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1. Beilage znm „Riesaer Tageblatt". Rotationsdruck und Bering von Langer L Winterlick» in Riesa. — Wir die Redaktion verantwortlich: Arthur Hühnel in Riesa. st? 1S8 Sonnabend, 1t. Juli Illi4, abends. «7. Jahrg. Umscha« in der trotzen Politik. Tie Nordlandsreise Kaiser Wilhelms hat die politische Ferienzeit auf ihren Höhepunkt geführt. In der inneren Politik ist die schöne „Sauergurkenzeit" eingekehrt, in der der Quell der Tatsachen nahezu versiegt, in der allein Kombinationen und Gerüchte gedeihen. Wenn darum jüngst ein großes Zentrumsblatt die Ernennung des SchahsekretärS Kühn zum preußischen Minister ohtie Portefeuille mit neuen großen Steuerplänen im Reiche in Verbindung brachte, so wird man an dieser Ankündi gung allerdings nicht achtlos vorübergehen, aber man wird sie in ihrer Tragweite nicht überschätzen dürfen. Tas Blatt kleidete seine Voraussage in eine so vorsichtige Form, daß der unbefangene Leser doch den Eindruck ge wann, als ob hier Kombinationen ein breiter Spiel raum gewährt werde. Denn die Steuervorlagen, die an geblich im Reichsschatzamt ausgearbeitet werden, sollten, so meinte das Zeitungsorgan, entweder in der kommenden Session oder in den nächsten Jahren dem Reichstag vorgelegt werden. Taß in den nächsten Jahren sich wieder Ansprüche an die Reichskasse geltendmachen, die mit den jetzt zur Verfügung stehenden Mitteln nicht zu decken find, das braucht man nicht abzustreiten, ohne darum gleich anzunchmen, daß des Reiches Säckelmeister mit neuen großen Finanzplänen an die Volksvertre tung herantrcten wird. Auch in der hohen Politik in Europa scheint, wenn nicht alle Zeichen trügen, die Sommerszeit in diesem Jahre wesentlich ruhiger zu werden als im Vorjahre, wo der zweite Balkankrieg Unruhe und Aufregung genug brachte. Zwar hängen am Balkan noch genug Gewitter wolken, nicht nur über den Bergen Albaniens auch über dem Karste Bosniens lagert dumpfe Schwüle, die sich einmal plötzlich in einem heftigen Unwetter ent laden kann. Aber die Wcttermachet der europäischen -Diplomatie tun alles, um das politische Barometer ans der gefährlichen Sturmnähe zn entfernen. Namentlich in der Tonau-Monarchie, die durch die Bluttat von Scrajewo doch aufs tiefste erschüttert schien, wird jetzt die Parole: Ruhe ausgegebcu. Gewiß hat der ehrliche Wunsch auch mit dem bösen Nachbär Frieden zu halten, den Kaiser Franz und seine Ratgeber bestimmt, von irgend welchen Vorstellungen an Serbieü abzusehchi, die nach dem Attentat von Serajewo nahe genug lagen. Aber cs fragt sich nur, ob diese Friedensliebe nicht falsch gedeutet wird als Eingeständnis einer inneren Schwäche, deren Annahme in den Berechnungen der Panslavisten doch eine beträchtliche Rolle spielt. Sekt sich aber bei den Slaven im Norden wie im Süden Oester reich-Ungarns einmal die Anschauung fest, der Doppel adler sei flügellahm, so werden die Herren zweifellos immer dreister in ihren Ansprüchen und es wird der .Habsburgermonarchie immer schwerer, sich dieser An sprüche zu erwehren. Schon heute denkt man ja in Ruß land geringschätzig genug von dem Tonanstaate und baS .Spektakelstück frankrussischer Verbrüderung, das mit Poin- cares Besuch in Petersburg bevorsteht, wird die Russen voraussichtlich noch selbstbewußter machen. Ter dritte Genosse im Dreiverband, das Britenrcich, ist noch immer von seinen inneren Sorgen geplagt. Die Hoffnungen, die man hier und da hegte, es werde über tzomerulc doch noch zu einer Einigung zwischen Regierung und Opposition kommen, haben sich wähl end gültig zerschlagen. Tie Opposition besteht auf dem dauernden Ausschluß Ulsters aus dein autonomen Irland und das will die Regierung nicht zugeben, kann sie auch wohl mit Rücksicht auf die irischen Nationalisten nicht zugcben. So bleibt denn der Regierung nicht anders als Homerule gegen die Opposition durchzüsetzen. Was frei lich leichter gesagt als getan ist, denn die Ulsterleute gehen jetzt schon in Belfast ungestört in Waffen spa zieren, und sie werden sie schwerlich niederlegen, wenn Homerule jetzt Gesetz wird. Da sich aber auch die irischen Nationalisten bewaffnen, so erlebt vielleicht die Welt im 20. Jahrhundert noch das Schauspiel, daß in einem der ältesten und mächtigsten Reiche der Welt die Bürger sich befehden und die Regierung die Rolle des Greises auf dem Dache, spielt, der sich nicht zu helfen weiß. Gegen über den wilden Wahlweibern sind ja Regierung und Polizei Old-Englands schon längst in der angenehmen Loge, zuschauen zu müssen, wie diese Megären mit Bombe und Zündschnur das Stimmrecht der Frauen „ver fechten." Und die Probcmobilmachung von 493 Kriegs schiffen kann doch selbst den patriotischsten Engländer, der voll Stolz auf die Beherrscherin der Meere sieht, nicht über diese häuslichen Mißhelligkeiten Hinweg bringen. Mexiko hat am vergangenen Sonntag die Posse einer Wiederwahl Huertas gesehen. Innerlich gekräftigt, wurde die Macht des Präsidenten dadurch keineswegs. Tie inneren Kämpfe dauern fort, ohne daß die von den Friedensvermittlern in Niagarafalls gewünschte Verein barung der streitenden Parteien bisher um einen Schritt uähergerückt wäre. . . > ' ' Die Aus Berlin wird uns geschrieben: Nun ist wieder ein neues Teilergebnis des Wehr beitrags bekannt geworden, das preußische, und sofort beginnt auch w'eder die parteipolitische Pretzkamvagnc die für die mutmaßlich zu erwartende Enttäuschung beim Gesamtergebnis den politischen Gegner allein nach Kräf ten nnd im vollsten Umfang haftbar machen möchte. Ein übles Schauspiel, an dem sich das Ausland baß er bauen mag und das die deutsche Steuermoral auf einem so niedrigen Niveau vermuten lassen könnte, wie sie un seres Erachtens denn doch sicher nicht steht Wir glauben, daß in dieser .Hinsicht die deutsche moralische Kultur immer noch den Vergleich mit anderen Ländern wird aushalten können. Umso mehr ist es Pflicht jedes be sonnenen Politikers und Vaterlandsfreundes, den Kopf über diese parteipolitische Steuerhctze zu erheben und die Ehre, des deutschen Namens dabei etwas im Auge zu behalten. Schon als von der einen oder anderen Groß stadt Ergebnisse bekannt oder auch nur vermutet wurden, begann die laute Suche nach Schuldigen- Damals er- wartete man noch in dec Maienblüte der Bewilligungs freude einen gewaltigen Ueberschuß über die offiziöse Schätzung. Man dachte, durch die Steucramnestfe in V-r- bindung mit der strengeren Strafandrohung für die Zu kunft großen hinterzogenen Schätzen auf die Spur zu komme» und für die Rüstung des Reiches nutzbar machen zu können. Triumphierend wurde bald aus dieser, bald aus jener Stadt verkündet, daß hier so viele, dort so und so viele Millionen mehr an SteuerHistung „wahr scheinlich" erzielt werden würden. Und ohist jede Rücksicht auf die Möglichkeit tatsächlicher Vermögensverschiebung wurden prompt die städtischen Kapitalisten beschuldigt, daß sie bisher so viel von ihrem angeblich leicht ver steckbaren Besitz hinterzogen haben müßten. Nun kommt das Wehrbeitragsergebnis für.Preußen heraus: 603 Millionen für die große Monarchie! Und plötzlich wendet sich das Blatt. Diese Summe zeigt nicht nur nichts von dem verheißenden Ueberschuß, von der verlockenden Aussicht auf ein Ueberslüssigwerd.en der drit ten Rate, sondern im Gegenteil gewährt er nur knapp die Hoffnung aus das tatsächliche Erreichen der notwen« dlgen Milliarde, wenn man von den drei Fünfteln des deutschen Reichs, die Preußen darstellt, auf die übrigen zwei Fünftel schließen will. Und dabei muß man noch die günstige Voraussetzung machen, daß das höchst wahrscheinlich bescheidenere Ergebnis der vorwiegend länd lichen Bundesstaaten durch ein ebensoviel besseres der Hansastädte ausgewogen werde. Jetzt verstummt das Ge rede von bisherigen Steuerhinterziehungen und vergra benen Schätzen und es ertönt statt dessen von der Gegen seite das auch nicht mehr ganz neue Schelten auf die bösen Agrarier, die so viel Kamelen in das'Wehrber- trngsgesetz hineinpraktiziert hätten, daß auf dem Laude die größten Vermögen sich von dem Wehrbeitrag hätten drücke,! können. Wer hat nun Recht? Die Parteifanatiker schwören natürlich auf die ihnen lieb gewordenen Schlagworte ihrer Partei. Ter denkende Politiker wird zunächst dqrauf Hinweisen, daß das Wehrbeitragsgesetz doch wohl im Reichstag lange und gründlich genug hin und herbrraten worden ist und daß man deshalb eigentlich keinen Grund mehr hätte, die einzelnen Bestimmungen jetzt in Ver bindung mit dem Ergebnis alle noch einmal besonders für den Schaden haftbar zu machen und der Bosheit des Gegners in die Schuhe zu schieben. Man möge doch rein sachlich feststellen, was etwa an dem weniger günstigen Ausfall schuld sein könnte, um für künftige Fälle ent sprechend daraus zu lernen. Wo aber beiden Zeiten ge wisse Erleichterungen und Rücksichten gewährt worden sind, die doch namentlich beim ersten Versuch mit einer allgemeinen direkten Reichsvermögensbesteuerung höchst angebracht erscheinen, da sollte nicht der eine Teil dem anderen daraus gleich die schwersten Vorwürfe kon struieren. Ter offiziöse Kommentar zur Mitteilung des preu ßischen Ertrags ist freilich auch von. dem Fehler nicht ganz frei zu sprechen, der moralischen Ausschlachtung durch die Parteipolitik eine 'allzu bequeme Handhabe ge boten zu haben. Er schreibt nämlich unter anderen Grün den auch dem schlechten Stand der Papiere am Stichtag des Wehrbeitrags die Schuld zu und fügt die Anmer kung hinzu, daß es dahingestellt bleiben müsse, ob er ausschließlich aus natürlichen Ursachen zu erklären sei. Tarin liegt der versteckte Vorwurf,' als ob die Börse ge wissermaßen künstlich den Stand der Papiere herabge schraubt habe. Und von einigen Blättern wird trium phierend hinzugesetzt, daß in der Tat fast unmittelbar nach dem Stichtag ein recht auffälliges Anziehen der Kurse bemerkbar gewesen sei. Nun bedenke man, daß der Stichtag ausgesucht der 31. Dezember war, daß er also mitten in das Wcihnachts- und Neujahrsgeschäft hineinfiel, das bekanntlich jedes Jahr eine solche.Flut welle auf dem Kapitalmarkt bedeutet! Und über die Bedeutung dieses besonderen Termins war eben auch im Reichstag schon mit aller Ausführlichkeit verhandelt worden. Tic anderen Gründe der Enttäuschung stellt die offi ziöse Betrachtung rein sachlich fest: die Möglichkeit, einen Teil des Vermögens den Kindern zuzuschreibcn, und das Ausfallen der Steuer bei einem Kapital von 50 000 Mark, neben dem doch, wie beispielsweise bei bäuerlichem Besitz, das Einkommen immer noch unter jährlich 2000 Mark bleiben kann. Man hätte auch mit diesen wohlbcgründetcn Ausfällen von vornherein rech nen sollen, statt sich jetzt erst über sie anszuregen. Ge wiß ist auf'diese Weise das deutsche Nationalvermögen steuerlich nicht in dem Maße gründlich erfaßt und da- üstt zugleich inventarisiert worden, wie das mancher Volkswirt anfänglich wünschen mochte. Aber man sollt! doch einmal diese Tatsache nicht behaudeln, als vb sie ein neues, unvorhergesehenes Ereignis wär« und man sollte sich zweitens bewußt bleiben, daß nicht die Jgvcu- tarisicxung und Erzielung eines UeberschusseZ! Zweck des Wehrbeitrags gewesen ist, sondern die Deckung absolut notwendiger Rüstungslasten und die möglichst schoßephe Verteilung dieser gewaltigen Last. Diese Ziele aber sind tatsächlich erreicht worden. Das ist und bleibt eins an erkennenswerte Leistung der Nation. Setzen wir sie doch nun nicht selbst in den Augen des mißgünstigen Aus landes durch vom Zaun gebrochene und ziemlich gründ- lose gegenseitige Verdächtigungen herab Dis iiflemiWe MM» W» §M». Tie „Franks. Ztg." meldet aus Wien: In inspirierten Presseäußerungen wird zugegeben, daß man von Serbien die FortscMng der polizeilichen Untersuchungen auf ser bischem Gebiet, die Bestrafung der Schuldigen und die Auflösung der großserbischen Kampforganisationeu ver langt- Tie gedämpfte Sprache der in Fühlung mit dem Auswärtigen Amte stehenden Presse und die Vermeidung des Ausdrucks einer diplomatischen Temarche wird wohl darauf zurückzuführen sein, daß während der letzten Krise der Presseleitung zu deutlich der Vorwurf gemacht wurde, die Oeffentlichkeit zu alarmieren. So ist man venstJür entgegengesetzten Taktik übergegangen. Tie ernste Sprache, die voil den Berliner Offiziösen geführt wird, verfolgt offenbar auf anderem Wege den gleiclwn Zweck, den Serben zu bedeuten, daß sie es im eigensten Interesse aus nachdrücklichere Vorstellungen nicht ankommcn lassen mögen. Der Vertreter des Blattes iu Wien kann ver- stcheru, daß an den maßgebenden Stellen die llcber- zeugnng herrscht, daß Serbien keine Schwierigkeiten Machen werde, womit allerdings auch die Auffassung Hand in Hand geht, daß die serbischen Versprechungen und etwaigen Maßnahmen au den Tatsachen der groß serbischen Propaganda nicht viel ändern werden. Es ist heute schon gewiß, daß eine serbische, und selbst eine ausländische Untersuchung in den serbischen Organisatio nen nichts mehr vorsinden werde, das irgendwelche Be ziehungen dieser Vereinigungen mit dem Attentat be weisen würde. Vom 28. Juni bis zur Mitte des Juli ist Zeit genug, um kompromittierende Schriftstücke zu be seitigen. Eine serbische Erklärung des Verzichts aufchie großserbischen Pläne wird wohl notgedrungen auf die schon zum Jrredentismus erzogenen österreichisch-unga rischen Serben kaum irgendwelchen Eindruck machen, und aufgelöste Kampforganisationen können am anderen Tage schon unter anderem Namen mit anderen offiziellen Zielen wieder auftauchen. Der verliuer serbische Studeuteuverein. Tie drei Vorsitzenden des serbischen Vereins, die vor einigen Tagen von der Berliner Polizei festgsnommcn wurden, sind, wie das Hirsch'sche Telegr.-Bureau von informierter Seite erfährt, sofort wieder in Freiheit gesetzt worden, sodaß ersichtlich ist, daß cs sich nm keine Verhaftung, sondern um eine Sistierung handelte. Ter Verein hat auch keinerlei politische Zwecke verfolgt, es handelte sich vielmehr lediglich um wissenschaftliche und gesellschaftliche Ziele. Im Laufe des vergangenen Winters gab der Verein ein Ballsest, dem auch eine ganze Reihe deutscher Offiziere beiwohnte, da der Verein den Zweck verfolgt, seinen Mitgliedern- Gelegenheit zu geben, in recht gute Fühlung mit den maßgebenden deutschen Krei sen zu treten. Die beschlagnahmten Papiere sind zum großen Teile dem Verein wieder ausgehändigt worden, -es sind'nur noch einige iu serbischer Sprache gehaltene Druckschriften und Manuskripte zurückbehalten worden, die noch erst übersetzt werden sollen. Ten sistiert gewese nen serbischen Studenten ist Freiheit gelassen worden, öb sie in Berlin bleiben oder abreisen wollen, sodaß man damit rechnen muß, daß selbst! die Behörden keinerlei Maß regeln gegen den Verein und seine Angehörigen -n er greifen gedenken. Das Ergebnis der Audienz Berchtolds. Ein amtliches Wiener Communiquee besagt, daß die. Meldungen über den Verlauf und das Ergebnis der Audienz des Ministers des Aeußern, Grafen Berchtvfd, beim Kaiser jeder authentischen Grundlage entbehre». Am Thronfolgermord 14 Persorten beteiligt. Nach verläßlichen Mitteilungen waren an dem Atten tat .auf das Thrvnfölgerpaar direkt 14 Personen beteiligt, von denen 13 sich bereits in Haft befinden. Nach einer, hierher gelangten Meldung wurde in Graz der Arzt Tr. Mirko Tschubrilowitsch, ein Bruder eines der Attentäter, Verhaftet- Er wird ebenfalls nach Serajewo gebracht, Taaes«eschichte. Deutsches Reich. Drohende Aussperrung in der Lausitzer Tn ch Industrie. Nachdem am 1. Juli ein erheblicher Test der in Forst in den Walkcreibetrieben beschäftigten Gesellen, und Walkcreiarbeitcr wegen Nichterfüllung ihrer Forderungen auf allgemeine erhebliche Lohnerhöhung, Gleichstellung der Löhne und Festsetzung von Mindest löhnen iu den Ausstand getreten sind, beschloß der Ar beitgeberverband der Tüchindustrie der Städte Först, Kftt- bus, Sprembcra. Guben, Luckenwalde, Sommerfeld unk