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Beilage znm „Riesaer Tageblatt". Rotationsdruck und Vertag von Langer L Winterlich in Niel a-. — Fiir die Redaktion veranttvortlich: Arthur H!ihnel in StieIa. SS. «7. Jahrg. Montag, 27. April NN4, avends. Reichstagsveginn. An dkefem Dten-tag nimmt nach der Osterpause der Reichstag seine Sitzungen wieder auf, «m vor allen Dingen die Etatsberatung zu beenden und einige wichtigere Ge setzesvorlagen zu verabschieden. In diesem Jahre bat sich trotz des späten Ostertermin» die Erledigung de« Reichs- hauShaltSetatS ungemein in die Länge gezogen, in der Hauptsache dadurch, daß man bei den Debatten es nicht über sich gewann, sich Beschränkung aufzuerlegen, sondern di« Redner im breitesten Fahrwasser plätschern ließ. Das hat sich nur zu schnell gerächt, und wenn man allmählich daran gewöhnt ist, daß der Etat nicht zur rechte» Zeit fertiggestellt wird, so ist die Verzögerung diesmal ganz be sonder» ausgedehnt, zum Schaden der sonstigen Parlaments arbeit. Der Erfolg ist der. daß außer dein Etat andere Gesetzesvorlagen schließlich im Galopptempo durchberaten werden, mit dem Resultat, daß sich später nicht selten recht erhebliche Mängel Herausstellen, lieber diesen Mißstand sind schon Ströme von Tinte vergossen worden und Zentner von Druckerschwärze aufgebraucht, ohne daß irgend eine merkliche Aenderung eingetreten wäre. Diesmal steht u»S bei der EtatSberatung vor allem noch die Erörterung über die Außenpolitik bevor, die gerade jetzt von besonderer Be deutung sein muß. Je schöner aber die Jahreszeit wird, um so mißlicher ist das für die Parlamentsarbeit, die dann nicht mehr so recht schmecken will. Auch der Militäretat ist noch nicht erledigt und eS dürste bei dieser Gelegenheit zu recht lebhaften Debatten kommen. An dringlichen Auf gaben liegt dann vor allem noch die Novelle zur Besol dungsordnung vor, das Gesetz zur Unterstützung der Alt pensionäre und die damit verbundene Totalisatvrreforni, deren Ertrag den Altpeiisionären zu gute kommen soll. Eine Reihe von Vorlagen sind für die zweite Lesung ziem lich vorbereitet, so das Wiederaufnahmeverfahren bei dis ziplinarischen Angelegenheiten, die Errichtung dc-s Kolonial- gerichtShofeS, um dessen Sitz ein langjähriger Streit zwischen Berlin und Hamburg besteht, und schließlich die Frage der Konkurrrnzklausel, die angesichts der Differenzen zwischen Regierung und Mehrheit wahrscheinlich unter den Tisch fallen wird. Verschiedene Vorlagen harren sogar noch der ersten Lesung, darunter die Kalinooelle und daß neue Sittlichkeitsgesetz. WaS von alledem noch bis zur wärmeren Jahreszeit erledigt werden wird, wissen die Götter. Augen blicklich ist noch nicht einmal eine Entscheidung darüber getroffen, ob die Session geschlossen werden soll oder ob man Ende Mai eine Vertagung bis zum Herbste eiutreten lassen wird. Bei SessionSschluß würde die Erledigung nicht unwichtiger Vorlagen in weite Ferne gerückt, weil in diesem Fall die Beratnng dann von vorn wieder anfangen müßte. AuS diesem Grunde wäre eine Vertagung vorzu ziehen, aber derartige lange Sessionen haben auch ihre Schattenseiten und vor allem wird durch diesen AuSweg gewissermaßen eine Prämie auf die langsame Arbeit des Parlamentes gelegt. All das sollte man jetzt bei Wieder- zusammentritt des Reichstages sich überlegen und sich ent sprechend einrichten, denn es handelt sich hier nicht um eigene Zwecke, sondern um das Wohl der Nation. Nach den Pariser Festtagen. Aus Paris wird uns geschrieben: Die Feiertage sind vorbei, die Fahnen rönnen wie der cingeholt werden. Das bunte Festklcidchen wird aus gezogen, man wendet sich wieder den vier Wänden zu — den Wahlen. Sie finden am 26. April statt, am Iranentieöe. Roman von Clara Aulepp-Stiibs. 48 ES stellte sich heraus, daß von der Wenges auch einige Lage in Kairo zu bleiben gedachten, und war es nur natür lich, daß man zusammen verkehrte. So hatte Giovanni ganz für sich schon fast genau das selbe gedacht wie Heinz, der doch nicht einmal Mands lei denschaftliches Herz kannte und mich nicht den dunklen Blick sah, mit welchem sie ihn zuweilen fixierte. Wenn dann seine Augen deil ihren begegneten, dann flackerte es in ihren Tie fen auf wie Haß. Und gleich senkte» sich schwere, müde Li der, als ob nichts geschehen wäre. Und in völlig gleichgültigem Tone fragte sie auch eines Tages: „Sie erzählen Ihrer Frau alles?" Er machte ein erstauntes Gesicht. „Ja, gewiß, das ist doch selbstverständlich!" „Ach? — Ich dachte bloß —"Ihre Hände spielten nun doch nervös mit den dicken, schwarze» Wachsperlen ihrer Uhr kette; sie zog dieselbe» hastig hi» und her — „auch das— vor der Verlobung?" „Ich glaube, das tut kein Mann, gnädiges Fräulein!" Und dabei sah Giovanni sie au uud Maud Mertens ihn ttnd zwischen ihnen war ein Schweigen. — Auch Mand war totenblaß, und doch empfand sie eine heimliche Genugtuung. Sol Nim besaß sie doch Gewißheit, daß Lotti nichts wußte von seinem Kuß, de» sie nicht emp fangen, sonder» — gegeben hatte, und den sie fast wie eine Entehrung empfand. Gio hatte nichts gesagt, also hatten sie beide miteinander Mi» ein Geheimnis vor aller Welt, auch vor seiner Frau, sei ner Fran — nnd das empfand sie wie eine Genugtuung. — Es fuhr ihr durch den Kops: Sie konnte ja auch von ihm ver langen, daß er schwieg. Es war doch einfach Kavalicrpflicht, daß er eine Dame nicht blvßstellte — auch seiner Frau ge genüber nicht! Es gab also ein Band zwischen ihnen Giovanni empfand es im Laufe der nächsten Tage mehr and mehr, und in einer Art feindseliaeir Trotzes ließ er die Dinge gehen wie sie wollte». Sonntag, wie immer in Frankreich. Bevor man aber in das Für nnd Wider in der inneren Politik sich stürzt, schaut man doch noch ganz gern einmal dem Extraznge nach, der vom Jnvalidenbahnhof aus das englische Kö- nigspaar aus Paris fort, in die insulare Heimat führte. Man hat viel Begeisterung produziert. In diesen drei Tagen, die so schnell verflogen sind, und nun, da der königliche Glanz nicht mehr leuchtet, denkt man an den praktischen Wert der ganzen Aktion. Gewiß, sie war nicht übel inszeniert. Schon Tage lang vorher wurde der nötige Reklamelürin gemacht und in diesen Tagen selbst hörte das große Täm-Tam gar nicht mehr auf von den tiefen, innigen und herzlichen Gefühlen der staunenden Welt zu künden, die zum Vorschein gekommen seien. Und das große Täm-Täm erzählte des weiteren, das; man gerade an dieser Begeisterung uud — an seiner eigenen! — erkennen könne, daß ja solch eine Gelegen heit sehr schön sei, weil man an ihr den Grad aller Voraussetzungen zur herzlichen Verständigung erkennen töunc: daß sie aber ja nicht etwa den Zweck gehabt habe, zu beweisen, was längst bewiesen sei. lind -- man hoffe nicht etwa, daß nun alles im schönsten, womöglich noch innigeren Einvernehmen wcitergehen könne uud müsse; sondern — es könne gar nicht'auderS sein. Tie Liebe der beiden Nationen für einander sei zu groß und die klare vernünftige Erwägung gehe mit der Liebe .Hand in Hand. Fehlte nur noch der Beweis, das; England auf Frankreichs Unterstützung angewiesen sei. TaS hat ja nun niemand versucht; aber angcdeutct wurde cs, und Herr Lavisse erklärte es neben man chen anderen, das; cs England nicht als gar so schmerz lich empfinden sollte, das; cs sich seiner insnlariscben Unabhängigkeit begeben und sich nach einer Anlehnung umgeseheu habe. Man hat vor dem König ein wenig reichlich Kotau gemacht in der Republik. Uud hat dabei vergessen, daß gerade dieser König der Ksönig von England und --- ein sehr liberaler Mann ist. Wenn man ihm in diesen drei Tagen ein Stückchen Frankreich und ein Stückchen Franzoscntnin zeigen wollte, so hätte man das Pro gramm doch ein wenig anders gestalten müssen. Was hat denn der König zu sehen bekommen? Tie groß zügigen, überwältigend schönen Anlagen, die alten Prachtgebüude, die alle aus monarchistischer Zeit stam men, bis etwa auf das Rathaus, das aber dem alten, unter Heinrich IV. begonnenen Bau nachgeahmt ist Und an öffentlichen Schauspielen, die ihm den Charakter der Franzosen zeigen sollten? Eine leicht entzündbare Masse, die, wohin er sich auf seinen im Programm festgesetz ten Wegen begab, Spalier bildete; bei der Frühlings revue eine — allerdings sehr exakt im Pciradedrill ausgebildete Truppe, die daun das malerische prächtige Schauspiel eines Sturms auf die Tribünen bot, eines Angriffs, wie man ihn eben nur einem Entree zah lenden Publikum zulicb auf dem Paradcplatz macht, niemals aber im Ernstfall. Tann — einige vorzügliche Kostproben aus Frankreichs Küche uud Keller, einen Opernabend, ein Rennen in Auteuil. Von dem aber, was Frankreich groß gemacht hat, was seine Stärke war, von Frankreichs Volkswirtschaft hat man ihm nichts gezeigt. So wirken Paraden, Spaliere und Festtafeln ein wenig wie Potcmkischc Dörfer. Tenn es gibt in sFrank- rcich genug Männer, die klar und deutlich sehen, daß das, waS durch die äußere Aufmachung verdeckt werden soll, immer größer wird. Tas ist der Stillstand. Mein Gott, was war ihm ein Kuß? —Wieviel süße, junge Lippen hatte er damals berührt, flüchtig, tänzelnd, im leichten Spiel, wie viele aber hatten sich mit sehnsüchtigem Verlangen auf die feinen gepreßt und waren daran hänge» geblieben? Seine Augen blitzten dunkel auf. Was wollte Maud Mer tens mit ihrem Forschen? Pah, er würde doch mit einer sul chen Lappalie seine Fran nicht beunruhigen, seine süße Lotti, jein augebetetes Weib. Und als der Aufenthalt in Kairo sich seinem Ende näherte und vuu der Wenges sich ihnen auch im weiteren Verlauf der Reise anschlvsseu, da stampite er zornig mit dem Fnße ans, und wieder meinte er: „Die brauchen uns hier auch nicht gerade über den Weg zu laufen!" Lotti lächelte, sagte aber jetzt nichts. Eine schwere Be klommenheit lastete aus ibr. Sie wußte selbst nicht, warum Maud Mertens Anwesenheit sie so bedrückte, das junge Mäd chen betrug sich doch tadellos! Sie war sich nicht klar über ihr Empfinden. Es war ihr nur stets, als verändere nnd entwickele sich da ganz in der Stille etwas in ihrem Leben; alles unter einem Zwange, gegen den sie nicht ankämpsen konnte, weil nichts Positives da war nnd wenn cs dann ans einmal da war, dann würde es zu spät sein, dann würde sie sich damit abfinden müssen. Und ihre Beklommenbeit steigerte sich znrwirklichen Angst. Sie hatte fortwährend Herzklopfen, wenn sie Gio nnd Mand zusammen sah. Und das geschah oft! Wenn Gio es ermöglichen konnte, musizierte er auch auf der Reise, und Mand hatte sich schon so manches Mal — ost wie magisch angezogen von den wundervollen Töne» — in seine Nähe gesetzt. Den Oberkörper vornübergebeugt, die schlanken, weißen Hände um die Kuie geschlungen, saß sie daun gewöhnlich unweit des Flügels auf einem niedrige» Sessel oder Tabouret, verlorenen Sinnes zuhörend. Eines Tages brach Gio sein Spiel kurz ab, drehte sich um und meinte, mit dein Finger auf die vor ihm liegenden und von ihm geschriebenen Noten tippend: „Wer mir das mal Vorspielen könnte, — traust Du Dir es zu, Lotti?" Die junge Fran erhob sich von ihrem Plag auf dem Sofa. Die beiden Brautpaare waren spazieren gegangen und die zwei ältere» üerre» hatte» glücklich eine» dritte» Man» Tagesaeschichte. Deutsches Reich. Tas Viert a gereiin cn um die Gunst der Wühler. Ter sozialdemokratische LandtagSabgeordckcte Hänisch leistete sich im preußischen Abgevrdnetcnhause am letzten Sonnabend den billigen Scherz, die Spezial erörterung der Nebenbalmvorlage als Viertagerenucu um die Gunst der Wähler zu bezeichnen. Nach dem äußeren Eindruck — fast sämtliche Abgeordnete, die sonst kaum sich zum Wort melden, trugcm unter diesem Titel Wünsche vor, und dass meist vor schwach besetzte!» Hause — klingt cS so, als ob er damit nicht ganz unrecht batte. Nur passierte Hänischi der kleine Fehlgriff, in eiuem Atem mit der stolzen Behauptung, die Svzial- demolratie brauche dieses Viertagereuueu uiclZ mitzu machen, auch selbst BcrkehrSwnnschc zn äußern. Er tat dieS mit der Begründung, die Sozialdemokratie trete für Förderung der Kultur jederzeit ein. Tamit hat er seine geringschätzige Beurteilung der viertägigen Debatte, die auch am letzten Tage recht eintönig verlief, eigent lich selbst gerichtet. Es wurde wirklich eine Fülle von Ist sir-cs I GMLM LLLMMALL Slr->.S wQkrrs LrqrAcliu.rrI. N? 4 5 6 S 10 , , Z'/r ch Ü S 6 lO^cktz. <ck. AllLK ' . TLkck rnEk'ichms: ttokliLkersivt 2 Ick dXonicxs von LLckLern. M ArurtLnei; M --«» —MEWW» zinn Skat erwischt. Also Frau von der Wenge war deshalb allein anwesend und hatte sich behaglich neben Lotti im Sos« znriickgelehut. Diese trat mm zu ihrem Mann. „Fehlerlos kann ich das nicht gleich so vom Blatt ab« spielen, Gio," erwiderte sie etivas zaghaft. „Schade!" Gio drehte sich wieder um. „Erlauben Sie mal, Herr Arnheim, vielleicht bin ich in der Lage!" Plötzlich stand Maud Mertens neben Lotti und nahm ihr die Noten, die sie eben wieder zurücklegen wollte, ans der Hand. Und wie sie verbindlich sagte: „Aber gewiß, das werde ich können," und Gio aufsprang und ihr erfreut den Stnhl hinswob, da erwachte in der Fra» wieder das sonderbare Gefühl der Angst vor einer fremden, ihr nahende» Macht. Am beste» —sie sah das gar nicht, sie ging weg. Sieschützte Kopfweh vor, wechselte ein paar konventionelle Worte mit Frau von der Wenge uud ging hinaus ins Freie. Als sie draußen in der frischen Luft war, da hätte sie am liebsten laut aufgeschrie» vor Angst und Weh, und mußt« nun auch noch von neuem erschrecken, als Fra» vcm der Wenge lüuterihr herkain— „es ist mir für heute genug Musik» mein Kopf kann nicht viel vertragen," uud sich bei ihr vertraulich eiuhakte. So! Also waren die beide» ja nun glücklich allein! Und zwischen ihnen span» sich ei» Baud — die Musik — und si> stand draußen — wie eiust vor der schmiedeeisernen Pforte der Merteusscheu Billa, die dröhnend vor ihr inS Schloß fiel und ging allein ihres Weges. Aber nein, sie war entschlossen, sich nicht von Mand Mer« teils verdrängen zn lassen; sie ging sie doch eigentlich gar nichts an! Warum ließ sie sich nur durch sie aus ihrer Arg losigkeit und Ruhe heransreißen? Sie würde einfach jeden Verkehr mit ihr abbreche» und Gio würde es auch tim, mochte er sehen, wer ihm eine Kom position vorspielte! Das war seine Sache. Ei» gütige» Ge schick würde ihr helfe» nnd sie dann ihre Nnhe wiederfinden. Als sie enolich, ganz müde von Fra» von WengeS un aufhörlichem Geplapper, in das Hotel zurückkam, war sie inner lich fast heiter. 219,A,