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„Sie glauben mir nicht. Einem Manne wie mir braucht man ja nach Ihrer Anschauung auch nicht zu glauben. Aber ich schwöre Ihnen bei dem Heiligsten uns Teuersten, was mir noch geblieben, bei der Liebe zu meiner Mutter, daß sie nicht ahnt, daß ich einst meine Ehre verloren habe." „Aber das ist ja unmöglich!" konnte sich Klaus Woll mar nicht enthalten zu ruseu. „Es ist eine Tatsache, die sich mit wenigen Worten erklären läßt. Meine Eltern wohnten damals in einer kleinen Stadt der Rheinprovinz. Meine Mutter Ivar, als das Unglück geschah, leidend. Unter dem Borwand, daß sie strengster Schonung bedürfe, hielt mein Vater allen Verkehr von ihr sein; natürlich litt er ebensowenig, daß ihr eine der Zeitungen, die über meinen Fall be richteten, vor die Augen kam. Als mein Prozeß zu Ende war, siedelte mein Vater mit meiner Mutter nach Eng- lano über. Von mir hieß es, ich sei in England auf einer Studienreise. — Auch mein Vater war, wie Sie, hart und unerbittlich. Nur in Gegenwart meiner Mutter zwang er sich zu einer unbefangenen, ruhigen Miene, so schwer ihm die Verstellung auch angekommen sein mag. — Und nun überlasse ich es Ihnen, ob Sie meine Mutter schonen wollen oder nicht." „Ich glaube Ihnen," erwiderte der Leutnant mir einem verstohlenen Blick in das vor tiefer Bewegung zukende Gesicht seines Begleiters. „Und ich habe keine Veranlassung, Ihrer Frau Mutter eiueu Schmerz zuzu fügen" Noch stand Viktor Lehnhard zögernd, und seine Lippen bewegten sich, seine Brust rang heftig, als wolle noch etwas an die Oberfläche. Ta tat er plötzlich einen tiefen, seufzenden Atemzug, wie jemand, der in schwerem, stillem Kampf einen drängenden Herzenswunsch über wunden hat. Tann lüftete er seinen Hut und schritt mit schnellen Schritten die Landstraße entlang. Leutnant Wollmar aber kehrte um, um sich zu seinen Eltern zu begeben, tieferschüttert wider Willen- Fortsetzung folgt.' Der rechte Trank. Wer da dürstet, der komme zu mir und trinke (Joh. 7, 37). ES gibt verschiedene Gegenden, in denen Quellen zu Tage treten, die au» den Erdschichten, die sie durchrieselten, allerlei heilbringende Stoffe in sich ausgenommen haben. DaS Bild, daS sich täglich um solche Quellen her abspielt, ist für Menschen mit sehenden Augen seltsam ergreifend. Da kommen sie mit ihrem bleichen Gesicht, mit ihrem schwerfälligen Gang, mit allerlei Zeichen des Leiden» aus der Stirn. Aber in allen lebt die Hoffnung, daß dieser Quell der rechte Trank sei für ihr Leiden, daß er ihnen die alte Krast und Gesundheit wiederbringe. Und viele kehren gestärkt und mit neuem Lebensmut wieder heim. Noch viel mehr Segen aber bringt der Menschheit ein solcher Heilquell, der nicht von äußeren Gebrechen genesen läßt, sondern von inneren Schäden, von Wunde», Blut verlusten, Bergiftung und Verletzung der Seele, der eigent lichen Persönlichkeit de» Menschen. Dieser Heilquell fließt überall da, wo JesuS Christus seine Stimme hören, seinen Geist wehen läßt, wo er durch Verkündigung oder durch die Zeugnisse der biblischen Schriften vor die Menschenseele hintritt in seiner erhabenen Größe. Ist daS Bild, daS un» die Menschen an irdischen Heilquellen zeigt, schon so reich an Mannigfaltigkeit, wie buntfarbig, wie ergreifend 'ist erst der Anblick derer,' die zu diesem Quell dürstend wandern! -ZADA Da kommt eine Schar bleicher Gestalten, mit abge- härmten Zügen und mit alten, verblichenen Gewändern. Ein Blick in ihre Augen belehrt un» über ihr Leiden: da» sind die Armen, die allerlei Mißgeschick verfolgt hat in ihrer Lebensarbeit, vte immer mehr in Sorge und Mangel geraten sind — sie wollen trinken au« dem rechten Heil- quell, nach dem sie Sehnsucht bekamen in ihrer Entbehrung; sie ahnen es, daß dieser Trank sie reich machen kann an inneren Gütern; »nd sie werden wirklich froh an diesem Quell, sie nehmen in die neuen Entbehrungen und Sorgen die Gewißheit mit hinein, daß auch ihre Seele ewigen Wert hat und von Gott zu Großem bestimmt ist. Und kaum sind sie fröhlich heimgekehrt, da naht schon eine neue Schar dem heiligen Quell. Sie kommen mit zögernden Schritten, al» ob Furcht sie bannte. Tränen quellen hervor aus den geröteten Augen, und ihre Gesichts- züge zucken in quälendem Schmerz. DaS sind die, welche auf bösen Wegen wandelten, nur auf Lust bedacht ihr Leben führten, unbekümmert darum, wieviel sie in diesem Streben niedertrateN an edler Saat. Nun ober hat da« anfangs verhöhnte Gewissen sie doch an einer empfindlichen Stelle getroffen — da sind sie zusammengedrochen unter der Last ihrer Schuld, und daS längst vergessene Wort von dem gütigen Bater, ein Erbe der seligen Kindheit, ist leise wieder erklungen in ihrer Seele, und nach langem Zögern haben sie'« gewagt, zum Quell deS Leben« zu gehen und Hilfe zu suchen gegen da« Gift in ihrer Seele. Auch sie finden, wa« sie gesucht — mit ernsten, aber doch innere« Glück verratenden Mienen wandern sie heim. Aber wer sind die Menschen dort, die zögernd stehen bleiben? Wieder wagen sie rin paar Schritte, dann wenden sie rasch sich um und gehen rückwärts! Aber da bleiben sie wieder stehe««, wieder besinnen sie sich, wieder beginnen sie den noch oft gehemmten Lauf. Das sind die Menschen, die eine besond-rS schlimme, aber dennoch heilbare Krank heit in sich tragen: den Zweifel. Die einen haben sehen müssen, wie ihr LebenSwerk zusammenstürzte. Die anderen kommen soeben von einem srischgehäuften Grabhügel. Die anderen haben sonstige harte Lebenserfahrung hinter sich. Nun ist ihr Glaube so matt, so zagend geworden. Nun zweifeln sie an seiner Wahrheit, und doch können sie ihn nicht ganz vergessen. Darum nahen sie wohl dem Heil quell, aber sie bleiben so oft stehen und wenden sich wieder verzagt zurück. Aber wer schließlich doch hingelangt ist und den heiligen Trank dürstend geschlürft hat, der findet Genesung von allem Zweifel, der wird so froh, so gewiß in seinem Glauben trotz aller bitteren Schicksale. Der Heilquell fließt. Ni« versiegt sein Wasser. Er fließt für alle, deren Seele matt und krank ist. Selig, wer kommt und trinkt! E« ist der rechte Trank! ü. Denk- «ud Siuusprüche. Umsonst bist du von edler Glut entbrannt. Wenn du nicht sonnenklar dein Ziel erkannt. Uhland. Wenn wir in aufrichtiger Treue einem hohen Ziele entgegen» streben, steigert sich rmsere Krast ins Uebermcuschliche und über windet klaglos den Neid und die Sorgen dieser Welt. Alfred Depichl. Wie schwer ist cs, daß der Mensch recht abwäge, was man aufopfern muß gegen das, was zu gewinnen ist! Wie schwer, den Zweck zu wollen und die Mittel nicht zu verschmähen! Goethe. Wer Tugend und Einsicht besitzt, die Pflicht erfüllt, die Wahr heit spricht, die eigene Arbeit treu verrichtet, der gewinnt jeder manns Freundschaft. Buddha. Große Dinge gesehen zu haben, als einen großen Sturm, muß unstreitig dem ganzen Gehirn eine andere Stimmung geben, und man kann sich daher nicht genug in solchen Lagen bringen; man sammelt auf diese Art, ohne zu missen. Lichtenberg. Was zuerst nur Wenigen gefiel, ist schon oft das Beste ge wesen; was allen sofort behagte, hatte meist keine Zukunft. Wilhelm Tappcrt. Der Mensch soll nicht über seine Zeit klagen, dabei kommt nichts heraus. Die Zeit ist schlecht; wohlan, er ist da sie besser zu machen. Thomas Larlyle. -Lruck mld^Vrrlvg^von Langer t Winterlich, Riesa. — 5kür die Redaktion verantwortlich: Arthur Lähnel, Riesa. Erzähler an der Clde. Belletr. Gratisbeilage zam „Riesaer Tageblatt". Nr. 24. «tesg, »e« IS. Juni 1914 »7. Achr». UP ewig nagedeelt. Vaterländische Erzählung von A. o. Liliencron. Fortsetzung. Tie nächsten Tage stellten geistig und körperlich die größten Ansprüche an Aga. Es gab alle Hände »oll zu tun, und dabei Trost zuzusprechen in einem Schmerze, der in leidenschaftlicher Bitterkeit die Wunde nur immer tiefer riß. Ucber Frau Taginar war nach den Wochen der Aufregungen eine gewisse Apathie gekommen. Sie saß schweigsam in ihrem Zimmer, ließ die Tochter für ihre Trauerkleidung sorgen und schickte auch Klans aus ihrer Stube, da sie seine fröhliche Stimme nicht ertragen zu können behauptete. Aus ihrer Versunkenheit rüttelte sie erst die Nachricht auf, daß in der nächstfolgenden Woche der Einmarsch der Truppen in Schleswig angemcldet sei und festliche Vorbereitungen dazu getroffen werden sollten. Sie hatte das aus dem Heimwege vom Lazarett erfahren, wo die Leichenfeier für den Verstorbenen statt gefunden hatte, dessen sterbliche Hülle nach Dänemark ge bracht werden sollte. Auf das höchste erregt, kam sie nach Hanse, erklärte sich außerstande, in ihrer Trauer solche Jubel tage der Stadt mitzuerlebeg und meinte, sie könne nicht ein Feiern ertragen, auf das ihr Volk mit ver bissenem Grolle blicken müsse. Alle Gegenvorstellungen der Tochter waren frucht los, und ihr blieb nur noch die schwache Hoffnung, daß sich nach der Abreise der Tante allmählich die Erregung bei der Mutter legen und die liebende Frau in ihr die gekränkte Tänin überwind?« würde. Am anderen Morgen aber setzte ihr die Dante ausein ander, daß ihre Schwester auf keinen Fall jetzt hier bleiben könne, und daß auch ein verständiger Mann nie solch ein Opfer von einer treuen Patriotin ver langen dürfe. Sie würde die Schwester einstweilen mitnehmen, bis sie sich erholt habe und der Friede eins abgemachte Sache sei. Eine heiße Empörung hatte sich des Mädchens während der Worte ihrer Tante bemächtigt. Mit glühenden Wangen und blitzenden Augen stand sie jetzt vor ihr. „Tu verletzest das heilige Gebot Gottes, wenn Tn unser armes mattes Mütterchen jetzt mit Dir fortziehst," antwortete sie ihr. „Wann und Frau reißt Tn auseinander, und die sollen eins sein nach Gottes Willen, up ewig ungedeckt!" Ein solch energisches Auftreten hatte Frau Krogh nicht von der jungen Nichte erwartet, wenn sie sich auch vorher gesagt hatte, daß sie, um einen stürmischen Auftritt zu vermeiden, Aga erst mit einer vollendeten Tatsache entgegentretcn müsse. „Spare Teine angelernte Schulweisheit," brauste sie auf, „wenn Tu Vaterlandsliebe nicht verstehst, so urteile nicht über Tinge, die Tir zu hoch sind." Aber illga ließ sich nicht einschüchtern „Ich be- greife, was es heißt, sein Vaterland 5" lieben, den» ich liebe mein Schleswig-Holstein tief und innig, aber wenn ich mir einmal den Mann erwählen sollte, dem ich die Treue bis in ^den Tod gelobe, dann darf es auch nicht anders heißen, als — wo Du bleibst, da bleibe ich auch, dein Volk ist mein Volk. Da) ist gottgewollt." Sie hatte in voller Wärme gesprochen und im Bewußtsein, in ihrem guten Rechte zu sein. Doch die Tante war weder zu überzeugen, noch von ihrem Vorsatz abzulenken. Mit gerunzelter Stirn sagte sie: „Teine Mutter ist alleinige Herrin ihrer Handlungen, oder wolltest Tu Dir vielleicht anmaßen, ihr die Wege vorzuschreiben, die sie gehen soll?'" „Ja, in meines Vaters Namen muß ich cs tun, ich darf meine Mutter nicht fortlasseu!" Aga hatte es ganz außer sich gerufen, und als jetzt Frau Tagmac cintrat, umschlang sie die Mutter innig. „Geh nicht fort!" flehte sie. „Bleibe hier um des Vaters, um Teiner Kinder, um Deiner selbst willen!" Frau Tagmars Gesicht war tief verschleiert. Tas Mädchen konnte in ihren Zügen nicht lesen, sie hörte nur die murmelnde Antwort: „Ich kann nicht hier bleiben, kann's wirklich nicht?" Ihre Schwester trat an sie heran. „Ich habe mich überzeugen müssen, daß Du wirklich nicht mehr Herrin im eigenen Hause bist," sagte sie, „Teine Tochter re'ßt die Herrschaft an sich und versucht. Dich zu tyrannisieren. Willst Dir Dich von ihr regieren lassen, oder Deiner er fahrenen Schwester glauben, die Dich von Kindheit an kennt? Tu mußt jetzt hier heraus. Du'brauchst Ruhe!" < „Ja — Ruhe," stöhn tx Frau Tagmar, und ein gequälter Seufzer entrang sich ihrer Brust. Aga hielt noch immer ihre Hand. „In Deinem Hause findest Tu sie, in der Liebe von Mann und Kindern!" Ter Reiseivagen fuhr vor, die Soffer waren schon aufgeladen. Frau Krogh ergriff der Schwester Hand. „Komm jetzt. Tu hast es mir versprochen, ich >veiß am besten, was für Dich gut ist." „Mutter, Mutter, bleibe!" flehte Aga t>erzweifeli. Frau Tagmar schlang den Arm um sie. „Ich komme wieder — bald — wenn der Friede abge schlossen ist." schluchzte sie, „grüße mir den Klaus — ach, grüße mir auch den Bater und unseren Tetlev viel tausendmal — ich — ich —" Sie konnte nicht weiter sprechen, Tränen erstickten ihre Stimme. Tie Schwester zog sie mit sich sort. Stumm blieb das Mädchen stehen und starrte trost los hinaus aus den Vorplatz, wo diie beiden schwarzen Gestalten in den Wagen stiegen. „Allein, allein!" murmelte sie verzweifelt, als der Wagen davourollte. „Vater, Vater! Was wirst Tu da zu sagen, daß Tein Kind cs nicht zustande brachte, oie Mutter zurückzuhalten!" - Ihre Krast war jetzt erschöpft, sie brach in leiden schaftliches Weinen aus; erst langsam und betend sand sic sich wieder zurecht. » Nun war sie gezwungen, dem Vater die Abreise der Mutter mitzuteilen. Aber bevor sie ihm schrieb, mußte sic ihr Herz erleichtern, mußte einem liebe« Menschen nnverschleiert anvertrauen, was sie in de» letzten Tagen durchgemocht hatte. Wer stand ihr da näher als Tetlev? Tein geliebten Bruder schüttete sie unumwunden ihr Herz aus, dann erst schrieb sie dem Vater. ? Schleswig rüstete sich zum feierlichen Empfang der Truppen. Dem Oberstleutnant von Zastrow mit seinem Stabe und dem 1. JLgervrrpS war Schleswig als Kantonnementsquartier angewiesen. Am 2S Aug'ist