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Vater kbg. Gestern int KraureyKauS HM« Vater auch gelogen, als er Ku Mütter gesagt hatte, es ginge auch alles vhne sie wie am Schnürchen. Gar nichts ging. ES war überhaupt kein Zuhiause mehr, seit sie fort war. Man aß wohl und trqnk wie sonst, aber in jeder Minute merkte man doch daß etwas in der Wohnung fehlt« .. - alles fehlte überhaupt. Heinz haßte Vater plötzlich. Wenn Mutter nun sterben würde, nie wiederkommen! Wenn es immer so still und leer blieb in der Wohnung, keiner mehr ihm im Korridor xntgegenkami, ihm die Mütze ab nahm, den Mantel aufknöpfte,- keiner, der stunden lang und geduldig dem dümmsten Zeuge zuhörte, was er sprach. Eine furchtbare Angst kam in dem Knaben hoch. Wenn er gestern doch protestiert hätte, als Vater ge logen hatte. Wechr er Mutter erzählt hätte, wie sehr sie fehle, wie sehnsüchtig er auf ihr Wiederkommen wartete, vielleicht hätten dann ihre Augen nicht mehr so starr und trostlos geblickt, vielleicht wäre da wieder das alte, gute Lächeln um ihren Mund gekommen, das er so ost gesehen. Und nun durfte er nicht mehr hin .. - Einige Tage später, als Vater ihm bei Tisch er zählte , daß Mutter bereits im Sanatorium zu Buch heim sei, fuhr er wie ein Rasender hoch. „Fort, ganz fort aus Berkin, ohne mir etwas zu sagen, vhne..." Ter Vater aß ruhig weiter. „Zuerst benimm Dich anständig, mein Sohn > und brülle nicht so, wenn Du mit Deinem Vater sprichst." „Tas ist gemein von Dir, Vater, wie Du bist. Du hast nur schuld, daß Mutter krank geworden ist, Tu bist . . -", er konnte aber nicht aussprechen, weil Vater zugeschlagen hatte. Seitdem war Heinz wirklich kein Kind mehr. Wenn er nichts zu arbeiten hatte, saß er irgendwo in einem Winkel und suchte jene Stunden im Gedächtnis, in denen Matter noch dagewesen war, in denen die zarte, leidende Frau alle Liebe» und Zärtlichkeit, die ihr Mann nicht brauchte, auf ihr Kind schüttete, wo sie Zuflucht suchte bei diesem Kinde vor der Härte des Mannes. Aber dieses Kind hatte sich dieses Liebe ge schämt, der andern Jungen wegen. ES wurde Frühling draußen, denn eS begann ein Werden, Wachsen und Blühen, als müßte auch das dunkelste Winkelchen hell werden. Fühlte die alternde Frau es auch, als sie zum erstenmctt nach der langen Leidenszeit wieder ihrem Heim zufuhr? ! Ihr Mann hatte sie abgeholt auS dem Sanatorium. In unveränderter Frische und Lebenskraft saß er neben ihr im Eiienbahnkoupee und sprach fortwährend. Er hatte eS schon wieder vergessen, daß sie so krank ge wesen ivar. Er lachte dröhnend und laut, er erzählte hundert Richtigkeiten und beteuerte wieder und wieder, daß sie ruhig noch vier Wochen länger Hütte fortbleiben können, ohne daß sie ikxe Pflicht versäumt Hütte. Diese Erkenntnis tat ihr weh. ES wäre eine Wohl tat gewesen, wenn er das Gegenteil gesagt hätte. Aber ec sprach wohl die Wahrheit. WaS war sie, die Sensible, Leidende, für den kraftvollen, lebenslustigen Mann? Wov» war sie gegen den Heranwachsenden Sohn, der ja selbst erklärt hatte, sie nicht mehr zu brauchen . .. Heintz war nicht mttgekommen. Er sollte die Schule nicht versäumen, aber er würde am Bahnhof sein tu Ber lin, stand tzn seinem letzten, konfusen Brief Heinz... Der sinnenden Frau stieg das Blut siedendheiß unter dio fein« Haut. Das war wohl das schwerste, p dem eigenen Kinde nicht mehr gÄen zu dürfen, VHe es iHv einsames Herz verlangte» all« starken Em pfindungen auch vor dem Jungen zu unterdrücken .. wozu war sie eigentlich wieder gesund geworden? .. - Ter Zug fuhr in die Bahnhofshalle in Berlin ein. . „Möchtest Tu, daß ich bis zu unserer Wohnung einen Wagen nehme?" fragte der Mann. „Oder ge nügt die Stadtbahn?" Sie nickte: „Ja, ja, ich bin stark genug." Es war wohl aber doch nicht weit her mit dem Stark sein. Sie sah auf dem Bahnsteig einen großen, blonden Jungen stehen, blaß, schmal geworden und spitz. >,Heinz" — schrie sie auf. Er drehte sich schwerfällig um. „Muttchen", wollte er sagen und blieb doch stumm. Es würgte ihm im Halse, es riß und zerrte in seiner Brust, wie Stein so schwer war der Arm, den er heben wollte. Er sah nur wie durch einen Schleier das weiße Frauengesicht über sich und spürte einen scheuen Kuß auf seiner Wange. „Kommt ein bißchen schnell," mahnte der Vater, „der nächst« Zug geht fünfunddreißig, und wir haben drei Minuten bis zum andern Bahnsteig." Heinz ging steif neben der Mutter weiter. Sie trug in der einün Hand eine rote Ledertasche, in der andern einen verwelkten Schneeglöckchenstrauß, den man ihr zum Abschied aus dem' Garten des Sana toriums gepflückt hatte. Heinz griff nach dec Ledertasche und schob die andere Hand in den freien Frauenarm. „Vorsichtig, Mutter, die Treppe ist glatt," sagte er heiser vor Aufregung. Sie nickte. Ein feines 'Rot kam in das weihe Ge sicht. Sie hatte ganz vergessen, daß es noch etwas an deres gab auf der Welt als diesen blonden Jungen. Das Kupee der Stadtbahn war sehr besetzt. Sie wurde ganz in eine Ecke gedrückt, Heinz neben ihr, der krampfhaft ihren Arni festgehalten hatte. „Ta, im letzten Augenblick wurde die Tür noch ein mal aufgerissen. Zwei Schüler sprangen herein, die stehen bleiben mußten. Sie trugen dieselben roten Mützen wie Heinz. Tiie stille Frau zog vorsichtig die Hand aus dem Knabenarm. Sie zitterte plötzlich. Sie kasnnte die beiden Knaben, es waren Kameraden aus Heinzens Klasse, Teike hieß der eine. Ob Heinz das nächt sah? Er lächelte so merkwürdig. Halb verächtlich und halb ttiumphierend sah er auf die verlegenen Gesichter unter den grellroten Mützen. Und nun, nun kam plötzlich seins Hand wieder gegen die ihre» dec blonde Kopf neigte sich zur Seite, blieb an der Frauenschnltev liegen, mrd — jeder konnte es sehen, jeder konnte es. hören, „Muttchen", sagte Heinz, indem ihm das blanke Wasser in die Augen kam. Cs wurde merkwürdig still in dem überfüllten Ku pee. Nur der Mater äußerte sich mißbilligend über das Gehabe des großen Jungen. Die gesundende Frau erzitterte. Ihr aufleuchten der Blick suchte den ihres Kindes. Und ioas sie darin kaS, mußte Wohl eine Zauberkraft für sie enthalten, denn sie hob den Kops plötzlich als sei ihr erst in diesem Augenblick das Leben neu geschenkt. „Muttchen", sagte da Heinz noch einmal flüsternd. Und das war wie ein Gelübde. Denk- ««d Linnsprüche. Zwei Liebsten so ost sich scheiden, Denn Minne ist voll Wank, Geschwister in Lust und Leiden Sie hatten ihr Leben lang. Paul Heyse. Selbst der beischedenste Mensch hält mehr von sich. Als sein bester Freund von ihm. v. Ebner-Eschenbach. — - -- — -- , —- ' . - - --- - - - Druck und Berta, von Laa^r a Winterlich, Riesa. — Mr die Redaktion verantwortlich: Arthur Hähne!, Ri,la. , auch ohne Erzähler an der Este. Belletr. Gratisbeilage za« „Riesaer Tageblatt". Nr. 3S. Mess, Sen S», Septewher 1911 94. s«tzr, Das Konversatioaslexiko«. Novelle von E. Krickeberg. Fortsetzung. Man bespricht die Eröffnung des Hünengrabes, die gleich am anderen Tage in Angriff genommen werden soll. Um sechs Uhr morgens will man sich an Ort und Stelle treffen. Doktor Hartwig wird die Arbeiter und nötigen Gerätschaften mit zur Stelle bringen, zum zwei ten Frühstück werden die Tomen zus Wagen mit Er frischungen hinauskommen, Hans Peter soll für gutes Wetter sorgen, damit er auch seine Pflicht hat. Er nimmt sie augenscheinlich sehr ernst, denn schon lange Vor sechs Uhr wandert er durch die Felder, dem Hünengrabe W, wahrscheinlich, um sich zu vergewissern, lob auch sein Namensvetter droben, Sankt Peter, vor schriftsmäßig ! die Sonne scheinen läßt. Tas Wetter ist wundervoll, die Lust voll nerven stärkender Frische. Noch lastet die Sülle der Nacht schwer und feierlich über der Erde, nvch dämpft ein grauer Schleier die Leuchtkraft der . Farben in der Natur. Aber von Osten her steigt bereits eine feurige Lohe am Himmlel empor und leckt mit ihren Flammen zungen weit hinauf in das wasserklare Lichtgrün des Aethers. Ein fahles Fleckchen bezeichnet darin den ver blassenden M0nd, dessen erborgter Schein untecgeht in dem alles überstrahlenden wahrhaftigen Licht der Segen spenderin Sonne. Hehr und gewaltig in augenblendender Pracht hebt sie sich majestätisch aus dem Schoß der Nacht > und wie mit Aauberschlag ist der Bann des großen Schweigens gebrochen, der grau« Schleier zerslattert -- das Leben erwacht. Bunte Blüten hat die Erde zum Empfang des himmlischen GasteS in ihren Kranz ge wunden und Millionen blitzender Taukristalle weben sich in ihr Gewand. " Hans Peter steht auf dem Birkenhügel, an den Weißen Stamm des einzigen Baumes, der der kleinen Erhöhung den Namen gegeben hat, gckehnt und schaut mit an dachtsvoller Ergriffenheit dem erhabenen Schauspiel deS Sonnenaufgangs zu. Neben ihm aus einem Kornfelds steigt eine Lerche jubilierend in den Aether bis dahin» Wo der Menschen Auge sie nicht mehr erblickt. Da singt sie in einsamer Höhe dem Schöpfer ihr Lob- und Dank lied. Wie Perlen zu einer; Kette reihen sich die Töne ihres HhmnuS aneinander, und während Hans Peter ihr gedankenverloren lauscht, hat er die Empfindung, als ob auch er in der bangen Seligkeit seines Herzens laut hin ausjubeln sollte. Er möchte, daß auch ihm Schwingen wüchsen, die ihn hinaustragen könnten in eine tief« Ein samkeit, fern von Erdenstaub und Erdenlarm, wo er mit seinem Gott und seinem slück allein ist. Der Mann der exakten Wissenschaft, der scharf und real denkende Forscher und Grüblet ist zum Schwärmer geworden, wie der erste desto ungckehrbo verliebte Jüng ling, und dir Reinheit f«neS Gemüt», die Tante Brigitta mit seiner weltfremden Gelehrsamkeit ausgeföhnt hat, ver leiht dieser Schwärmerei einen Zug zur Höhe. Wie in einem schönen Traum befangen, schreitet HanS Peter Wetter durch die früchtebeladenen Felder. Noch ist der Roggen nicht eingeerntet, tue goldigen Aehren neigen schwer dio Häupter, ihre Zeit ist erfüllt. Schon geht der süßwürzige Luft der Reife von ihnen aus, und die Feld maus ist eifrig geschäftig, so viel wie möglich deL Segens in ihr« Vorratskammer zu bergen, ehe der blinkende Stahl die Halme und ihre Hoffnung zerschneidet. AuS einem Erbsenfelde, da» noch frisch und grün steht, blüht und Früchte zugleich trägt, steigt urplötzlich mit scharf schwirrendem Ton ein Volk Rebhühner «eben HanS Peter auf, daß er erschrocken zur Seite springt. Er kacht sich selber aus: Großstädter, d« vom Leben und Weben in der Natur nur recht unvollkommene Vor stellungen hat! — Wie die Annedoxe sich amüsieren würde, wenn sie ihn auf der Flucht vor den Hühnern hätte sehen können! Und nun breitet sich ein glückliches, weltentrückte- Lächeln über sein Gesicht und ichwindet uicht wieder. Er hat feine Umgebung vergeben und wandelt im Paradiese seliger Hoffnung. TaS Hünengrab liegt als runder Hügel am Rande eines Kiefernwaldes in dürrer Sandgegend. Man könnte es seiner Form nach für einen vergebenen Backofen «ine- dereinstigen Riesenvolkes halten. Brombeerranken um spinnen es, hier und da steht ein Wachholderbufch, ver schroben feierlich mit scharfen Spitzen zum lachenden Himmel weisend. Zwischen spärlichen dürren Grashalme« wachsen genügsame Mockenblümchen und schaukeln ihre blauen Köpfchen melancholisch in der leise wehende« Morgenluft. Weiterhin am Feldrain die Immortellen beginnen sacht sich rötlichgelb zu färben, ein Zeichen be nähenden Herbstes, und vom Waldrande her zieht ei« würziger Tust aus einem violette« Blumenfelde herüber. HanS Peter folgt ihm und streckt sich behaglich im Thymian aus, um zu warten, bis die Arbeit beginnt. Bienen umsunnnen ihn, Schmetterlinge flattern vo« Wüte zu Blüte, Spinnen weben ihr künstliches Netz, und aus dem Waide ertönt das hämmern deS Spechts, da- Gurren der Holztauben und der Finken flotte-,Liedlein. —, Er ist allein, kein Mensch ringsum zu erblicken. Und doch befindet er sich mitten in einer emsig geschäftigen Belt. Wie mag eS hier auSgesehen haben damals, vor so viel hundert Jahren, als däS Riesengrab da vor ihm geschichtet Worden ist? — Heide ringsum, dichter Kiefernwald — es ist uicht anzunehmen, daß der dürre Boden seit Jahrtausenden etwas anderes als den anspruchslosen Baum der sandigen Erde getragen hat. Aber ein dichter, undurchdringlicher Wald mag'S gewesen sein, von Unterholz durchwuchert, in dem Bären, Wölfe, Luchse und andere wilde Der» ihr gewalttätiges freies Dasein geführt haben. Und der fellbekleidete Urahn mit dem zottige« Haar F«d der eisernen Faust hat vielleicht im Kampf mit einem von diesen Unholden die Wunde empfange», die ihm den Tod gebracht. —, Dia prähistorischen Gräber dieser Gegend stamme» meist aus der Bronzezeit, da der Mensch, auf ewiger Wanderschaft begriffen, seine Toten verbrannte, um ihre» Leichnam sicher zu bergen und kehren Aufenthalt durch eine umständlicher« Bvrrdignng-art zu haben. Bo mag der Scheiterhaufen ausgerichset gewesen sein, auf dem die Nest» deS Daten, der, nach dem Umfang de» HSgelS z« schließen, ein Man» von Ansehen und Rang gewesen sei« muß, den Flamme» überantwortet wurden? Vielleicht dort am GÄgenburg» der spät« noch so viel Wut hat fließen sehen, vielleicht auch an jener Stelle i« Felde drüben, wo jetzt der auch bereit» vielhundertjährige^ ehrwürdige Licfchaum seins knorrigen, wetterharten ASße ausstrecht, alA ein Zeug» kraftstrotzenden marvgea Lebens. MA Lpktor Hartwig mit de« beiden Wckeiterv er scheint) hat sich Hom» Peter so ttef i« seine Grübelei«/ grave», dah er Wrdmtkch erstmwt P, hier a« dieser — .