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Sie-sprach den Namen nicht aus^ wie ein roter Faden ging er durch ihr Leden Olga hatte recht gehabt, als sie gedacht: „Nun hab« ich zwei Sinder: ein Keines, das ist Audi, und ein armes, altes, das ist sein Großvater." Der Zustand blieb unverändert. Er war am lieb stem in der unteren Etage. Wie Schutz suchend, flüchtete sich der Kranke dorthin, nm ihm ein freundliches Will kommen sicher war. Frau Henriette, die wie Lothar kern gesund war, hatte mit Leidenden keine Rücksicht, und seit Wilhelms Fra« wegen ärztlicher Behandlung in Ber lin war, fühlte der alte Herr sich noch ungemütlicher in seiner großen Wohnung. Stundenlang säst er still im Stnderzimmer, ein zufriedenes Lächeln auf den verfalle nen Zügen Er sah zu, wie Olga baoete und pflegte, und freute sich, wie prSOig Slein-HSnschen sich entwickelte. Die alten, müden Arme streckten sich dem Tnkelchen ent gegen, die welke, zitternde Hand suchte die lebens warme der Schwiegertochter, und die gelähmte Zunge farmte undeutliche Worte. Oft kam derselbe Satz in kurzer Zeit wieder: ,La — Du bist gut. Du — bist gut." Und Olga fühlte ihr Leben durch die liebende Für sorge nm den «reis und da» Sind lebenswert und reich. Wenn man gelernt hat, auf vas zu verzichten, was nn» al» persönliche» Glück einst vorgeschwebt, wenn man für andere notwendig ist, kommt der Friede der Seele und mit ihm eine große Stille in das Herz Wilhelm Eßlinger besuchte seine Frau ab und zu. Frau Gertrud hatte ihre kleinen Mädchen zu Hause gelassen, und al» Olga ihr ihre Verwunderung darüber aussprach. entgegnete die Schwägerin: „Was willst Du, liebe Olga, die Mädels sind mit ihrer Bonne sehr gut versorgt; sie Hütten mich hier uur gestört. Magda ist ein lebhafte- Sind und macht «ich nervös, und ich will mir die Zeit in Berlin nicht verderben lassen und mit Mama die Theater besuchen, in Gesellschaft gehen und Menschen bei «ns sehen." „Aber hast Du denn keine Sehnsucht nach Deinen Sinder«?" fragte Olga erstaunt „Nun ja, natürlich. Lieh mich nicht so tadelnd an. Du übertreibst; Deine Anbetung für Deinen Zungen ist lächerlich.« „Bitte, drücke Dich weniger übertrieben aus, Ger trud, ich stelle die mütterliche Pflege über die oer be- Uthlten Leute." Gertrud lachte spöttisch. „Nun ja," sagte sie, „das sind jo «nsiauen —" „Dio richtig find," »ersetzte Olga kalt. „Hätte ich einen Jungen, f» wäre ich nicht so lange von ihm getrennt, aber es sind ja nur Mädchen." ,Lch weiß,. daß ich ein Töchterchen ebenso geliebt hätte," erwidert« Olga. Wilhelm Eßlinger hatte mit seinem Bruder manche sehr erregte geschäftliche Auseinandersetzung. Der ältere Cohn des Bankiers war ein sehr scharf denkender, kluger Mann. Sr hatte allerlei beunruhi gende Gerüchte über das Leben Lothars gehört. Selbst in L. war davon die Reee, daß Lothar wie unsinnig bei den Nennen riskierte, oaß er Berluste gehabt, vie da» Vertrauen in den Chef eine» Bankhauses erschütter ten. Man mnnkelte, daß die gewagten Spekulationen an der Börse oft fehlschlug en. Einige vorsichtige Men sch« verlangt« ihre Depot» zurück. Bis jetzt war die Bank dies« Zahlung« gerecht geworden; wie lange aber würde e» f» »och weiter geh«? Philipp Eßlinger u. Lohn stand« auf wacklig« Füß«. Der alte Herr hatte alles Interesse am Ge schäft verlor«. Er Wurde immer stumpfer, und im Mai, gerade am Geburtstage des Enkel», streckte ein »wett« Schlpgausafl ihn nieder. -Nach zwei Log« ft"b er... olga .wa» aufrichtig betrübt) sie hatte sich mm Au- fang an gut mit dem Schwiegervater gestanden. Er. würde ihr fehl«, ihr armes, altes Kind, für das sie gesorgt, dem sie Liebe gegeb« hatte. Wilhelm saß im Privatzimmer seines Bruders; in dürren Wort« verlangte er die Auszahlung seines Erb teils- „Du bist? wohl nicht bei Trost!" brauste Lothar auf, „wie soll ich es möglich machen?! Damit wäre der Zusammenbruch da!" „Ob etwas früher oder später, das ist einerlei." „Was soll das heiß«, Wilhelm?" Mit vor Zorn blassem Gesicht zischte Lothar diese Worte. „Mäßige Dich, bitte," fiel es eisig von den Lippen des älteren Bruders, „Du vergißt Dich. Ich habe allen Grund für mein Vorgehen. Glaubst Du, daß ich mich nicht genau orientiert habe?" „Ach so. Du spionierst!" rief Lothar heftig. „Sehr ehrenhaft!" „Ehrenhafter, als mit anvertrautcm Gelbe wag- halsig zu spekuliere» und im Spiel und bei den Rennen große Lummen zu vergeud«," klang es hart zurück. Lothar senkte schuldbewußt den Kopf. Er über legte. Er mußte den Bruder zu täusch« suchen. „Run ja," gab Lothar zu, „es war leichtsinnig, aber ich verspreche Dir, .mich in Zukunft zu ändern. Augen blicklich kann ich Deine Ansprüche nicht befriedigen. Warte noch einige Zeit, ich habe gute Aussichten für die Zukunft." Sie sprachen noch länge hin und her; nur halb beruhigt verließ Wilhelm den Bruder. „Der alte Schnüffler," dachte Lothar ärgerlich. „Schon als wir noch Knaben war«, gab er mich an. Ich muß alles aus eine Karte setzen, der Strick ist mir am Halse. Wenn aber diese Spekulation an der Börse ein schlägt, bin ich glänzend heraus." Mit fieberhafter Hast sah der Bankier die Börsen- berichte durch. H- Waldemar von Klingen folgte dem Sarge Eßlingcrs in voller Paradeuniform. Er drückte Olga die Hand und sprach ihr sein Beileid aus. Seitdem war er nicht wiedergekommen. Heute war ein wundervoller Frühlingstag, die Grenze zum Sommer. In ihrem Trauerkleide stand Olga im Kinoer- zimmer. Mit glücklich strahlend« Augen bewache sie die ersten Schritte ihres Kindes; reine Mutterfreude glänzte in den Zügen der jung« Frau. Man meldete ihr, daß Kling« im Salon wartete. Den Klein« auf dem Arme, ging Olga, den Besuch zu begrüßen. „Sie sehen heute so glücklich aus, gnädige Frau," sagte Waldemar, „lass« Sie mich an Ihrer Freude teilnehmen." „Hansel kann fast allein gehen. Er ist kaum drei zehn Monate alt," fügte Olga stolz hinzu, „das ist doch früh!" Sie stellte das Kind aus den Boden. „Rus« Sie ihn," sagte sie zu Klingen. Und der große, stattliche Manu tat, wie sie gesagt. Er breitete die Arme aus und lockte d« Knaben. Dm Finger im Mündchen sah Hänschen kritisch von der Mutter zu Klingen hinüber, Hann entschloß er sich mutig. Die schwachen Beinchen aus den winzig« Füß chen wagten die große Reise. Mit dem hell« Jubelruf eines flügge gewordenen Bögeleins schwankte das Kind deu rettend« Armen seines großen Freundes zu. Klingen hob den leicht« Körper hoch und küßte das reizende Gesichtchen. Uno immer wieder wandelte der Bube hin und her, von der Mutter gelobt, von Kling« hochgehoben, wenn er bei ihm angelangt war. Des neuen Spieles inüde, sitzt Klein-HHnschen jetzt aus dem Knie des Offiziers, der ihn reiten läßt: „Hopp, hopp Reiter, wenn er fällt, dann schreit er." Das Sind lacht und jubelt vor Fr«de. Massenauflagen für Notatiouttruck. Avise Adreß- und Geschäfts» karten vrtefkSpfe, vriefleisten vektelftettel vroschüren, VtlletS Lellarattaueu LanksagnogS» au» EinladimgSbriek« Etnlatzkarteu Etiketten aller Ar« Fakturen, Flugblätter Formulare in dtv. Sorten Frachtbrtese Gebrauchsanweisungen Fremdenrettel Haus» und Fabrik» Ordnungen Geburtsanzeige» HochjeitSetnladungen »Leitungen und -Gedichte Lastenschilder Kostenanschläge Kataloge, Kontrakt» Kontobücher Lobnltftea, Mahnbriefe Mitteilungen, MennS Musterbücher, Rota« Plakate Pragramm» Pretskurant« Postkarte«, Lotttuugeu Rabattmarke« Rechnungen Speisen- nnd Weinkarten Statut«, Tanzkarten Stimm-, Theater» und Cackzettel Visiten» und verlobuogSkarten Wechsel, Werke Zirkulare, Zeugnttz» rc. ,e. r e. «icsB Goethestraß« Sr. lib hält sich zur Anfertigung nach stehender Drucksachen bet sauberer AuSsührung und billigsterPrrtS- stellung besten« empfohlen. Nmer sWbllitt — Amtsblatt — Fernsprechstell« Nr. 20. Telegra mm-Adreff«: Li« Vuchdrnckerci oon Langer zMterlieli Nun reicht Kling« ihn der Mutter. „Ich bilde mich schon als alter Familienonkel aus," sagte er dabei. „Sie müssen sich eine glückliche Häuslichkeit grün den, Herr Baron," entgegnet Olga. Er streicht mit der schlanken, braunen Reiterhand über die Stirn. „Nein," sagt er mit schwerer Betonung, „daran denke ich nicht mehr." „Nicht mehr?" wiederholt Olga. „Wissen Cie dmn nicht, daß ich das begraben habe, was mir einst Glück gebracht hätte?" fragt er düster. Sie weiß, daß er an Anna oenkt; seine Worte be stätig« es. „Ich wollte IJHnen nicht wehe tun, Herr Baron, verzeihen Sie mir. Gerade heilte, wo ich eine große Freude durch Hänschen habe, möchte ich auch Ihnen eine Freude machen. Da — wollen Sie unser Bild?" Sie löst die Photographie aus dem Rahmen und legt sie in die tzände des Kleinen. „Hansel, gib dem Onkel unser Bild." Das Kind betrachtet das Bild erst aufmerksam, dann, von der Mutter geleitet, reicht er es Kling«. Der faßt die kleine rosige Hand und die weiße Olgas und küßt beide. „Ich danke Ihnen, gnäcige Frau," sogt er bewegt. Seit Olga glaubt, daß Klingen Anna geliebt, fühlt sie sich ihm gegenüber freier: sie findet dm unbe fangen« Tvn wieder, der den Verkehr erleichtert. Nun sitzt Hansel auf dem Teppich zu ihren Füßen und spielt mit seinem Bären, dm er zum Geburts tag bekommen hat. Waldemar und Olga unterhalten sich über allerlei. Er erzählt ihr, daß er im Juli nach Karminten reis« wolle, und sie sagt ihm, daß sie dann mit ihrem Jungen an die See zu gehen gedenke, an einen der stillen, kleinen Ostseeorte, wo man Wald und Meer aus erster Hand genießt. - Als Klingen nach einer halben Stunde geht, blickt er noch einmal zum Fenster hinauf. Bon Sonnengold umrahmt, steht Olga da, das Bübchen auf dem Arme. Sie nickt dem Fortgehens« freundlich zu. So wird Waldemar sie nie Wiedersehen. Er ahnt es nicht und nimmt das holde Bild in Erinnerung mit kich. * * „Wir wollen heute eine Autofahrt wachen," schlägt Lothar beim Mittagessen vor. „Das Wetter ist herrlich, nimm den Jung« mit." Schon einige Male hatten sie solche Ausflüge gemacht, und Allein-Hänschen aus der Mutter Schoß jubelte in den Frühlingstag hinein. Um drei Uhr fuhr das elegante Auto vor die Billa. Lothar ließ das Verdeck zurückschlagen, Olga setzte sich mit dem Knaben in den Kraftwagen, und die Fahrt begann. In der Stadt ging es in gemäßigtem Tempo, dann beschleunigte der Chauffeur die Fahrt. „Nicht so schnell," bat Olga ängstlich, aber ihr Mann hörte nicht darauf. Die Häuser hörten auf, .es ging auf der Chaussee weiter. An dem Nachmittag hatte Klingen mit einem Kameraden einen weiten Spazierritt gemacht. „Ta rast wieder einmal solch ein Kraftwagen wie unsinnig daher," bemerkte Waldemar. „Bei Gott, cs ist das Auto Lothar Eßlingers!" In diesem Augenblicke fuhr ein schweres Lastfuhr werk ans dem Walde. Der schmale Weg bildete eine scharfe Ecke. Der Chauffeur wollte ausbiegen; er verlor die Gewalt über das im rasenden Tempo befindliche Auto. Dann ein Krach, ein mehrstimmiger Schrei — eS wurde Klingen dunkel vor den.Augen- Er sprengte auf die Stelle zu. Das Fuhtwerk^ar arg beschädigt, das Rad gebrochen. Pferd MV Kutscher lag« im Grab«. Nnd das Auto — da» Auto — — ES lag zertrümmert da. Der Chauffeur schien leicht verletzt, aber die anderen Person« l Lothar lag blutüberströmt da mit gebrochenen Ang«; das Kind war tot. Wie eine vom Sturme geknickte Blume hing sein Köpfchen, als Waldemar eS aufhob; aus dem offenen Mündcken quoll es rot und färbte sein weißes Mäntelchen. Und seine Mutter? Mit Todesangst beugte Kling« sich über die geliebt* Gestalt. Er legte die Hand auf ihr Herz.- Gottlob, noch schlug es, aber von der Stirn tropfte es warm auf seine Hände. „Hole Hilfe!" rief Waldemar heiser dem Kameraden zu, „ein Haus ist in der Nähe!" Mit unendlicher Sorgfalt hob Klingen die zu sammengebrochene Frauengestalt auf; er trug sie vor sichtig in das Haus. Wie blaß ihr Gesicht ist! „Wird sie sterben? Und wenn nicht, wie soll sie den Tod des Kindes ertragen?" So denkt der Leutnant verzweifelt. Die Bewohner des Hauses umstehen die Unglücks stelle, tvährend Kling« die Bewußtlose auf eip Bett legt. Dann reibt er ihre kalten Hände, spritzt kaltes Wasser in ihr Gesicht, tut alles, um sie dem Leben wiederzugeben. Eine alte Frau Hilst ihm dabei. Er wendet sich ab, während die Matrone das Kleid OlgaS öffnet und die erst« schwachen Zeichen zurückkehrenden Lebens sich zeig«. Der Kvmerad Klingens jagt nach einem Arzt. Schwere Schritte. Männer tragen Lothar ins Haus, sie legen ihn auf das Sofa. Klingen ist zum Auto geeilt. Er allein will den Kleine» berühr«, das heißgeliebte Lind Olgas, das vor einigen Stunden noch voll Leben gewesen, seine erst« Gehversuche gemacht hat. .Klein - Hansel," denkt Klingen tieftraurig, „deine Füße werden hienieden nie wieoer einen Schritt tun. Du wandelst nun als lichter Engel in die ewige Heimat. Deine arme, arme Mütter!" Eine Träne fallt aus d« Augen des Mannes auf die wachsbleiche Stirn des kleinen Tot«. Dann bettet Waldemar den starren Körper behutsam auf den weichen Pfühl, den die mitleidig« Bewohner des HauseS auf Stühle gelegt haben. Das Gesicht Lothars ist entstellt. Line Nässende Wunde zieht sich von der link« Schläfe über die Wange, und aus dem Haar quillt es dunkelrot. Ter Arzt kommt und untersuch! die Verunglückten. „Schädelbruch," sagt er kurz, sich über Lothar nei gend, „ünv innere Verblutung. Bei dem Lind ist eben falls das Leben entflohen." Den Bemühuns« deS Arztes gelang es erst nach längerer Zeit, Olga ihrer Ohnmacht zu entreiß«. Langsam kehrte das Bewußtsein wieder, sie schlug die Augen auf. „Wo bin ich?" stammelte sie. Ihr Blick fiel auf Waldemar; sie lächelte matt. „Bubi! Wo ist er?!" Todesangst spiegelte sich in ihr« Zügen. Waldemar neigte sich über sie. „Sie dürfen sich nicht beunruhigen," ermahnte der Arzt „Bleib« Sie lieg«, gnädige Frau." Aber Olga folgte nicht. Line unbestimmte Angst hatte sich ihrer bemächtigt; sie faßte, wie Hilfe suchend, nach Klingens Hand. Las sie in sein« Äug« vir furchtbare Wahrheit? Verriet das namenlose Mitleid, das um sein« Mund zuckte, ihr, was er sich nicht entschließ« konnte, zu sag«? „Er ist — tot!" Wie ein markerschütternder S«brei siel eS von LlaaS Lipp«, . .. . , In den ernsten Gesichte« der stm stehend« Heft sie, daß ihre Worte nur zu wahr siüd. Da aebt eS Wie ein Schwert durch der Mutt« Herz.