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1. Beilage z»m „Riesaer Tageblatt". Notatlonsdruck and Verlag von Langer L «Interllchln Räela. — Mr dl, «rdaktlo» verantwortlich: Arthur Htlhnol ln Rtela. 65 Freit««, S». MSrz l«1L abeavs. " «7. Jaljrg Büabais-Legende«. LD. Europas gegenwärtige beide großen Verbände: Dreibund und Dreiverband, beweisen eine verhältnis mäßig starke Dauerbarkeit und Lebensfähigkeit. Vor dem deutsch-französischen Kriege war man nicht so beständig. England-Frankreichs „entente cordiale", die den Krim-Krieg siegreich gegen Rußland geführt hatte, war fünf Jahre nach dem Pariser Frieden halb vergessen: Napoleon III. bemühte sich damals um ein Bündnis mir Preußen und Rußland. Oesterreich und Preußen waren 1864 gegen Dänemark verbündet, aber zwei Jahre später erbitterte Feinde. Preußen stand 1866 im Bunde mit Italien gegen Oesterreich, aber 1870 war Viktor Emanuel II. drauf und dran, für Napoleon das Schwert zu ziehen. Dagegen unser deutsch-österreichisches Bündnis vom 8. Oktober 1879 steht heute noch ebenso aufrecht wie am ersten Tage und hat in diesen 35 Jahren vielleicht nie mals eine ernstliche Anfechtung erfahren- Und 30 Jahrs sind es auch schon her, daß Italien sich ihm ange- jchlossen hat. Rußland und Frankreich aber sind seit 23 Jahren eng verbündet und Englands Angliederung an diesen Zweibund kommt jetzt auch allmählich in die Jahre. Der Unterschied ist eben der, baß jenes KriegS- bündnisse waren, sozusagen Zweckvcrbände für eine vorübergehende Einzelfrage, die oann eben durch das Zusammenwirken der Verbündeten entschieden und damit aus der Welt geschafft würde. Dreibund und Dreiver band aber geben sich als Verbindungen, die zur Auf rechterhaltung des Friedens geschlossen seien. Dem Dreibünde diesen Charakter abstreitcn wollen, heißt doch nun auch, den Tatsachen schwere Gewalt autun. Nachdrücklicher kann nicht der beinahe unbedingte Wille zum Frieden dargetan werden als durch den wieder holten Verzicht auf ein Einschreiten bei den Verwick lungen aus dem Balkan 1909 und 1912 — ganz zu schweige», daß Deutschland-Oesterreich einst die italie nische Bündnistreue aufs Spiel setzte, weil sie Crispi einen Angriffskrieg gegen Tun; und Korsika ver weigerten. Um so gerechtere Einwände lassen sich gegen die Friedensaufrichtigkeit des russisch-französischen Zweibun des erheben, und durch Englands Beitritt zu jener Gruppe wurden seinerzeit ihre Ziele nicht unverfäng licher. Ta indessen tatsächlich bis jetzt der Frieden noch nicht von jener Seite gebrochen ist, so mag man immer hin es hingehen lassen, wenn Sir Edward Grey so eben wieder in einer Unterhausrede oen Ton angeschla gen hat, es sei für die Erhaltung des europäischen Gleichgewichtes ersprießlich, wenn England weiterhin in dieser Gruppe verbleibe. Zugleich aber hat er nicht ver fehlt hinzuzufügen, daß Englands „Ententen mit Frank reich und Rußland locker genug seien, um den einzelnen Gliedern hinreichende Ellbogensreiheit für ihre beson deren, nicht unter die Bündniszwecke fallenden Bestre bungen zu lassen und also nicht auch die anderen da durch mit für diese unerträglichen Verpflichtungen zu belasten. Das scheint, nach dem Zusammenhänge dieses Satze- mit der Veranlassung zu der Rede zu urteilen, heißen zu sollen: wenn Frankreich und Rußland im nahen Oriente eine friedensstörende Politik verfolgen, so be steht für England, das an einer Stärkung der Türkei ein großes Interesse hat — daS wird an einer anderen Stelle ausgesprochen — keinerlei Zwang, jene zu unter stützen. Weiter aber hat Grey sich-dem Ämie nach un gefähr so ausgesprochen: wir bezwecken durch unser Einvernehmen mit Frankreich und Rußland vor allen«, diese beiden Mächte vor allen Versuchungen zu bewahren, sich gegen uns gerichteten Kombinationen anzu schließen und uns dadurch zu erhöhten Flottenrüstungen zu zwingen. Also sozusagen ein Bündnis aus Mißtrauen gegen Vie Verbündeten! So ganz weltfremd ist eine solche Politik nicht: schon die Tierfabel kennt derartige Ber einigungen Schwacher mit dein Löwen: für England ent hält nun freilich ein solcher Vergleich seiner „Löwen- Verträge" nichts sonderlich Schmeichelhaftes. Upd daß Greys Besorgnisse nicht völlig deS Gegenstandes ent behren, beweisen die Auslassungen eines „ehemaligen russischen Staatslenkers" (man rät, ohne genügende Un terlage, auf Witte) in der „Nowoje Wremja", der von seinen früheren Bemühungen erzäblt, Kaiser Wil helm II. in eine russisch-französische Verbindung hin-- cinzuziehen. Angeblich sollte dadurch nämlich eine höhere Friedcnssicherung gewonnen werden. In der Meldnng, die von diesem Projekt erzählt, heißt eS: „Ein ungenannter hoher StaatSwürdcnträger, in dein Graf Witte vermutet wird, erklärte einem Mit arbeiter der „Nowoje Wremja", er habe zweimal mit Kaiser Wilhelm über das Projekt eines russisch-deutsch- französischen Bündnisses gesprochen, das erstemal beim Besuche Kaiser Wilhelms in Petersburg; der Kaiser habe erklärt, er wolle vor allem gute Beziehungen zu Eng land ausrecht erhalten. Die Hauptgefahr bilde Amerika. Tas zweitemal sprach Witte nach dem Abschluß des Friedens vor« Portsmouth mit dem Kaiser darüber. Ter Kaiser war diesmal für die Bündnisidec, meinte aber, Frankreich müßte dazu von Rußland gezwungen wer den, womit Witte nicht einverstanden war.'Witte hoffte trotzdem, seinen Gedanken zu verwirklichen. Iswolski schloß aber das Abkommen mit England ab." Nun, der angebliche russische-Staatsmann, auf den diese „Enthüllungen" zurückgehen, fügt selber hinzu, daß der deutsche Kaiser klug genug gewesen sei, dis englandfeinvliche Spitze eines solchen Vorschlages her auszufühlen und sie von sich aus abzulehnen. Sollte die ganze Geschichte auf irgendwelchen tatsächlichen Ge schehnissen beruhen, so ist auch das wohl von vorn herein der Zweck der russischen Anregung gewesen, dem deutschen Kaiser eine Falle zu stellen und ihn dann hin terher bei den Engländern anzuschwärzen. Und daß Oesterreichs Name überhaupt nicht genannt wird, deckt vollends die ganze Perfidie dieser Ausstreuungen aus, noch dazu in« gegenwärtigen Augenblicke, wo jene- Erinnerungen an „olle Kamellen" erscheinen. . - Mit unserer österreichisch-ilalienischcn Verbindung haben wir uns verhältnismäßig so gut befunden,.- daß nicht das geringste Bedürfnis uns treibt, unserekFxenud- schaften wie ein Kleiderstück wechseln zu wollen. 35 Jahre hat' sie uns den Frieden erhalten. Wohin Frankreich und Rußland uns treiben würocn, das läßt sich blyß mutmaßen: dein Frieden wäre kaum damit gedient. Was es insbesondere mit einer deutsch-französischew Freundschaft auf sich hätte, zu der Rußland Frank reich „nötigen" und durch von Tcuischland zu gewäh rende „Erleichterungen" in« Elsaß bestechen wollte: das ist wirklich dem Verstände aller Weisen der Welt unfindbar. Wir fürchten solche Danaer doppelt, die uns mit Kuckuckseiern beschenken wollen: das «nag sich die „Nowoje Wremja" und ihr Hintermann gesagt sein lassen. , .... * Der „Zerfall Oesterreichs". Tie „Nowoje Wremja" brachte, wie gestern auch v'rM uns gemeldet, eine Unterredung mit einer hochgestelüvu aber ungenannten Persönlichkeit, worin diese behauptete, sie habe während ihres letzten Aufenthaltes in Berlin erfahren, daß zwischen Teutschland und Frankreich Be sprechungen stattgefunden haben, die die Möglichkeit einer neuen Gruppierung der europäischen Zentralmüchte Ae- trafen. Man habe ein Bündnis zwischen Teutschland, Frankreich, England und Rußland erörtert, das für den Fall des Todes des Kaisers Franz Josef in Kraft trete»; und die Liquidierung der Tonanmonarchie durchführen solle. Dazu meldet der Pariser „Matin", der bekannt lich sehr gelte Beziehungen zu amtlichen Stellen unter hält, daß man in Paris wenigsten) von solchen Unter haltungen nichts wisse, und oie ganze Nachricht deS russischen Hetzblattes macht auch keinen anderen Eilst druck als den, die Dreibundmächtc gegen einander mit Mißtrauen zu erfüllen. Der „Temps" über die europäische cage. Ter Pariser „Temps" beschäftigt sich in einem lan gen Artikel seines Petersburger Korrespondenten mit der durch die neugeschaffenen russischen HeereSvermehruugen hervorgerufene europäische Lage.'Nachdem er festgestellt hat, daß von freundlichen Beziehungen zwischen Ruß land und Deutschland künftig nicht mehr die Rede sein könne, fügt ec hinzu, Rußland habe sich von Deutsch land Ämanzipiert; cs habe nunmehr volles Vertrauen zu seiner eigenen Kraft. Dieses Vertrauen wird es na türlich einer Gewaltpolitik geeigneter machen und man hat das Gefühl, daß die Haltung Englands in der Frage von Epirus und den Aegäischen Inseln als zu nachgiebig empfunden würde. „Wir Franzosen müssen uns über dieses Wiedererwachen des Selbstvertrauens unseres Ver bündeten klar werden. Das russische Reich hat die lleber- zengung, daß seine Menschenmassen in Europa ihm ein gewaltiges Uebergcwicht geben." Bezeichnenderweise fügt der Korrespondent hinzu, angesichts einer solchen Rn- ES ES ES ZZüyncnsterne. Kriminalroman von M. Kossak. 30 „Warum nicht?" „Ach, er ist ein schrecklicher Mensch, den niemand beim Varietee leide»; mag, außer der Anita Brusio — das heißt, in letzter Zeit ist er auch mit der zerfallen, sie spricht ja gar nicht mehr mit ihm. Ich weiß nicht, aber mir kommt es so vor, als ob Long-Bell Felix haßte und er ihn," schloß Frida seufzend.", „Woraus schließen Sie daS, da Sie doch meinen, daß' er ihn; aus der Verlegenheit geholfen hat?" „Ach, das merkt man doch. Und dann" —in deS Mäd chens sprechendes Antlitz trat ein geheimnisvoller Ausdruck — „haben die beiden auch nie zusammen gesprochen, sonder»; sich geradezu gemieden. Um so mehr war ich erstaunt, als ich sah, wie FelixLong-Bell das Geld gab. Ich habe uiancheSmal in letzter Zeit gedacht, daß Long-Bell irgendwie in Felix Ver gangenheit verflöchte»; ist. Früher ist es mir nicht ausgefallen, aber jetzt,, da ich so viel grüble, da kam mir es wieder in den Sinn, daß die Anita und Long-Bell oft die Köpfe znsam- mengesteckt und geflüstert haben, wen»; Felix in der Nähe war. Und Felix schimpfte immer auf italienisch, wem; ich de»; Clown erwähnte. Im allgemeinen freilich vermied er es, non ihm zu spreche»;." „Wissen Sie vielleicht, »vie lange Ihr Verlobter de»; Clow»; kennt?" forschte die jnnge Fran. „Ach, daS mnß schon lange sein, denn ich erinnere mich einer Szene aus meinem Berliner Engagement her, da ich noch nicht mit Felix verlobt war nnd et noch »nit der Anita ging. Da hatte Felix sich während der Probe einmal mit ihr gezankt nnd war sehr aufgebracht. Was er sagte, tonnte ich nicht verstehen, da er italienisch sprach. Ta rief Long-Bell, der in der Nähe stand, ihm etwas zu — ebenfalls auf ita lienisch, ich hörte nur daS Wort „Abruzzen" — nnd nje werde ich de»; boshafte»; AnSdrnck i»; den Ange»; deS häßlichen Men schen vergessen, während er daS sagte. Felix aber wnrde to tenblaß uud sprach kein Wort mehr, sei e W .it war plötzlich wie verschwunden. Während der ganzen Pause mna er herum «vie ei»; Träumender, und als ich ihm riet, sich doch nach Hause z»; begebe»; und sich niederzulegeu, da er offenbar krank sei, entgegnete er: „Krank? Ich bi»; immer krank und werde nie gesund werde»;, kleines Mädchen, den»; der Wurm, der mir an; Herzen nagt, kann nicht sterben. „Vielleicht ist eS kein Wurm, sonder,; ei»; Stilett," meinte Long-Bell, der diese Worte gehört, da er gerade voriiberstrich. „Stiletts sind ge fährliche Spielzeuge für Kinder," fuhr der Clown hämisch fort, „und ich kenne Leute, die immer eine Vorliebe für sie hatte»;. Schon als »vir Kinder waren, da" - erbrachte den Satz nicht zu Ende, da Felix eine Geberde machte, als ob er sich auf ihn stürzen wollte, doch ich fiel ihn; in den Arm und hielt ihn zurück. Loug-Bell aber musterte Felix, wie eurem Tiger so funkelte»; ihm die Auge»; nud lachend erwiderte er: „Na, was ist denn? Ich habe doch von unserer Kindheit gesprochen — waren wir dem; nicht immer zusammen als Kinder und auch später noch? Und habe ich Dir nicht schon ganz gute Dienste geleistet, was?" Dann ging er lachend weiter, Felix aber lehnte wie ein Toter an der Wand, nnd eS dauerte eine ganze Weile, bis er sich erholte. Von dieser Geschichte her weiß ich doch, daß er und Long-Bell sich schon als Knaben gekannt haben. Allerhand Böses aber muß zwischen ihnen vorgefallen sein, das glaube ich sicher. Und wenn Sie mich nicht verrate»; »vollen, gnädige Frau," fuhr das Mädchen fort, indes sei»; Antlitz wieder den frühere»; geheimnisvoller; AuSdnlck gewann, „so will ich Ihnen noch etwas sage»;, was mir manchmal in de»; Sim; kommt, nämlich, daß" — hier senkte sich Fridas Stimme zum Flüstern — „Long-Bell mehr über die Ermordnng Graf Welshofens weiß, und daß er an Felix Verhaftung schuld ist." Paula war höchlichst betroffen über diese letzte»; Worte, die aus Fridas Brust heranSbrachen, gleich, als ob eine mr sichtbare Macht sie ihr entrissen. „So etwas darf »na»; nicht grundlos sage»;, Kind," spracy sie ernst. „Sie haben doch keinen Beweis für Ihre»; 'Verdacht?" DaS Mädchen senkte beschämt den Kopf. I»; der jungen Brirst arbeitete es. Dann aber yob sie die verweinte»; Ange»; »nieder zu der ireundliche»; Dame und entgegnete flüsternd: „Nein, einen Beweis oakür habe ich nicht, gnädig« Fra», uud es ist ja auch kei»; eigentlicher Berdacht, sonoern mehr eine —je nun, so etwas wie eine Ahnung. Aber daß Felix de»; Clown fürchtete, weiß ich sicher, denn als jener zur Zett, als wir unser hiesiges Engagement antraten, »licht hier erschien — er hatte sich nämlich zuvor auch um ein Engagement an den „Kaiserhallen" bemüht — sggte mein Verlobter einmal ans tiefster Brust: „Ach, daß er doch nicht kommen möchte; damit ich wenigstens einmal für knrze Zeit aufatme» kämst« Dann erhielt der Direktor ein Krankheitsattest ans Toulons« von einen» Arzt, worin es hieß, daß Long-Bell znm Hod« krank darniederläge und ganz nnmöglich reise»; könne —" „Aus Toulouse?" fiel Paula ein. „Hatte er dort ein Enga gement?" ' „Ich glaube, daß er kurze Zeit auf einer Sommerbiihne gastierte. Als Felix vo»; seiner Krankheit Härte, winde er blaß und rot und mnrmelte: „Ach, wein; er doch sterb«; möchte! Wenn der Teufel eia Einsehe»; hätte nnd ihn hotte k Das war gewiß ein böser Wunsch," fügte Frida leise, wie be schämt Hinz»», „aber wenn mein armer Schatz so etwas einem Menschen wünscht, dann »nutz dieser ihn; schon etwas sehr Schreckliches zugefügt haben, denn mein Felix möchte sonst auch nur in Gedanken keinen; ei»; Leid znfügen. Und ich" — kaum hörbar drangen diese Worte aus des bedauernswerten Kindes Munde — „ich konnte nicht anders, als ebenfalls wünschen, daß der Clown stürbe. Ich weiß, daß ich mich damit einer großen Sünde schuldig machte, aber — aber ich hatte das deutliche Gefühl, daß der entsetzliche Mensch meilwu Felixnoch einmal verderben würde. Der Himmel wirdanir die Sünde verzeihen," schloß daS Mädchen, unwillkürlich die Hände faltend. „Und dann kau; Long-Bell doch nach Wien," sagte die junge Fra»«. „Ja, Und zwar schon ungefähr vierzehn Tage, nachdem der 'Arzt das Attest geschickt hatte. Er muß wirklich sehr krapk gewesen sei»;, denn er sah furchtbar aus, kaum wieder zu er-- kennen, ganz gelb nnd verfallen, nnd seine Augen hätten gleichfalls sehr durch die Krankheit gelitten. Früher konnte er, wie man sagt, durch Manern sehe»», jetzt aber war er ganz kurzsichtig nnd vermochte häufig auch i»; der Nähe nichts zu erkennen. Er erholte sich jedoch schnell, nur seine Ang«; bitte«