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Freitag, 24 April INI 4, abends. 98. 2. Beilage zum „Riesaer Tageblatt". Ratatlo«»dn»ck und Verlag van Langer ä Winterlich in Riesa. — Für dir RedaNio» verantwortlich! Arthur HLHnel in Riesa. «7. Aahrg. «chßscher «««»tag. Erste Kammer. Di» Arpe Kammer nahm in ihrer gestrigen Sitzung zunächst 9i» Nah! von drei Mitgliedern und zwei Stellvertretern zum Staat»« gerichtehofr vor. Aus Vorschlag de» Vizepräsidenten Oberbürger- pwister« Dr. Beutler wurden durch Zuruf gewählt al« Mit« glieoer Ministerialdirektor a. D. Dr. Iah n-DreSven, Landgericht», prifldent a. L. Hartmann-Plauen und Rechtsanwalt Geh. Justizrat Ullrich-Chemnitz sowie al» Stellvertreter Justizrat Bar t H-Dr«»d«n und Geh. Justizrat Dr. Mittasch-DreSoen. La« Hau« erledigte hierauf debattelo« einige Gisenbahnpetitionen antraadgemäß. Li« Petitionen der Spargelzüchtervereinigung und de« Bezuck»obst- und Gartenbauvereins zu Weinböhla usw. um GAaß gesetzlicher Bestimmungen über die Vernichtung der wilden Kaninchen Innerhalb der eingefriedtgten Grundstück« sowi« über die Gewährung von Ersatz der durch sie verursachten Schäden beschloß di«, Kammer, auf sich beruhen zu lasten, nachdem der Regierung«- vertretrr Geheimrat v. Nostttz-Wallwitz erklärt hatte, daß die Pe titionen sich vielfach von Uebertreibungen nicht frei hielten. Von ein« Verseuchung könne kein« Rede sein. Nach Erledigung meh rerer privater Petitionen vertagte sich da« Hau» auf Dienstag, den 28. d. M., vormittag» ll Uhr. Dem Landtag« ist folgender Antrag des Direktorium« der Zweiten Kammer zugegangcn: Nachdem die Zweite Kainmer durch den in der Sitzung vom 81. März d. I. gefaßten Beschluß die Ge nehmigung dazu erteilt hat, daß von dem Direktorium der Zweiten Kammer nach Maßgabe des Gesetzes vom 31. März 1849 ein Ge setzentwurf ringebracht wird, durch den I. die Landtagsordnung vom 12. Oktober 1874, 2. das Gesetz über die Gewährung der Ent schädigung an die Mitglieder der Ständeversammlung vom 19. Fe bruar 19VS und 3. das Gesetz über das Recht der Kammern zu Gesetzvorschlägen vom 81. Mär» 1849 abgeändcrt bezw. ergänzt werden und nach dem die geänderten Bestimmungen der unter 2 und 8 gedachten Gesetze unter Aufhebung der letzteren in die Land- tagSordnung mit ausgenommen werden sollen, legt das Direktorium der Kammer heute den Entwurf der nach Maßgabe des obigen Beschlust«» geänderten Landtagsordnung nebst Begründung unter Beifügung einer Gegenüberstellung der Landtagsordnung in der Fassung vom 12. Oktober 1874 sowie des Gesetzes vom 31. März 1849 und de« Gesetze» vom IS. Februar IS99 der Zweiten Kammer zur Genehmigung vor. Dem Landtage ist der Bericht der Gesetzgebungsdeputation der Zweiten Kammer zugegangen, der das PfarrbesoldungS- gesetz sowie über den Antrag Clauß um anderweite Vorlegung eine« Gesetz,ntwurfeS zur Umgestaltung des Landes- kulturrat« im Ginne der Vermehrung der Vertreter von Land wirtschaft und Gärtnerei. Reichstag und Impfzwang. Bon einem Reichstagsabgeordneten wird «n- geschrieben: Sklf der Tagesordnung der ersten Reichstagssihung rwch den Osterferien steht als erster Punkt obenan die Entscheidung über die Petition der Jmpfgegner betreffend Einsetzung einer Kommission zur Prüfung des Impf wesen-. Die Petitionskommission hat sich schon sehr eingehend mit der Borberatung dieses Themas befaßt und macht dem Plenum den Vorschlag, die Bitte der Jmpfgegner dem Herrn Reichskanzler zur Berücksichti gung zu überweisen. Es ist leicht möglich, daß dieser Antrag eine Mehrheit im Gesamtreichstag findet. Auf jeden Fall wird am kommenden Dienstag die vieler örterte Jmpfzwangfrage wieder einmal breit vor der deutschen Volksvertretung und damit vor dem ganzen Lande aufgerollt werden. Das allein aber können die überaus rührigen Jmpfgegner als einen Erfolg ihrer rastlosen Agitationstätigkeit ansehen. Worum eS sich bei der Agitation des Bundes der Jmpfgegner handelt, die vor allem auch ständig auf die Reichstagsabgeordneten loSgeht, ist bald gesagt. Tie wohlorganisierten Gegner des heutigen staatlichen Impf- -Wange- vertreten zunächst die Ansicht, daß die Schutz- Pockenimpfung nicht nur kein sicherer Schutz gegen die gefährliche Pockenkrankheit gewähre, sondern außerdem noch durch Einimpfung der giftigen Lymphe schwere Gesundheitsschädigungen im Gefolge haben könne. Ihre populär-wissenschaftlich gehaltene reichliche Literatur führt alljährlich an hundert und mehr Fälle, zum Teil mit abschreckenden Illustrationen, an, bei denen allein die Schutzpockenimpfung zu entstellenden Krankheiten, Verkrüppelungen und vereinzelt gar zum Tode geführt haben soll. Auf Grund diese- fleißig gesammelten.Ma terials, dessen Stichhaltigkeit und Zuverlässigkeit frei lich von den angesehensten Vertretern der ärztlichen Wissenschaft bestritten wird, fordern die Jmpfgegner Abschaffung deS staatlichen Zwanges zur Impfung oder aber mindestens Einführung der „Gewissensklausel" in das Jmpfgesetz. Die Gewissensklausel ist seit 1898 in England in Geltung und entbindet Eltern und Vormün der vom Zwang, ihre Schutzbefohlenen impfen zu lassen, sobald sie feierlich vor der Behörde die Versicherung abgeben, daß die Impfung gegen ihre Gewissenspflicht gegenüber den Kindern verstoße. Tie deutsche ärztliche Wissenschaft, auch soweit sie im Reichsgesundheitswesen offiziell vertreten ist, be kämpft jede Art von Abschwächung deS gesetzlichen Impf zwanges. Sie bestreitet, daß sich in der Praxis der ver flossenen 40 Jahre — das Reichsimpfgesetz besteht seit dem 8. April 1874 — eine irgendwie nennenswerte Schä digung durch Impfung herausgestellt habe und erklärt die vorgetragenen „Schulfälle" der Jmpfgegner entweder als Irrtümer oder als Ergebnisse anderer, mit der Impfung gleichzeitig ausgetretener Erkrankungen. Da gegen behauptet sie positiv, daß durch Aufhebung oder auch nur wesentliche Durchbrechung des Jmpfzivange» (etwa durch die Gewissensklausel) die früher so gefähr liche VollSseuche oder Pockenerkrankung alsbald wieder kehren werde. Man müsse deshalb an der gesetzlichen Zwangsimpfung festhalten, weil es keinen andern Weg gebe, um eine wirksame Immunisierung der Gesamtbe völkerung durchzuführen. Uebrigens hielten auch fast alle europäischen Kulturstaaten aus diesem Grunde an dem Impfzwang fest, und in England sei die Einfüh rung der Gewissenstlausel durch das Auftreten mehrerer Pockenepidemicn in London bestraft worden. Im Reichstag sind die Meinungen geteilt. Ein Teil der Mgeordneien, besonders die Anhänger des Natnr- heilwesenS in der Sozialdemokratie, rechnet sich zu den überzeugten Gegnern des Impfzwanges. Andere sind ebenso überzeugte Befürworter allgemeiner, erzwing barer Impfung und lehnen daher jedes noch so geringe Entgegenkommen gegenüber den Wünschen der Jmpf gegner als gefährliche Ermutigung ihrer ohnehin rtth- rigen Agitation glattweg ab. Schließlich stellt sich eine dritte Gruppe von Neichsboten ans den Standpunkt, es sei der unermüdlichen Arbeit der Jmpfgegner mindestens das Zugeständnis einer erneuten wissenschaftlichen Durchprüfung der ganzen Streitfrage zu machen. Diese dritte Gruppe hat in der Petttionskommission mit ihrem Anträge aus „Einsetzung einer Kommission zur Prü fung des Impfwesens" vorläufig gesiegt- Sie wird mit .Hilfe der Jmpfgegner wahrscheinlich auch bis Tiens- - L 86lt6N MM ündk. Wkl !nk.: 8. Hasse Mesa» Loks Lioetke- unä Lskütrsnstrssss. He»« VMtck vis sparten feudelten, ivelods Lis del uns vorünäsn, rsixsn sinsn ausxssuokt keinen Ossedmaok. Vie ^usvakl ist xsnr dervorra§snä, äie kreise Irauentiebe. Roman von Clara Aulepp-Stübs. 43 „Wie unfreundlich st« ist," sagte er sich, „als ob ich daran schuld wäre ich — ja - Allmächtiger — ich?" Er ächzte, die Kute versagten ihm den Dienst, kalter Schweiß perlte auf seiner Stirn. Wie betäubt von einem furchtbaren, ihn qualvoll marternde» Gedanken sank er im nächsten Zim mer auf einen Stuhl und blieb regungslos dort sitzen, bis der Arzt kam. Da trieb ihn die Unruhe auf. Er trat ans Fenster und preßte dir Stim gegen die Scheiben. Draußen glitt ein Torpedo vor über, der henlende Ton seiner Dampfpfeife regte Giovanni noch mehr auf, Er wandte sich wieder ins Zimmer zurück. „Tick und tack — tick und tack! Schlag auf Schlag — Schlag auf Schlaa —," höhnte aber dort wieder die Uhr. O, wie unerträglich das war! Schlaa auf Schlag — Schlag auf Schlag! Tick und tack! Er hielt «S hier nicht auS; er trat hinan- in das Vesti bül. Niemand zu sehen, nur Stimmengemurmel hörte er durch ein« der Türen dringen. Da klopfte er leise an. Die Tür wnrde spaltbreit geöffnet, die Schwester schaute heraus. AlS sie ihn sah, sprach sie ein paar leise Worte ins Zimmer zurück, und an ihr vorüber schritt gleich darauf der Arzt. Giovanni öffnete da- frühere Wohngemach, welche- der Kommerzienrat jetzt auch al- Eßzimmer benutzte, und wo er, Glo, soeben gewartet hatte, ließ den Arzt eintreten und folgte thm. Sein He»schlag stockte, um dann desto rasender wieder einzusetzen. Er erkannte seine eigene Stimme kaum, als er kragt«: „Herr Doktor?" „Herr Arnheim!" Der Blick de» jungen Arzte» begeg- Alte arm seinen. Da fuhr er aus: „Nein, nein, nein! Gagen Tie nein, Herr Doktor, da» kann nicht möglich sein! Ueberhanpt — so Hel sen Die mir doch begreifen, Doktor! Der Briefbeschwerer —" Giovanni krampfte die Hände ineinander — Lr wnßte e» wohl selbst kaum, daß aroße Tränen über seine Wangen rollten, bis schließlich sein ganzer Körper von Schluchzen geschüttelt wnrde. „Der scharfkantige Briefbeschwerer war ein sehr gefährli ches Wurfgeschoß und wurde mit der Kraft des Wahnsinns geschleudert! — Der Tod ist gleich eingetreten, da die Hirn schale zerschmettert ist!" „Doktor!" So viel oerzweiflungSvoller Schmerz lag in dem abweh renden Aufschrei Giovannis, daß der Arzt seine Hand nahm. „Fassen Sie sich. Herr Arnheim," bar er. Da schrie Giovanni wild ans : „Ich soll mich fassen? Wo ich doch jetzt meinem Weibe die Nachricht bringen muß!" Und leise fuhr er kort: „Ach, Lotti! Meine arme, arme Lotti! Doktor — Sie wissen doch?" Ein traurig fragender Blick traf den Arzt. Und ein verständnisvoller Händedruck, einige bejahende Worte gaben dem unglücklichen Manne die Antwort. „Kommen Sie mit mir, Doktor! Wenn meiner Fran etwas zustößt — ach!" Giovanni schluchzte noch em paarmal auf, dann strich er sich nnt dem Taschentuch über das Gesicht und richtete den Oberkörper straffer. „Kommen Sie — aber erst zur Mutter!" ' Giovanni sah mit fest zusammengepreßten Lippen und ineinandergekrampften Händen in das liebe, stille Antlitz seiner Schwiegermutter. Er vermochte das alles noch nicht zu fassen; e» war zu furchtbar, zu entsetzlich! Er sah sich um und als er sah, daß die Schwester gegan gen war, stürzte er vor dem Lager auf die Knie. „Ich bin schuld — ich bin schuld!" wimmerte er. Die Hände der Leiche mit Küsten bedeckend, weinte er wie ein Kind. Auch der Arzr ging jetzt. Er gab der Schwester Instruktion betreffs de» Kommerzienrats, der nach dein furchtbaren Anfall wieder teilnahmslos aufseinem Bett ruhte, wohin ihn Klans getragen hatte. „Ich warnte doch vor Anfregnngen!" sagte er zu dein alten Diener. Dieser sah bekümmert ans. „Ach, Herr Dokior, den Herrn vor Aufregung zu bewah ren, das stand nicht in unserer Hand. Der erboste sich innerlich über alle», und wenn cs nicht heute zum AnSbrnch gekommen wäre, wäre es eben ein andermal gewesen! Das Schreckliche ist nur, daß unsere liebe, gute Frau Doktor ihr Leben hat lassen müssen, das ist fürchterlich!" „Der junge Herr hätte vorsichtiger sein müssen, da er sei- neu Vater kannte — er hat die Schuld!" äußerte die Schwester. „O —!" Der alte Mann trat dicht vor sie hin. „Sagen Sie das nicht, Schwester! Ich leide es nicht! Nein, der junge Herr hat genug zu erdulden gehabt. Sie wissen das nicht so, und ich, ich kann das auch nicht so sagen — ich verstehe e» nicht — aber, das weiß ich, wenn der junge Herr mit seinem Herzblut die Fran Doktor da drüben wieder lebendig machen könnte, er tät's zehnmal I Ein Unglück ist's, ein großes Un glück! — Vielleicht wär's nicht gekommen, wenn sich der Herr Kommerzienrat nicht aufgeregt hätte, aber man muß immer denken, es hat so sollen sein. Nur sprechen Sie nicht von Schuld; das leide ich nicht, ich, der ich an die dreißig Jahre hier im Haus bin und den alten Herrn so genau kenne wie den jungen!" Halb erstaunt, halb gerührt hatte die Schwester zngehört. Ihr war Giovannis etwas sorglose Art nicht gerade ange nehm aufgefallen.Bon dem einzigen Sohn härteste mehrltebe- vollere Teilnahme für den Kranken gewünscht, wie znm Beispile Fran Doktor Falk sie in ihrer feinen, stillen Weise knnd tat. Letztere war gerade im Begriff gewesen, Giovanni zu bit ten, sich zurückzuziehen und ihm einen Brief für dis Tochter einzuhändigen, als das heftige Klingeln sie rasch eintreten ließ und das Unglück geschah. Es war nur natürlich, daß die Schwester den Sohn nun mit nicht eben freundlichen Angen ansah und in ihm die un mittelbare Ursache des Schrecklichen erblickte. Die Worte des alten Dieners ließen sie milder urteilen und war sie es nm» auch, die den Doktor bat, nach ihm zu sehen. Dieser fand den jungen Mann jammervoll anssehend.doch bereit zum Gehen. „Wenn Sie Ihre Frau Gemahlin so steht, ahnt sie gleich etwas Schlimmes. Trinken Sie erst ein Gla» Wein, Herr Arnheim!" bat der Arzt. Mit einer Gebärde des Ekels lehnte Giovanni ab, dann streckte er Klans, der ihm Hut und Mantel gehalten, wortlos die Hand znm Abschiede hin. Der Alte küßte sie, sah der schlanken Gestalt nach, bi» sie unten am Landungssteg in der Kaiüte de» Motorboote» ver schwand und seufzte schwer auf. 219,20