Volltext Seite (XML)
Beilage znm „Riesaer Tageblatt". Rotatlontdrukl und Verlag von Langer t Winterlich in Rie>ia. — Für die Redaktion verantwortlich: Arthur Htlhnel in Riesa. F- ISS Wittwoch, 3. Juni 1314, abends. S7. Jahrg. Bauer «ud Sozialdemokrat. BD. Bei keiner Partei ist das Verständnis für die Lebensbedürfnisse des deutschen Bauernstandes so auf fallend gering, wie bei der Sozialdemokratie. Als äuße rer Beweis für diese längst feststehende Erfahrungstat sache kann immer wieder die Tatsache gelten, daß tröst angestrengtester Organisations- und Agitationsversuche der Arbeiterpartei bemertenswerte Erfolge in der Ge winnung bäuerlicher Wühler nirgends zu verzeichnen sind. Auf dem Lanoe wohnende Industriearbeiter und in ein zelnen Gegenden vereinzelte Schichten von abhängigen, unzufriedenen Tagelöhnern und Landarbeitern sind die schwachen Stützen der sozialdemolratischen Landagitation, die oft genug bei Nachwahlen versagen. Wer außerhalb der Sozialdemokratie auf diese Erscheinung hinweist, wird von dem einmütigen Geschrei der roten Presse als Un kundiger oder gar als Verleumder gebrandmarkt- Inner halb des sozialdemokratischen Lagers aber darf über die ses heikle Thema so wenig wie möglich geredet und ge schrieben werden. So begegnet man recht selten in der sozialdemo kratischen Literatur Genosse«, die das Kind beim rech ten Namen nennen. Eben deswegen muß man aber die wenigen Einzelsülle, wo dennoch von der Rcgcltattik abgewichen wird, heraushebcn und der Oesfentlichkeit mitteilen. In der neuesten Ausgabe der „Sozialistischen MonatSheste" hat soeben der bekannte badische Sozia listenführer, Landtagsabgcordnetcr Wilhelm Kolb, die Agrarfrage wieder einmal vom Standpunkt seiner Partei aus beleuchtet und ist dabei zu einigen, für die So zialdemokratie recht peinlichen Ergebnissen gekommen. Er tritt aus guter persönlicher Kenntnis der Landbe völkerung dem sozialdemokratischen Schlagwort entgegen, daß die Bauern nur ans „politischer Borniertheit" der Sozialdemokratie fern blieben. Ter wahre Grund für dieses Verhalten sei vielmehr, daß für die vraktiscbeu Bedürfnisse der selbständigen kleinen und mittleren Land wirte kein Verständnis vorhanden sei. „Mit Theorien allein revolutioniert man nicht die Köpfe, und natürlich erst recht nicht mit offensichtlich falschen Theorien." Als eine der schlimmsten falschen Theorien stellt Kolb die landläufige Lehre sozialdemokratischer Agitation hin, daß der Klein- und Mittelbauer keinerlei Vorteile von den Agrarzöllen habe. „Wäre dem so, so bliebe es ja doch völlig unerklärlich, weshalb die ganze Klein- und Mittelbauernschaft sich als Anhänger der Zollpolitik be kennt." Ter badische Revisionistenführer will keineswegs unsere gegenwärtige Hochschutzzollpolitik verteidigen, aber er ist praktisch genug veranlagt, um zuzugestehcn: „an . eine plötzliche Aufhebung der jetzt bestehenden Zölle ist nicht zu oenlen, denn eine solche Erschütterung würde die oeutsche Volkswirtschaft ohne eine sehr erhebliche Schä digung nicht ertragen". Deshalb fordert Kolb als Sozial demokrat nichts anderes als die Fortschrittler: Verhinde rung weiterer Zollerhöhung und „nur ganz allmählichen Abbau der Zollmauern". Tabei geht er sogar so weit, den langsamen Abbau nur dann zu empfehlen, wenn zu gleich eine „großzügige Kulturpolitik zur Förderung der Landwirtschaft" eingeleitet werde. Für diese Kulturpolitik will er sogar „starke Geldmittel" bewilligt wissen. „Mit bloßen Redensarten und mit Wechseln aus die Zukunft werden wir die Bauern nie gewinnen." Man wird, auch wenn man im Interesse unserer Volkswirtschaft Gegner des „allmählichen Abbaues der Zollmauern" ist, ohne weiteres zugcbcn müssen, daß sich diese sozialdemokratische Stimme, die sogar die Be rechtigung der Agrarzölle anerkannt und erhebliche Staatsmittel für den Bauernstand flüssig machen Wilk, stark von dem EhoruS der übrigen agrarpolitischen Ge nossen abhebt. Daß aber Kolb irgendwie im eigenen Lager Beachtung und Zustimmung bei den maßgebenden Füh rern fände, ist kanm anzunehme». TaS wird nicht nur verhütet werden durch die von Kolb offen zngestandeue und bedauerte Oberflächlichkeit der Behandlung agrar politischer Fragen in der sozialdemokratischen PÄtei- vresse für welche die ganze Entwicklung der wissenschaft lichen Agrarliteratur in den beiden letzten Jahrzehnten größtenteils gar nicht existiere. Sondern die Anerkennung der Kolbschen Taktik und Grundauffassung ist auch aus dem inneren Grnnde der Sozialdemokratie unmöglich, weil es eine Abkehr vorn sozialdemokratischen Pro gramme der notwendigen Entwurzelung des an seinem Privateigentum hängenden selbständigen Bauernstandes bedeuten würde. Im Interesse der nationalen Erhältung unseres Bauernstandes darf man wohl hoffen, daß Kolb bleibt, was er heute ist: ein Prediger in der agrarpolitischen Wüste der Sozialdeniolratic. Tagesgefchichte. Deutsches Reich. Ter deutsche Lchrertag, der während der Pfingsttage in Kiel seine Beratungen abhiclt, gestaltete sich zu einer großartigen Kundgebung für die Forde rungen der Lehrer nach einer Ertüchtigung ihres gan zen Stanoes und nach einer Fortentwicklung deS Volks schulwesens. Auch ausländische Lchrervcrcine hatten zu der Tagung ihre Vertreter entsandt, die auf dem Be- grüßungsabcnd zn Worte kämen. Tie Verhandlungen hatten zum Mittelpunkt das Problem der nationalen Einheitsschule. In seiner Begrüßungsansprache hatte im Namen des vorbereitenden Ausschusses der Lehrer Den- kert darauf hingewiescu, daß t"ie nationale Einheits schule zur Voraussetzung einen einheitlichen Lehrerstaud haben müsse. Lberstudienrat v. Kerschcnsteiner, der be kannte Münchner Pädagoge, forderte, ähnlich wie das auch im Verlaufe der KultnSetatsbcratuiigen im preu ßischen Abgeordnetenhaus gesehen ist, daß zwischen den einzelnen Schularten ein organischer Zusammenhang ge schaffen werde. An den Kaiser wurde von der ungewöhn lich stark besuchten Tagung — cs waren über 8000 Lehrer versammelt — ein HuldignngStelegramm entsandt Tie nächsten Tagungen des Lehrervereins sollen 1916 in Breslau und 1918 in Essen (Ruhr) stattfinden. 79. Geburtstag P a p st P i u s X. Zn dem gestri gen 79. Geburtstag Papst Pius X. sind aus allen Teilen der Welt Glückwunschtelegramme eingetroffen. Ter Papst beging seinen gestrigen Geburtstag in guter körperlicher und geistiger Frische. Demonstrationen in Breslau. Das Schle sische Arbeitersüngerfest, zn dem sich während der Pfingst tage 98 Vereine in Breslau eingefundcn hatten, war durch die verschiedensten polizeilichen Verbote, so besonders durch das Tänzverbot und durch die Verweigerung der Zahrhunderthalle sowie der Radrennbahn in Grüneiche stark eingeschränkt worden. Hiergegen protestierten am zweiten Feiertag die Arbcitcrsängcr durch Temonstrativ- nen vor dem Hanse des Oberbürgermeisters Matting, vor dem Regierungöpräsidiunr und vor dem Landratsamt. An den genannten Stellen versammelten sich Sänger korps in Stärke von je 5- bis 690 Mann und sangen hie von den Behörden verbotenen Lieder, u. a. auch die In ternationale. Am Restanrant der Aahrhunderthalst und auf der Radrennbahn wurden ebenfalls beanstandete Lie der gesungen. Este Polizei in genügender Stärke zur Stelle war, waren die Temonstrationen beendet- TaS Sängerfest selbst fand unter äußerst strenger polizeilicher Kontrolle statt, die jede Teilnahme Jugendlicher an dem Fest verhinderte. Stimmung der Berliner Börse vom 2. Arun. Tie Börse setzte heute in fester Tendenz eiu. Nach oer ersten Börsenstundc machte sich eine Ermat tung geltend, die von den russischen Spetulationswerten ihren AnSgang nahm. Gleichwohl tonnte ein großer Teil oer Kurse sich noch über den Stand vom Sonn abend halten. Von Montanwerten notierten einige noch i1 Proz. über Sonnabend, Laurahütte und Earo-Hegen- schcidt t'/- Prozent höher, einige Werte verzeichneten Knrseinbußcn. Russische Bantwerte verloren bis l >, - Prozent, von Schiffahrtsnktien lagen Hansa 1 Prozent höher, llprozeniige Reichsanleihen nnd Konsots büßten 0,10 Prozent ein. Ter Kassamnrkt zeigte überwiegend Preisbesserungen, tägliches Geld bedang 8 Prozent, der Privatdistont hielt sich ans seinem bisherigen Stand von 2^,'j Prozent. Italic». An dem für die gesamte Sclnvcfelindustrie wichtigen Gebiete nm Fuße des Aetna sind Streits, Demonstra tionen nnd Ausschreitungen wieder einmal an der Tages ordnung. Zwischen Eatania nnd Porte Empedoele, den beiden Hanptausfuhrhäfen für Schwefel in Sizilien war eiu Zwist wegen der Ausfuhrtarife eingetretcn, der zu nächst nur die Produzenten nnd Händler betraf, dann aber von der Arbeitermasse fortgefnhrt wurde. Lchwesel- depois wurde» augeziiudet, nnd nur einer günstigen Aen- derung des Windes war es zu verdanken, daß nicht die Stadt einer Feuersbrunst unabsehbaren Umfanges aus geliefert wurde. Ter >?aß der Menge, der sich gegen das Schwefcltonsortium richtete, machte sich auch in an deren Ausschreitungen Luft. Gebäude wurden demoliert, Telegrapheudrübtc durchschnitten, Aufrnhrstimmnng herrschte überall. Es bleibt zu hoffen, daß es den von der italienische» Regierung entsandten Truppen gelingt, schnell wieder Ruhe und Ordnung zn schaffen. Frankreich. Tas Kabinett Tonmcrgne, das vor wenigen Monaten unter großem Geräusch ins Leben getreten ist, hat allzubald unter den Zeichen der Altersschwäche den poli tischen Schauplatz verlassen. Die hinter ihm stehende radikale Partei bat eine Schwenkung in der Frage der dreijährigen Tienstzeit gemacht. Präsident Poinearä hat (.reine seilte erk«Uei» del ceHelmShl-eia Ledreucd «lle klaut lcliüu, HcluoU u»«I jutenckkrllri,. a>vki-rels«is«.soec.,zs«.1,4v». »10,20,40,75?!. u ßin goldenes Mutterherz. Roman von Erich Ebenstem. 82 „Kitty ist wirklich ein liebes Ding, und schon, daß sie ein mal meine Kollegin war, hätte Dich veranlassen müssen —" Assunta schlug die Augen groß auf. „Du hast mir nie ein Wort von dieser Kollegin erzählt. Uebrigens pflege ich meine Freundschaften nicht unter Varie- teedamen zu suchen." Er biß die Lippen zornig zusammen. Das war wieder Fabriziusscher Familienhochmut. Schweigend, jedes in eine Ecke gelehnt, fuhren sie heim. Das Barometer stand wieder einmal auf Windstille vor dem Sturm. Aber der Sturm brach diesmal nicht los, einfach darum nicht, weil Lanzendorfsogleich nach Tisch „in Geschäften" zur Stadt fuhr. Assunta saß, in sich hineinbriitend, am Fenster und sah hinaus in den Garten, der sich mit zarten» Grün geschmückt hatte. Sie war unzufrieden mit sich selber. Warum war sie so hochmütig gewesen? Natürlich mußte ihn das ärgern. Am Ende mußte ja eine Varieteekünstlerin nicht notwendigerweise weniger sein als irgendein anderes Mädchen. Nun war er böse und kam sicher den Abend nicht heim. Sie seufzte lief auf. Wie schwer war doch das Leben. Und einmal hatte es so lachend auf sie niedergeblickt voll strah lender Derheißllng. Sie stand ans nnd machte sich zwecklos im Hanse zu schaffen. Aber eS war so wenig zu tun in dem aut eingerichteten Haus halt, wo alle Arbeit von den Dienstboten getan wurde und für die Frau nichts übrig blieb, als — sich schön zu machen für den Mann. Plötzlich kam ihr ein wunderlicher Gedanke. Nein, eigent lich so natürlich, daß sie nicht begriff, wie er ihr nicht schon längst gekommen war. Sie wollte hinein in die Stadt und Ferry vom Bureau ab hole», wie im ersten Jahr ihrer Ehe. Solange hatte sie das picht getan l Nnn wollte sie sich recht schön machen, ihn über- raschen, und so lieb und zärtlich sein, wie damals. Da hatte er schon immer die Minuten gezählt, bis sie f kam, und ihr vom Feilster aus zugewinkt. Daun hatten sie, eng aneinander geschmiedet, einen Spaziergang gemacht und sich auf ihr liebes Heim gefreut. Wie schön das damals war! Ja, es sollte »nieder so werden! Mara war bei Sophie ja so gut aufgehoben. In fieber hafter Eile kleidete sie sich an, gab ihre Befehle für das Abend essen, küßte die Mara und machte sich auf den Weg, leichtfüßig und selig, wie ein jnnges Mädchen, das dem Geliebten entge- geugeht. Sein Bnrean »var nach dem Brande in einem Nebenhaus untergebracht worden, und Assunta »var nur einmal flüchtig mit der Kleinen dort gewesen. Aber sie »viirde sich schon zu rechtfinden. Man ging durch einen Garten nach einem Pa villon, daran erinnerte sie sich noch genau. Im ersten Raum waren Beamte, der ziveite gehörte Ferry, und »var sehr behag lich mit Luxus und Geschmack ausgestattet worden, „denn so was »nacht gleich Eindruck auf die Leute," hatte er damals gesagt. AIS Assunta den Flur des Vorderhauses durchschritt, däur- werte es bereits. Im Garten begegnete sie den letzte» Be amten, welche sie achtnngsooll grüßten. Es kam ihr vor, als ob ei» Stück vor ihr eine Daine ginge, welche jetzt in» Pavillon verschwand, aber sie achtete »licht weiter darauf. Gott weiß, wersonst dort wohnte. Und sie »var voll Vorfreude, wenn sie an Ferrys Ueberraschuiig und das Wiedersehen mit ihm dachte. Das erste Ziminer »var dunkel» aus dein zweiten schim merte durch die Milchglasscheiben der Tür Licht, und Stim men schlttgen an ihr Ohr. War noch einer der Beamten bei ihm? Wie ärgerlich! Nnn mußte sie warte»». Dann stockte ihr jäh der Herzschlag und etwas Eisiges er goß sich langsam durch ihre Adern. „Also, was »nachen »vir heute, Ferryschatz?" sagte drin eine Helle Stimme, die Assunta »»nter tausenden erkannt hätte, obwohl sie sie nur einmal hörte — heute — „Schwalbling wollte zu mir kommen, aber ich hab' ihn» abgesagt. Möchte mit Dir allein sein." „Ja, Kitty, aber — ich habe meiner Frau gesagt —" j „Du, laß mich mit Deiner Frau zufried-u! Sir ist Ichön, ' viel schöner als ich dachte, und ich bin beinahe eifersüchtig. Weil» Du mir heute auskueifst, dann glaube ich »rahryaflig, daß Du sie — liebst." „Aber, Kind, sei doch vernüiiftig! Du maßt doch begreifen — es »var mir sehr peinlich heute vormittag —" „Mir gar »licht!" Die Helle Stimme hatte einen dunklen, drohenden Klang bekommen. „Ich kenne Euch MänneZuns lasse mir kein L für ein U vormachen. Ich bin untzr-auisch, daß Dn's nur weißt! Wegen Dir habe ich das Engagement in diesem Nest angenommen, wegen Dir bleibe ich hier. Alles habe ich getan, »vaS Du wolltest, Deine Geschäfte in Ord nung gebracht, sogar diesen blöden Schwalbling kirre gemacht, aber dafür laß ich mich nicht abschtttteln, wie eS Dir paßt. Deine Frau ist mir zu schön. Du bist mir viel zu rücksichts voll gegen sie." „Aber Kitty —" seine Stimme klang ärgerlich und gequält, „was fällt Dir nur ein? Ich bi» doch kein Schwalbling — mir wirst Du doch keine Szene Vorspielen wollen? Ich bin nicht der Mann, der so »var — und überhaupt mit welchem Recht." Er unterbrach sich plötzlich. Draußen war die EingangLtür des Pavillons ins Schloß gefallen. „ES wird doch keiner mehr von den Leuten—" er riß die Tür auf. Alles duukel und leer. Aus Vorsicht öffnete er noch die andere Tiir. Der Garten lag dunkel und ausgestorben vor ihn». Aufatmend schloß er wieder und schob den Riegel vor. GS wäre ihm sehr peinlich geivesen, wem» einer seiner Be amte»» KittyS Worte gehört hätte. Im Grunde fühlte er sich nicht schuldig, aber die Welt dachte ja immer gleich mehr, und eS wurde so schor» genug über diese Freundschaft geschwatzt. Wenn Assunta etwas erführe — „Di» machst auch gleich so einen Heidenspektakel, Kitty." „Also, »vas ist'S ? Willst Du den Abend mit mir ver bringen? Oder nicht?" Er mußte plötzlich lachen über ihre funkelnden Blicke. In einein Punkte waren sie doch alle gleich. „Natürlich will ich. Närrchen! Gehen »vir ins Theater und dann z>» Herzberg soiuneren." 22Z20,