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welcher das Halsband entnommen war, lag auf demj Boden. In demselben Augenblick ging mir HamMvnds Warnung durch den Kopf. Tas ist Telilah, dachte ich, oder im guten Teutsch^ du- ist das Frauenzimmer, das für die vielen geheimnisvollen Juirelendiebstühle in der Um gegend verantwortlich zu machen ist. Wie Sonnte ich nur beschlagen gewesen sein? Ich war gewarnt vor einem fremden Frauenzimmer, das« unter irgend einem Vorwand Eintritt in das Haus suchte, und einige Minuten später hatte ich sie mit offenen Armen empfangen und ihr ein Zimmer angewiesen, von dem aus sie zu dem Auf- Lewahrungsvrt des Halsbandes gelangen Sonnte, wenn sie nur über den Korridor schritt. „Was machen Tie hier?" fragte ich. Ich hatte sie völlig überrascht. Bei meinen Worten fuhr sie plötzlich zusammen, gewann aber bald ihre Fassung wieder und legte das Halsband in meine Hände zurück mit den Worten: „Ein Mann wollte es stehlen. Ich sah ihn durch die Tür und rief ihn an. Er warf es zu Boden und eilte zum Fenster hinaus^ Als ich dann eintrat, war alles in Ordnung." Tas war eine Albernheit von ihr angesichts der ganzen Tatsachen. Lor meinem Fenster lag ein Keiner Ballon. Wie ich mir durch einen Blick versicherte, war dort niemand. Ohne Ueberlegen lehnte ich die ganze Fabel ab. So lautete die ständige Erklärung aller Tiebe. ,Lch glaube, ich kam gerade zur Zeit," sagte ich trocken, indem ich meine Zweifel an ihrer lächerlichen Ge schichte ziemlich deutlich herausmerken ließ. „Herr Le Quarrier!" Ter in ihrer Stimme vorzüg lich zum Ausdruck kommende Unwille hätte einer Schau spielerin alle Ehre gemacht. „Sie nehmen doch nicht etwa an..." Sie blickte völlig unschuldig drein, ihr wundervolles Antlitz belebte sich, das kastanienbraune Haar wallte über ihre Schultern, doch meine Äugen waren nun geöffnet. „Annehmen!" rief ich verächtlich aus. „Wollen Sie sich jetzt noch durch Frechheit heraushelfen? Ich nehme nichts an — ich weiß alles. Tie Geschichte, die Sie mir da am letzten Abend vortrugen, ist von Anfang bis Ende erfunden, und nur ein Teil eines Anschlages, der Ihnen daS Halsband in die Hände spielen sollte. Sie haben meine Schwester im Leben nicht gesehen, und ich werde Sie für den beabsichtigten Tiebstahl in wenigen Stunde« der Polizei überliefern. Unterdessen können Sie sich in Ihr Zimmer zurückziehen und die Tür schließen." Sie stieß einen schwachen Schrei aus und warf mir eine» verzweifelten Blick zu, um dann über den Korridor zurückzugehen, in das Zimmer einzutreten und meiner An ordnung gemäß die Tür zu schließen. Für meinen Teil sicherte ich mir meine Gefangene, indem ich die Tür deS Zimmers abschloß — der Schlüssel war von außen eingesteckt, innen befand sich ein Riegel. — Hierauf legte ich das Halsband sorgfältig fort, ent kleidete mich und legte mich ins Bett. Richt imstande zu schlafen, beschäftigte ich mich in Ge danken mit „Claire RomaineS" Raffiniertheit. Wie sicher ihr Auftreten war. Me geschickt sie ihren scheinbaren Serger gegen Ellen als Grund zu der Weigerung benutzt hatte, über Ellen oder ihren Tresdener Aufenthalt zu sprechen und dadurch zu verraten, daß sie Ellen gar nicht kannte. Und wie sie dann, nachdems ich sie bei der Tat abgefaßt, die Geschichte von deml großen Unbekannten austischte und angab, nicht der Tieb, sondern der Retter «keines Eigentums zu fein. Lus de« Zimmer herüberiSnende schwache Laute stör ten meine Reflektionen. Ich horchte. „Claire Romain«" weinte, vergoß bitter« Tränen und versuchte, ihr Schjluch- iS — zen -» ersticken, indem sie ihren Kopf in den Kissen barg. Ein unbehagliches Gestihl bemächtigte sich meiner. TvS Weinen hielt noch an. Schämte sich das Mädchen? Zweifellos dachte sie aber wohl an die Gefängnisstrafe, die ihr der geplante Tiebstahl einbringen würde. Ich machte mir Sorgen um daS Mädchen. Ohne Zweifel hatte ihr männlicher Komplize — nach Ham- monds Aussage waren immer zwei Personen an dem Raub beteiligt — sie auf den Weg deS Verbrechens ge zwungen. Wenn ich sie anzeigte, dann würde die Geschichte, wie sic mich getäuscht hatte, an das Tageslicht kommen. Tas wollte ich lieber vermeiden. Das Halsband war gerettet, warum sollte ich sie nicht laufen lassen, wenn sie mir für die Zukunft Besserung versprach? Während der Debatte über diesen Punkt müßte ich etngcschlasen sein, denn eben vernahm ich, wie Jim unten die Kühe antrieb, und, auf die Uhr blickend) sah ich, daß bereits die achte Stunde angebrochen war. Frau Penny war zu dieser Zett äußerst selten auf den Beinen. Ich Neidete mich hastig an, eilte zur Tür, die ich vor drei Stunden geschlossen hatte, und klopfte an. Erst auf das zweite Klopfen antwortete meine Gefangene. „Kleiden Sie sich bitte an und kommen Sie'heraus. Ich möchte Sie sprechen/' Als Antwort schob sie den Riegel zurück. Nachdem ich auf meiner Seite den Schlüssel herumgedreht hatte, standen wir uns auf der Schwelle gegenüber. Fräulein Romaine war in dasselbe modern zuge schnittene Kostüm gekleidet, in welchem sie am vergangenen Tag eingetrvssen war, daS Haar schmückte sauber geordnet ihren wohl gestalteten Kopf. Ihr Antlitz war kreidebleich, die Augen rot und geschwollen, doch ohne zurückzuschrecken blickte sie mich an. „Fräulein Romaine, ich habe Sie weinen hören. Ich kann es nicht über's Herz bringen, ich kann's nicht — ich meine. Sie der Polizei zu übergeben. Wenn Sie mir auf Ehrenwort versichern wollen, das Stehlen auszugeben, will ich Ihnen einen anderen Mg freigeben." „Sie sind — großherzig," antwortete sie langsam mit niedergeschlagener Stimme. „Ich kann Sie nicht deM Gefängnis^ ausliefern. Und ich glaube, das wird die Folge Ihrer Tat sein. Ver sprechen Sie Mr, ess nicht mehr zu tun, dann lasse ich Sie laufen." „Was soll ich versprechen?" „Nun, daß Sie niemals wieder ein Haus unter falschen Vorwänden betteten wollen Mit der Absicht, den Eigentümer zu bestehlen." „Tas verspreche ich Ihnen, Herr Le Quarrier." „Gut denn," sagte ich „Kommen Sie." „Einen Augenblick, bitte." Sie nahM ihren Hut auf, trat vor den Spiegel und befestigte ihn auf ihrem Kopfe. „Tarf ich meinen Koffer hier zurücklassen? Ich vermag ihn nicht nach der Eisenbahnstation zu tragen. Senden Sie ihn, bitte, bei Gelegenheit „Postlagernd" nach der Paddington Station." Sie folgte Mr die Treppe hinunter. Ich öffnete das Haupttor. Tie kühle Morgenluft schlug uns kalt und er frischend ins Gesicht, als wir zuM Gartentvr schritten. „Kennen Sie den Weg?" Ich hielt das Gartentor auf« Eine kurze Pause folgte. Damr nickte das Mädchen Mit einem freundlichen Lächeln. ,Leben Sie wohl," sagte sie und schritt fort. Ich blickte ihr nach. Sie war ein Rätsel! Vielleicht hatte ich nicht gut getan, sie laüfen zu lassen, und doch... Was bedeutet das? Ich hatte die Vorhalle wieder er reicht. Ter Don kam aus meinem Zimmer. Es hörte sich gerade so an, als wenn jemand den Teckel einer Schachtel fallen lietz^ Ueberrascht stand ich still und ver schlang den Laut förmlich -an« eilte ich die Treppe hinaus. Meine ganze Ueberraschung wich als ich Harn mond auf dem Boden sah, die Juwelenschachtel in der Hand, damit beschäftigt, den Deckel zu öffnen. Er sprang auf. „Die Tieb!" rief ich aus Dann fielen wir über- ernander her. Ich war etwaS kräftiger als er, doch seine Gewandheit Machte ihn mir ebenbürtig. Mr packten uns wütend und keuchten einander durch die zusammengebissenen Zähne hindurch ins Gesicht. Ta fielen wir beide zu Boden, mein Kopf schlug dabei gegen den Bettpfosten. Irgendwo mußte ich bluten, ich merkte, wie das warme Blut mein Gesicht hinuntertrvpste. Aber meine Finger hielten des Gegners Hals noch fest umspannt. Doch ich fühlte, wie ich schwächer und schwächer wurde, dass Summen in meinem Kopfe und das Brausen in Meinen Ohren ließ nach, mit einem Male war es dunkel vor meinen Augen, ich wußte nichts mehr. > Ich lag mit verbundenem Kopfe in meinem eigenen Bett. Wen beugte sich über mich Das war alles, Wa ich bemerkte, als sich meine Augen wieder öffneten. „Nun, Tick, wie fühlst Du Tich?" „Tas Halsband?" flüsterte ich „Es ist ganz sicher, lieber Tick, Ihr wurdet beide besinnungslos auf dem Fußboden vvrgefunden. Tu hattest ihn halb erwürgt. Tie Polizei hat ihn in Gewahrsam genommen. Sie kennt ihn. Er führt den Doktvrtitel, ist aber ein lange gesuchter Tieb und kam hierher mit der Absicht, das Halsband zu stehlen." „Und Fräulein Romaine?" stieß ich aus. „Ich werde Dir alles erzählen. Dick. Tas war ein Fehler von Mr. Ich bat sie, uns zu besuchen, sagte Tir aber nichts davon. Sie war immer so liebenswürdig, und ich hätte es gern gesehen, wenn aus Euch beiden ein Paar geworden wäre. Ich Mag sie sehr gut leiden, auch Lesitzr sie etwas Vermögen. Tick, verwünsche mich nicht. Ich hielt es für das Beste« Ihr Brief verspätete sich, und auS diesem Grunde mußte ich annehmen, daß sie ihren Besuch ayfgeschoben hatte. Dadurch ist dann alles so gekommen. Und sie rettete das Halsband, Tick. Sie hörte, wie TN mit Tagesanbruch hinunterschrittest und vernahm, wie dann jemand die Stufen vom Boden her unterkam. Am Ende der Treppe, da wo der Korridor seinen Anfang nimmt, dämpften sich mit einem Male die Schritte. Neugierig, wie wir ja alle sind, öffnete sie be dächtig die Tür und sah, wie ein ihr Unbekannter ver stohlen in Tein ZiMmer schlich- Sie ahnte nichts Gutes. Turch das Schlüsselloch blickend, sah sie, wie der Fremde den Schmuckkasten in der Hand hielt. Zurückeilen, meinen Schlafrock anziehen, die Tür öffnen und ihm gegenüber treten war eins. HaMmond, der Tiich dazu noch die Treppe heraufsteigen hörte, war so erschreckt) daß er den Kasten wegwarf, auf den Balkon hinauÄief und von dort aus an dem Rohr zum Tuch hinaufiletterte. Oben wartete er, bis Tu wieder aushingst, dann schlich er nochmals ein, und dadurch fiel er Tir in die Hände." „Mrd sie Mr jemals verzeihen, Ellen?" „Ich glaube, sie hat es schon-. Eie fand es sio artig VVn Tir, als Du sie aM Morgen lausen ließest, trotzdem der Augenschein so sehr gegen sie war. Tas sah sie später ein, und. anstatt zur Stadt zu fahren, mietete sie in der „Krone" einen Wagen und kam zu mir nach Repley Hall herüber/' —. An jenem Abend war ich so weit wieder hergestellt) daß ich die Treppe hinuntergehen und Mich bei Fräulein Romaine mit jämmerlichen Entschuldigungen wieder in Gunst fetzen konnte. ZuM Zeichen, daß Wen bereits ihre Verzeihung erlangt) hafte sie eingewilligt, eines der freien ZimMer einzunehmen. Auch Mr Vergab sie. Zur kräftigung versprach sie auf unser Btten hin, »och Tage bet an« zu bleiben. Und nach drei WochM'v sie noch IMmer in unserer Mitte, allerdings Mt b« Absicht, am nächsten Morgen zu -ehe«. Al« Men am letzten Abend in mein Arbeitszi eindrang und mich bet ganz mürrischer Bum« vo sagte sie zu Mr: „Tu alkess Schaf, warum bietest DE denn nicht das Halsband an, wenn sie bleibt?" „Tann müßte ich mich ja mit de« Haftband » geben," protestierte ich. „Na frage sie doch)" gab mir «eine Schwester Und als Mr Claire später bekannte, daß es nicht HalSband war, das Mr ihre Liebe einttug, da hisst mich für den glücklichsten Menschen auf der Welt. At Ber> ni UiyeM » w WailM Bon Pfarrer R. Reichhardt. Nachdruck verboten. „Ich bin durch viele Zeiten Wohl auch durch Ewigkette» In meinem Geist gereist. Nichts hat Mir'S Herz genommen. Ms da ich bin gekommen Nach Golgatha. Gott sei gepreist!" sk Ter Tod des Erlösers auf Golgatha hat die gm Welt bewegt. Seine Passion macht auch auf das r»hi Gemüt Eindruck. Tiefe Empfindung findet aber die d« lichste Ausprägung in den Volkslegenden und Bolttsag Sagen sind in den meisten Fällen Spiegelbilder der « -findenden Volksseele« Man denke nur an die Sehrrsv de« deutschen Volkes nach der Wiederkunft deS geet» Deutschen Reiches, wie sie die Khffhäusersage rrzä Tann aber ist die Volksseele, in welche wir vermttt der Sage und Legende eindringen, am tiefsten bewr wenn die sie behandelnden Subjekte der unvernünftit Kreatur, den Tieren oder Pflanzen, angehören. Ei der ergreifendste und rührendste Klg in den Passt« legenden, daß da) wo Menschen ihre Hülfe versage«, BS und Pflanzen deM „Manne der Schmerzen" Mitwirk» und Unterstützung leihen« - MS die Juden, so erzählt eine magyarische Sagtzß den Erlöser verfolgten, versteckte er sich unter «i»eM Hagedornstrauche. Eine Lerche setzte sich auf de« StrauM und rief in einem fort: „Amzere, ztnzere k" (er ist uichst hier), der Wiedehopf aber schrie: «Ott, vtt!" (er P da). Ta richtete sich der Hagedorn empör, und JrsuM ward entdeckte Zur Strafe dafür wurde der Hagedor» auS einem Baum in einen Strauch verwandel^ d« Wiedehopf aber Muß seitdem sein« Nahrung im Kode suchen. Als der Heiland an das Itteuz geschlagen wurdH flog ein Storch, der seine Qualen sah, teilnehmend Heu- zu und rief: „Stärket und helfet ihm!" Seit jene« Tage erfreut sich der Storch bei alt und jung «ta«r großen Beliebtheit; wo er einkehrt, wird er mit Jubel empfangen, und Gott belohnt ihn damit, daß kein Blitze strahl sein Nest trifft: Zn Christi Todesstunde flog auch der Kreuzschnabel zum Kreuze und versuchte mit settmub Schnabel die grausamen Nägel heraustzuziehen, Bet seiner Anstrengung arbeitete er Mt seinem Schnabel Wl heftig, daß seine Kehle von Mutz befleckt war und ßU Schnabelhälften sich kreuzweise übereinanderbogen. Und der Heiland spricht in Milde: „Sei gesegnet für und für! Trag das Zeichen dieser Stunde, Ewig Blut und KreuzeMer". Kreuzesschnabel heißt das Vöglein, Ganz bedeckt von Mut ß» khax«