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entgegnet Olga, „wenn mir Las Leben tot und einsam Vorkommt." „Wir können für andere leben, gnädige Iran." „Das habe ich mir auch getagt; Gott helfe mir dazu." Sie sitzen auf der Bank neben Hänschens Grab. Ka der Luft liegt schon die herbe Kühle des nahenden Herbstes. Die welken Blätter fallen lautlos zur Erde, ein Hauch von Sterben und Vergehen überall. Olga fröstelt. „Sv kalt," sagt sie. Äingen fürchtet, daß sie sich erkälten könnte, und äußert seine Befürchtung. „Rein, der Körper friert nicht. Innere Kälte ist schrecklicher. Als Bubi lebte, habe ich sie nicht mehr gefühlt," sagt Olga, dann bricht sie in haltloses Weinen aus. „Richt mehr," denkt Klingen. „Arme Frau, in die sen beiden «orten liegt die Tragik deines Lebens." „Verzeihen Sie, daß ich so fassungslos bin," sagt Olga, „morgen muß ich für lange fort, da hat es mich noty einmal übermannt." ,La, ich weiß durch Frau von Lindner, daß Sie verreisen." „Der Arzt will es so, ich nicht " „Fran von Lindner wird Ihnen viel geben. Auch sie hat ja ein geliebtes Sind verloren; sie versteht den Schmerz einer anderen Mutter." Klingens Stimme bebt bei diesen Worten. „Auch er trägt ein Leid," denkt Olga. ,Lch danke Ihnen für die Blumen auf Bubis Grab, Herr. Baron, lauter weiße Blüten!"' „Sie lieben sie, gnädige Frau," entgegnet Klingen weich- ,Lch habe eine Bitte an Sie. Wenn Sie nach Gries kommen, so legen Sie sür mich ein Sträußchen Edelweiß auf das Grab Fräulein Anna Lindners." „Gewiß, das will ich gern tun." „Und erlauben Sie mir. Ihnen ab und zu zu schreiben? Ich möchte gern wissen, wie es Ahnen geht." Zustimmend neigt Olga das Haupt, dann erhebt sie sich. ,Lch will jetzt gehen," sagt sie mit der müden Stimme der Menschen, die ein großes Leid tragen. Roch ein letzter, langer Blick auf das kleine Grab, dauu geht sie an Waldemars Seite langsam durch die Reihe der stillen Schläfer zum Friedhof hinaus. Er hebt sie in den Wagen. „Leben Sie wohl, gnädige Frau." »Leben Sie wohl, Herr Baron," entaegnet sie ebenso. „Auf Wiedersehen!" Die Droschke rollt davon. Klingen steht da, den Hut» in der Hand, bis sie feinen Blicken entschwindet. Olgas Zustand war noch immer derart, daß sie höchster Schonung bedurfte. Frau Lindner war sich wohl der schwierigen Aufgabe bewußt, die sie übernahm. Am Tage vor ihrer Abreise war Arnold nach Berlin gekommen, um von der Mutter Abschied zu nehmen. In der Dämmerung schlüpfte Marie Heerbach ins Gartenhaus und fand Mutter und Sohn im halb dunklen Zimmer. „Das ist aber nett von Ihnen, noch einmal zu kommen," sagte Frau von Lindner, ,Fber ich habe iie auch schm erwartet " Arnold steckte die Lampe an. Seine munteren Augen sahen heute ungewöhnlich ernst aus. „Sie leben also ganz allein im Forsthause?" sagte Marie. . »Lawohl, gnädiges Fräulein; ich hoffe aber, meine Mutter entschließt sich, «ach ihrer Reise zu mir zu komme«. Richt wahr, Muttchen, Du führst Deinem Jungen die Wirtschaft?" ^RS Du hemmest, geru, Arnold." „O, da- hat noch Zeit!" rief er und fügte dann „Später — Moe« Jahr oder über zwei Wahre!" ,Wie alt werden Sie dann sein? Zwanzig höchstens," neckte Marie. „Ist es nicht zu früh sür solchen Schritt, Herr Lindner?" ,Zu früh?! Ich bin'schon vierundzwanzig," sagte er entrüstet, „zwei Jahre hinzu —" . „Macht sechsundzwanzig nach Adam Riese!" lachte Marie. „Nun," — ihn schelmisch von der Seite «„sehend, „bis dahin muß aber der Schnurrbart ge wachsen sein! Brauchen Sic doch Javol, das befördert das Wachstum." „Sie müssen auch immer necken! Aber das schadet nichts. Sie kennen doch das alte Sprichwort: was sich neckt, das liebt sich!" „Stimmt aber nicht immer, Herr von Lindner." „Vielleicht doch. Gnädiges Fräulein, wir sind allein, Mutter ist in der Küche." „Ja, ich muß nun gehen." Marie war plötzlich beklommen zumute. Sie wollte ausstehen, da hielt Arnold ihre Hand fest. „Lassen Sie mich, bitte," sagte sie und suchte sich freizumachen. Er gab die kleine Gefangene noch nicht frei. Er zog sie an den Mund und küßte sie zwei-, dreimal nacheinander. „Das — das ist aber doch zu frech!" rief Marie und sprang entrüstet auf. Dann lies sie in die Küche und sagte Frau von Lindner Lebewohl. Im Vorzimmer stand Arnold. „Uebers Jahr, spätestens über zwei Jahre," sagte er bedeutungsvoll. »Oder gar nicht," entgegnete Marie schnippisch. „Ta!" Sie gab ihm einen kleinen freundschaftlichen Nasen stüber. " „Den haben Sie verdient! Ha, ha, ha!' Schnell war sie entwischt. Arnold schmunzelte vergnügt; er dachte sich seid Teil. Wie damals mit ihrer kranken Tochter reiste Frau von Lindner in kleinen Tagestouren über München nach Tirol, wo die Damen eines Abends in Gries ankamen. Hier sollten sie vorläufig bleiben, um später an den Gardasee zu gehen. Im Hotel zum Babel gießen sie sich nieder. « Frau von Lindner kämpfte tapfer gegen den eige nen Schmerz; auch für sie hatte sich ein Grab über ein liebes Sind geschlossen. Anna war krank am Körper her gekommen, bei Olga war die Seele krank: Eine große, schöne Aufgabe harrte ihrer Begleiterin: die Wunde zu heilen, die das Leben geschlagen. Frau von Lindner war eine gläubige, wahre Christin. Sie flehte, daß der ewige Arzt ihr beistehe, das Kranke gesund, das Wunde heil zu machen Mutig ging sie an das fromme Werk. Olga war von der Reise zu ermüdet, um in den ersten Tagen die herrliche Umgebung zu genießen. Apathisch lag sie auf dem Ruhebett am Fenster, und ihre «rüden Augen schweiften träumend über die Pracht des Schlerns und Rosengartens, der allabendlich in zauberhafter Schöne erglühte. Die stille, wohltuende Art ihrer Pflegerin wirkte besänftigend auf das zerrissene Gemüt der jungen Frau. Sie führten lange Gespräche, die ernste Tinge be rührten. Die ältere Frau teilte echte Goldkörner aus dem Schatze ihres Lebens mit. »Lehren Sie mich mein Leid williger tragen," bat Olga eines Tages, „sagen Sie mir, wie ich es anfangen soll, in Demut zu sprechen: „Herr, dein Wjjse geschehe." »Liebes Kind — so darf ich Sic doch nennen?" fragte Frau von Lindner. ,La,-bitte, tun Sie es." „Gut. Wissen Sie nicht, daß denen, die Gott liebar, alle Dinge zum besten dienen kolken? Er will, daß / Masienanflase« kür Rotationsdruck. Brief von ihm nach Gries kam, färbte blassen Wangen Olgas. Sie war dann zerstreut und träum'risch, als weilten weit weg. Lindner hatte oas Grab ihrer Töchter Male besucht: heute bat Olga, sie be- Avtsr Adreß, and Geschäfts- körten Briefköpfe, vriefletftea Bestellzettel Broschüre«, Billett Deklarationen Danksagungs- und EinladnngSdrlrse Einlaßkarte« Etiketten aller Art Fakturen, FlngblStter Formulare tu dtv. Sorten Frachtbriefe SebranchSanweisungev Fremdenzettel Haus- und Fabrik- Ordnungen Seburttauzetgca Hochzeitteiuladungen -Zeitungen und -Gedichte Kafteaschtlder Koftrnauschlilgr Kataloge, Kontrakt« Kontobücher Lohnlisten, Mahnbrtefe Mitteilungen, MeuoS Musterbücher, Nota« Plakate Programm« PrrtSkuraate Postkarte«, Oulttungen Rabattmarke» Rechnung«« Speis««» nu» Weinkarten Statuten, Tauzkartc» Sttmm», Theater- und Sackzettel Visiten- und BerlobuugSkartea Wechsel, Serke zirkuläre, Seugniff» »e. re. re. kicsA Soethestraße Nr. LV hält sich zur Anfertigung nach stehender Drucksachen bei sauberer Ausführung und billigst« Preis stellung besten« empfohlen Di« Buchdrucker«» von Langer zMteM ßivser frgedlsti — Amtsblatt — Fernsprrchstelle Nr. 2g. Telegramm-Adreff« r Tageblatt Nies«. wir ihm unser Kreuz Nachträgen lernen. Je freudiger wir es tun, desto leichter wird die Last." „Ich bin noch so weit davon entfernt." „Gott wird Ihnen helfen, liebes Kind. Vertrauen Sic ihm voll und ganz." Solch ernste Gespräche führten sie oft, und nach und nach senkte sich der Friede au^ das junge, wunde Herz. Frau von Lindner erzählte Olga von ihrem früheren Aufenthalt in Gries und dem Tose ihrer Tochter. „Sie sprechen so gefaßt darüber," sagte Olga, „wie ist das möglich?" „Was Gott tut, das ist wohlgrtan, liebes Sind. Annchen ist glücklich. Glücklicher, als sie ans Erden geworden wäre." Olga zögerte etwas, dann sagte sie: „Ich glaube, ihrer wartete schon hienieden ein großes Glück." „Wie meinen Sie das?" fragte Fran von Lindner aufmerkend. ; „Ich dachte, Ihre Töchter und Baron Klingen hätten sich gefunden, wenn Anna am Leben geblieben wäre." „Nein, liebes Kind, von seiner Seite war nichts von Liebe in dem, was er Anna entgegenbrachte; wie ein treuer Bruder umsorgte er sie. Mein Ausspruch, daß sie auf Erden nicht bas gefunden hätte, was ihr Herz ersehnte, ist nur allzu wahr. Wir wollen nichts mehr darüber sprechen, es schien mir aber eine Pflicht, Sie aufzuklären, damit Sie keine falschen Schlüsse ziehen." Der weltklugen Frau war es nicht entgangen, daß Waldemar von Klingen sich für Olga wärmer inter essierte, als es eine bloße Bekanntschaft bedingte. Wenn er von ihr sprach, schimmerte stets etwas von dem tiefen Gefühl hindurch, das ihn beherrschte. Wenn ein " ' ' leise Röte die den Tag über ihre Gedanken Frau von schon mehrere gleiten zu dürfen. Trotz der vorgerückten "Jahreszeit war das Wetter noch um sie Mittagsstunden warm, die Berge-schützten vor den Winden. Ihre Gipfel leuch teten im ewigen Schnee ihrer Kuppen. Majestätisch erhob sich die Mendel zur Rechten, der Birgl lag - zwischen ihr und dem Rosengarten und Schiern. Eingedenk der Bitte, die Klingen an Olga gerichtet, wollte sie einen Strauß der weißen, keuschen Alpen blumen für Annas Grab kaufen. - Ueber die Tälfcr Brücke schritten die Berliner Damen nach Bozen. In den Laubengängen drängte sich buntes Leben; noch kamen und gingen die Reisenden. Auf dem Obst- und Blumen markt lagen die verlockendsten Früchts auf den Tischen: die großen, süßen Trauben, Pfirsiche mit dem zarten Flaum, goldgelbe Riesenbirnen, rotbäckige Aepfel, Quit ten und Pflaumen, große Körbe mit Nüssen und da neben die Blumen in wunderbarer Auswahl. Olga kaufte einen Busch Edelweiß und für sich blauen Enzian und Alpenröslein; diese sollten Hänschens Bild schmücken. Ter Friedhof lag wunderschön am Abhang eines Berges, nahe der Kirche. Warm schien die Sonne auf die Gräber; ihre Strahlen fielen auch auf die Gedenk tafel aus Marmor, die Annas Namen trug. In stillem Gebet stand ihre Mutter neben dem Hügel. Olga war niedergekniet; mit liebender Hand legte sie den Strauß Edelweiß neben den Namen der Töten. Und Olga dachte an das kleine Grab — so weit entfernt — und an den, der es mit weißen Blumen geschmückt. i Frau von Lindner legte sanft die mütterliche Hand aus die Schulter der Weiyenden ; sie zog sie zu sich . empor und schlang den Arm um sie. Zwei Mütter, die dasseVe Leid trugen. —- Sie fühlten sich dadurch vereinigt, zueinander ge hörig. Als Olgas Kräfte zugenommcn hatten, fuhren die Damen im Wagen durch das wunderschöne Land. Das Mittelgebirge, Eppa» und all die anderen Orte hoten einen bezaubernden Anblick. Und dann wer Olga so weit hcrgestellt, daß man die Bergbahnen benutzen konnte. Zum steilen Virgl ging es hinauf. Drunten rauschte der Eisack; im Golde des Herbstes prangte das Land. Nach Klobenstein und Ober bozen führte der Weg die beioen Berlinerinnen; die Mandel mit ihrer großartigen Felsmassc wurde inittelst der Zahnradbahn besucht. Einen ganzen Tag blieben sie dort. Die Berührung mit der Natur hat für ein krankes Gemüt etwas unendlich Wohltuendes. Es ist, als strei chelten weiche Mutterhände uns; Gottes Nähe wird fühl bar. Die Tränen versiegen, und das Leben tritt wieder in sein Recht. Und dann kamen Briefe aus der Heimat- Liebe Worte von den Eltern, muntere Briefe von der Schwester, herzliche von dem ernsten Bruder. Auch Arnold schrieb der Mutter in seiner frischen Art Die Briefe mußten beantwortet werden; das füllte manche Stunde aus. Klingen schrieb auch, zuerst nicht oft, aber Olga erwartete gerade diese Briefe mit großer Sehnsucht, und wenn sie den großen Umschlag mit der charakter vollen Handschrift bekam, dann zögerte sie, das Schrei ben zu lesen, um noch ihre Freude M verlängern. Waldemar schrieb, wie er war, schlicht und un- gcsucht. „Wie ein Bruder seiner Schwester schreibt," dachte Olga, und sie suchte nach einem wärmeren Wort. Sehnte sie sich darnach? Sie antwortete nicht gleich, erst nach vielen Tagen, und auch in ihren Zeilen log eine Zurückhaltung und scharf gezogene Grenze, die sii nicht überschreiten mochte. Frau von Lindner war eine Frau voll reger In teressen. Die gute Leihbibliothek auf dem Watterplatz bot gediegene Bücher. Die Damen wählten das Beste aus irnd lasen viel zusammen, lebten sich immer mehr ein und ließen das steife „Sie" fallen, an seine Stelle dos trauliche „Du" setzend. Bis nach Weihnachten blieben sie in Gries. Still verging ihnen das Fest in wehmütiger Rück erinnerung. Am heiligen Abend hörten sie die Christ vesper in der Pfarrkirche in Bozen an, dann gingen sie über die Talferbrücke nach Gries. „Eine Kiste ist für Sie angekommen, gnädige Frau," sagte der Wirt des Badl, „ich habe sie auf Ihr Zimmer bringen lassen." Olga ging die Treppe hinauf. Als die Kiste geöffnet wurde, war ein großes Bild Hänschens in schönem Rahmen darin enthalten. Das reizende Gesichtchen ihres Kindes lächelte die Mutter lebenswahr an. Olga verlor ihre Fassung. Sie weinte lange, aber diese Tränen taten ihr gut; sie waren Balsam für die Wunoe ihres Herzens. Das Bild des Kleinen war eine Woche vor seinem Tode gemacht worden; am Bett der Mutter hatte die sprechend ähnliche KabinettvHolographie gestanden. Das Bild war künstlerisch vergrößert worden. Das süße Sin- dcrgesicht blickte lächelnd unter der Fülle des lockigen Goldhaares hervor, in den Armen hielt der Bube den geliebten Bären. — Ein Brief lag bei dem Geschenk. Olga brauchte nicht erst die Adresse zu lesen, sie wußte, von wem diese Auf merksamkeit wieder war. „Gnädigste Frau!" so lautete der Brief, „EL ist Wcihnachten, das Fest der Freude und des Friedens. Meine Gedanken suchen Sie auf; ich möchte Ihnen sagen, daß der Heiland geboren ist, ge boren für uns alle, aber am meisten für diejenigen, die mühselig und beladen sind, denen er ein großes