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2 — lS4 155 De.intz Mutter,, Raffenauflage« für Rotationsdruck. Fünfzehn Jahre später. Doktor Heinz von Arnold an seine Mutter. Berlin. „Ein getreues Herze wissen." Novelle»« zur Erinnerung an den 300. Geburtstag des Dichters Paul Fleming (5. Oktober). Bon C. Gerhard. In der geräumigen Hinterstube eines verräucherten Gebäudes der alten Stadt Leipzig ging es an einem stürmischen Märzabenö des Jahres 1633 geräuschvoll zu. Da saßen mehrere Söhne der Alma matcr beim schäumen den Gerstensaft. Aber die Mienen waren finster, die Stimmung war erregt und trübe; der böse Krieg, der nun schon so viele Jahre währte, hatte auch tiefe Schatte» auf die Universitätsstadt geworfen. „Die Kriegsgöttin ist eine launische Dame!" rief einer der Studcisten bitter. „Welch ein Jubel herrschte im September anno 31, als das Heer des Kurfürsten, vor« Heldenkönig Gustav Adolf unterstützt, die Mordbrenner unter Tilly nach der glorreichen Schlacht bei Breitenfeld aus dec Stadt trieb! Kaum ein Jahr darauf nahmen die Kaiserlichen wieder unser teures Leipzig ein, plün derten es — > Zu aller Schmach kam dann noch die Pest durch die fremden Söldner zu uns! Man ist seines Lebens nicht mehr sicher! „Und die Musen verhüllen trauernd ihr Haupt, oder, wenn sie ihre Stimmen noch erheben, so werden diese doch übertönt vom Getöse der Aussen, von den Klagen der Sterbenden." „Umsomehr ziemt es uns, Herz und' Sinn zum Ewigen zu erheben," sagte mit tiefem Ernst der junge Magister Paulus Fleming und strich sich die dunklen Locken aus der Stirne. „Er wird uns aus dieser finstern Zeit heraussühren, wem. es wohl auch noch eine Weile dauert. — Vielleicht haben wir Deutschen es verdient, daß man uns knechtet. Wo ist unser froher Mut, unsere Kraft, das alte Reich unserer Väter zu schützen?! Ach, mich jammert das Vaterland!" Er stützte das Haupt in die Hand und sah trübe vor sich hin. Ter Grimm erfüllte ihm die Seele, und wie alles, ivas ihn bewegte, mußte er ihn in Verse ergießen. Me gebannt hingen die Zecher an feinen Lippen, als er in bitterm Schmerz rezitierte: Jetzt fällt man uns ins Mahl, in unsre vollen Schalen, Me man uns jüngst gedräut! Wo ist Nun unser Mut? Wer ausgestählte Stinn? Das kriegerische Blut es fällt kein Ungar nicht von nnserm eitjltzn Prahle«! Mmer ssgMstt — Amtsblatt — Fernsprechstelle Nr. 20. Telegramm-Adreffe Tageblatt Riesa. das ist doch ein gewaltiger Unterschied, und wenn ich Dich nicht abgebe an ein Mädchen, welches mir sympathischer wäre als Schwiegertochter, ich heiße auch die, deren Wesen mir fremd ist und stets fremd bleib« wird, dennoch herz lich willkommen als meines einzigen Sohnes Braut. Ich hätte lieber einer, in der ich mehr Gemüt, Mehr Zartheit und Innerlichkeit fände, den ersten Platz in Deinem Herzen abgetreten, von dein ich nun gewichen bin — aber wenn Du nur glücklich bist — in Deinem Glück liegt allein meine fernere Zufriedenheit! Es ist mir eine große Freude, daß Dein Schwieger vater, ein so berühmter und bewährter Mann, sich Deiner Zukunft annimmt, aber — lieber Heinz — lasse auch Du es nicht fehlen an Streben, damit Du nicht alles im Be ruf Deiner Frau verdankst! Das lähmt pnd hindert oft den freien Geist, und den — ich bitte Dich — laß Dir nicht lähmen! Daß ich nach Berlin komme, .verlange nicht, mein lieber Junge, wenigstens vorläufig nicht! Und wenn ich komme, dann werde ich, wie immer, im Hospiz wohnen, so lieb eS auch von Deinen Schwiegereltern ist, inich ein zuladen, Du weißt. Deine Mutter ist gern selbständig. Das Haus Bindemann imponiert mir nicht durch seinen Reichtum und seine Großartigkeit, aber ich würde mich ungemütlich dort fühlen, denn die Atmosphäre ist dort frostig. Und ich habe es nie gern in frostiger Umgebung ansgehalten. Ich habe nun wieder etwas „Neues" zu denken in meinem, in alten Gleisen gehenden Leben: ich soll mir meinen Heinz als Bräutigam vorstellen. Noch kommt mir der Gedanke schwer vor, aber — auch das überwindet sich. Ich habe schon viel im Leben überwunden, oft gab's einen glänzenden Sieg, oft nur einen recht kleinen und Kenig glorreichen. Das Letzte, was es nun zu über winden gibt, ist, daß ich auf den Wunsch verzichten muß, der mir alle die schweren Ttennungsjahre von meinem „Einzigen" erleichtert hat: Dich hier als Arzt zu sehen. Ich muß Abschied nehmen von dem Zukunftstraum, den ich oft geträumt habe, daß ich Dich täglich sehen würde, auch wenn Du nicht bei mir Dein Keim hättest, daß iich mithelfen könnte in der Pflege Deiner armen Kranken. Das sollte meiner letzten Lebensjahre Ziel und Inhalt sein. Das Schicksal und Dein Wunsch ruft Dich an eine andere Stelle, in die Klinik Deines berühmten Schwiegervaters. Möchtest Du, es sei, wo es auch immer sei, reiche Freude und Erfolg in Deinem Berufe finden! Was sind Mutterwünsche und Mutterträume gegen wichtigere Fragen, die hier mitsprechen! „Des Menschen Wille, das Hst sein Glückt", das Tichter- wort hak doch viel Wahrheit, und deshalb müssen, wollen wir ernsthaft unserer erwachsenen Kinder Glück, unsere Wünsche schweigen. Ich habe heute — wenn Du es Willst, zum letzten Male — so geschrieben, wie es mir ums Herz ist: Du weißt, ich habe nie, auch als Du noch jung und ohne Erfahrung wärst und nur Dein Herz sprechen ließest, niemals ein Geheimnis vor Dir gehabt und' Du auch keines vor mir:, denn daß Du mir von Deiner erwachenden Liebe zu Ruth Bindemann schreiben solltest, kann'die Mutter Ncht gut verlangen. Und darum, lieber Junge: laß uns auch fortan keines voreinander haben! Glaube mir, daß ich stets dieselbe für Dich bin, die ich war, und daß ich Deinetwegen mit Ernst und Treue versuchen will, auch für Deine Ruth mütterliche Gefühle zu haben! Nochmals Euch beiden viel Glück und' Segen, seid reich in gegenseitiger Liebe und Verständnis ! Schreibe mir bald und oft! Dein Glück War mein Glück und Mrd da« Glück der nun ganz vereinsamten FrM bleiben,- Die Buchdrucker«» von LsiMLMteM (T. Langer und H. Schmidt) Riess Goctheftraße Nr. 59 hält sich zur Anfertigung nach stehender Drucksachen bei sauberer Ausführung und billigsterPreiS- stellung bestens empfohlen. Avise Adreß- und Geschäfts karte« Briefköpfe, Briefletsten Bestellzettel Broschüren, BtlletS Deklarationen Dauksagungs» und Einladungsbriefe Einlatzkarke« Etiketten aller Art Fakturen, Flugblätter Formulare in dtv. 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Ich werde Ilse in einigen Wochen, wenn hier alles geordnet ist, folgen, um mich in Gellings- Hausen als Arzt ntederzulassen. Ich habe gestern die Scheidung von meiner Fran eingeleitet — unsere Wünsche kamen sich hier einmal entgegen. Ruth läßt mir das Kind, das war meine, einzige Bedingung, und sie hat sie' ohne Zögern erfüllt. — So wird nun der Plan, den Wir einst zusammen gemacht, sich doch noch verwirklichen, meine liebe, alte, kluge Mutter — anders, ganz anders zwar, als wir gedacht! Vielleicht gelingt es meinen: Kinde, Deinem Lebensabend wieder etwas Sonne zu geben. Wie immer Dein Heinz. ihr warst, wie ich erwartete. Aber dann sägte ich mir, daß »eine Ruth allerdings -an-, ganz anders ist wie die Mgen Mädchen, die Du kennst, anders wie die Damen »an Gellingshause», «nd daß sie Wohl überhaupt nicht »in Lesen ist, daK andere Wesen gleich bestrickt, wie es bisher alle junge« Männer bestrickt hat, die im Hause ihres Vaters verkehren. Sie ist Dir vielleicht etwas kalt »»schienen, aber ist ist eS nicht; Was bei ihr als Kälte wirkt, ist nur weibliche Zurückhaltung, die sie nötig hat, um all die Bewunderer, die sie stets gehabt hat, in Schranken zu halten Daß Ruth sehr schöu und sehr klug ist, hast Tu mir, liebste Mutter, selbst zugegeben, und Du wirst es begreifen, daß ich sehr stolz bin, die gefeiertste Dame unserer Berliner Professorenkreise nun meine Braut nennen -« dürfen. Daß sie gerade mich gewählt unter all den Bewunderern, das wird auch Dir, liebste Mutter, hoffent lich der beste Beweis dafür sein, daß sie mich liebt Na türlich wäre es nun mein großer Herzenswunsch, daß Du Nein zukünftiges Schwiegertöchterlein so bald als möglich .kennen lernst, und da soll ich Dich nun zugleich im Namen meiner Schwiegereltern und meiner Braut recht herzlich bitten, uns. doch hier die Freude Deines Besuches zu machen. Sobald Du mir Deine Einwilligung mitgeteilt hast, wird mein Schwiegervater noch selbst an Dich schreiben, um Dich einzuladen. Ich weiß, natürlich, daß eS richtiger wäre, ich führte Dir meine Braut zu, liebe Mutter, Dir wird es selbst angenehmer sein, den für Dich «it Liesen Logierbesuch in Deiner kleinen friedlichen Häuslichkeit verbundenen Umständen und Arbeiten ent hoben zu fein. Dtt haft ja selbst gesehen, wie großartig, beinahe fürstlich der Haushalt meines Schwiegervaters ist. Hoch — etwas, sehr verwöhnt ist meine Ruth, das kann ich nicht leugnen. Ich glaube, ihr würden die Verhältnisse iu GellingShausen ganz merkwürdig Vorkommen. Aber selbstverständlich, sobald es Dein Wunsch ist oder Tu Dich nicht kräftig genug zu der Reise fühlst, wird Ruth Dich gern besuchen. Natürlich habe ich gestern gleich mit meinem Schwieger vater über meine Zukunft gesprochen, und da muß ich Dir, «eine gute Mutter, nun etwas mitteilen, was, fürchte ich, Nir -«erst eine kleine Enttäuschung bereiten wird, aber sicher nur zuerst, denn Lu wirst einsehen, welche großen Hvrteile sür mich der Mwsch meines Schwiegervaters hat. Ich soll hier bleiben in feiner Klinik als jüngster Assistent, und er ließ durchblicken, daß es ihm, da er keinen Loh» hat, eine Freude wäre, wenn en dem Manne seiner einzigen Tochter dereinst sein Werk hinterlassen könnte. Vorerst soll ich hier bei ihm erst noch meinen Doktor machen, dann will er mich nach München zu feinem! FktUnde, dem berühmten Professor G., empfehlen, damit ich noch ein Jahr bei ihm arbeite».und dann spätestens tu -Sei Jahren Werden wir heiraten. Also, mein gutes Mütterchen, Du siehst, was für ein Glück in jeder Be- -iehung ich hatte, als ich meine Ruth fand — Was andere junge Reizte nach jahrelangen Kämpfen und Arbeiten nicht erreichen, das fällt mir so mit einem Male in den Schoß. Daß Ruth sich niemals in Sellingshausen wohl fühlen Wüttw, absolut nicht in die Kleinstadt paßt, und daß sich die Eltern nicht von ihrer Tochter trennen wollen, k-unt», ist natürlich her Hauptgrund des Anerbietens meines Schwiegervaters, wenn er mir auch viel Schmeichel- hosteS über meine Fähigkeiten sagte. Und nun, mein I^eS Mütterchen, bitt« ich Dich von ganzem! Herzen: zieh hierher nach Berlin, damit Du unH nahe bist! Mr Merke« Dir schon eine hübsche Wohnung ganz in unserer Nähe mieten, und D« sollst sehen, auch hier gibt es schöne Spaziergänge und läßt es sich gemütlich leben. Boe alle» aber schreibe bald, Nänn Du hierher kommst, Nm« lönne» Mir j« hier «och alles besprechen! Ich grüße «ud küsse Dich herzlich. Mein gute-, altes MüMrche», «ch bestelle Dir viele SrAhstvon meiner Ruth. dcknkbcktt!»! Sähst Delntzi ' Frau von Arnold an ihren Sohn. ' , / Geltingshausen. Mein lieber Heinz! Zum ^ersten Male heute in allen diesen Jähren — konnte ich nicht gleich den Anfang zu diesem Briefe fin den. Seit ich die Depesche und vor einigen Stunden Deinen Brief erhielt, stürmten zu viel Gedanken, Wünsche und — Entbehrungen auf mich ein. — Wenn wir auch die Kinder und die. Söhne wachsen und selbständig werden sehen, wenn sie längst die Schwingen zuin großen Flug in die Welt geregt haben, — es ist doch ein ganz Eigenes Acfühl, wenn nun die letzte Stufe erstiegen ist, wenn sie die erste Staffel eines Berufes erreicht haben, wenn unsere Hoffnungen erfüllt sind, unsere Befürchtungen unnütz waren. So ist es mir bei jedem Deiner Examen er gangen, als Du .Abiturient wurdest, als Du Tein Physi kum machtest — zuletzt beim Staatsexamen. Nun bist Du am Ziel Deiner Wünsche. Lieber Heinz — das ist ein großes. Wort, denn Du weißt ja, daß mit dem er reichten Ziel nun erst recht das Borwärtsstreben beginnt. Am Ziel auch, da Dein Brief mir berichtet, daß Du Dir eine Lebensgefährtin gewählt und errungen hast. Daß mein ganzes Herz nur des Glückes Fülle sür Dich und Deine Braut wünscht, das weißt Du selbst, das brauche ich Dir nicht zu sagen. lind es ist weder kleinliche schwiegermütterliche Eifer sucht von mir, koch Mangel an Verständnis für Deine! Eigenart und anders geartete Natur, wenn ich Dir, offen, wi; wir immer gegeneinander gewesen sind, sage, daß Ruth Bindemann ein ganz hervorragendes Mädchen, ge wiß klug und geistreich ist, daß Du gewiß glücklich bist — von ihren Bewerbern der Bevorzugte zu! sein — daß ich doch lieber eine weniger glänzend, vielleicht auch eine weniger schöne Schwiegertochter gehabt hätte, denn, was ich an ihr vermisse, vermißt habe inj dem ersten Augen blick, als ich sie kennen lernte und später bei gelegent lichem Zusammensein — das ist Herz und Gemüt. Viel leicht lächelst Du jetzt über Deine altmodische Mutter und meinst, daß ihre Ansichten nicht mehr zeitgemäß sind, daß man von dem ehemaligen sentimentalen Frauenideal end gültig Abschied genommen hat. Lieber Heinz, ich bin niemals eine Freundin jener übertriebenen Sentimentalität und Weltfremdheit der Mädchen und Frauen gewesen. Ich hake die Morgenröte der neuen Zeit, die nicht nur „Blumen" in den Frauen sah, denen jede Berührung mit denk wahren Leben Gefahr bringt, mit Begeisterung be grüßt und es tief bedauert, daß auch dä wieder viel über das Ziel hinaus gestrebt wurde. Waren in früherer Zeit die Frauen zu weich, jetzt sind sie vielfach „zu hart" geworden. Nicht im Strubel des Kampfgetöses, sondern mehr denkend und abwägend, darüber stehend, ist mir der Unterschied wohl klar ge worden, und ich meine auch, das ist nicht das rechte. Ich würde, darin irrst Du nun doch, mein lieber Heinz, ein so gefeiertes, in solchem Elternhause ausge wachsenes Mädchen, Sie Ruth Bindemann, niemals mit den Mädchen einer kleinen Stadt dergleichen, ich weiß auch, daß sie nicht hierher passen würde in das immer hin nur kleinere Heim eines Arztes, sie, die täglich sieht, welch' Weihrauch ihrem Vater, ihren Eltern gestreut wird. Mädchen, die in solchem Hause aufwachsen, auch in so reichen, pekuniären Verhältnissen, können sich gar nicht in andere schicken und fügen. Ich liebe keine poetischen Ver gleiche, aber hier drängt sich mir einer aus. Wie eine fremde Orchidee würde' Deine Frau hier unter einheimi schen schlichten Blumen stehen und — das Erde ich auch nicht wollen — nicht für sitz und erst recht nicht für Dich. Denn das llnbefritzdigtsern einer Frau, auch im gesell schaftlichen Leben und'in Kreisen, die ihr nicht änstehsn, bringt leicht! eine, vielleicht nur ganz Keine Unbefriedigt- heit in ditz Ehe — undsWr beide seid es^die miteinander glücklich werden sollen. Richt ich ! Mutter: ünv Fran