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Zweite» Kapitel. »«Mcht, T» Mr ein großer Unterschied zwischen dem Leben der srnnzösische» Seestädte sonst und zu jener Zeit, da» heißt M HeM» b^Sfihres 1810. Seit Frankreich mit SuKand 1» offner Feindschaft lebte und der Kaiser die Demütigung der Briten um jeden Arris beschlossen hatte, Mr e» stllß sehr still und öde dort geworden. Die stattlichen Schisse, die sonst, mit Waren reich be llen, dort eirüiesen, dürsten nicht mehr landen, ohne «l» Feinde behandelt zu werden; Handel und Verkehr stockten, und verschwunden war das fröhliche Leben und Treibe», das sonst in den französischen Häfen überall geherrscht hatte. ES Mr ei» hoher Preis, den die Brachlegung der englischen Stacht lüstete. Man mußte schlechte fran zösische Produfte übertrieben hoch bezahlen, während die englischen zu« halben Preise besser waren, gleich- viel, oh «r sich um Stoffe'oder Genußmittel wie Kaffee, Zucker, Tabak up». handeltc. D ie natürliche Folge davon war alp, wie bereits erwähnt, sehr bald ein ebenso kühner al» blühender Schmugglerverkehr und -Handel, so streng auch die Gesetze gegen Schleichhändler sich ge statteten. Hieven die meisten eS doch für erlaubt, gegen die ihnen auferlegte unbequeme Tyrannei sich im stillen anspäehnen und diesem lästigen Zwang ein Schnipp chen zu schlagen. Auch in Raouls Kriegshafen war es ein öffentliches Geheimnis, daß die Kaufleute dort imstande waren, gute «üd billige, also ausländische Baren abzugcben, mch die Mehrzahl der Einwohner scheute sich auch nicht, ruhig davon zn profitieren. Nur einige Fanatiker und Patrioten rauchten lieber den schlechten Knaster aller geringster Sorte, versagten sich lieber den Genuß de» teure» Kaffees und Zuckers gänzliche ehe sie die ge- schmuggelten Baren ihres Rationalfeindes, dieser ver- haßte« Engländer, kauften. Der ave invalide Seesoldat Jean Lambert, der Bruder de» Dieners der Marquise von Brisson, war «tcht wenig überrascht, als eines schönen Tages plötzlich fei» Br»der bei ihm ejntrat, den er so lange schon nicht mehr gesehe», daß e( bereits die Hoffnung auf- gegeben hatte, ihm in diesem Leben noch einmal wieder z« begegnen. Tie beiden alten Knaben fanden bald ihr -aupöwrgnügen darin, sich gegenseitig wacker anszu- ftimrrn und ihre Herzen auSzuschütten über diese »veriüÄedeite Schmuggelwirtschaft" und taten heilige Gelübde, für ihre Person entweder nur einheimische Bare» zu kaufen »der auf alles — bis auf die ihnen un- rnBehrttche Pfeife — Verzicht zu leisten, diese aber lieber mit de» allerschlechteste« Tabak zu bedienen, ehe sie diese» geschmuggelte Teufelskraut der Engländer i« die französischen Lüste passten, «ährend aber der phlegmatischere Jean Lambert sich damit begnügte, durch einen reichhaltigen Vorrat an möglichst kräftigen Kttnflüchen seinen inneren Grimm zu erleichtern, ver- legte der zähere und intelligentere Jasti» sich aufs Beobachten. — Dar Häuschen seine- Bruders paßte ganz vortrefflich dazu! ES klebte, wie ein Schwalben nest hoch und frei gelegen, dicht am Meer, oben an einer der fetzigen Klippe» und war durch diese günstige Lage mit Hitze eiueS alten Fernrohr» zum Beobachtungs- poste» wie geschaffen. gtztztiu Lambert hegte eine tief eingewurzelte natio nale Vneigung, und zwar mit aller Leidenschaftlichkeit eiueS leicht entzündbaren Franzosen, -egen alles, wa» England, Engländer und englisch hieß! —i Tie ganze Ratio» Mr ihm um so gründlicher verhaßt, als er eia spezielle-, alter- doch nicht veraltetes »evanchegelüst Wege» diese stolze» Briten Hatte; hie seinen Baler töteten, ih» selbst, aber verwundeten und gefangen Mhmen und nicht allzu glimpflich Ast ihm dabei ^erftchren. TU Fustt» Lmnbert jetzt nichts weiter zu tun hatte, al» den »»tätige» Beobachter zu spielen, so brachte v der scharfe Falkenblick und natürliche Verstand des alten Soldaten bald allerlei heraus, was ihm zu denken gab! Zunächst fiel ihm der Umstand auf, wie es denn über haupt möglich sei, daß -wischen Nacht und Morgen plötz liche frische Waren anzülangen schienen, ohne daß ein französisches Schiff m den Hafen eingelaufen war. Tiefe englischen Schleichhändler müßten wirklich Flügel haben oder mit dem Teufel selbst im Bunde stehen, daß sie, trotz der strengen Wachsamkeit der Küstenwächter, trotz aller Streifzüge der wohlbcwaffneten Schaluppen, ein förmliches Ahnungsvermögen offenbar dafür besaßen, wann auch die letzte Fregatte zum Kreuzen aus dem Hafen gelaufen war, um alsdann- ini irgend einem sichern Schlupfwinkel der Klippen und Felsen versteckt, zu landen und ihre Waren abzuladen. „Potztausend! wie kommt es nur," fragte Justin Lambert sich selbst, >,daß diese Schufte von Schleich händlern gerade immer nur dann auftauchen, sobald die bewaffneten Schiffe auf der entgegengesetzten Seite sich befinden? Und woher können sie so genau den rechten Augenblick der Landung wissen? Abends, wenn Wind und Gelegenheit günstig sind, erscheint das Gesindel, legt bei Nacht und Rebel an, ladet aus und — morgens ist längst alles wieder auf und davon, über alle Berge! Dieser vielgepriesene Hafenkommiffär hier hätte lieber Gouverneur in Indien bleiben sollen^ denn ans Schlangen und Tiger mag er besser sich verstehen als aus Schmugglerkniffe; Wäre der große Herr wirllich so streng auf seinem Posten und so befähigt für denselben, wie man sagt, so hetzte er den Kerls ganz einfach sämtliche bewaffnete Fahrzeuge zusammen auf den Hals, um ein- mal zu probieren, was Wohl eigentlich geschwinder ist: so ein verdammtes Schniugglcrschisf oder ein paar ehr liche Soldatenkugeln, die ihr Ziel sicher nicht verfehlen! Die Sache ist nicht klar. Dahinter steckt etwas, das ich ergründen muß — wahrhaftig! — so wahr ich Justin Lambert heiße'." > In der Tat gelang es der zähen Ausdauer des alten Soldaten bald, mit seinen fortgesetzten Beobachtungen so viel zu erreichen, daß zweifttlos bei ihm feststand: eS müsse unbedingt irgend ein Einverständnis zwischen den Einwohnern der Stadt und diesen stets so merk würdig glürllichen Schleichhändlern herrschen, — das heißt, das Geheimnis ihrer rätselhaften, ungetrübten Er folge könne nur in irgend einem verabredeten Zeichen bestehen, durch das der betreffende englische Schmuggler erführe, wann die Zeit zur Landung günstig sei, indem alle bewaffneten Schaluppen^ ihren Lauf in entgegen- gesetzter Richtung genommen hatten. Offenbar lavierte das Schmugglerschiff stets draußen so lange, bald vorsichtiger, bald dreister, umher, Lis daS bekannte Signal ihm anzeigte, ob es weiter sich en/ferncn solle, oder ob die Lust jetzt rein sei und es unbehelligt nachher an der Küste in versteckter Bucht anlegen dürfe! Wie und wo aber diese Helfershelfer unter so vielen Tausenden herausfinden? Bei seinen ausdauernden Beobachtungen hatten die Falkenaugcn des alten Lambert indessen auch noch etwas anderes entdeckt, das freilich in keinen Beziehungen zu dem verhaßten Schmuggler stehen konnte, trotzdem jedoch den Alten zu interessieren begann. Es. war allerdings ein angenehmerer Gegenstand: ein junges und sehr schö nes Mädchen nämlicht das Tag für Tag, bei gutem wie bei schlechtem Wetter zu gleicher Stunde mit der Pünkt lichkeit einer Uhr weite, einsame Strandpromenaden außerhalb der Stadt zu machen schien — den Hafendamm entlang, am Ufer des Meeres hinwandelnd, stets allein- oft die steilsten Felsen, die höchsten Klippen leichtfüßig erkletternd. Der alte Lambert war, obwohl! er Junggeselle ge blieben, einst in seiner Jugend durchaus kein Verächter deS schönen Geschlechts gewesen! Als er die einsame Spaziergängerin zum ersten Male durch sein Fernrohr auftaüchen sah mit ihrem dunklen, flatternden Lockenhaar und dem lichten, blauen Kleide^ Moffennnfta««» für RototionSvrnck. kwtf- Abreß» »ab Geschäfts» karten Briefköpfe, vrtcfletstco Bestellzettel Broschüren, Billett Deklarationen DaalsagllngS» nutz Einla-ua,Sbrirfr Einlaßkarten Etikette» aller Art Fakturen, Flugblätter Formulare 1« div. 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Die eine im schwarzen Witwenkleide, die andere im Hellen freundlichen Gewand. Beide unge fähr dreißig Jähre alt. Die stütze Dämmerung eines Herbstabends stand vor den Fenstern und machte die Stille nur noch trau licher. „Arme Luise," sagte die Heltgekleidete, >,cs ist ja kein Wunder, daß es Dir schwer wird." „Ja Martha," antwortete die SHvarze, ;,allcs, was schön und freundlich war in meinem Leben, liegt nun hinter mir, jetzt bleibt nur noch die bittere Not- wendigkeit und die Pflicht." Martha schwieg. Es schien ihr, als habe sie- die Glückliche, die mit Mann und Kindern lebte, kein Recht, die einsame Witwe zu trösten, die vor einem halben Jahre mit dem Tode des geliebten Mannes alles ver- loren, selbst die nötigen Mittel zum Leben. „Gott möge es Dir vergelten- Martha," fuhr Luise fort, „was Du in dieser schweren Zeit an mir getan hast. Ohne Deine Hilfe wäre ich Wohl verzagt. Nun bin ich dankbar, daß ich einen passenden Wirkungs kreis gefunden habe und däs wenige Geld, das mir geblieben ist, nicht ganz verbrauchen muß." „Und Du weißt, liebe Luise, daß Du bei mir immer eine Heimat findest, wenn Du sie nötig hast; es ist ein gutes Zusammentreffen, daß Du Leinen Hausrat hier auf dem Boden unterbringen konntest; so macht es mir nicht viel Mühe, zuweilen danach zu sehen." ,Ja, ich danke Dir. Ich mich nun lernen, im fremden Haushalt zu wirtschaften und fremde Kinder zu ver sorgen, da mir die eigenen versagt geblieben sind." „Gewiß, liebe Luise, und ich wünschte- ich könnte Dir helfen, mit mehr Freudigkeit in die Zukunft zu sehen. Du bist noch jung, da wird Dir das Leben nach allem Schweren auch wieder frohe Zeiten bringen. Erfüllte Pflichten machen das Herz zufrieden und still, und zwei mutterlose Kinder mit Liebe umfassen, bringt Segen, das bedenke!" „Ich hoffe es, und ich bitte Gott, mir die rechte Weisheit und Geduld zu allem zu geben. Einstweilen aber sehe ich mit bedrücktem Herzen der ungewissen Zukunft entgegen und frage mich: wie werden die Menschen sein, mit denen ich zu leben habe? Ter Hausherr und die Kinder? Werden sie mich freundlich aufnehmen und eS mir leicht machen, oder werde ich mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen haben? Noch niemals war ich unter Fremden. Ms glückliches Kind lebte ich im Elternhäuse, bis der geliebte Mann mich zu sich holte. Nun sind sie alle dahin und haben mich allein-zurückgelassen, ganz allein, und ich muß hinaus in die Fremde." Lieber 7sgedlstt — Amtsblatt — Ferasprrchstelle Nr. 20. Telegramm-Adrcffe: La,«blatt Rl«sa. das der Wind bewegte wie eine Flagge, entschlüpfte ihm unwillkürlich der bewundernde Ausruf: „Potz tausend! welch ein schönes Mädchen!" ES machte dem alten Franzosen wirklich Spaß, die junge Schöne zu beobachte, die nach seiner Meinung und aller Wahrscheinlichkeit nach diese regelmäßigen wei ten Wanderungen hier auf den einsamen Klippenpfaden irgend einem hübschen Offizier der Festung zuliebe un ternahm, mit dem sie wohl hinter dem Rücken eines hartherzigen Vaters oder gestrengen Vormunds heimliche Zusammenkunft verabredet haben mochte. Obgleich er niemals so glücklich war, den vermuteten Gegenstand ihrer langen Strandpromenade entdecken zu können: so viel wenigstens hatte er doch schon gesehen, daß sie hier und da mit Tuche irgend wie grüßend. Immer leiser war die Stimme der jungen Witwe geworden, bis sie in verhaltenem Weinen brach. Martha umfaßte sie warm und innig. „Arme Luise," sagte sie wieder. Dann aber richtete Luise sich auf, trocknete die Dränen und meinte herzhafter: „Verzeih mir, Martha, ich habe ja nur Dich zum Aussprachen. Aber sorge Dich nicht um mich. Wein Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch den. Verstand dazu. MH werde mich schon durchringen und Dir bei einem späteren Besuch ein fröhlicheres Gesicht zeigen. Jetzt kommen Deine bei den Buben, und es ist gut, daß sie uns unterbrechen." Tie Tür wurde unsanft aufgestoßen, und zivei Knaben im Alter von 6 und 8 Jahren stürmten herein -und begannen sogleich einen lebhafte»! Bericht über ihren Spaziergang mit dem Vater. Frau Martha stand schnell auf und zog die beiden in ihre Arme. Ja, sie war reich an kostbaren Schätzen, das wollte sie niemals vergessen bei der Mühsal des Lebens, von der auch ihr Haus nicht verschont blieb. Nach ihnen trat der Kater herein, das Abendbrot mußte zugcrichtct werden, und die Zeit zu traulicher Aussprache war vorüber. Am folgenden Morgen in der Frühe reiste Fran Luise Schmidt, - die junge Witwe, ihrer Bestimmung entgegen. * a Eintönig ratterte der Zug durch die reizlose Gegend, und nichts zog Frau Luise von ihren trüben Gedanken ab. Aber der Tag nahm zu, die Herbstnebel, welche tief auf den Feldern lagen, hoben sich, und schließlich brach die Sonne siegreich hindurch und strahlte mit blassenr Schein vom klaren Himmel herab, die liebe Sonne, welche stets neues Hoffen in verzagte Herzen gießt und auch die Nebel verscheucht, die das Ge müt verdüstern. Gegen Mittag fuhr der Zug in den Bahnhof der Stadt Z, und Luise stieg aus. Sie sah sich um. Da stand sie nun in der fremde» Stadt, allein, ganz allein. Niemand kümmerte sich um sie. So würde es fortan immer sein. Allein mußt: sie ihren Weg durchs Lehen gehen! Aber sie wollte nicht wieder anfangen zu zagen. Sie blickte zur Sonne hinauf und schritt entschlossen aus der Hatte, einen Wagen heran zurufen. Sie gab dem Kutscher die Adresse des Kauf manns Herbst an, und der Wagen rasselte über das Pflaster, um nach kurzem Wege vor einem großen Hause zu halten, in dem viele Wohnungen waren. Zwei Treppen hoch mußte Luise steigen, bis das Schild kam mit dem gichtigen Namen, dann drückte sie auf die Ajocke. Eiu Dienstmädchen öffnete. „Ich bin Frau Schmidt und komme hier wohl recht?" ,Aa," sagte das Mädchen, „wir habe» Sie er wartet." Sie half das Gepäck hcrauffchaffen und brachte die Angekommene in ihr Zimmer. „Der Herr ist im Bureau," sagte sie, „und die Kinder in der Schule, aber sie werden bald kommen." Daun ging sie in ihre Küche zurück. Luise sah sich um. Es war ein freundliches Zimmer mit Bett und Sofa, und auf dem Tische standen zwei frische Sträuße, schlichte Wiesenbrumen in einfachen Glä sern, kunstlos zusammengefaßt. Sie öffnete die Tür ihres Zimmers und ging durch die Räume. Ein reicher Haushalt Mr eS nicht, in den sie gekommen, das sah sie sofort, sondern ein bescheidener. Auch Ordnung und Reinlichkeit ließen zu wünschen übrig, ein wenig ver wahrlost sah alles aus. Hier gab es Arbeit genug für eine tüchtige Hausfrau. Sie ging in ihre Stube zurück und sing an, auszupacken und ihre Sachen zu ordnrn, bis die Glocke tönte und Kindcrstimmen hörbar wurden. Dann standen sie vor ihr und sahen schüchtern und ver legen zu ihr auf: der zehnjährige Knabe und das sechs-