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.. eilage znm „Riesaer Tageblatt". Rabatioubbni« und V«l»a »»n Laager - Winter!!» l« Riel«. — flilr dl« Redakttoa verantwortlich! Arthur HLHnal l« Rtela. «4. Soaaabea», 18. Mir; 1911, abruvS. «4. Jahrg. Deutscher Reichstag. IÜ0. Sitzung, Freitag, de» 17. März, 1 llhr«' Nm Tisch« de» vundeSrat»: Dr. Delbrück. Präsident Seaf Schwerin-Löwitz: Heut« Vor 00 Jahre« ist der italienische nationale Einheitsstaat osflzteN be gründet worden und da» ganze italienisch« Volt inert heut« dies« Begründung und Vereinigung d«» Röntgreich» Italien. (Lebhafter Beifall.) Di« Abgeordneten haben sich bi» auf einige der wenigen anwesenden Zentrum»mitglteder von chren Plätzen erhoben). Da» deutsche Boll wird an dieser Frier de» ihm verbündeten und befreundeten italienischen Bolle» den lebhaftesten Anteil nehmen. (Beifall.) Ich habe mir deshalb bestattet, in» Namen de» deutsche» Reichstage» an den Präsi denten der italienischen Deputiertenkammer ein Telegramm folgende» Inhalt» zu senden: Au» Anlaß de» heutigen In- biUnnn» de» dem deutschen Reiche verbündete« Königreich» Italien sprech« ich Ihnen, Herr Präsident, und der Deputierten. kammer di« herzliche Anteilnahme de» deutschen Reichstage» au». (Erneuter Beifall.) Hieraus übernimmt Vizepräsident Dr. Spahn da» Präsi- ddmu Der «tat de« Skaich-amt« dr» (Sechster Tag.) «bg. Severing (Soz.) spricht bet dem Titel „Beitrag für den verband deutscher Arbeitsnachweise" gegen die christ lichen Gewerkschaften und den Abg. GteSberts. Der Redner bekämpft die Arbeitsnachweise mit ihren schwarzen Listen, di« der schlimmste Herd der Beunruhigung im wirtschaftlichen Leben seien. Abg. Lieibert» (Z.): In die Arbeit de» Verbände» deutscher Arbeitsnachweise muß mehr System hineinkommen. Auch wir bedauern die Ausbreitung der Arbeitgebernachweise. Der Redner erwidert auf die Angriffe SeveringS. Die Aussprache über den Kalipropaganda-Fond» wird auf Antrag de» Abg. Frhrn. v. Nichthose» (k.) auf Sonnabend vertagt. «bg. Seck (Soz.) fordert Gründung eine» ReichSschul- museum». > «bg. Frank- Ratibor (Z.) tritt für die Hausierer ein. Abg. Metzger (Soz.) verlangt eine staatliche Kontrolle der Seetüchtigkeit der Schiffe an Stelle der privaten durch die EeeberufSgenosfenschaft. Der Redner dringt eine Reihe von Fällen vor, in denen Seeleute zu Schaden gekommen sind, weil sie auf veralteten Schiffen mit minderwertigen Ma schinen Dienst tun mußten. Direktor im ReichSamt de» Innern Dr. v. IonquiSreS: Unsere Einrichtungen sind natürlich nicht vollkommen; Seeun fälle werben Vorkommen, so lange auf See gefahren wird. Da» Wasser hat keine Balken. Einzelunsalle beweisen nicht» gegen die EeeberufSgenosfenschaft. Die Verantwortung muß dem Schifführer überlassen bleiben. Man kann nicht verlangen, daß jede» Schill von einem Mitglied der Seeberufsgenossenschaft vor der Ausfahrt von A bis Z kontrolliert wird. Dann würde jeder Schiffsverkehr aufhören. Eine solche Kontrolle ist nur bei Auswandererschiffen vorgeschrieben, wo eS sich um Tausende von Menschenleben handelt. Die verunglückten Slomanschisfe sind in einem Unwetter, wie eS seit Jahren nicht vittgekommen ist, an der gefährlichsten Stelle, nämlich in der Bucht von BiSkava, untergegangen. Das sind außerge wöhnliche Verhältnisse. Man kann nicht verlangen, daß allge mein schiffe, die über 30 Jahre alt sind, für seeuntüchtig erklärt werden. Denn schließlich ist die Schiffahrt doch auch ein Gewerbe, da» nach Grundsätzen der Rentablitat arbeiten muß. Die SeeberufSgenossenschast ist keine Vertretung der Reederei interessen. W« wollen die Ehre unserer deutschen Kauffartet schiffahrt aufrecht erhalten. (Ledebour: Das ist ja Unsinn l) Da» mag sur Sie Unsinn sein, für un» nicht. (Beifall.) Vizepräsident Schulz rügt den Zwischenruf Ledebour». Abg. Schwartz-Lübeck (Soz.): Da» Alter eine» Schiffes ist nicht ohne weitere» für die Frage der Seetüchtigkeit maß gebend. Meist ist die Besatzung zu schwach und minderwertig, wegen der geringen Löhnung. Abg. Kirsch (Z.) weist die Behauptung zurüL daß di« Slomandampfer im wesentlichen seeuntüchtig sind. Jedenfalls solle man da» Ergebnis der amtliche» Unterf»chtMgen über die letzten Unfälle erst abwarten. Abg. Dr. Heck sch er (Bp.): Die schwerkränkend«« Angriff« gegen die Slomanlinte sind unberechtigt. Allerdings steht die Reederei in dem begründeten Rufe, bet Ausgabe» überaus ängstlich zu sein. Jeoenfall» wäre e» fluchwürdig, wen» eine Reederei absichtlich seeuntüchtige Schiffe hinausschicken würde. Ich könnte mir nicht» Niedrigeres und Gemeinere» denke»! (Beifall.) Abg. Raab (W. vgg.) fordert ein ReichSschiffahrtSamt. l Abg. Molkenbuhr (Soz.): Unser« LnNagen richten sich nicht gegen die SeeberufSgenossenschast, sondern gegen die Un- tätcgkeit der Reichsregierung, die sich um die Verhütung von Unfällen zu wenig kümmert. Abg. Hör man» (Bp.): Wenn man Jahr für Jähr von sozialdemokratischer Seite solche Etnzelheiten aufbauscht, dann kann man die Erregung des Regierung-Vertreter» wohl verstehen. Da» SchiffahrtSamt in England hat sich durchaus nicht so gut bewährt. Wa» soll man im Ausland darüber denken, wenn hier immer gegen unsere Schiffahrt so geredet wird! Die gegenwärtige Aufsicht genügt. Wir haben bisher vergeblich auf BerbesserungSvorschläge der Sozialdemokraten gewartet. Abg. Dr- Sem le« (nl.): Ich bin entschiede« für da» UeberwachungSshstem, aber eine staatliche Ueberwachunq brauchen wir nicht. Wir bitten da» Reichsamt dringend, un» unser« gute Selbstverwaltung zu lassen. Der Redner verliest au» einer englischen Zeitung ein« lange Kritik zugunsten der SeeberufS genossenschast. Vizepräsident Schulz unterricht ihn aber, da im Reichstage nur deutsch gesprochen werden dürfe. (Hetterk.) Beim Statistischen Amt empfiehlt Abg. Frhr. v. Gamp (Rp.) ein bessere» Zusammenarbeiten de» Reich»stattstischen Amt» mit den statistischen Aemtern der Einzelstaaten im Inter esse der Vereinfachung de» Betriebe» und der Sparsamkeit. Staatssekretär Delbrück erklärt sich bereu, di« Frag« zu prüfen. Abg. Dr, Roesicke (k.) fordert «in« industrielle Pro duktionsstatistik, damit man den irrigen Angaben tn de» Flug blättern de» Hansabunde» entgegentreten könne. Abg. Brey (Soz.): Angebracht wär« eine statistisch« Uebersicht der gewerblichen Vergiftungen. Abg. Doormann (gortschr. vpt.): Die Ergebnisse der Be triebszählung sollten möglichst bald festgestellt werden, damit sie für die Witwen- und Watsenverstchrrung tn der Relchsver- sicherungsordnung noch mit verwendet werden können. Dir An gaben der HandelsstatniU treffen wohl kaum zu. Dasselbe gilt für di« landwirtschaftlichen Statistiken. Staatssekretär Delbrück: E« ist richtig, die Ergebnisse unserer Statistiken srstzustrllen dauerte zu lang, und wird un» zu teuer. Man müßt« mechanisierend mit Maschinen arbeiten, wie e« mit gutem Erfolge mehrfach im Ausland« geschehen ist, und and«rs«it» vereinfachen, indrm daSfrlb« Material nicht mehr übrrflüsstgrrwris« an zw«i Stillen brarbeitkt wird. Die statistischen Landesämter einzuschränkrn oder sie »u beseitige«, haben wir keine Mittel. Außerdem würde r« nicht angängig sein. Ministerialdirektor La spar: Die Anfragen de» Abg. Door mann sind in den Motiven der RelchSverstcherung bereit» aus reichend beantwortet. Abg. Schefbrck (Ztr.): Da» Statistische Amt sollte auch ein Verzeichnis der größeren Verbände der selbständigen Gewerbe treibende» he, ausgeben. Abg. v. EzarltnSkt (Pole): Bei der Volkszählung müßten dj« Polen in bezug auf die Muttersprache nicht al« Deutsche, sondern al» Polen gezählt werden. Zur Feststellung der im BereinSgrsrtz verlangten SO Prozent Gleichsprachiger ist e» not wendig, auch in dieser Hinsicht die Polen nicht zu benachteiligen. Staatssekretär Delbrück: DI« Klagen de» Vorredner» ge hören vor da» Abgeordnetenhaus, da die Ausführung der Volks zählung LandeSsach« ist. Ein Antrag auf Schluß der Debatte wird angenommen. — Darauf wird vertagt. Präsident Graf von Schwerin-Löwitz verliest «ine Depesche de» italienischen Kammerpräsidenten Marcora, di« noinen« der Kammer vielen Dank für die Kundgebung de» Reichstage« «»»spricht und daran die Hoffnung knüpft, daß sich die freundschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Völkern befestigen mögen. (Lebhaftes Bravo!) Die Abgeordneten hoben sich mit Ausnahme derjenigen de« Zentrum« von ihren Plätzen erhoben.) E« «ntspinnt sich eine GeschästSordnungSbebatte in der Abg. Gyßling (Fortschr. Vpt) verlangt, daß die Kalidebatte nicht Sonnabend zu Beginn der Sitzung vorgenommen werde. Der Präsident stellt einen Beschluß de« Hause« anheim. Da« Hau« beschließt nach weiteren Bemerkungen verschiedener Abgeordneter gemäß den Anreaunqen de« Abg. Tyßling. Nächst« Sitzung Sonnabend vormittag 11 Uhr, Fortsetzung. Schluß 8'/. Uhr. Zur Baumwollfrage. Eine neue Denkschrift des Reichskolonialamts 7,Die Bauntwollfrage, Denkschrift über Produktion und Ver brauch der Baumwolle, sowie Maßnahmen gegen die Baumwvllnot" behandelt das Problem der Versorgung unserer Bamnwoll-Jndusfiio mit Rohstoff, eine Frage, die man als eine der wichtigsten und brennendsten unserer nationalen Volkswirtschaft bezeichnen muß und die auf kolonialem Boden ihre Lösung finden soll. Die Ursachen der sogen. Baumwollnot liegen in dem dauernden Miß verhältnis der Produktion urck» des Verbrauchs von Baum wolle sowie in der Monopolstellung eines Produktions- gebieteS: der Bereinigten Staaten von Nordamerika. Es ergibt sich, daß eine ausreichende Versorgung der deutschen Baumwollnrdustrie mit billigem oder preiswertem Roh stoff von den derzeitigen Produttionsgebieten der Baum wolle nicht zu erwarten ist. Die asiatischen Produktionsgebiete werden in zuneh mendem Maße ihre Rohbaumwolle — auch bei erheblicher Steigerung der Produktion — für den eigenen und den Verbrauch anderer asiatischer Märkte benötigen. Gleiches läßt sich Voraussagen für Südamerika, auch wenn sich dort die Produktion unter Ueberwindung der Schwierig keit des Arbeiter- und Kapitalmangels noch wesentlich steigern sollte. Dasselbe gilt für Australien. Es ver bleibt also nur der afrikanische Erdteil, in welchem bis jetzt nur Aegypten eine nennenswerte Produktion für die Versorgung des Weltmarktes auswetst. Diese ist aber auf ein sehr beschränktes, meist künstlich zu bewässerndes Gebiet angewiesen- dessen Bodenpreise immer höher werden. Aus diesem Grunde ist eine nennenswerte Steige rung der Produktion bMger Baumwolle nicht zu er warten. DaS Übrige Afrika ist fast durchweg kolonialer Boden der europäischen Industriestaaten. Diese machen sämtlich große Anstrengungen, in den geeigneten Teilen ihrer afrikanischen Gebiete Baumwolle zu bauen, um dem dro henden Mange! an Rohmaterial in ihrer Textilindustrie vorzubeugen. Je mehr in Nordamerika die Zuversicht auf die Erhaltung des ProduktionsmonopolS und auf die Er reichung der Vorherrschaft in der Baumwollinbustrie sich befestigt, um so mehr muß sich daher auch bei uns der energische Wille durchsetzen, das Rohmaterial für unser« Baumwollindustrie mehr und mehr auf eigünem kolonialen Boden zu erzeugen. Ein Vergleich der von England, Deutschland und Frankreich für das Baumwollversuchswesen in Afrika bis Ende 1309 aufgebrachten Mittel mit dem bisherigen Er gebnis dieser Kulturversuche, also der tatsächlichen Baum wollproduktion, ergibt folgendes: Mittel sind für Baum wollkulturversuche in Afrika bis einschließlich des Jahres 1909 aufgebracht worden von England 9,4 Millionen Mark, von Deutschland 1,7 Millionen Mark, von Frank reich 0,9 Millionen Mark. Als Folge der Kulturverfuche ist bis einschließlich des Jahres 1909 die nachstehende Baumwollprvdukfion erzielt worden: in englischen Ko lonien in Afrika 20,1 Millionen Mark, in deutschen Ko lonien in Afrika 4,3 Millionen Mark, in französischen Kolonien in Afrika 0,9 Millionen Mark. Hieraus ergibt sich, daß die gemachten Aufwendungen bei Deutschland in einem ganz besonders günstigen Ver hältnis zu dem Produktionsergebnis stehen. Wir können also die Hoffnung hegen, daß wir bei einer weiteren Be- kämpfung der Baumwollnot durch Produktion auf unserm kolonialen Boden in größerem Maßstab« und mit größeren Aufwänden auf dem richtigen Wege sind. k— At M« dl juMW> Km. Mit wie großem Stolze auck das jungtürkische Regime den Ruhm für sich in Anspruch nimmt, durch die Revo lution moderner Zivilisation und modernen Ideen im Lande des Halbmondes zum Sieg« verholten zu haben: auf dem Gebiete des türkischen Frauenlebens ist die poli tische Umwälzung ohne befreienden Einfluß geblieben, ja im Gegenteil, die türkischen Frauen empfinden »un die Leiden ihrer Stellung mit doppelter Härte. Gerade da» Eindringen moderner Ideen muß den tragischen Widerspruch zwischen Theorie und Praxis doppelt schmerz lich fühlbar machen. Das zeigt von neuem dar Bekenntnis einer jung türkischen FrÄu, die unter dem Namen Karaschebek Hanem im Figaro eine Betrachtung veröffentlicht, die einen fiesen und traurigen Einblick in die Stellung der gebil deten Türkin wirft. Erst kürzlich hat Munir Pascha in einem Pariser Blatte einen LobeshymnuS auf daö Leben der türkischen Frau gesungen, die von der Europäerin zu beneiden sei; diese sehr rosig gefärbte Schilderung war «S, die den Widersvruch der jungtürkischen Schrei berin erweckt hat: „Ich möchte Munir Pascha einmal sehen, wenn er zu unserem Haremsleben und zu unserer Abgeschlossenheit verdammt würde; er würde vielleicht seine Meinung wechseln, würoe begreifen, wie Grau in Grau und trostlos für eine intelligente und nur halb- w«gS gebildete Frau das Leben im Harem dahinfließk. Gewiß, wir lesen, das Lesen ist ja unsere einzige Zer streuung. Aber mit wem sollen wir einen nur Halbwegs ernsten Gedanken auStanschen? Die Gesellschaft der Män ner ist uns verboten, und wir sind umgeben von Frauen und Freundinnen, die zur Mehrzahl nie einen Unter richt, ja kaum eine Erziehung genossen haben, denn zur Zeit des alten Regime war es den Mohammedanern verboten, ihre Töchter nach Europa zu schicken, und die Gouvernanten, die man uns gab, waren fast nie ihren Ausgaben gewachsen. Unsere Gatten sind aufs Höchste erstaunt, wenn wir mit ihnen über einen Gegenstand sprechen wollen, der über die Grenzen deS sogenannten „weiblichen" Be reichs hinausgreift. Sie fliehen unseren Harem, der mit Kindern, Sklaven und Gesinde überfüllt ist, sie gehen ihren Geschäften, ihrem Berufe, ihrem Vergnügen nach, besuchen Diners, Bälle und Feste, die von Europäerinnen veranstaltet werden, von denen wir nur den Namen ken nen. Seufzend können wir dann die Berichte über jene eleganten Empfänge lesen, denen Leizuwohnen unS ewig versagt sein wird. Wir wissen als gute Mohammedane rinnen/ daß Umwälzungen sich nicht plötzlich vollziehen sollen, und wir verstehen auch, daß Jahrhunderte alle Bräuche durch den Fanatismus der Geistlichen und deS ni^ieren Volkes verteidigt werden. In unserem heiligen Buche steht nichts davon, daß wir Sklavinnen sein sollen- und der alte Brauch, der uns zur Finsternis und zur Verschleierung verdammt, hat feinen wunderlichen Ur sprung. Unser großer Prophet hatte nie daran gedacht- den Augen seiner Schüler das Gesicht einer Frau zu ver hüllen, bis er eines Tages durch die große Schönheit der Gemahlin eines seiner Freunde ^blendet wurde. Ihn ergriff eine solche Leidenschaft, daß er die Frau überredete, ihm zu folgen und so den Gatten zu wech seln. Aber dann kam ihm der Gedanke, daß sich da wiederholen könnte, und daß es für die Sicherheit des Liebhabers und Gatten gefährlich sei, die Schönheit seiner Geliebten allen Augen auszusetzen. Damals verfügte er, daß die Frauen verschleiert gehen sollten, um so die Geliebte den Augen der anderen Männer zu ent ziehen. Die Jahrhunderte haben jene Vorschrift gehei ligt, und wir Frauen des 20. Jahrhunderts müssen den Schleier tragen, weil Mohammed vor mehr als dreizehn Jahrhunderten einmal eifersüchtig gewesen ist!" Karaschebek Hanem spricht dann darüber, Ivie die niedrige Stellung der türkischen Frau wiederum auf die Männer zurückgewirkt habe, wie die Liebe dadurch alle Zartheit einbüßen mußte, und sie berichtet auch, wie kurz nach dem Sturze Moul Hamids ein junges Mäd chen von der Menge buchstäblich in Stücke zerrissen wurde, weil eS einen jungen Christen, «inen Griechen, liebte, und sich mit ihm verloben wollte. Die türkische Fran hat kein Bestimmungsrecht, die Eheschließung wird zu einer brutalen, leeren Förmlichkeit. „Man sagt, wir könnten unseren Gatten erwählen. Wir können nur den vorgeschlagenen annehmen oder ablehnen, das ist alles. Durch unseren dichten Schleier dürfen wir einen flüch tigen Blick auf den Mann werfen, den unsere Verwandten für uns erwählt haben, und wir kennen von dem künf tigen Gatten nicht mehr als seine äußere Erscheinung. Er weiß von uns nichts, kennt unS nicht, und wenn am Tage der Hochzeit unser Gesicht ihm mißfällt, so bringt schon der erste Augenblick dec Ehe den Anfang deS Ab scheus oder der Gleichgültigkeit, die bald zum Hasse wer den. Und trotzdem heiraten wir, denn unser Leben ist so eintönig, daß jede Wandlung willkommen bleibt. Ist unser Bräutigam schön und jung, so beneiden unS die Freundinnen, aber für eine zartere Natur bleibt es eine schmerzliche Stunde, wenn dieser Fremde kommt und uns aus dem Kreise der Familie hinwegnimmt." Was die jungtürkische Frau verlangt, ist nicht viel: eine ernst« und gute Erziehung, auf daß sie auch ihre Söhne erziehen könne, eine Erweiternng deS Familien kreises, der eS ihr ermöglicht, auch mit den Freunden ihrer Gatten und Brüder kameradschaftlich zu verkehren. „Ich weiß, was ich hier verlange, ist eine völlige Re volution. Aber eine wichtigere und größere Revolution als die, die die englischen Suffragettes erstreben, die englischen Frauenrechtlerinnen, die ihr Stimmrecht längst besitzen werden, ehe wir umglücklichen Schwestern aus dem Orient eine wirkliche Wandlung in unserer traurigen schattenhaften Lebensweise erfahren..