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Olga sinkt zurück, eine mitleidige Ohnmacht hält sie umfangen. Nach dem erschütternden Unglücksfalle lag Olga lange schwerkrank darnieder; man fürchtete für ihr Leben. Erst als es auf den Herbst zu ging, war sie imstande, die beiden Gräber zu besuchen, die Lothar und ihr Kind bargen. In tränenlosem Weh kniete sie an dem kleinen Hügel: ihre Seele schrie zu Gott: „Warum hast du mir das getan?" Ihr Glaube an Gottes Güte wankte. Wie zerrissen war ihr wundes Gemüt durch den doppelten Schick- salsschlag. Jetzt erinnerte sie sich nur noch der guten Seiten ihres Mannes; sie kam sich ihm gegenüber schuldig vor. Hätte sie ihn nicht besser beeinflussen können? War sie ihm eine gute Frau gewesen? „Das sind Hirngespinste, mein Kind," sagte Frau von Heerbach, gegen die Olga ihre selbstquälerischen Gedanken äußerte. „Du mutzt Dir sagen, daß es Gottes Wille wap, Dir in einem Tage Mann und Kind zu nehmen." „Mutter, es ist hart! Wodurch habe ich das ver dient?" bäumte Olga sich dagegen. ,Lch möchte Er gebung finden und kann es nicht. Es ist so öde um mich geworden; mein Leben ist vernichtet." „Komm zu uns, mein Kind; Dein Elternhaus öffnet sich Dir." ,Za, Mutter, ich will fort, fort aus den großen, prunkvollen Räumen, in denen ich mich erst oann heimisch fühlte, als mein Kind sie mit mir teilte." Der Arzt, der Olga behandelte, verlangte sehr energisch, daß sie Berlin für lange Zeit verlasse. Neue Umgebung und Menschen konnten vielleicht die Schwermut heilen, die sich wie eine düstere Wolke über das Leben der jungen Witwe breitete. * Wilhelm Eßlinger war nach dem Tode deS Bruders bestrebt gewesen, einen Einblick in die verworrenen Geschäfte zu erlangen; er zog deshalb den früheren ersten Buchhalter zu Rate. Es gab viel Arbeit, bis sich alles klärte, da erwies es sich, oaß Lothar allzu flott ge wirtschaftet hatte. Die Bank konnte aber doch noch allen an sie gestellten Anforderungen gerecht werden, da Wilhelm sein Erbteil hergab, denn trotz mancher unan genehmen Eigenschaft war er ein anständig denkender Mensch. Im Herbst wurde das Haus in der Tiergartenstraße mit allen Möbeln verkauft. Der Erlös verblieb Frau Henriette, auf deren Namen ihr Mann vorsichtigerweise r»aS Prachtgebäude verschrieben hatte. „Wilhelm," bat Olga, kurz ehe sie das Hans ver ließ, „bitte, nimm meinen Schmuck, eS sind immerhin noch einige Tausend Taler. Sollten noch Forderungen erhoben werden, so gib den Erlös der Lachen hin." „Wie, Olga, das willst Du tun?" rief Wilhelm. „Ja, mir liegt nichts daran. Ich würde ohnehin den Schmuck nie mehr tragen. Cs ist so wenig, was ich tun kann; Lothars Nome muß rein dastehen." In die kalten Augen Wilhelms trat ein wärmerer Schein. Er ergriff die Hand der Schwägerin und drückte sie. - „Da kam allerdings heute noch eine unvorher gesehene Forderung," sagte er. „Ich war in Verlegen heit, wie ich sie begleichen sollte." „Du hast selbst nichts mehr, ich weiß es, Wilhelm." ,Lch habe meine Arbeit, eine Stelle, die gut be zahlt wird, und da Gertrud reich ist, werden unsere Töchter keinen Mangel leiden," entgegnete Wilhelm. Daun noch immer die Hand Olgas haltend, fragte er: „Was gedenkst Du zu tun? Willst Du nicht mit Mutier zusammenziehend Druck nnd Berka, »m, * Wtntetttch Mch» — Unwillkürlich schauderte Lothars Witwe. „Nein — nein, das — kann ich nicht!" stieß sie hervor, (Fortsetzung folgt.) Opferwilli-keit. könnt ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen (Matth. 26, 40) ? Me ganze PäsfionSzeit redet von einem Opler, und zwar von dem größten und heiligsten Opfer, da» jemals gebracht wurde: von der Selbstaufopferung Jesu. Da erfassen wir den Begriff Opfer in seiner ganzen Tiefe. SS bedeutet Hingabe der ganzen Persönlichkeit, auch deS Leben«, im Dienste einer großen Sache. Opferst»» gehört nun auch zu jede» rechten Christen Ausrüstung. Schon an denen sehen wir'», die zuerst mit Jesu« gingen. Bald waren e» Opfer an Geld und Gut, bald an Zett, bald an Bequemlichkeit und Ruhe. Solche« Op'er verlangt der Herr, wenn er im Garten Gethsemane mit freundlichem Blick feine besten Freunde fragt: .Könnt: ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen?' Dieser Ruf klingt, wenn wir einmal recht aufhorchen,, von zwei Seiten her auch uns entgegen. Zuerst von Jesu«,, der doch heute noch genau wie damal» da» Haupt der: Seinen ist. Wir find auf unsrer Leben»wanderung an einer ge fährlichen Stelle angelangt. Unsre Umgebung beeinflußt un» mit verderblichen Kräiten. Leichtsinniger Lebensgenuß,, der nicht» nach göttlichen Geboten fragt, macht sich vor un» breit, und schon will diese bequeme und lockende Art: de» Leben» auch UN» in ihre Netze ziehen. Sin Schritt nur, und wir haben den sicheren Boden der ernsten Leben«* auffassung verlassen. Aber wie wir un» anschicken, diese» Schritt zu tun und den lauernden Mächten nachzugebrn, da klingt'» un» leise entgegen in einer un» wohlbekannten! Stimme: Kannst du denn nicht ein« Stunde mit mir wachen? Glücklich, wer ihm da seine Bequemlichkeit, seine Genußsucht zum Opfer bringt — e» wird ihn bewahre» vor tiefem Fall. Wir sind in ernste, schwere Sorgen geraten. Drohen!» hat sich der Himmel unsre» Leben» verfinstert, und nur mühsam finden wir unfern Weg. Da» Lichtlein unsre» Glauben» zittert, und die widrigen Winde drohen e» ganz au»zulöschen. I« solchen Zetten erklingt ja au» dem eigne« Herzen und au» unsrer Umgebung so leicht der bittere Ruf r .Nun stehst du'», e» gibt keinen Gott, der dir helfe« könnte.' Glücklich der, der daneben auch die andere Stimme vernimmt, die leise fragt: «Kannst du nicht ein» Stunde mit mir wachen?' Sin Opfer wirb in solchen Zeiten von un» verlangt, nämlich getrost und still da» Harte zu tragen. Und wer di« Stimm« achtet ünd da» Opfer bringt, der erkennt bald mit Freuden auch hinter den schlimmen Geschicken di« Hand de» Gotte», der alle» wohl macht. Solche Stimme klingt un» aber auch so oft entgegen von anderen Menschen, gegen die wir Pflichten haben um Jesu willen. So rufen'» die Armen und Unterdrückten un« zu, die wir an uuserm Lebensweg« finden: «Könnt ihr nicht eine Stunde mit mir wachen?' So verlangen sie vpferfinu von un»; aber wie vielen ist da» Opfer zu groß. So rufen'» die Kranken, die einsam auf ihrem Lager liegen, und fordern von un» da» Opfer tröstender Bruder liebe. So rufen'» die Zweifelnden, die irre geworden sind an ihre« Glauben, denen wir helfen sollen, den rechten Weg wieder zu finden. So rufen'» di« Sinder, noch un bewußt, ihren Eltern zu, die nur für ihr äußere» Wohl sorgen und ihrer Seele keine Nahrung bringen wollen. So rufen'» die Sterbenden denen zu, die um ihr Lager stehen, damit sie ihnen feststehen helfen in der letzten Not —- an welche» Menschen Ohr wäre noch nicht in irgend einer Sprach« solche» Wort gedrungen: »Sannst du denn nicht eine Stund« mit mir wachen?' v, daß wir immer di» rechte Antwort gchen wollten durch wahren Opferst««! L Für di« Redaktion oerantwortlich« WNMw Hähneh Rietz», Erzähler an der Eide. Bellet». Gratisveilage z«m „Rief««r Le-evlatt". Rt. 12. Mei«, »en 21. März 1914. 37. .Hatzrg. Nevers Jahr. Roman von Baronin G. v. Schlippenbach (Herbert Rivulet). Fortsetzung. Eines Tages machten die Schwestern einen Spazier gang, da erzählte Marie das, was sie durch Frau Lindner erfahren, wie Klingen Lindners auf der Reise betreut hatte, und daß er wie ein naher Verwandter sich der Damen angenommen. „Ich denke manches Mal, daß Klingen Anna geliebt hat," schloß Marie ihren Bericht, „oatz er ihrem Herzen sehr teuer war, habe ich gemerkt. Arme, liebe Anna, sie hätte so glücklich werden können!" Olga schwieg. Sie war an diesem Wend still und nachdenklich. Ja, tvarum war es nicht möglich? Walde mar hatte auch zu Olga von der Schwester Arnolds in einem sehr warmen Tone gesprochen. Anna war lie benswert; und mußte es ihn nicht bestechen, sich geliebt zu wissen? Welcher Mann blieb unempfindlich dagegen? Erst Ende Oktober kehrte» die Sommerfrisch ler aus Thüringen nach Berlin zurück. Frau Henriette kam noch vorher auf einige Wochen nach F. Ta war es aber nicht mehr so friedlich wie vordem. Tie alle Dame Mischte sich in alles, tadelte die Kinderpflege und machte der Schwiegertochter das Leben nicht gerade leicht. Auch der Kranke litt unter dem herrischen, lauten Wesen seiner Frau. „Jetteken," lallte er, „sei — man — still." G Nun war Olga wieder in ihrem eleganten Berliner Heim, das ihr wenig Wärme, so wenig ein Gefühl des „Zu Hause seins" bot. — Lothar schien doch zufrieden, Frau und Kind wieder bei sich zu haben. Er hatte sich auf die Tauer ohne sie gelangweilt und war die erste Zeit gegen Olga recht freundlich. Sie war dankbar dafür, sie hatte gelernt, sich Mit so wenigem zu begnügen. Weihnachten nahte. Ta stand Olga eines Tages am Fenster des Saums; sie hielt Hänschen auf dem Arm und blickte auf die Straße. Es schneite, und das Kind jubelte, als eS die vorbeitanzenden Flocken sah. K» schellte, dann fragte jemand im Vorzimmer: ,Lst die gnädige Frau zu Hanke?" Olga erkannte die Stimme, es war die Klingens. Im nächsten Moment trat er in das Zimmer. Uno wie sie sich gegenüberstanden, da spann sich wieder der feine Goldfaden zwischen ihre Seelen, da fühlten sie ein tiefes, seliges Erschrecken. Wie die holde Verkörperung des Nkütterglückes er schien Waldemar die schlanke, hohe Frauengestalt, die das weißgekleidete Kindchen im Arme hielt, auf deren Gesicht der Abglanz reinsten Glückes lag. Er hätte vor ihr niedersinken mögen, den Saum ihres Kleides küssend. Wie geheiligt kam sie ihm in ihrer neuen Würde vor, wie das Gnaoenbild in der Kirche» vor dem sich unwillkürlich oas Haupt senken, das Knie beugen muß. „Wir haben uns lange nicht gesehen," sagte Olga nach der ersten Begrüßung, „unteroessen ist Vieser kleine Mvnn gekommen." Das Kind lachte den Offizier an. CS griff mit den Händchen nach den blitzenden Knöpfen der Uniform, den« Waldemar kam von einer Bisite bei einem Vorqe- fetzten, der iu Berlin wohnte. „Wie heißt Ihr Söhnchen, gnädige Frau?" fragte der Leutnant. „Hans," entgegnete Olga. ,Lst er nicht groß und kräftig für seine sieben Monate? Noch nie ist er krank gewesen," fügte sie stolz hinzu. Hänschen schien der freundliche Mann im bunten Rock gar wohl zu gefallen, er strebte von der Mutter Arm zu Klingen. „Wollen Sie ihn mir geben, gnädige Frau," bat er. Wie eine Last blühender Blumen, so vorsichtig hielt er das kleine, zappelnde Geschöpf. Der Knabe lachte ihn an, zerrte an dem Schnurrbart Klingen» und langte nach den blanken Uniformknöpsen. „Wie er ihr gleicht!" dachte der Leutnant. „Er hat ihre Augen, dasselbe wellige Haar." Olga stand da und sah auf die beide«, auf ihr Kind und den Mann, der sie geliebt, der nach wie vor der Inbegriff alles Guten, Edlen für sie tvar. Ter warme, kleine Körper schmiegte sich an die Brust des Mannes. Dieser fühlte, wie eS ihn bei dieser Berührung durchrieselte. Ihr Kind! Tarin lag der mächtige Zauber. Ihr Sind und nicht oas seine! Dari» lag das tiefe Weh. Olga rief die Wärterin, die den Knaben fiwttntg. Nun faßen Klingen und die junge Frau im Salo« auf den schwellenden Seidenlehnstühlen. Zwischen ihnen stand ein Marmortisch mit einer kürzlich aufgenom menen Photographie Olgas uno ihre» Söhnchens. Klingen betrachtete da» sprechend ähnliche Bild. Cr dachte an ein anderes, das er an jenem Tag» sortgeschlossen, an dem er die BerlobungSanzeige Olgas erhalten hatte. — „Haben Sie Ihre Urlaubsreife genossen, Herr Baron?" fragte Olga. „Air haben uns seitdem nicht gesehen." „Ja, es war schön, ein Stück der herrliche« Gottes welt kennen zu lernen." Klingen erzählte von Venedig, den Seen, vo» den: märchenhaft schöne« Capri nuo NeapÄ; vo» seinem Aufenthalt in Rom und Tirol sagte er kein Wort, und Olga mochte nicht daran rühre». Sie fürchtete, eine wunde Stelle zu treffen. Die Tatsache, daß Klingen von seinem Verweilen in Gries nicht» erwähnte, schien ihr die Vermutung ihrer Schwester zu bestätigen, daß er an Anna ein wärmere» In teresse genommen. Waldemar erhob sich, um sich zu verabschiede«. Cr hätte Olga gern um das auf dem Tische stehende Bild gebeten, er wagte es aber nicht. Im Vorzimmer traf der Oberleutnant mit Lothar zusammen, der von der Bank kam. Er begrüßte Klinge» und bat ihn, zum Frühstück zu bleiben, aber Waldemar schützte dringende Gänge vor und verließ da» Hau». — —< Die Zeit verging; Woche reihte sich an Woche, Monat an Mvnat- Schon färbte ein grüner Schimmer die Bäume de» Tiergarten-, da» Gras leuchtete in» ersten, zarten Schmucke. „Bald bist Du ein Jahr alt, mein Sonnenkind," sagte Olga, glückselig ihr Bübche» Hochhalte»-. „Ja, krähe Dir nur, freue Dich Demes junge» Leben»! Deiner Mutter Hand wird Leine ersten Schritte leite». Deiner Mutter Herz wird das Rechte sinven, »« Dich zu einem guten, vornehm denkenden Banne z» erziehe^ - wie —"