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eilage zum „Riesaer Tageblatt". Rotationsdruck und Verlag von Langer t Winterlich in Riesa. — Für die Redaktion verantwortlich- Arthur Hllhnel in Riesa. 288. Dienstag, 12. Dezember lttll, abends. «4. Jahr». Die avgelanfene Legislaturperiode. In einem Rückblick auf die abgeschlossen« Legislatur periode de» Reichstag« schreibt die «Norddeutsche Allgemeine Zeitung- u. a>: Mau hat e« dem Nachfolger de« Fürsten Bülow zum Vorwurf machen wollen, daß er. der Mitarbeiter de« vorigen Reichskanzler«, zurzeit der Blockpolitik mit der Gegenzeich nung de« Finanzresormgesetze« sein neue« Amt begonnen habe. Keiner dieser Kritiker hat aber anzugeben vermocht, mit welchen anderen Mitteln die Geschäft, de« Reich« ohne di« schwersten inneren Erschütterungen über den toten Punkt hätten htnweggebracht werden sollen. Für den Nachfolger de« Fürsten Bülow, wer e« auch sein mochte, log eine zwingende Situation vor, bei der die Aufgabe hieß: »to mairs tds boot ok it.« Ihr ist die Regierung in sparsamer Finanzwirtschaft gerecht geworden. Mit der Berufung auf die Mängel, die dem Reformwerk in bezug auf die einzelnen Steuern wie ihrer Zusammensetzung anhaften mögen, kann nicht wiederlegt w«rden, daß die Vermehrung der Reichs- einnahmen um mehrere hundert Millionen Mark, eine auch nach der Ansicht des früheren Kanzler« unaufschiebbare Notwendigkeit war. Tatsächlich hat mit dem Zeitpunkt de« Zusammenbruchs des Block» bereit» der Kampf um die Mehrheit im kommenden Reichstag begonnen. Aber trotz de» Bedürfnisses der Parteien, Vergangenes zu rechtfertigen und Künftige» vorzubereiten, hat die sachliche Arbeit einen ruhigen und erfolgreichen Fortgang genommen. Die Thronrede hatte ein sehr nüchternes, aber reich haltige» Arbeitsprogramm vorgezeichnet. Der Reichskanzler stellte in seiner ersten EtatSrede den Streit um Geschehene» den Zwang zum Schaffen gegenüber. Dieser Zwang, wenn er auch die Parteien nicht versöhnen konnte, hat sich in tüchtigen Werken durchgesetzt. Parteikonstellationen, die großen Teilen des Reichstag« die Stellung in der Negative zuweisen, haben stets den Charakter de» Vorübergehenden gehabt, weil sie der Vielgestaltigkeit unseres Parteilebens in Verbindung mit der Vielgestaltigkeit der reichsgesetzlich zu lösenden Fragen auf die Dauer nicht standhalten konnten. DaS wachsende Bedürfnis aller bürgerlichen Parteien, den vaterländischen Forderungen ihrer Wähler nicht nur in der Kritik, sondern auch durch die Tat Ausdruck zu geben, macht die Wiederkehr solcher Konstellationen immer unwahrschein licher, eS sei denn, daß sie sich in später Zukunft in einer Zwei teilung unsere» gesamten politischen Lebens vollziehen sollten. Politisch unmöglich war e«-, daß an die Stelle deS zu- sammengebrochcnen Blocks sofort ein neuer trat, nachdem gerade die Exklusivität des alten zur Katastrophe geführt hatte. Parteipolitisch war allerdings der Wunsch der links stehenden Parteien begreiflich, daß sich ein solcher der Ne gierung dienstbarer neuer Block bilden möge, um gegen beide im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen eine kon zentrierte Opposition inszenieren zu können. Praktisch mußte diesem Wunsche die Erfüllung versagt bleiben, so ost auch da» von Herrn von Bethmann Hollweg richtig zitterte Wort deS Fürsten Bismarck von „Gottgegebenen Unabhängig. ketten- unter Entstellung seine« Wortlaut« und Sinne« al« Stütze für eine parteitakttsch« Fiktion mißbraucht worden ist. Der Reichskanzler konnte tgtsächlich di« Geschäfte un abhängig von den Parteien in dem Sinne führen, daß er nicht den persönlichen Anspruch auf die Gefolgschaft be- stimmt» Parteien für di« Gesamtheit der zu erledigenden Arbeiten erhob. Die Sache mußt« sich jede«mal selbst ihre Mehrheit suchen. So trug die Arbeitsleistung der Session, die mit wechselnden Mehrheiten zustandegebracht wurde, auch nicht den Stempel einseitigen Partei - Einflüsse«. E« geht in keiner Weise an, diese Session al« eine Periode politischer Reaktion zu bezeichnen. Der Artikel führt zum Beweise die Behandlung der Verfassung«frag»n, insbesondere die elsaß- lothringisch« Verfassung an, ferner die sozialpolitischen Ge- setze und schließt mit den Worten: Die bürgerliche kritische Linke scheint im BlockrelchStog endgültig den Bruch mit ihrer Haltung zu Heer, und Kolonialfragen vollzogen zu haben. Die alten Schlagworte, mit denen früher der Freude an kolonialem Besitz entgegeugearbeitet wurde, sind au» den Debatten fast ganz verschwunden. Nur al» gegen unseren neuen Kolonialerwerb zu Felde gezogen wurde, sah man einige der mißtrauischen Bekannten wiederkehren. Auch hier wird die Zeit lehren, ob wir wirklich ein „kranke« Kind- oder nicht vielmehr einen wackeren Zuwach» in» Hau» bekommen haben. Schließlich wird diesem Reichstag das kraftvolle patriotische Gefühl nicht vergessen werden, in dem er sich in seiner letzten Sitzung ohne Unterschied der Parteien mit der Regierung dem Auslande gegenüber wieder zusammenfand. Wa» in all dem inneren Streit und Hader so oft und schmerzlich vermißt wurde, da» wurde un« zum Abschied von diesem Reichstage noch beschicken: Ein klarer, Heller, eherner Zusammenklang; so gesellte sich dem Zwange zum Schaffen, den wir im Innern nicht entbehren konnten, der freie Wille zu fester Selbstbehauptung in allen Stürmen und de» nationalen Schicksal». Zer Sm« Mn Mn M der Mi. > Tre Jeui-Äazetta hat eine Depesche aus Tripolis erhalten, wonach der Tuarcgstamm eifrig Freiwilligen kolonnen bilde, die nach der Küste marschieren. Ter Sul tan hat 3000 Pfund für die Familien der bei den Käm pfen in Tripolis gefallenen.Soldaten und Freiwilligen gespendet. Tie „Kölnische Zeitung" meldet aus Konstantinopel: Infolge der Vorstellungen des deutschen Botschafters unterbleibt vorläufig die Ausweisung der Italiener aus Smyrna. Tie Ausweisung der Italiener aus befestigten Plätzen, wie Gallipoli, wird von der Regierung aufrecht erhalten. Tie türkische Regierung betreibt in aller Eile die Vorbereitungen, um die Blockade der Dardanellen zu be endigen. Das zweite Armeekorps ist in Rodosto mit großen Mengen Munition und Lebensmitteln angekom men. .Alle an der Küste der Dardanellen gelegenen Ort ¬ schaften sind bereits pon den Einwohnern verlassen worden. Der Aufstand in China. Ter neue Vierzeh „tägige Waffenstill stand ist von allen 24 Provinzen des chinesischen Rei ches unterzeichnet worden. Ter Waffenstillstand erstreckt sich auf das ganze militärische Operationsgebiet mit Ausnahme von Schansi, Schensi und Szetschwan. Nach diesen drei Provinzen sind lätytliche telegraphischen Ber- biudungen unterbrochen. Ter neue Waffenstillstand ver bietet beiden Parteien das Absenden neuer Truppender- stärkungcn sowie von Munition und Waffen. — Die Stadt Kanton hat ihren Ucbcrtritt zu den Revolutionären erklärt. Die „Korresp. des Aeußerstcn Ostens" meldet aus Pe king: Die Delegierten der Nationalversammlung haben alle Gesandten ersucht, mit ihnen über die Frage zu ver handeln, wie sich das Ausland zu der jetzigen inneren Krise in China stellt. Tie Gesandten haben erklärt, daß sie eine konstitutionelle Monarchie für das richtige hal ten. Auch die Vertreter der Vereinigten Staaten und Frankreichs sind dieser Ansicht; sie erklärten, das; China für eine Republik noch nicht reif sei und der Gedanke der Errichtung einer Republik vorerst nicht in Erwägung gezogen werden könne. — Juanschikai Hot es bis jetzt abgclehnt, in der Nationalversammlung zu erscheinen, dagegen hat er mit den Delegierten dieser Körperschaft Unterhandlungen eingcleitet. Tagesgeschichte. Teutst^es Reich. Wie au» militärischen Kreisen verlautet, dürfte ber nächste HeereSetat die Mittel zur Errichtung einer neuen Kriegsschule anfordern, da infolge des gesteigerten An- drangeS zur OffizierLlaufbahn die vorhandenen Krieg», schulen so vollständig besetzt sind, daß mehrfach Fähnriche einige Monate vom Kommando zurückgestellt werden mußten. Ueber die Dtenstbereitschaft am Tage der Reichstags wähl en hat das Reichspostamt die Post- an st alten soeben mit Anweisung versehen. Danach müssen sämtliche Telegraphenanstalten sowohl am Tage der Wahlen als auch am Tage der Ermittelung deS endgültigen Wahlergebnisse» mindestens bis 10 Uhr abend», erforder lichenfalls solange bi» die Wahltelegramme abtelegraphiert worden sind, im Dienste bleiben. Dies gilt auch für den auf den Wahltag oder auf den Tag der Ermittelung fol genden Tag, solange die Wahltelegramme noch nicht auf geliefert oder befördert werden konnten. Sofern ein Be dürfnis dafür vorliegt, ist auch der Fernsprechdtenst an den bezeichneten Tagen in erweitertem Umfange abzuhalten. Wie verlautet, finden zwischen der deutschen und öster reichischen Telephonverwaltung gegenwärtig Verhandlungen über eine ErmäßigungderGebühren im deutsch- ÜSI'IdASr'l. IVIoS. Timmsi-uvi-sn Iriiisdsr>: Doliae padeikst« - Onlldeil^ossens Ztuawsw von HS dse NX) «zgrit. 8o!iäv Ia5vkenuknen gonsu gspi-iiN un«t ragullvi-t, »nv^ennt vorlsilkettvn Preisen. S S Zm Kampfe ums Dasein. Roman von Arthur Eugen Simson. 19 Die Lebensanschauungen, unter denen sie aufgewachsen war, die Ueberzeuguugen, welche ihr von Jugend auf als die aüein richtigen eingeprägt waren, ließen sich nicht so schnell erschüttern, sie wollte auch nicht, daß sie erschüttert würden. * * Um dieselbe Zeit, der Abend brach bereits herein, ritt Zer- ding auf einsamem Wege der Stadt zu. Auch er gedachte der Eindrücke dieses Tages. Die Armut in dein kleinen Hanse, das Bild der bleichen jungen Frau, das feste trotzige Auge Heinrichs standen vor seinem Geiste und dann wieder glaubte er Ernas Wort zu hören. Sollte ihr Herz wirklich keines wärmeres Mitleids fähig sein? Mußje diesem schönen Kör per nicht auch eine schöne Seele inne wohnen? Ohne daß er es gewahr wurde, erfaßte ihn ein Gefühl der Trauer, es war ihm, als ob ihm ein schöner Traum zerstört sei. Als er heimgekehlt war, trat er in das Zimmer seiner Mutter und reichte ihr wie immer, wenn er kam, die Hand zum Gruße. „Du bist heute lange fortgeblieben, Fritz," sprach die be- rcits bejahrte Frau, deren milde, freundliche Augen ans dem Gesichte des Sohnes hafteten. „Ich war über Land," entgegnete Zerding kurz und ließ sich neben der Mutter nieder; auch er ivar erschöpft. In Ge danken versunken blickte er vor sich hin. Besorgt sah die Frau mehrere Male zu ihm auf. „Fritz, was fehlt Dir, Du bist verstimmt?" fragte sie dann. „Nichts, nichts, Mutter," entgegnete er, indem er sich wie der erhob. Seine Stimme klang ruhig und doch leise bewegt. „Ich habe heute wieder ein Stück Armut kennen gelernt, dessen Bitterkeit in mir noch nachhallt." „Ist denn keine Hilfe möglich?" warf die Mutter ein. „Doch, ich werde helfen," gab Zerding fest entschlossen zur Antwort. * * * Ueber die Hochebene sprengt ein Reiter auf mildem Rosse. Mit vorgestrecktem Kopfe jagte das Pferd über Steine und Gräben dahin und der Reiter, der ohne Sattel auf ihm saß, aber mit ihm wie zu einem Körper verwachsen zu sein schien, zog die Zügel nicht an, um es aufzuhalten, sondern schlug mit der Reitgerte auf dasselbe ein, nm es noch zu schnellerem Laufe anzutreibeu. Es war ein wilder, toller Ritt, als ob Roß und Reiter zu der wilden Jagd gehörten. Es fehlte nur der Peitschenknall, das Gebell der Rüden und der Klang des Jagdhornes. In wenigen Minuten war der wilde gemeim- nisoolle Reiter hinter dem Waldessaume verschwunden. Der Reiter war Wangerv, welcher das Erna gegebene Versprechen zu erfüllen suchte. Sein Auge leuchtete unheimlich düster, eS zuckte und schloß sich halb, als ob es Gestalten, welche vor seinen; Geiste auf tauchten nicht bemerken wollte. Ter wilde Ritt, die Anstrengung, um das Tier zu bän digen, hatten sein Blut erregt, eS pochte in seinen Schläfen, es stürmte in seiner Brust. Und es tat ihm wohl, daß er für kurze Zeit jeden Zwang von sich abwerfcn und der lei- denschaftlichen Glut in seinem Innern die Zügel schießen lassen konnte. Hier sah ihn niemand, es sah auch niemand die Gestalten, welche vor ihm auftauchten und ihn zu verfol gen schienen. Er lachte über sie, denn sie waren nur Gebilde seiner Phantasie, sie waren ohnmächtig. Konnten sie auf treten und von seiner Vergangenheit erzählen? Konnten sie ihn anklagen und ihn; die Maske, welche er trug, abxeißen? Das Weltmeer schäumte zwischen ihnen und ihm, mochten sie ihn drohend anblicken, lachend hieb er mit der Reitpeitsche durch die Luft hin, er spottete ihrer, denn er war reich und durch seinen Reichtum mächtig geworden. Ungefähr eine Stunde später ritt er langsam durch den Waid dahin, seinem Hause zu. Das wilde Tier war gebändigt, es gehorchte dein leisesten Druck des Zügels und ging ruhig. ES war über und über nut Schaum bedeckt und jedes seiner Glieder zitterte leise. Wangero lächelte ruhig, selbstbewußt; es war nicht das erste Pferd, dessen Wildheit er gebändigt, und er wußte, daß Erna es ohne Gefahr reiten konnte. Gewandt schwang er sich hinab, rief einen Reitknecht herbei, warf demselben die Zügel zu und befahl ihm, das Pferd einige Zeit langsam auf und ab zu führen und dann mit wollenen Tüchern abzurei- ben. In der Nähe standen mehrere Arbeiter, welche mit dem auS dem Schachte gewonnenen Schutte einen Weg ansfüllten. „Ist das nicht das Pferd, mit welchem das Burgfräulein die Rosa uiedergeritlen hat?" fragte ein Arbeiter, ein bereits bejahrter Mann. „Es ist dasselbe," gab ein anderer zur Antwort. „Ein schö nes Tier, der Herr hat es gebändigt, jetzt wird es wohl nicht wieder durchgehen, seht,'wie ruhig es jetzt ist, wie ge duldig es dem Reitknechte folgt." „Ich habe gesehen, wie der Herr auf ihm über die Hoch ebene dahinjagte, bemerkte ein Dritter. „Das war ein toller Ritt. Ich hätte nicht auf dein Pferde sitzen mögen. Ein einziger Fehltritt und beide konnten den Hals brechen." „Der Herr hat das Reiten in Amerika gelernt," warf der Alte ein. „Hier macht ihm niemand einen solchen Ritt nach; eS ist gut abgelaufen, es konnte jedoch auch anders kommen." „Und was hätte es geschadet, wenn sich beide den Hals gebrochen hätten," rief ein Arbeiter, eine große kräftige Ge stalt, der bis dahin noch kein Wort gesprochen hatte.. es war Längner. Halb erstaunt, halb ängstlich blickten die übrigen Arbeiter ihn'an, wie leicht konnte ein Unberufener diese Worte ge hört haben. Längner schien diese Befürchtung nicht zu teilen. „Es wäre besser gewesen, er hätte den; Tier eine Kugel in den Kopf geschossen," fuhr er fort. „Seht, wie er herantritt und es streichelt. Haha! Es war nur ein armes Weib, wel ches das Pferd niedergeworfen hat und wenn es stirbt, wer sragt danach." „Steht es so schlimm mit Rosa?" fragte ein Arbeiter. „Sie liegt an der Verletzung schwer danieder," gab ein anderer zur Antwort. „Der Arzt kommt jeden Tag zu ihr, wie es werden wird, weiß noch niemand." „Viel verliert sie nicht an dem Leben," bemerkte der Alte. „Sie hat schon schlimme Zeiten kennen gelernt, und eS wird ihr schwer werden, sich nut ihren Kindern durchzuhclfen." „Schweigt," rief Längner heftig. „Hat sie nicht dasselbe Recht zum Leben, wie das stolze Fräulein? Ihr sprecht, als ob es ganz in Ordnung wäre, daß sie arm ist und Not leidet, während andere hundert Mal mehr besitzen al« zum Leben erforderlich ist." 192,20