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1. Beilage znrn „Riesaer Tageblatt". Rotationsdruck und Verlag von Langer L Winterlich in Riela. — Für die Redaktion verantwortlich: Hermann Schmidt In Nie!«. SS4 Mittwoch, 3». Oktober 1807, abends. 60. Jahrg. Reformationsfest. Die Tat Dr. Martin Luthers am 31. Oktober 1517 hat weltgeschichtliche Bedeutung. Wohl ist schm zu oft trtiederhiotten Malen darauf hingctvicsen Worden, daß der Wittenberger Augustinermönch mit jenen 95 Thesen, die er an die Tür dier Schlioßkirche zu Wittenberg anheftet:, zunächst nur eine akademische Disputation über dien Ablaß in die Wege leiten Wollte, und sicherlich ists sich Luther damals am Vorabends des Mlerheiligentages über dir eigentliche Tragweite seines Vorgehens nOchs keineswegs im klaren gewesen. Tas ändert aber nichts an dem grundsätzlichen und bleibenden Werte dieser Stveitsätze. Erscheinen sie doch schon den sofort begierig aufhorchenden Zeitgenossen wie wuchtige Posaunenstöße gegen das mittel alterliche Rom. Man muß nur bedenken, Was in einer Zeit, wv die römische Gewissensbindung sozusagen der Grundtto-n der offiziellen! Frömmigkeit war, Erklärungen wie diese bedeuteten: „Ta unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: tut Buße, so hat er gewollt, daß des Christen ganzes Heben eine fortwährende Buße sei", oder: „Tie, welche glauben, daß sie durch Ablaßbriefe ihrer Seligkeit gewiß sind, werden mitsamt ihren Lehrern zum Teufel fahren", oder: „Ter währe Schatz der Kirche ist das Evangelium der Herrlichkeit und Gnade Gottes". Solche und ähUliche Thesen haben eine neue Zeit ein geleitet, und es hat darum seine tiefinnerliche Bedeutung, wenn wir jenes 31. Oktobers als des Beginnes der deutschen Reformation gedenken. Um ihre Segnungen alle im einzelnen aufzuzählen, müßte man dicke Bücher schreiben. Obenan muß jeden falls die große Hauptsache stehen, daß Luthers Werk einen vornehmlich religiösen Charakter hat. Aus den Tiefen eines nach Gottesfrieden ringenden Menschengewissens ist es geboren und gewachsen. Deshalb haben auch die Pro testanten aller Zeiten so fest an der Rechtfertigungslehre gehangen und immer wieder deren beide Brennpunkte be tont, die Gnade und den Glauben. Auch däs! Äußere Kirchenwesen ist umgestaltet worden, oder richtiger, man hat es versucht, im evangelischen Geiste eigene Gemein schaften mit eigener Verfassung und eigenem KUltus zu gründen; freilich der Traum einer deutschen evangelischen Reichskirche hat sich nicht erfüllt. Tie allgemeine Hebung der Kultur ist ebenfalls der Reformation zu verdanken, aus dem reformatorischen Geiste erwuchs eine neue Erweckung des geistigen Lebens in Deutschland. Die ganze Nationalkultur Deutschlands, wie sie sich im 18. Jahrhundert ausgebildet hat, ist daraus hervorgegangen, ebenso die sittliche Erweckung, die bis ins Innerste des Volkslebens gedrungen ist, der Moderne Staatsgedanke und die Freiheit der Wissenschaft. Tas durch die Reformation erzogene christliche Volk erwies sich in der Freiheit von priesterlichem Zwang, in der Freiheit der Gewissen, in der Freiheit von der Aeußerlich- keit der toten Werke, im Fortschritt dler Zeiten; mehr und mehr als zu jeder großen geschichtlichen Wirksamkeit be fähigt. Protestantische Nationen traten die Herrschaft über den Erdkreis an, kleine Völker übten dis größte ge schichtliche Wirksamkeit für längere Zeit oder gelangten zu dauernder geschichtlicher Größe. Tie staatlichen Ein richtungen zeigten hier ein Maß V0n freier Beweglichkeit und zugleich von fester Ordnung, das den andern! Völkern unerreichbar war, und dasselbe gilt V0n den Hervor- bringuugen auf dem Gebiete der Wissenschaft und der Literatur überhaupt, auf dem die protestantischen Völker mehr und mehr die Führung übernahmen. Unser Vaterland vor allem hat in diesem Sinne den Segen der Reformation an sich im reichsten Maße er fahren, und wenn es heute an innerer Ordnung und äußerer Macbtstellung unter den Reichen der Erde in der vordersten Reihe steht, so haben wir das der evangelischen Gesinnung und den aus ihr erwachsenen Einrichtungen, Kräften und Verhältnissen anr meisten zu verdanken, so daß wir allen Grund haben, am Resorinationsfeste des großen Reformators Luther und seines Werkes dankbar zu gedenken. — k— Tagesgeschichte. Am 31. Oktober wird die Matrose« s Artillerie auf ein 50 jähriges Bestehen zurückblicken. Die Bildung einer Seeartillerie-Kompagnie wurde nämlich am 31. Ok tober 1857 befohlen. Erste Garnison dieser 152 Mann starken Truppe war Danzig. Bald wurde eine zweite Kompagnie gebildet und nach Stralsund verlegt. Die Er- Werbung Schleswig-Holsteins und die Absicht, Kiel zum KriegShafen zu machen, führten zu einer abermaligen Ver größerung dieser neuen Truppe, die 1867 in eine See artillerie-Abteilung umgewandelt wurde. Nach weiteren zehn Jahren, 1877, wurden aus der Seeartillerie zwei Matrosen-Artillerie-Abteilungen gebildet, von Lenen die 1. in FriedrichSort vor Kiel und die 2. in Wilhelmshaven Garnison erhielt. 1886 wurde in Lehe die 3. und 1893 in Kuxhaven die 4. Abteilung gebildet. Einige Monate nach der Besitzergreifung KiautschauS, im April 1898 wurde dort ein Matrosen-Artillerie-Detachement stationiert, aus dem 1902 eine selbständige Matrosen-Artillerie-Abteilung hervorging. Ursprünglich war die Seeartillerie ein Mittel- ding zwischen Armee und Marine. Sie stand mit dem Seebataillon, das aus dem Marinekorps hervorgegangen war, in enger Verbindung. Nachdem sie zur Matrosen- Artillerie umgewandelt worden, ward ihre Aufgabe doppel ter Art. Sie besteht noch heute in dem Schutz der Kriegs- Häfen und der Besetzung der Küstenbefestigungen. Die FriedrichSorter Abteilung hat den Kieler Hafen und die Ostmündung deS Kaiser Wilhelm-Kanals zu verteidigen. Die Wilhelmshavener schützt den KriegShafen an der Nord see. In Lehe hält eine Abteilung die Wacht an der Weser und die Kuxhaoener schützt die Elbe-, sowie die West- Mündung des Kaiser Wilhelm - Kanals. Ein kleines De tachement hält Helgoland besetzt und die Kiautschauer Ab teilung soll der Verteidigung unseres „Platzes an der Sonne" dienen. Die Matrosen - Artillerie ist eine Land truppe, die nicht an Bord von Schiffen kommandiert wird. Ihr liegt auch die Ausführung von Hafensperren durch Minen ob. Der Dienst in der Matrosen-Artillerie ist über aus umfangreich und schwierig, sodaß für diesen Marinetetl nur besonders kräftige Leute aus dem Binnenlands einge zogen werden. Deutsches Reich. Nach einer Mitteilung deS „Kolonialblatt" soll die deutsch - südwestafrikanische Eisenbahn Lüderitzbucht— KeetmanShoop in ihrer ganzen Länge spätestens am 23 November 1908 betriebsfähig sein. Für jeden Tag der früheren oder späteren Erreichung dieses Zieles erhält oder zahlt die Baufirma 3000 Mark. Schon vor der Gesamt eröffnung der Bahn werden die einzelnen Teilstrecken als bald nach betriebsfähiger Herstellung soweit dem Verkehr übergeben, daß sie die jetzigen Fuhrparkkolonnen ersetzen. Zur Innehaltung dieses Programms ist eS nötig, stellen weise statt der endgültigen Bauwerke Provisorien auszu führen. Deren Auswechselung soll erst nach der Eröffnung der Bahn geschehen und nebst der vollständigen Ausstattung der Linie so früh beendet sein, daß die Hanptabnahme aller Anlagen am 30. September 1909 erfolgen kann. Mit dem 1. Oktober 1909 wird demnach voraussichtlich der regel- mäßige Betrieb beginnen. —k— Aus der sozialdemokratischen Organisation in Zehlen. dorf bet Berlin sind sechs „Genossen" ausgeschloffen worden, weil sie in dem von der Sozialdemokratie boykot tierten Lokale „Zum Fürstenhof" ein Glas Bier getrunken hatten. Erschwerend wird bei diesem Verbrechen wohl inS Gewicht gefallen sein, daß das boykottierte Lokal ausge rechnet den Namen „Zum Fürstenhof" hatte. DaS ist die sozialdemokratische „Freiheit"! Wer nicht pariert, der Meoi!" —k— Oesterreich - Ungarn. In Brünn sind die StraßcnbahüaU'gestellten wegen Ablehnung einer Lohnerhöhung in den Streik getreten. Ter Straßenbahnverkehr stärkt vollständig. Bisher ist die Ruhe nicht gestört wvrden. Dänemark. Ter Minister des Aeußern erklärte gegenüber den Ausführungen Tr. Möllers väm 23. ds. Mts. über dien dänisch-deutschen Vertrag betreffend die närdschleswigschen Optantenkinder, er hübe es für seist. Recht Und seine Pflicht angesehen, zu versuchen, die Lage der nvrdschleswigfchen Bewohner zu erleichtern. Ter Minister legte dar, daß deut Vertrag entsprechendlbisher 2834 Optantenkinder Und' außerhalb des Vertrages 356 Optanten in den preußischen Untertanenverband ausgenommen Morden seiend Er wolle auch ferner jede Gelegenheit benutzen, Zum Vorteil der NvrdschlesUiger wirken zu können,. - > . Rutzlaud. Ist Wladiwostok nahm' gestern früh ein Teil der Ge- meineN des Mineurbätaillfons, die von nachts angekom- menest Agitatoren Und einer Gruppe Zivilpersonen ge leitet Maren, in ihren Kasernen die Gewehrpyramiden auseinander und eröffnete Feuer gegen die Ka sern ist der ziwäi Kompagnien des 10. Schützen-Re giments standen. Als die Aufständischen gegen die Ka serne des Schützen-Regiments vOrgingen, wurde auf sie mit Maschinengewehren gefeuert. Tie Aufständischen lie fen auseinander und lieferten nachher die Waffen ab. Vvn dem MineurbataMon sind zwei Offiziere und zwei Feldwebel verwundet, ein Wachtsoldat getötet; von der Kompagnie des Schützenregiments wurde ein Soldat ge tötet. Unter den Aufständischen sind zwei Mann getötet, fünf verwundet WOrden, außerdem ist ein Zivilagitator getötet. Tas Mflitärbezirksgericht Verurteilte die Mörderin des Wirklichen Staatsrates vOn MaxiMowM, Chefs der In unä Lnnck verbreitetste Leitung. . .... .. Ner am mist? Roman von Viktor Strahl. 66 „Ich bin die Nachtwachen nicht mehr gewöhnt", sagte er, indem er sich aus den Stuhl zurücklehnke. „Mehrere Nachtstunden im Sattel — ein kurzer Schlaf — das machte mich früher nicht müde, aber jetzt! Das Alker meldet sich. Ich bin müde — es wird mir so schlummerig." Er sprang plötzlich auf, wurde leichenblaß und stützte sich mit der Hand auf die Stuhllehne. „Junge", sprach er mit gröhlender Stimme, „Du wirst doch das Schlafpulver nicht in unseren Kaffee getan haben?" Ernst hörte es nicht mehr. Das Haupt war ihm auf die Brust gesunken und tiefe Schnarchköne verrieten, wie fest er eingeschlafen war. Der Verwalter starrte ihn mit offenem Munde an — er selbst konnte die Augen kaum noch aufhalten. Wie Nacht umschwamm es ihn. Taumelnd ging er auf das Sofa zu, erreichte es aber nicht, sondern brach davor auf dem Teppich wie leblos, leise stöhnend, zusammen. Nach einem Weilchen wurde die Tür ein wenig geöff net — und der Kopf der Haushälterin erschien in der Spalte. Ein triumphierendes Blitzen der Augen, ein leiser Freudenschrei — uno hastig fuhr die Frau zurück, zog die Tür wieder zu und flog mehr als sie ging die Treppe hinauf. Sie fiel fast mit der Tür ins Zimmer und rief: „Sie schlafen wie die Token!" „Jetzt Ist das Feld frei!" jubelte Rosalie. „Nun auch keine Minute länger gezögert und gereist!" ,, > Sie sprang vom Stuhle. . Die alte Bettina, welche von ihr vorhin schon über die Lage unterrichtet worden war, faltete die.welken Hände pud murmelte: »Golt sei Dankst.'. ' ' - „Du vergissest die beiden Manner, Rosalie!" sagte der ebenfalls freudig erregte Baron. „Ich fürchte, wir werden mit ihnen noch einen schweren Strauß zu bestehen haben. Sie lungern vor dem Hause herum und jeder hak ein Ge wehr im Arm. Es sind verwegene Burschen, denen ein Menschenleben nicht heilig ist." „Vater, lass' uns beide hinunter gehen und ihnen das Gewehr abfordern!" riet Rosalie. „Ich wette, wenn wir mit einem geladenen Revolver in der Hand erscheinen, kriechen sie zu Kreuze." „Das bezweifle ich", verfehle der Baron kopfschüttelnd, „aber wir können es versuchen." Er erhob sich ebenfalls, nahm aus einem Kästchen zwei Revolver, von denen er einen seiner Tochter aab. „Scharf geladen, Papa?" Er nickte lächelnd. „Komm' nur, mein tapferer Adjutant." Sie verließen das Zimmer. Die Haushälterin folgte ihnen, am ganzen Körper bebend. „Herr Baron", sagte Frau Böhme, als sie im Haus flur angelangt waren, „bitte, warten Sie noch, bevor Sie sich in einen Kampf mit den Männern einlassen. Ich habe meinen Sohn heimlich nach dem Gute Althof zu Fräulein Ehlers geschickt, um Hilfe zu holen. Vielleicht kommt bald jemand." „Das war brav von Ihnen, liebe Frau Böhme!" er widerte der Baron. „Es ist aber ungewiß, ob bald je mand kommt. Wenn wir zögern, könnten die Hartmanns erwachen und wir hätten doppelt schweren Stand." „Fürchten Sie sich nur nicht!" sprach Rosalie und nickte der Haushälterin zuversichtlich zu. Sie gingen aus dem Hausflur. Die Haushälterin blieb zurück. Kaum hakten sie den Fuß über die Schwelle gesetzt, als ihnen einer der Männer enkgegentrat. „Zurück! Sie dürfen eins nicht verlassen!" Der Baron sah ihn strenge an und antwortete herrisch: „Wer hak hier zu befehlen? Sie oder ich? — den Weg frei, Mann, wenn Ihnen meine Kugel nicht willkom men ist!" - ' Dabei erhob er den Revolver. „Hoho! So haben wir nicht gewettet!" schrie der Mann und riß das Gewehr von der Schulter. In demselben Augenblick blitzte ein Schuß auf — der Mann ließ das Gewehr fallen, der rechte Arm hing ihm zerschmettert an der Leite. Er stieß einen Fluch aus und prallte zurück. Der Baron bemächtigte sich des Gewehrs und warf es durch die offene Tür ins Haus, wo es sich im Fallen donnernd entlud und einen dumpfen Widerhall weckte. Rosalie hakte mit sicherer Hand den Schuß zur rechten Zeit abgefeuert und stand nun mit hochgeröteken Wangen und blitzenden Augen kampfesfreudig da. „Hartmann! Hartmann!" schrie der Getroffene mit aller Kraft seiner Lunge, aber kein Hartmann erschien. Der andere Mann war vor Überraschung wie ver steinert. — „Weggeworfen das Gewehr!" gebot der Baron. Da kam wieder Leben in den Mann — er riß blitz schnell das Gewehr an die Backe und in der nächsten Se kunde schon krachte ein Schuß. Rosalie stieß einen schwachen Schrei aus. „Du getroffen? Du?" bebte es von den erbleichenden Lippen des Barons. „Dann Gnade Gott dem Schurken." Rosalie schüttelte das Köpfchen — die Kugel war nur hart an ihrem Ohr vorbeigepfiffen. Der Baron feuerte einen Schuß auf den Mann ab, ohne zu treffen. ! Dieser nahm Deckung hinter einer dickstämmiaen Llvd« und zielte auf den Baron, welcher sich noch eben in» ha«« zurückziehen konnte, bevor der Schuß abgegeben wurhG