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A. Beilage zum „Riesaer Tageblatt". Rotationsdruck und Verlag von Langer L Winterlich in'Riesa. — Für dir Redaktion verantwortlich: Arthur Hähnel in Riesa. .1- SS4. Lonnabciid, IS. Dezember t'114, abends. «7. Jahrg. Volksbewutztsei». So war eS selbst 1870 nicht, wie in diesem Kriege! Ein so einmütig geschlossenes Bewusstsein unserer deut- schen Zusammengehörigkeit, wie wir cs erleben dürfen, das ist die erste große Errungenschaft dieser ernsten aber auch erhabenen Zeit. Wir wollen uns dieser Errungen schaft rnnigst freuen. So tknnia, daß sie uns selbst so manche Bitternis, so manches Leid dieses Nicsenkampfcs, wenn auch nickt vergessen, so doch in verklärtem Lichte schauen läßt. Und gerade dieses gemeinsame Leid neben der gemeinsamen Freude wird zum einigenden Bande. Gerade eS vertieft auch das Volksempfinden, wie eS das des Etinelnen zu vertiefen pflegt. Es ist Sache des reli giösen Glaubens, jedes einzeln: Leid als besondere gött liche Schickung, als besonders zwcckvolle Fügung auf zufassen. Soviel aber lehrt auch schon die nüchternste Be trachtung der Welt und des Lebens, daß ohne das Leid die Menschheit nicht hätte werden können, was sie ist. Kraft und Charakter mögen auf den Inseln der Seligen ihren verdienten Lohn . finden: aber dort wachsen, bas können sie nicht. Dazu bedarf cs des Kamps l, des äußeren nicht nur, sondern auch des inneren. Und wessen ganzes Leben in lauter leichter und heiterer Fröhlichkeit verliefe, der würde nie wissen, was Mensch sein hieße. Der würde me Gelegenheit haben, seine Seele zu finden. Auch die Volksseele wird nur in beidem gefunden: in Freud' und Leid. Und die erstere wäre nicht da ohne das letztere. Was Wohlsein heißt, weiß auch ein Volk nur, wenn's das Uebelsein gleichfalls kennt. Und so ist'S am Ende gut, daß wir diesen Krieg nicht spielend leicht gewinnen. Wir wollen nicht der Vorsehung in die Karten schielen. Es wäre anmaßend und lächerlich zugleich, wollten wir die Weltenschicksale deuten, als ob wir mit dem lieben Gott bei der Schöpfung zu Rat gesessen hätten. Die so etwas versuchten, haben noch immer das verdiente Ge lächter aller Verständigen geerntet. Aber Tatsachen kön nen wir feststellen. Was ist. bas dürfen wir sagen. Und baß dieser Krieg kein Spiel ist, und baß er eben durch die allerhöchsten Anforderungen, die er an uns stellt, an unsere Ausdauer, an unseren Mut, an unseren Opferwil len, an unser Verständnis, daß er eben dadurch uns als Volk so fest zusammenschweißt, so streng erzieht, so groß zügig macht und über alte Kleinigkeiten der Friedenszeiten Hinwegkommen läßt, das ist einfach feststellbare Tatsache. Wir hatten vor 1813 schon eine blühende deutsche Literatur, eine deutsche Philosophie, eine deutsche Musik, eine deutsche Kultur. Aber ein deutsches Volksbewußtscin hatten wir deshalb noch nicht. Das „Joch Napoleons" war in Nheinbundslanden durchaus nicht jedem Deutschen schwer. Der fremde Herr fand sogar seine überzeugten Lobredner in den Kreisen angesehener Gelehrter und Ge bildeter. Und wer in Preußen oder Oesterreich von dem einen deutschen Volke hätte reden wollen, der hätte man ches verständnislose, ja sogar manches mißtrauische und bitterböse Gefickt zu sehen bekommen. Und vor 1870 hatten wir eine starke deutschnationale Bewegung. Deshalb sanden sich trotzdem noch Deutsche genug, die mit dem neuen Stand der Dinge nicht einverstanden waren und es kostete erst Parteikämpfc. ehe sich Süd- und Nord deutschland einigten, und aus übergelauscnen Hanno veranern konnten die Franzosen eine eigene Legion bil den. Lauter Undcnkbarkeitcn in dem jetzigen Kriege, in dem ein eitelkeitgeplagter Einsiedler wie Liebknecht nur noch eine komische Figur macht, und das Gezänk einiger verknöcherter Kleinigkeitskrämer nicht das kleinste Zeitungs blatt mehr in Bewegung versetzt. Was früher fehlte, war das gemeinsame Erleben. Solange der deutsche Gedanke eben nur erst Gedanke war, nur Theorie in gelehrten Kreisen, da schwebte er über der Wirklichkeit, körperlos, ohne Halt. Er mußte erst Fleisch und Blut werden. Er mußte erst Leben bekommen, einheitlichen Pulsschlag, starkes Fiihlen in der ganzen großen Masse. Der Große Kurfürst hatte schon ein kräf tiges Bewußtsein des Deutschtums sogar vor der poli tischen Seite. Aber er war eben nur der Herr von Bran denburg. Man kannte ibn noch kaum, jenseits der Grenzen der Kurmark. Das wurde schon besser bei Friedrich dem Großen. Sein Name klang weiter. Und die deutsche Geisteswelt des 18. Jahrhunderts schuf schon einmal ein gebildetes deutsches Publikum. Aber das alles erlebten die Masst»» noch nicht innerlich mit. Sie hörten von die sen Dingen nur erst wie von fremden, spannenden Ge schichten, nicht viel anders, wie Märchen aus 1001 Nacht. Da kam Leipzig! Freilich, auch diese Schlacht erlebten die Süd- und Westdeutschen noch im Gegensatz zu Preußen und Oester reichern. Und dann tat die Metternich'sche Reaktion alles, um den Eindruck dieses ersten gewaltigen neudeutschcn Er lebnisses nicht zu nachhaltig wirken zu lassen. Die Ge dächtnisfeiern wurden verboten und em Denkmal kam erst ein volles Jahrhundert später zustande. Trotzdem war die Erinnerung an Leipzig schon volkstümlich. Ein gro ßer Teil, der bei weitem größere, hatte das gemeinsame Erlebnis, in dem sich alle Gefühle wie in einem leicht verständlichen Sinnbild begegneten. Die Bismarckscheu Kriege verbreiterten das Strom bett des deutschen Fühlens ganz gewaltig. Sodann brach mancher Damm, den Leipzig noch hatte stehen lassen. Aber immer blieben noch einige stehen. Kulturkampf und So zialistengesetz bewiesen, daß noch immer Hemmungen der Auflösung in das deutsche Gemeinschaftsgefühl wider standen. Und die Oesterreicher waren draußen geblieben. Die Elsaß-Lothringer wurden erst neu hereingeholt. Wohl wuchs nun in 44 Friedensjahren bei der fleißigen gemein samen Arbeit viel wichtiges gemeinsames Interesse. Aber zu gleichmäßig klarem Bewußtsein kam eS nickt überall. Dazu bedurfte eS wieder des sinnfälligeren Zusammen lebens. Und da kam dieser Krieg. Da galt von unseren Feinden wieder einnml das Bibelwort: Sie gedachten eS böse mit uns zu machen und mußten uns doch nach Got tes Willen nur einen großen Dienst leiste». Die masuri schen Seen und die Eroberung Antwerpens, die , Emden" und unser südamerikanii'chcs Geschwader, die lwocn sie gesfrohen Stunden und die bitteren des Harrens oder des Schmerzes: die zwingen nun unser Volk hinein in ein ge meinsames Denken und Fühlen, in ein Vergessen aller minder wichtigen Dinge, in ein deutliches, klares und so Gott will nunmehr bleibendes Bewußtsein seiner selbst. Sri !>u s-s ZMUiiW m Mu. : ulcrew Kriegsberichterstatter. e - i s c'-' Großes Hauptquartier Dezember. In Lille. Wie in der Krwgsführung ist auch in der Kriegs» berichterstattung eine neue Phase cingetreten. Die Kriegs berichterstatter im Großen Hauptquartier, welche bisher gemeinsam von den großen Ereignissen an der Front Kenntnis bekamen, werden nunmehr zeitweise in die Lage versetzt, einzeln oder in kleinen Gruppen die verschie denen Truppcnkörper zu besuchen und dabei mit den Armee kommandanten und ihrem Stab in Fühlung zu kommen, von der Lage an den einzelnen Punkten der westlichen Schlachtfront Kenntnis zu erhalten und mit tieferem Blick in das Räderwerk des Krieges auch die vergangenen Er eignisse genauer aufzcichnen zu können, als eS bisher möglich war. Ich kann diesmal von der Armee des Kronprinzen Ruppreckt von Vapern berichten, die nicht nur aus bay rischen, sondern auch aus sächsischen und preußischen Trup pen besteht, denen allen die impulsive Kraft ihres präch» tiaen Führers inncwohnt. Seine Armeebefehle sind das Morgengebet seiner Soldaten. Bei den hannoveranischen Regimentern hat sich Zeitungsnachrichten zufolge im Felde ein neuer Gruß eingeführt, der von dem tiefen Haß des deutschen Soldaten gegen die Engländer diktiert wurde. Wenn ein Hauptmann des morgens bei diesen Regimen tern, deren Landesherr aus der Liste der britischen Prin zen gestrichen wurde, seine Soldaten grüßt, so klingt es nicht wie früher „Morgen .Kameraden!" sondern: „Gott strafe England!" Und als Antwort tönt es zurück: „Er strafe es!" Die Bayern, die es hauptsächlich mit Englän dern und ihren farbigen Hilfstruppen zu tun haben, wollen mit der Strafe für alles Britische nicht erst den lieben Gott belästigen. Sie haben das mit ihrem Kron- Jeinde und Ireunde. Kriminalroman von N. MandowSky. 24 18. Kapitel. Die Herausforderung. Der Abend deS Eyarmathyschen Festes war gekommen l Auf dein vornehmen, sonst so ruhigen Szabadsagter gab es eine ganz imposante Auffahrt von Wagen, welche einander vorznfahren trachteten, um sich baldigst ihrer in Pelz, Samt und Seide gehüllten Last zn entledigen. Es war ziemlich kalt und ein feiner Sprühregen fiel. So eilten alle, um so schnell wie möglich in die schützenden, wohl durchwärmten Räume des gastlichen Hauses zu gelange». Die ganze Feusterreihe deS ersten Stockwerkes war glän zend beleuchtet und zeigte sofort, wo die Festräume lagen. Dort herrschte schon ein lebhaftes Durcheinander von Gä sten. Der Hausherr stand an der Tür des ersten Gemaches und empfing die Einlretenden, die Damen mit Handkuß oder tie fer Verbeugung, die Herren mit herzlichem Händedruck. Für jeden hatte er ein liebenswürdiges Scherzwort zur Begrüßung, und niemand sah ihm die geheime Ungeduld und Erwartung an, während er den Hausherrn so vorzüglich repräsentierte. Der Grund seiner Ungeduld aber war, daß Frau Alain noch nicht erschiene» war, ohne welche ihm das ganze glän zende GesellschaftStreiben nm ihn her schal und leer erschien. In den letzten Lagen war, vielleicht gestachelt durch den Widerstand, welchen er gefunden, seine Leidenschaft für die schöne Frau bis ins Unendliche gewachsen, und er befand sich in einer gefährlichen GemiitSstimmung, die ihn geneigt machte, jedwelche Torheit für seine verbotene Liebe zn begehen. Immer ungeduldiger schweiften seine Blicke durch die kö nigsblauen, zur Seite gerafften, schweren Samlportiereu. ES waren bereits fast alle Geladenen erschienen, nur noch ein zelne Nachzügler kamen, und der Hausherr hätte eigentlich seinen Posten an der Tür längst verlassen können, trotzdem aber stand er wie festgebannt und wartete. Da endlich! Das Rauschen einer seidenen Schleppe — sie war «S! „Langsam. fast nachlässig sicher, nicht wie jemand, der zum ersten Male ein fremdes HanS betritt, stieg sie die Treppe hinauf. Der winzige Fuß in dem feinen, goldfarbenen Schuh berührte kaum den dunkelroten Plüschläufer. Ein wunder volles, goldfarbiges Kleid umschloß gleich einer schillernden Schlaugenhant dcn geschmeidigen Körper, welchen die Schleppe größer erscheinen ließ. Um den alabasterweißeu Hals lag eine herrliche Niviere aus birnenförmig geschliffenen Rubinen gleich Blutstropfen, und an der formvollendeten Büste steckten ein paar gleichfarbige Rosen. Das nachtschwarze Haar, schein bar künstlich in schweren Knoten aufgesteckt, war ohne jeden Schmuck. Der Mann starrte so gebannt auf die faszinierende Er scheinung, daß sie ihn lachend an seine Pflicht als Hausherr erinnern mußte. Dann aber bot er ihr eifrig den Arm und führte sie in den ersten Saal, in welchem viele der Gäste plau dernd und promenierend sich anfhielten Das Eintreten Fran Alains erregte Sensation. Erstaunte, neidische oder auch be wundernde Blicke folgten der vollendeten Gestalt, welche ruhig plaudernd an Gyarmathys Seite ging. „Wohin befehlen Sie zunächst, meine Gnädige?" „Das bedarf doch keiner Frage! Führen Sie mich zunächst zn Ihrer Frau. Ich habe sie noch nicht gesehen. Sie ist natür lich sehr umringt?" „Sie ist, wie immer, die Perle einer Wirtin. Niemand in der Welt versteht es besser, eine Gesellschaft zu empfangen und zn unterhalten als meine Frau; Sie werden das bald selbst beurteilen können, meine Gnädige." Bei diesen Worten hatte er sie rasch weilergeführt, aber sehr wohl war ihm dabei nicht zumute, denn er fürchtete, daß seine Fran den ihr aufgezwuugcnen Gast keineswegs mit offenen Armen empfangen würde. Ob die schöne Fran, welche so ruhig und selbstsicher an sei nem Arm dahiuschiveble, eine Ahnung davon hatte? Wenn ja, dann verstand sie es jedenfalls sehr gut, sich zn beherr schen ! Doch jetzt hatte man sich glücklich durch das Gewühl der Gäste gewunden und befand sich nun im Tanzsaal, wo eben daS hinter einer Blattpflauzsiigruppc verborgene kleine Orche ster seine Instrumente ruhen ließ, denn man hielt gerade ein: kleine Panse. In der Milte deS schönen, in Weiß und Gold gehaltenen Raumes stand die HanSfran unter dein Kronleuchter, von einem ganzen Hofstaat umringt. Sie sah heute nicht beson ders gut aus trotz der kostbaren Toilette aus weißem Samt und Silberstickerei. Das anmutige Gesicht war schneeweiß und nur die Augen, als das einzig Lebende darin, hatten einen fieberhaften Glanz. Einem aufmerksamen Beobachter wäre auch sicher aufgefallen, daß die arme Fran nur mit aller Geivalt eS ermöglichte, di« liebenswürdige Wirtin zn spielen. Natürlich hatte sie'längst alle Damen begrüßt nnd die üb lichen kleinen gesellschaftlich erlaubten Lügen auSgetauscht ivie: „Entzückt, Sie zu sehen, meine Teure!"— „Wie schön Sie heute wieder sind, mein Engel!" — „Niemand auf der Welt versteht seine weißen Locken mit unvergleichlicher Grazie zu tragen, wie Sie, Baronin!" und dergleichen mehr. Jetzt bestürmte mau sie, am Tanz teilzuuehmeu, nud sie wehrte sich lächelnd dagegen. Da fiel ihr Blick auf ihren Gatten, der eine Dame am Arm herbeiführte. Sie fühlte, daß der bereits lauge gefürchtet« Moment bevorstehe, wo sie dem Weibe, das ihr das Herz deS Gatten gestohlen und sie noch obendrein, gedemütigt hatte, gegcnüberstehen sollte. Sie wollte aber der Verhaßten um kei nen Preis zeigen, wie elend sie durch sie geworden war. Sa straffte sich jeder Muskel der schlanken Gestalt, und hochauf« gerichtet blickte sie Fran Alain entgegen. Diese schien die feindliche Luft, welche ihr hier entgegen wehte, noch immer nicht zn bemerken. Ruhig nud sicher, als sehe sie die vielen, teils erstaunt, teils feindselig auf sie ge richteten Blicke gar nicht, trat sie auf Fran Olivia zn nnd dankt« ihr mit einigen Worten für die „Einladung zn dem so reizend gelungenen Fest." Frau von Gyarmathy hatte der schönen Gästin weder di« Hand gereicht, noch einen Schritt entgegcngetan. Mit etwas hochmütiger Haltung deS schönen KopfeS bört« sie die gewandten Worte Fran Alains an, ohne eine Miene zn verziehen, dann sagte sie: „Da eS Ihnen also bei un» ge- fällt und mein Mann, wie ich sehe, bereits den Ritterdienst bei Ihnen übernommen hat, kann ich beruhigt darüber sein, daß Sie sich trotz deS Ihne» völlig fremden Kreises hier wohlsnhlcn, gnädige Fran — etwas, woran ich, off«i gestanden, vorher gezweifelt habe." 22S.M