann nutz' ich eneine Z«t — vielleicht. Und springt ins Zimmer und begrüßt den Herrn Franz, entschuldigt die Schwester und beginnt zu strahlen wie die Sonne. Das sprüht und funkelt und leuchtet, und den« Jüngling wird Herz und Seele warm dabei. Tas ist anders, das reißt mit sich fort. Da trifft ihn Hertas leichte, spöttische Frage: „Sie wollen mich etwas fragen, hör' ich?" Ach, sofort ist das Schwanken wieder da. „Es ist etwas ganz Dummes, das unk durch den S«nn schoß. Ich kann cs jetzt wirklich nicht." „Run machen S:e mich aber neugierig, ich will'S lö en. Auf der Stelle!" „Sie würden mich anslachen, und dem will ich mich nicht aussehen, auf keinen Fall." Dein werd' ich schon die Zunge lösen! denkt Herta und hat gleich einen Einfall. Sie klingelt dem Mädchen, und läßt Kuchen und Mein auftragen. „Stur meinetwegen!" sagt sie fröhlich „Meine Fahrt bat mich ermüdet, ich mutz trinken und knabbern. Sie hctien mir aber, nicht wahr?" Und schenkt ihm ein und schiebt ihm zu, und er itzt und trinkt: das Mädchen ist un widerstehlich in ihrer bezanLerndcn Laune. Und sie lachen «nd plaudern — von der Kunst natürlich: er ist Bild hauer, sie Malerin. Aber die Kunst ist ihr jetzt nur Brücke, worüber sie Sturm laufen will, geradewegs auf ihr Ziel Vos Es prickelt sie, es jagt sie, ihre Augen funkeln. Bald har der Wein ihm die Zunge locker gemacht, und plötzlich fordert sie: „Stun aber endlich gestehen, und selbst wenn rs etwas gauz Dummes ist." ,Zch kann es nicht — eS steht etwas Livischen uns." ,Sa, eine trennende Mauer," sagt sie, „und ist doch uu. das kurze Wörtlein „Sie", das Künstler niemals hem me,-. sollte. Sofort soll diese Mauer fallen!" — und bebt das «'slas: „Auf du und du!" und sie trinken und reichen ci-ander die Hand. Sa durchbraust ihn ein Sturm, und er weif; kaum, leas er sagt, als er übermütig ruft: „Da fehlt noch e was! Wenn Männer Brüderschaft trinken —" ..Warum nicht?" sagt das Mädchen heiter, und sie lös, ihn auf den Mund Und jäh ist er aufgesprungen — alle Himmel tun sich vor ihm auf. Jetzt mutz er es sage», jetzt! Muß sie wiescrküsseu, sie an sich reißen — aber er küßt sic nicht, »vag« es nicht, sie zu berühren. Seltsam! Seltsam! — Eiwas ganz Sonderbares begibt sich in seiner Seele. Mit einem Male taucht die andere aus vor den Augen seines Geistes, in zauberischem Lichte, aber hoch, unerreichbar, und cs packt ihn eine uncrrlärliche Angst, baß sie ton« ganz entschwinden könnte. Da sagt er mit schwerer Zunge, leise stockend, aber unter einer unwiderstehlichen Macht: „Jetzt will ich es dir sagen. Ick, l itte dich, sprich für mich be« deiner Sck Wester. Ich Hai c !«e so lieb, datz ich ohne sie nicht leben kann!" Als Herta ter Brink das hört, ist ihr zumute, als sei der Plitz eingeschlagen. Sie preßt die Hände aufs Herz, beide Hände, atmet tief auf und eilt dalstn, wo sie die Schwester findet. Die reißt sie empor: ,HVas heulst du! Da;» vast du gar keine Ursache. Dich chat er lieb. Hoch- rrii kannst du malhen. Komm!" Uno zerrt sie mit sich und wirft sie den« Manne ans Herz, der nocb immer bastelst, totenbleich, und starr, uuo ruft: „Da habt ihr euch! Küßt euch, liebt euch — «nacht, was ihr wollt!" Und hinaus, zur Tür ist sie. Flie!.>en, nur fl.ehenk Aber wohin? Sie eilt tue Treppen Humus, höher, im- mer höher, und aus dem höchsten Giebelzimmer tritt sie hinaus auf den luftigen Söller. Hmab in die Tie'e! Da leuchtet ihr von unten ein Beet mit Rosen entgegen, Weißen und gelben Noien. Hinab stürzen und verblutend all' die Rosen färben! O Herz, Z iern Herz, und lvenn du im Sturz nicht verblutest? Da schreit es in ihr jäh auf: „Leben! Leben! Ihnen zum Trotz gerade leben! Leben und nichts merken lassen!" Und dre Treppen hinunter in rasender Hast, hinein in die Küche — ein Weiser ergriffen und hinaus nach draußen an das Beet mit blühenden Rosen. Abgeschnitten, die besten, die edelsten, zum Strauße geordnet uns zusam- mengebunden! DaS s.idene Band schlingt sie herum, bas. sie um den Hals trägt, mit dein goldenen Herzen daran» i«nd schlingt das Herz mit um die Rosen, ihr glühendes, blutendes Herz. .Und daun rasch lmeder ins Haus hinein! Da trete» ihr die beiden entgegen, Sorge und Angst in denl Mienen. „Wir glaubten schon, dir wäre etwas geschehen." - „Mir?" „Du warst so sonderbar. . ." „Sonderbar? Bon Herzen fröhlich bin ich. Ulid mei nen Glückwunich bring' ich dir, «L-chwester!" Und streckt ibr den herrlichen Strauß entgegen und lacht dazu mit beiden Augen — und wenn auch das Herz ticfdrinue« aufschceien will, sie dämpft es, dies wildzuckende Herz: Stille >Stillc sein! — und es wird stille. Als die glücklichere Schwester dies sieht, die lachen den Augen steht, da atmet sie auf: „Tank, Dank, d» liebes Herz! Dre köstlichen Blumen — gleich will ich sie ins Wasser tun." Und eilt hinaus. Nun stehen sic sich gegenüber, dre vor ein paar Minuten Brüverschast miteinander getrunken haben, und ihre lachenden Augen halten auch ihm stand und seiner stummen Frage. „Meinen Glückwunsch, Schwager!" sagt sie mit fröh licher Stimme. Da rollt ihm ein Stein vorn Herzen . „Gott sei Dank!" ruft er. „Und hier hast du den Küß, den ich dir noch schuldig bin, Schwätzerin! Nun alles geklärt ist, will ich dir geliehen, daß mein Herz ge schwankt hat zwischen euch beiden — bis zum letzten Augenblick. Eure Schalen waren in der Schwebe, doch als ich dich haben konnte, olm' all' mein Bcrdienst, gerade da kam zu der Schale deiner Schlvester ein leises Quentlein hinzu — durch dich — sag', ist das mcht zum Venoundcrn?" Als sie das hörte, Herta ter Brink, da wollten ihr Tränen aus den Augen stürzen: aber sie zwang auch die Tränen und sagte lächelnd: ,„Fa, das ist wirklich sclfr sonderbar." AuS der Geschichte der Glocke. Wie in allem Unglück auch immer etwas Gutes enthal ten ist, so hat die durch den Krieg notwendig gewordene Be schlagnahme der Glocken wenigstens den Vorteil gehabt, datz die Glockenkundc nm interessante Arbeiten bereichert worden ist. Der Nebcrblick über den Bestand an Glocken in den ein zelnen deutschen Provinzen, der durch die Ausstellung der Glockenoerzeichnisse gewonnen wurde, führte zu einer Durch arbeitung des ganzen Materials. So haben auch die Glocken der Provinz Brandenburg auf diese Weise eine neue Erfor- schrrng und Inventarisierung erhalten in den« Werl von Prof. F. Wolff, das vor kurzem in dem Berliner Architektur- Verlag „T-er Zirkel" erschienen ist. Nicht nur über die Glocken Brandenburgs, sondern über die Entwicklung der Glocke Überhaupt erhalten wir hier eingehende Mitteilungen. Schon im Altertum waren Glocken, Glöckchen «nd Schellen bei den Aegyptern, Hebräer», Griechen und Römern bekannt. Viel leicht das älteste noch vorhandene Beispiel einer solchen an tiken Glocke ist die im Berliner Vorderasiatischen Museum auf bewahrte Glocke ans dem 9. oder 8. vorchristlichen Jahr hundert, die ans einem der Paläste von Ninive stammt, aus Bronze besteht und mit Neltefdarstellungen assyrischer Dämo nen verziert ist. In der christlichen Zeit ist der heilige Pauli nus, Bischof von Aola in Companien, als der Erfinder der Glocke gefeiert worden» wozu vielleicht «in zufälliger Gleich klang der lateinischen Bezeichnung „Campana" für große und „nola" für kleine Glocken die Veranlassung gegeben hak. Die Legende berichtet, baß der fromme Bischof, als er einst in friedlicher Abendstille auf einer Wiese dahinwandelte, -en Herrn um ein Zeichen bat, datz er bei ihm weile. Alsbald vernahm er von allen Seiten ein zartes Klingen in de« Lüften, und beim Umschauen sah er die blauen Glockenblume« sich hin und her neigen, sodatz ihm war, als ob die Blume« wie Glöckchen klingelten nnd ihm damit das göttliche Zeichen -rächten. Zum Audenke« a« -ieseS Erlebnis ließ er eine grotze Glockenblume in Erz gießen, im Dom von Nola an bringen, um mit diesem weithin tönenden Erzklang die Ge meinde -um Gottesdienst zu rusen. Jedenfalls sind im 6. Jahrhundert etioa die ersten christlichen Glocken entstanden, und zugleich mit dem Christentum kamen sie «ach Deutschland. Der Papst Sabinianus (604—VW) soll denGebrauch in dieitirch« ringeführt haben. In Deutschland sind die Glocken unter Karl dem Großen bekannt. Seine bleibende und endgültige Form erhielt der Gebrauch der Glocken aber erst tm Anfang des 13. Jahrhunderts. Um diese Zeit sind auch die ersten Glocken in der Mark Brandenburg nachweisbar. Die fromme Vereherung der Glocke und ihres weihe vollen Amtes kommt nicht nur in schönen Sprüchen, son dern auch in dem reichen Glockenfchmuck zum Ausdruck. Die ersten Verzierungen der Glocken bestehen tm Hermnlegeu eines Bandes um -en Hals. Zuerst sind es Rauten und Zick zack-Ornamente, die das Band schmücken ; in der Gotik treten nach oben Zinnen-Ornamente, nach unten Spttzbogenfriese auf. In -er Renaissance entwickelte sich diese Ornamentie- rung zur höchsten Blüte in den herrlichen Sausewinden, die die Glocke umkränzen r in der Barockzeit wird die Glocke mit Putten, Allegorien und breiten Festons überreich bedeckt. Für den figürlichen Schmuck war «ine kirchliche Vorschrift maß gebend : „Die Glocken dürfen keinerlei profane Bilder ober Inschriften tragen, sondern nur das Bild -eS PatronS der Kirche oder ein anderes heiliges Bildnis mit religiöfe^Hrp- fchrift." Neben -en Figuren der Heiligen find hauMVHliH Szenen aus der Lebens- und Leidensgeschichte Christi MLeH Glocken dargeftellt, gewöhnlich in Medaillonform von eknettt Künstler in den Mantel eingeritzt, nicht vom Gießer ver- fertigt. Sodann treten die Evangelistensymbole vielfach än^ Glockenschmuck auf. Daneben findet mau Rosetten, heraldische Adler und allerlei Fabeltiere dargeftellt: auch architektonische Bilder komme» vor, und Münzen werden tu die Glocke «tn- gegoffen. Ein besonders auffälliger Glockenfchmuck sind die WallfahrtSzetchen, die nach Schmuckstücken geschaffen wurden, die die Pilger von ihren Wallfahrten mitbrachten. Diese Wallfahrtszeichen, die die Pilger nur an -em Wall fahrtsort selbst erhalten konnten, bildete» bet der Schwierigkeit und den Gefahren einer solchen Reise ein Kleinod für den Empfänger und einen Stolz für den ganzen Heimatöort. Nicht selten stiftete,« sie diese reichverzierten Pilgerzeiche» der Kirche und dadurch kamen wohl die Gießer ans -en Ge danken, sie als Glockenschmuck zu verwenden. Sie sparten da mit bte Kosten für die Verfertigung besonderer Schmuckstücke, denn die Wallfahrtszeichen konnten gleich auf das Glocken hemd aufgeklebt werbe««. Die Herkunft Lieser Wallfahrts zeichen läßt sich bet der große» Zahl der Wallfahrtsorte schwer feststellen, doch ist an der Glocke zu Droysig im Kreise Weißen fels -er Schmuck als das Wallfahrtszeichen der Wundcrblut- kirchc zu Wilsnack erkannt worben. Der Vater der Soztslagte. Au« verflossenen 26. April jährte sich znm 100. Male der Tag, an dem Herbert Spencer zu Derby in England als Sohn eines Lehrers geboren «vnrde. Er ist der eigentliche Schöpfer der modernen Gesellschaftslrhrc, für dte er das Wort Soziologie geprägt hat. Sei» nnvcrgärrglicher Ruhm ist es, durch die Herbetschaffung eines nngeheuren Materials, den Weg gezeigt zu haben, auf dem wir zu einer Erkenntnis -es sozialen Werdens gelangen können. Der Grundgedanke, auf dem seine Weltanschauung ausgebaut ist, daß auch die sozialen Organismen nicht gemacht werde», sondern sich ent wickeln und wachsen, wie die Formen -er Natur, stammt ans der deutschen Romantik, die gegenüber der mechanistischen Ge schichtsauffassung der Aufklärung das Walten geheimnisvoller Gesetze in der Geschichte betonte. Jedenfalls hat bas Studium des Lebens in all seinen Aeußerungen durch das Lebenswcrk Spencers einen neuen Sinn erhalten,- eine ganze Wissen schaft ist ans seine»« Anregungen hervorgegangen, und dte Menschheit ist ihm zu großem Dank verpflichtet, weil er zu jenen ordnenden und klärenden Geistern gehört, die in der scheinbaren Willkür das Gesetzmäßige entdeckten und in der verwirrenden Vielgestaltigkeit der Dinge die Einheit der Welt suchten. Mit dein unbeirrbaren Instinkt des Genies hat Spencer in seinem ganzen Leben dies eine Ziel verfolgt, hat Krankheit nnd Not siegreich überwunden und seine neue BetraäftnngSiveise der Dinge ans alle Formen -eS Lebens ausgedehnt. Bereits nach dem Erscheinen seiner „Psycho logie" in« Jahre 1858 schien dir riesige Arbeit, die er sich zu- acinutet hatte, seine Gesundheit völlig untergraben zu haben. AlS er dani« 1859 das erste Kapitel seines Hauptwerkes, de» „Grundlagen", vollendet hatte» erfolgte ein völliger Zusarn- menbrnch, und er mußte ein ganzes System von besonderen Künsten ersinnen, um seinem kranken Körper die nötige Arbeitskraft abzulisten. Als er dann datz Werk aus Sub skription -rucken ließ und sich nicht genügend Abnehmer fan den, stand er vor dem Bankerott und war ans die Unter stützung seiner Freunde, unter bene», sich John Stuart Mille, Hurkey, Tyndakl nnd andere befanden, angewiesen. Doch all diese Hindernisse konnten ihm nicht abhalte«, immer 7 weiter an der Ausgestaltung seines Werkes zu schaffen. Mit Aufbietung seiner letzten Kräfte schuf er 1878 -e« Schluß* stein des gewaltigen Gebäudes seiner Wissenschaft, dis »Ethik'. Dann hat er noch, unberührt vo» allen äußere« Erfol gen und Ehrungen, dte Wirkung seiner Lebensarbeit mit an gesehen und ist am 8. Dezember 1003 gestorben. Spencers Größe lag in seiner außerordentliche» Fähigkeit, in der Fülle -er Einzeltatsachen den großen Zusammenhang aufzuspüre« und auS unzähligen Steinchen ein harmonisches Bild zu ge stalten. Dabei war er in der ganzen Art seines Schaffen» naiv; alles Grübeln und Zweifeln lag ihm fern. Wohl kann» ein anderer großer Philosoph hat eine solche Abneigung vor dem bewußten anstrengenden Denken gehabt wie er. Dafür ist ein kleiner Zug, den er in feiner Autobiographie erwähnt bezeichnend. George Eliot wunderte sich einmal darüber, daß seine Stirn so gar keine Runzeln zeige. „Das mag wohl daher kommen," erwiderte er, „datz ich mir nie den Kopf zerbreche." „Das ist aber der anmaßendste AuSspruch, den ich je gehört habe," sagte daraufhin dte Dichterin. „Gan- und gar nicht," sagte Spencer, „wenn Sie mich nur richtig ver- stehen." Er meinte damit, wie er selbst an anderer Stelle er klärt, daß er bewußt stets nur dte einzelnen Dinge betrachtet habe und daß die zusammenfaffenden Schlüsse ohne sei« Zu tun vom Unterbewußtsrin besorgt wurden. Der Naturmensch al- Entdecker. Die gewisse Geringschätzung, die wir bisher von der Höh« unserer Knlturerrungenschaftcn herab dem Naturmensch««' gegenüber gehabt haben, weicht immer mehr einer Auffassung, ''Pie in gebührender Bescheidenheit auch dte Vorzüge der primi tiven Völker erkennt. Wie unsere Kunst bei Len Wilden in die Lehre geht, so hat auch die Wissenschaft bei ihnen gelernt. In seinen vor kurzen erschienenen „Populären biologischen Borträgen" «seist der Wiener Pflanzenphysiologe Pros. Dr. Hans Molisch in einem der Aufsätze ans die staunenswerten Entdeckungen hin, dte der Naturmensch ans dem Gebiete der Botanik gemacht hat. So sind z. B. die kkoffeinpflau- ,en, von denen Tee, Kola und Kaffee der alten, der Mate- oder Paraguay-Tee, der Kakao und die Gnarana der neuen Welt angehören, von den Naturvölker«« als nervener regende Stoffe erkannt und seit uralter« Zeiten iu Gebrauch genommen worben. Obwohl der wirksame Stoss, das Koffein, «veder riecht noch einen besonderen Geschmack ha«, machten die Naturmenschen mit außerordentliche,n Spürsinn diese Pflanzen auS der Unmenge von andern Gewächsen ausfindig, und ohne ihre Leistung würden wir wahrscheinlich von Koffein und Kofseinpflanzen noch garnichtS wissen, den«« die Chemie hat erst auf Grund dieser Entdeckungen in -en Pflanzen ein und dieselbe Substanz, nämlich das Koffein, als den wirksamen Stoss erkannt. Ebenso wie mit diesen Genußmitteln verhält eS sich auch bei den Arzneipflanzen. Die meisten der heute von der Medizin venverteten Pflanzer« werd«»« seit dem grauen Altert»,» zu Heilzwecken gebraucht, und auf viele der besten Heilmittel aus dem Pflanzenreich sind «vir durch die Naturvölker hlngewiese» worden. Der primitive Mensch unterscheidet mit großer Sicherheit giftige und nützliche Ge wächse, findet bei beiden die Heilwirkung heraus und versteht es, sie zweckmäßig zu benutzen. Sodann «vareu dte Natur völker unsere Lehrmeister in der Verwendung der meiste»« Rohstoffe detz Pflanzenreiches: sie haben aus die Gummi arten, die Harze, Kautschuk, Fette, Stärke, Rinden, Hölzer, Faser», Mnrzeln, Sanken, Früchte nsw. hingrwicscn. Ein glänzendes Beispiel für die fabelhafte BcvbachlunaSgabc des Naturmenschen vietct dte Art nnd Weise der Gewinnung des Pa lurm eines in den Tropen Die Wissenschaft hat erst neuerdings nachgewiesen, daß bei der Hergabc der Flüssigkeit durch den Banin ein Wundrciz die Hauptrolle spielt, Ler de« tm Stamm durch Auslösung der massenhaft angehäusten Stärke gebildeten Zucker veranlaßt, sich gegen die Wundflächc zu bewegen. Der Naturmensch aber hat vor langer Zeit die Lebensvorgänge in« Blütenstand so genau beobachtet, baß er durch eine geschickte Manipulation imstande »var, die Palme er folgreich abznzapfen. Achnlich geschickt ist der Wilde darin, sich tadelloses nnd reichliches T r i n l w a s s e r a u S Pflan - zen zu verschaffen. Löenn man im javanischen Nrivald de» Stamm einer Liane rasch durchschneidrl, so fließt »veder anG der unteren noch aus der oberer« Schnittfläche Wasser heraus. Durch!,ackt man dann aber in einiger Entfernung übe: der Schnittfläche den Stamm non nevein und hält das abge trennte Stamwstüct lotrecht, so strömt Wasser in oft über raschend großer« Mengen heraus. Es ist ein Verdienst der tropischen Naturvölker, diese Art der Trinkauclle ausfindig gemacht zu haben Während das Geschlechtsleben dev Pflanze» wissenschaftlich erst seit Ende des 17. Jahrhundert»! genauer beobachtet wurde, haben die Naturvölker zweifellos schon eine Ahnung gehabt von den gctrcnntgeschlechtliche« Pflanzen, obwohl sie sich von dem eigentlichen BefruchtungSakL keine richtige Vorstellung machten. Schon zu Herodots Zette«, unterscheiden die Babylonier männliche nnd weibliche Dal» telm.lmen, nnd nach uralter Tradition wreckcu unsere
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