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Leid gesandt. Sie gehören za Ihnen, gnädige Frau, deshalb hat er sie besonders lieb. Der alte Weih nachtsspruch möge in Ihrem Herzen ertönen: „Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen." Wäre ich heute doch bei Ihnen, gnädige Frau! Das Ihnen teure Grab habe ich heute besucht und Ihrem Kinde einen Tannenzweig und weiße Christ rosen von seiner Mutter gebracht. Ich erlaube mir. Ihnen die Vergrößerung des Bildes zu schicken, das ich zufällig bei einem Photo graphen in der Leipziger Straße sah. Sie werden weinen, gnädige Frau, ich weiß es, und ich — ich möchte Ihnen jede Träne abtrocknen." — — Hier muß der Schreiber innegehalten haben; es war «ine halbe Seite unbeschrieben. Dann schloß der Brief schnell, als fürchte der Absender zu viel zu verraten. „Gesegnetes Weihnachtsfest, gnädigste Frau. In unwandelbarer Verehrung Waldemar von Klingen." Olga las und las die wenigen Worte. Dann ant wortete sie ihm. Die künstlich aufgerichtete Schranke fiel zum Teil; sie konnte ja nicht anders. — — Die beiden Reisegefährtinnen zogen nach Weihnachten nach Meran; dort blieben sie den Winter über. Rach und nach führte Frau von Lindner die ihr teuer gewordene junge Frau oem Leben wieder zu. Die anfängliche krankhafte Scheu vor neuen Bekannt schaften verlor sich langsam; man fand angenehme Menschen unter den Kurgästen. Olgas Nerven stärkten sich, ihr blasses, schmales Gesicht rundete sich, die Farbe kehrte wieder auf ihre Wangen zurück, und die Augen blickten weniger schwermütig drein. Das Zusammenleben mit einer so liebenswürdigen, frommen Frau übte einen heilsamen Einfluß aus. Olga fühlte ihr bitteres Weh llise austönen; Ergebung trat an seine Stelle. Nur wenn sie Kinder sah, drohte ihre Fassung sie ^u ver lassen; es gab viele im selben Alter wie Hänschen. — Die Kinderlose nahm die kleinen Wesen auf den Arm, sie beschäftigte sich mit den größeren. Wie die Kletten hingen all die Büblein und Mädelchen an der ernsten Frau mit den gütigen Augen und weichen Händen. So schöne Spiele zeigte sie ihnen, so herrliche Geschicken wußte sie zu erzählen. In Riva waren die Damen zu Anfang Mai. Tort am blauen Gardasee wollten sie ernige Wochen zubringen und dann im Sommer vorwärts reifen. Mit Tante Emma, wie Olga jetzt ihre mütterliche Freundin nannte, sprach sie über ihre Zukunst, und die ältere Frau billigte ihre Pläne. Otza wollte in einen Kinderhort eintreten; sie wollte «in nutzloses Leben dahinschleppen „Ich glaube, in München findet sich, was Du wün schest," meinte Tante Emma, „ich kenne dort jemand, der uns behülflich sein wird." Frau von Lindner dachte bei sich, daß Olga einem anderen Berus entgegengehe, dem, wieder Gattin zu werden, oie Gattin eines edlen, zu ihr passenden Mannes, aber sie sagte nichts. Es war auch noch zu früh, um an daS Glück zu glauben. Der Todestag Lothars und Hänschens jährte sich. Olga war frühmorgens allein nach den Panabe- wasserfällen hinübergefahren. Sie stand auf der kleinen Brücke und schaute auf oie brausend herabstürzenden, wilden Wasser. Sie hatte nicht gesehen, daß ein zweites Boot über den blauen See schoß, von den kräftigen Ruderschlägen eines Herrn in grauem Touristenanzuge getrieben. -Hier finde ich Sie, gnädige Frau," sagte eine nur zu wohlbekannte, unvergeßliche Stimme "dicht neben ihr, „guten Morgen." Valdemar von Kling« ergriff ihre Hande und küßte sie abwechselnd. Druck und Verlag, von Langer N Winterlich,. Riefen — Olga glaubte, ihren Augen nicht zu trauen. Sie stammelte verwirft einige Worte der Be grüßung. (Schluß folgt ) Mut. Fürchte dich nicht; glaube nur (Marc. 5, 36)! Mut besitzen, mit starken, festen Schritten der Gefahr entgegengchen, da« ist wahrlich nicht nur eine notwendige Eigenschaft deS Krieger«, den di« Kugeln umschwirren. Wir alle brauchen Mut, ob wir Herrschende find oder Dienende, Männer oder Frauen. Jeder, der da« Leben kennt, nicht von stillem Gemach au«, sondern vom Kampf platz de» Lebens her, der weiß auch: wer leben will, muß Mut haben. Mut besitzen, heißt niemals zittern. Ob nun Große» und Schwere» von unS verlangt wird, ob der Arbeit unsre» Lebens zerstörende Mächte nahen, ob in unsre Familie schlimme Gäste sich einschleichen, die mit der Krankheit giftigem Fieberhauch da» Leben geliebter Menschen bedrohen, ob am eigenen Leibe die Zeichen de» verfall» sich bemerkbar machen — wer Mut besitzt, wirklich festen Mut, dem wird'» in solchen Gefahren wohl einen Augen blick dunkel vor den Augen, dann aber verscheucht er die Schwäch« mit starken Händen und rettet, wa» er noch retten kann. Wir wissen'» nur zu genau, daß nicht alle Menschen solchen Heldenmut besitzen. Wir sind ja alle erst auf dem Wege, ihn zu lernen. Und viele, die Mut zu haben glauben, besitzen ihn nicht. Sie leben in einer großen Selbsttäuschung und wissen'» nicht. Ja, wie mancher ist mutigen Auge» in» Leben hinetngezogen, viel hat er ge schafft und erkämpft — aber da kam ein schwarzer Tag in seinem Leben, der e» ihn nur allzu deutlich erkennen ließ, daß sein Mut der falsche war. ES kam ein Tag, der seine Kräfte lähmte, seine Arme sinken ließ, an dem seine Weis heit ihre Lückenhaftigkeit, sein Geld seine Wertlosigkeit, der Freund seine Treulosigkeit zeigte. Und da» waren gerade die Dinge, auf die sein Mut sich gestützt hatte. Tine Zeit lang hatten sie standgehalten. Nun war'» au» mit ihnen, nun war'» zu Ende auch mit dem Mut. Nun sitzt die wilde Berzwetflung an feiner Stelle, und wie manche» Leben solche» Unglücklichen hat in dieser Mutlosigkeit ein freiwillige» Ende gefunden. Solcher Mut nützt uns nicht»; denn er versagt gerade dann, wenn wir ihn am nötigsten brauch«. Der rechte Mut, der auch in den allerschltmmsten Zeiten standhält, steht auf einem anderen Grunde. Da» sagt un» da» Jesuswort: Fürchte dich nicht, glaube nur! Wirklich mutig zu sein in allen Leben»lagen, auch in den aller dunkelst« und allerbängst«, vermag nur der, der sei» ganze» Lebenischicksal in der Hand eine» Höhen» liege« weiß, der nie von Stürmen bedroht noch von d« Mächte« der Bergäuglichkeit berührt wirb. Wer nur glaubt, de» hat Mut. Freilich heißt glaub« etwa» ganz andre», al» viele denken. E» heißt nicht, zu irgendwelchen un» vor getragenen Lehren Ja und Sm« sag«, e» heißt nicht, alte Geschichten bestaunen — e» bedeutet viel, viel mehr» E» heißt, die ganze Persönlichkeit in Gotte» Dienst stell«, von ihm alle» verklär« lass«, auch da», wa» wir un» nicht erklären können, von ihm alle» htnuehmen, auch wenn'» so ost ein Hingeben ist. Und da» wird nicht auf einmal getan, sonder» da» ist da» Werk de» ganz« Leben». Jeden Tag müffe» wir in glaubensstarkem Gebet wieder ein Stück unsre» Ich in Gotte» Hand übergeb«, bi» ek un» «blich wirMch ganz in» Besitz hat. Warum «ar Jesu» Christus allezeit so mutig? Warum kann « auch da» Schlimmste komm« seh« unv trag«? Weil bei ihm dies« innerste Verbindung «tt Gott vollendet war. Und weil er, um diese wahre Gotyugehörig- kett nicht zu verlier«, stet» betend auf Gott schartte. WetA versucht, ihm nachpUnu, der wirb mutig. Und «er Musch« und brauchte nicht solch« Mut! lw biv Redaktion oemadvortüchr GrWae HAHUe^ Rlt-N länz. «er- CrMIer an der Elbe. Belletr. Gratisveilege „Niefeer Teseblett". Netzers Jahr. Roman von Baronin G. o. Schlipprnbach (Herbert Rivulet). Fortsetzung. „Ich verdenke es Dir nicht; Ihr seid zu verschiedene Naturen. Ich hätte Dich gern in meinem Hause, Olga, die kleinen Mädchen hängen an Dir, Du fändest, viel leicht in ihn« einen, wenn auch geringen, Ersatz für das, was Du verlorst." „Ich danke Dir, Wilhelm," entgegnete Olga herz lich, „aber Gertrud sähe es ungern. Ich will zunächst zu meinen Eltern geh« — später — ach!" sie rang die Hände, „ich kann an später nicht denken." „Olga," sagte ihr Schwager, „ich habe Dir manches abzubitten, habe Dir in Gedanken unrecht getan. Diese Stunde hat uns näher gebracht; bewahre mir ein freund liches Andenken, ja?" In brüderlicher Art legte er den Arm um sie. „Ja, Wilhelm, das will ich. Auch ich lernte Dich heute von einer andern Seite kenn«." Olgas Eltern waren nicht reich, aber sie besaßen doch so viel, um ihr armes, geprüftes Kind dem Wunsche des Arztes gemäß fortzuschickm. Nur durfte Olga nicht allein, sich selbst überlass« bleiben. Es fragte sich, wer sie begleiten sollte. Am liebst« wäre Marie mit der Schwester gegangen, aber solche doppelte Ausgabe verbot sich von selbst. Da zeigte sich Frau von Lindner bereit, auf eigene Kosten die Reisebegleiterin Olgas zu werden. Sie fand Gelegenheit, ihr Berliner Heim für ein Jahr vorteilhaft an ein älteres Ehepaar zu ver mieten, das in der Großstaot verheiratete Kinder hatte und erst nach der Rückkehr Frau von Lindners sich häuslich einzurichtm gedachte. Arnold trug freudig zur Reise der Mutter bei. Seine Gage war jetzt, da der alte Grundholz Kar- minten verlassen hatte, so reichlich von Kling« fest gesetzt, daß es dem zärtlichen Sohn eine Freude war, für sein Mütterchen zu sorgen. Es war an dem Tage, an dem Olga das prächtige Haus in der Tiergartenstraße verließ. Ihre Schwester Marie half ihr beim Einpacken der Garderobe und der ihr persönlich gehörig« Sach«. Wie ein Marmorbild schritt die in Trauergewänder gekleioete Frau noch ein mal durch die hohen Zimmer, in den« sie kurze Zeit gelebt, in denen das Jubeln ihres Kindes getönt. Im Kinderzimmer steht das weiße, leere Bettch«. Olga steht davor. Ihre Augen brenn«, ein tränen loses Bein« erschüttert sie. Da erblickt sie ein Spiel- zeug ihres Knaben, den klein« Bär«, mit dem er vm letzten Tage gespielt. Arg mitgenommen ist das braune Fell, die winzig« Hände haben es tüchtig gezaust. Da kommt der ganze, große Schmerz des trauern- d« Mutterherzens über sie. Mit einem Wehlaut ist Olga in die Knie gesunken, und heiße Tränen netzen daS braune Fell des Spielzeuges. — „Gottlob, daß sie weinen kann," denkt Marie. Von der Schwiegermutter hat Olga schon gestern Abschied genommen, die kalten Lippen Frau Henriettens hab« die Stirn der Schwiegertochter noch einmal be rührt. Die beiden Frau« trenn« jjch und wissen, daß sie sich nichts mehr zu sag« haben. — Mit einem langen Blick nimmt die Witwe Abschied von d« leer« Zimmern, aus denen die meisten Möbel Weggeholt worden sind. ,Hch möchte -um Friedhof, Marie," sagt Olga. „Soll ich Dich begleit«, Liebling?" „Nein, ich muß allein sein," lautet die Antwort. Dann «ft Olga eine Droschke und fährt davon. In der Hand hält sie den klein« Bär«. Als sie durch die vielen Gräber hindurchschreitet, sieht sie die Mensch« nicht, die ebenfalls d« still« Gottesacker besuch«. „Arme Frau! Es ist die Witwe des Bankiers Eß- linger," sagt ein ältliches Weib, „ich kenne sie, haße für sic die weiß« Kleidchen ihre» Jung« gewaschen. Der ist nun auch tot." Das weiße Marmorkreuzchea schimmert herüber, der Name des Kindes leuchtet darauf in golden« Buchstabe». „Hans Eßlinger, ein Jahr all." Die Mutter liest eS und sinkt neben de« Hügel nieder, ihr Gesicht in die Blum« bergend, die frisch und weiß die Stelle bedeck«, die den Liebling ihttG Herzens birgt. Lauter schneeige, weiße Blüten, kaum er schlossen; weiße duftschwere Ros«, weiße Lilien und dazwischen weiße Kamelien und Azaleen. — Und unweit des klein« Grabe- steht ein Mann, eine hohe Gestalt. Zwei Sugm blicke» voll unsäglich« Mitleids auf Olga nieder. Wie einer Ahnung folg«», daß Olga heute am letzt« Tage ihre Schritte noch ein mal zum Grabe ihres toten Kindes lenk« »würde, hat Waldemar von Kling« die weißen Blum« gebracht, seine Hand hat sie geordnet, und jetzt wagt er nicht hervorzutreten. Er wagt es nicht, lhr zu sag«, wie tief er mit ihr trauert. Er hat ja nicht das Recht, sie in die Arme zu ziehen. Ihr Sc^nerz ist ihm heilig, heilig ist ihm jene gebrochene, ewig geliebte Gestalt, das junge Haupt, das sich verzweifelt über die krampf haft verschlungenen Hände beugt. Während Olgas langer Krankheit hat Klingen sich oft nach ihr erkundigt; sie hab« sich seit jenem Un glückstage nicht wiedergeseh«. Jetzt sehnt er sich na menlos darnach, ihr noch ei» gutes »ort zn sag«, ihr zu zeig«, daß er ihr treuester Freund ist. Unwillkürlich tut er einen Schritt vorwärts, dann zögert er. Wird sein Anblick sie nicht erschreck«? ihr jene dunkle Stynde zurückruf«, in der er neben dem ärmlich« Lager stand und den Schrei hörte: „Mein Kind! Es ist tot!" Und als fühlte Olga seine Nähe, als ginge ein magnetischer Strom von ihm zu ihr, hebt sie d« Kopf von den verschlungenen Händen. Da ^sieht sie ihn. Er tritt näher. „Gnädige Frau, darf ich bleiben?'" Sehr leise fragt er es. Sie nickt bloß, sie kann kein Bort sprech«. Langsam erhebt sie sich von den Kni«, sie schwankt hilflos. Da zieht Kling« ihren Arm dwA den fein«. „Stütz« Sie sich auf mich," bittet er Und sie tut es. Sie fühlt, daß sie eines Halle bedarf. — Um sie her ist es sehr friedlich. Die Kreuze und Gedenksteine oes Gottesackers schein« von der Vergäng lichkeit alles Irdisch« zu predig«. „Warte nur, bald ruhest auch du!" Olga denkt es, als sie zu d« Gräber» hinüber sieht, die dm Gatt« and ihr Sind decke». Auch sie hat Blum« gebracht, sie legt sie auf Lothar» Hügel. I» stillem Gebet senkt sie das Haupt. „Es gibt «in Wiedersehen, gnädige Fra»,", sagt Waldemar leise „Ja, in dieser Hoff«»«- will ich «ich anfricht«/