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208 Run schienen Herr und Frau Doktor Hännemann «es als die selbstverständlichste Lache von der Welt anzusehen, daß Johann Heinrich diesen Weihnachtsabend bei ihnen verlebte. Es wurde gar nicht viel darüber gesprochen — aber Johann Heinrich blieb richtig am Heiligabend in einer Familie, in der er nie verkehrt hatte, blieb ohne Gehrock und ohne viele Redensarten, — so leichtsinnig und form los war Johann Heinrich mit einem Male geworden! Hannemanns nahmen ihn mit in ihr Wohnzimmer, das heute ganz feierlich aussah mit dem großen, dunkeln Tänncnbaum und all den darunter aufgebauten bunten Spielsachen. Ta war am Fenster auch ein Heiner Tisch mit einem rosafarbenen Ballkleidchen und einer Gedicht sammlung. Johann Heinrich ahnte sofort, daß das für die Tante bestimmt war, und interessierte sich lebhaft dafür. ' . Ucbrigens wurde er stark von Doktor Hannemann in Anspruch genommen und beschäftigt. Er mußte auf eine Trittleiter steigen und die schiefgewordenen Kerzen am Baum gerade stellen. Er mußte bunte Bilderbogen und Tmrnenzwcige ringsum an den Wänden anbrinaen und bewies sich bei all diesen Verrichtungen als. recht willig und ungeschickt. Nun schickte Doktor Hannemann auch seine Frau hin aus, um ihr sehr geheimnisvoll einige Geschenke aufzu bauen, die sie schon Längst entdeckt und begutachtet hatte. Johann Heinrich mußte derweil die Lichter des Baumes anziinden. Tann kam es die Treppe herunter wie viele ungeduldig trappelnde Sinderfüßchen und wie ein weiches Rauschen von Frauenkleidern. Tas alte Weihnachtslied „Vom Himmel hoch" wurde draußen auf dem Flur angestimmt, Doktor Hannemann klingelte dreimal ganz gewaltig — dann kamen sie herein, paarweise, wie das bei Hannemanns Brauch war, erst die Kleinen, dann die Großen, und Johann Heinrich trat zurück hinter den Dannenbaum, damit niemand merkte, wie weich ihm ums Herz geworden war. Ucbrigens bekümmerte sich zunächst niemand um ihn. Hannemanns feierten ihren Weihnachtsabend so kräftig, jubelnd und lärmend, wie ihn nur eine gesunde, kinder reiche Familie feiern kann. 'Tie Tännte war einen Augen blick außer sich vor Entzücken über ihre köstlichen Ge schenke. Tann lebte sie aber nur noch für die Kinder, hockte zwischen ihnen an der Erde, zog sämtliche Puppe» ans u nd wieder an und ließ einen Eisenbahnzug gegen alle Möbel anrennen. Tie Hauptperson war durchaus nicht Johann Heinrich, sondern Hansi, der sich nach der über standenen Gefahr unendlich wichtig vorkam, lange Ge schichten von „dem Polizei" erzählte, für seinen Retter aber eine wohlwollende Zuneigung zu empfinden schien. Tiefe ortete später in eine solche Zudringlichkeit und Aus gelassenheit aus, daß er gegen neun Uhr auf Befehl seiner Mnttcr laut heulend zu Bett gebracht wurde. Lc.nn aßen die großen Leute, etwas feier-müde, in deut kleinen Eßzimmer zu Abend, und Johann Heinrich hatte dave- die brennende Sehnsucht, eine eingehende Unterhaltimg mit der Tante anzuknüpfen. Nur wußte er durchaus nicht den richtigen Anfang dazu zu finden und mußte geduldig alle alten Schnlgeschichten anhören, die Dr. Hannemann seelenverguügt ans ihrer gemein samen Vergangenheit ausgrub. Aber als sie nach Tisch miteinander im Weihnachts zimmer saßen, fand Johann Heinrich doch das richtige Thema: Hansi Hannemann! Er wagte es, Tante Frida, die so reck»t hell und jung vor ihm unter dem dunkeln Tannenbanm stand, geradezu anzureden mit der großen Bemerkung, daß Hansi doch ein reizender Junge sei. Sie wurde sofort ganz berdet und setzte ihm Hansis Vorzüge, Täten und Abenteuer in einer längeren Rede auseinander. Es wurde Johann Heinrich sehr leicht, darauf einzugehen und herzlich darüber zu lachen, und so rourden sie denn sehr vergnügt und unbefangen miteinander bei diesem interessanten Thema. Als Johann Heinrich Abschied nahm, klang sein Tank so ehrlich, und er bat so herzlich, sich bald einmal nach Hansis Befinden erkundigen zu dürfen, daß Frau Doktor Hannemann sonderbare Gedanken kamen. Ter Hausherr meinte später: „Da hat unser Hansi ja! mal wieder ein Wunder vollbracht. Ich hätte nie gedacht, daß dieser steifleinene Johann Heinrich doch auch so feine netten und gemütlichen Seiten haben kann!" Worauf Tante Frida den Kopf zurückwarf und erklärte, daß sie Johann Heinrich überhaupt noch gar nicht steif und langweilig fände, und daß er sehr gut gegen Hansi ge wesen wäre. Als Johann Heinrich wieder vor seiner hohen, dun keln Haustür stand, war ihm zumute, als hätte er viel «er lebt, viel Schönes und Wunderbares. Er zog seinen gro ßen, kunstreichen Hausschlüssel aus der Tasche — da schlug die Uhr auf dem Marienkirchturme zwölf. Johann Hein rich horchte still, wie die zwölf langsamen, lauten Schläge feierlich über die weiße Stadt hin schallten. .Und als - es ausgeschlagen hatte, war ihm eins ganz klar ge worden: Heute hatte er gefunden, tvas er so lange suchte, die große Liebel Ties junge, sonnige Mädchen war die Rechte, die Eine! Er beugte demütig und dankbar sein Haupt und trat dann stolz und siegesgewiß mit seinem jungen Glücke in sein altes Haus ein. Und dieser frohe Weihnachtsglaube hat ihn nicht be trogen. Es ist freilich nicht so himmelhoch jauchzend weitergegangen. Es kamen graue Tage, an denen er sich fett st viel zu alt und langweilig für solch ein blühendes Geschöpf vorkam und überzeugt war, dqß sie ihn nicht haben wollte — wenn er je den Mut finden würde, sitz zu fragen! Und es kamen öde Wende, an denen ihm durchaus kein triftiger Grund einfallen wollte, Hanne manns schon wieder zu besuchen! Wer glücklicherweise war Doktor Hannemann in solchen Sachen kein Unmensch, und seine Frau eine gan§ kluge und, wenn es sein «mußte, sogar diskrete Dame. So luden sie den Johann Hein rich zuweilen zn sich ein und redeten nur miteinander! über diese höchst interessante Angelegenheit. Wer das Beste "für Johann Heinrich wär doch in dieser Zeit, daß sein persönliches Freundschaftsverhältnis zu Hansi Hannemann ihm gestattete, diesem jungen Manne häufig üppige Geschenke zu bringen oder ihn zu Spazier gängen und Schlittenfahrten abzuholen und nachher wie der in der Kinderstube bei Dante Frida abzuliefern. An dem großen Tage, Ende Februar, als Hansi ganze vier Jahre alt wurde, hat Johann Heinrich den Mut und' wohl auch das rechte Wort gefunden, denn Dante Frida! hat ganz einfach „ja" gesagt. Im wunderschönen Monat Mai hat er dann seine, junge Frau heimgeführt in fein altes Haus, das merk würdig freundlich und hell geworden ist, mit allerlei neuem Mistrich und Aufputz und den vielen hübschen Siebenfachen der jungen Frau Pleskow. Und wenn nun wieder der Weihnachtsabend ins Land kommt, dann ist dort im großen Festsaale unter einem hohen Dannenbaum eine ,reiche und bunte Bescherung aufgebaut, für die Hausgenossen und für alle kleinen Hannemanns aus der. Lindenstraße. Und wenn Hansi und seine Geschwister, dann das alte Haus mit ihrem Lachen, Singen und Lärmen füllen, dann klingt dieser Kinderjubel Johann Heinrich Pleskow und seiner jungen Frau wie die süße Vorbedeutung eines eigenen Glückes, auf das sie heuttz schon leise hoffen, und das ihnen die Weihnachtsabende! der Zukunft verklaren wird! Truck und Verlag von Langer t Winterlich, Riesa. — Für die Redaktion verantwortlich: Hermann Schmidt, Riesa. Erzähler an der Elbe. Belletr. Gratisbeilage zu« „Riesaer Tageblatt" Rr. LS. Ries«, He« S4. Dezember 1909. Ms Schn HckM UtÄ« « MWMeii «ksniei sä. Von Regine Busch. Schluß. Johann Heinrich hatte sich auf der Diele mit Pelz und Zylinder zum Ausgeheu gerüstet. Jetzt öffnete er die Küchentür. „Ich komme erst spät wieder, Johanna; kein Wendessen für mich und nicht ausbleiben! Machen Sie sich einen vergnügte» Abend heute zusammen; Sie können sich noch eine Flasche von meinem Tischwein Keraufholen. Und hier, dies, ist dann Ihr Weih nachten ..." Er legt: zwei mit Aufschrift versehene, sorgsam ver siegelte Geldröllchen auf den Tisch und ging schnell hin aus, ohne den Tank der beiden abzuwarten. Seine Schritte auf den Steinfliesen der Tiele klangen hallend wieder in dem leeren Hause. Er öffnete die fchwectz Haustür und sah bedächtig ins Wetter hinaus. Tie letzten Tage hatten erst Schneefall, dann scharfen Frost gebracht Die'Weihnachtsbäume standen, wie cs sich gehört, stolz und aufrecht in Mauern von weißem Schnee an allen Straßenecken und freien Plätzen der alten Hansestadt. Heute abend hatte der Frost fast aufgehört. Als ob morgen am Feste alles recht rein und weiß sein sollte, kam es nun vom Himmel herunter in lauter weichen, weißen Sternchen, die lustig aufblitzten, wenn sie das Laternenlicht beim Niederfliegen streiften. Die ernsthaften, Kockgiebeligcn Häuser trugen närrische Schneekappen, und Johann Heinrich wollte es einen Augenblick scheißen, als ob die alte, enge Straße heute abend im Schnee sonder bar feierlich und ganz weihnachtlich aussähe. Ms er sich dann nmwandte, um d.e hohe, in Eichenholz gefügte und geschnitzte Haustür ins Schloß zu ziehen, sah er das große, schlichte Kupferschild daran im Laternenlichte glänzen — Johanna hatte es wohl zum Feste besonders schön geputzt —, und er las langsam die eingeätzten Buchstaben: Johann Heinrich Pleskow. Derselbe Name grau und träge seine Wasser zur nahen Nordsee ivälzte, stand nnten auf den mächtigen Speichern am Flusse, der er stand auf den Säcken, Kisten und Fässern, die dort lagerten, und auf dem stolzen Dampfschiffe, das nach glücklichen Sommcrfahrte» hinauf nach Riga und Peters burg nun im Hafen seine Winterruhe hielt. Er stand geschrieben in den Archiven und Chroniken der Stadt, in den Listen der Bürgermeister und Senatoren und auf den groß.n Grabplatten in der hohen Marienkirche. Jedes Kind der Stadt kannte diesen Namen, und die Erwachsenen pflegten lhn in „Johann Heinrich" abzukürzen, als ob gar kein anderer Johann Heinrich daneben in Frage kommen könne. Und für das ganze Leben dessen, der ihn jetzt trug, hatte dieser Name eine tiefe Bedeutung gehabt. Es war ihm so oft gesagt worden, welch ein Glanz der Vergangenheit darauf ruhe, und welche ernste Pflicht für die Gegenwart und große Verantwortung für die; Zukunft ihm m.» diesem Namen vermacht sei, daß er ihn schon als Kind manchmal als ei»e schwere Last empfunden hatte. Als dann seine Jugend ihn leichtsinnig und lustig machte, als er mit achtzehn Jahren in Antwerpen aufing, das Leben und den langen Namen leicht zu nehmen — da war lein Vater plötzlich gestorben. Er mußte heim und hatte dann als einziger Sohn und Inhaber der Firma das Leine getan, um Geschäft und Nam« hoch zuhalten. So war er im Verlaufe von weiteren zwmrzig Jahren der tüchtige, angesehene, etwas langwellige ruck» philisterhafte Großkaufmann und Reeder geworden. La» heißt, er war nach Anlagen und Erziehung gewiß ein großer Pedant und ehrenwerter Philister, aber es steckttz auch ein Idealist in ihm, ein ganz törichter Geselle, der glücklicherweise meist gedrückt und klein gehalten »ourdtz, der sich aber heute am Weihnachtsabend ganz breit und wichtig machte und dem armen Johann Ainrich all seine gewohnte Gemütsruhe nahm. Es war eins ganz dumme und überflüssige Sache i« Johann Heinrichs Leben, dieses Stückchen Idealismus, das ihn zwang, heute abend im Schneewetter Krauß« herumzulaufen, und ihm nicht erllmbte, bei Petersen» „in der Familie" Weihnachten zu feiern, daS überhaupt schuld daran war, daß er noch immer nicht passend und vernünftig verheiratet war! Den« seit Johann Hein rich für Geschäft und Firma und Namen leben mußte, hatte sich alles, was er an Träumen, Wünsche« und Idealen besaß, auf die eine Hoffnung und Sehnsucht beschränkt, einmal eine große, echte Liäe zu haben urü> sich dann die Eine, Reine, Zukünftige zur Hausfrau z« gewinnen. Aber fi« waren alle so ganz ander- wie da» Helle, junge Bild, daS ihm vorschwebte, die gut etzoaenen und gutgeklcideten Töchter der „ersten Gesellschaft" seiner Vaterstadt, dir er jeden Winter auf den Diners und Bällen traf. lind wenn er dann im Sommer seinen Koffer packttz — er reiste jedes Jahr vier Wochen ins Hochgebirge —, dann redete ihm sein Idealismus fröhlich ein, er werde die Rechte diesmal sicher finden mch heimbringe«. Aber wenn Johann Heinrich dann allein heimkehrte «md wieder nichts Besonderes draußen erlebt hatte, dann zähmte und knebelte er seine törichten Wünsche und Gedanke« und war für eine Weile nur der praktische Geschäftsmann, die passenden Partien der Stadt für sich im Auge behielt. Nun. daß von Zelt zu Zeit all die dumme, weich« Sehnsucht wiederkam! Gut, daß wenigst«- niemals wußte, wie es mit ihm stand, — nur ihm selber war «8 im Lauf.' der Jahre klar geworden. Auch feine Mutter hatte ihn nicht verstanden und war in der tröstliche« Ueberzeugunz gestorben, daß ihr Dod gewiß den Loh« veranlass« werde, sich im Interesse seiner Gemütlichkeit bald eine passende, gute Hausfrau in sein ödes Haus zu holen. ' Seitdem waren Meder Jahre ins Land gegangen —* und Johan» Heinrich war an diese»» Weihnachtsabend' noch immer allein. Ten Pelzkragen aufgeklappt, die Hände in den Rocktaschen, ging er die Straße langsam hinab. Es war kein vornehmes Viertel hier, die hohe«, alte,» Kaufmannhäuser hatten ihre besten Lage schon ge sehen. Tie meisten enthielten üur Kontore oder waren an kleine Handwerker vermietet, denn die wohlhabende« Familien bauten sich lieber draußen in de« luftig« sonnigen Vorstädte»» an. - Und zwischen dies« alten, statt liche», zum Hafen Hinabführerchen Straßen lag ein Gewi« von Gäßchen, Höfen und „Gängen", daS richtige Arm« leuteviertel der Stadt, und dorthin ging Johann Heinrich Pleskow jetzt. -- Natürlich war daran Meder der Idealistin iHmschillh, der ihn glauben ließ, er würde, wie am vorigen Hellist abend, verstohlen «in paar harte Aller auf eine Aenst«« bank legen können ober einem frierenden Kinde fein«