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106 „MM darum. Um Dich, Jürgen." „Um mich? Warum?" Sie weiß nicht, was sie antworten soll. Etwa die Wahrheit? Weil ich dich lieb habe, darum! TaSs darf sie nicht. Wenn er sie zurückwiese oder ihre Liede annehme, weil er seinem Namen das'' Opfer schul dig zu sein glaubt, wie er es bei Trude PachowZki ge glaubt! hat? Um Gottes" willen, nur das' nicht! Nur bit ten darf sie ihn, nichts" weiter. „Nimm es doch Jürgen." Er kämpft einen furchst baren Kumpf. Geld, wo er Liebe will. ,Hch kann nicht, Marianne." Ess ist ihm, alZ vb sie in dieser Stunde endlich seine Liebe gefühlt hat und ihn mit Geld abfinden wollte. „Tue es, Jürgen^ nimm das Geld!" „Nein, Marianne. Ich habe mit allem abgeschlossen. Reiß mich nicht wieder zurück." Ta bittet sie nicht mehr. Nun kann er gehen. Seine Mission ist beendet. „Lebe wohl, Marianne." Kein Gegengruß Sommt van ihren Lippen. Noch ein mal geht das Mschsiedswort aus seinem Munde. „Marianne." Es ist wie das Wimmern eines Ster benden. „Lebe wohl." Er wartet noch ein Weilchen. Es bleibt alles still. Dann taumelt er langsam der Tür entgegen. Er ist gegangen. Tie Arme, die sich nach ihm ausstreckten, hat er nicht mehr gesehen. Ter Schlei, der ihn zurückrufen wollte, ging in dem dumpfen Husschjlage seines'Pferdes unter. Fünfzehntes Kapitel. Bvgislaw Graf von Gertingen, der Senior des Ge schlechts, saß trotz seiner 90 Jahre gerade und steif in der Bvrnhagener Equipage neben dem um 40 Jahre jün geren Verwandten, den Jürgen bereits'als den neuen Herrn ansah. Sie fuhren im schsarfen Trabe die Bieg ung herum, an deren Schlüsse sich das^stolze Bild des Bvrnhagener Gutshofes mit den Massiven Wirtschaftsge bäuden und dem Schloß im Hintergründe schon ließ. Ter Greis nickte ein paarmal mit dem ehrwürdigen Haupte, ehe er zu reden begann. Tief und voll klang danach, seins Stimme, wie Glocken tönen,' die selten gerührt werden. „Sie haben rechst, die Leute in der Nachbarschaft. Tie drei Tage, die wir, ohne daß er es wußte, geforscht und geprüft haben, bestätigen ihre Worte. Er hat viel ge arbeitet, mehr, als es seiner Jugend gut war. Tarum muß ihm auch geholfen werden!" Durch die schlanke, sehnige Gestalt des Jüngeren ging ein scharfer Ruck. „Letzteres' erlaubte ich mir bereits da mals zu sagen, Grvßohm^, als er unsere Hülse forderte." „Ganz recht, mein Sohn. Und ich erlaubte mir trotz dem, in dem abgehaltenen Familienräte aufs dringendste vor der Erfüllung der Forderung zu warnen. Tas Alter ist eben mißtrauisch" „Hat sich seit jener Zeit darin etwas geändert, Grvßohm?" Ter Greis lächelt. ,Mie klug sich die Jugend dünkt, und wie kurzsichtig sie im Grunde genommen doch ist! Geändert hat sich außer meiner damaligen Ansicht nicht das geringste. Was ist barmherziger, einem Menschen den Kopf sofort abzuschlagen, wenn sein Tod festgesetzt ist, oder es erst nach qualvoller Ungewißheit, nachdem er sich matt und Müde gehosft und gemartert hat, zu tun? Ich Iwnke, das erstere. Tarum war ich damals für die Entscheidung. Jetzt, wo ich geprüft habe, gehe ich ein fach zu ihm und sage: ich habe Vertrauen zu dir. Ich will dir helfen und ichsTann dir auch helfen!" Ter Jüngere biß sich auf die Lippen, um die scharfe Entgegnung, die er bereit hatte, zu unterdrücken. Als ihm dass gelungen war, fragte er ernst: ,sUnd all die Qual und Aufregung, die seelische Abspannung'und den Haß gegen das Schicksal, wer bezahl sie ihm/ Grvßohm?" „Tie Zeit, mein Junge! Wenn alles Kapital so sicher und gut angelegt wäre, wie die durch Kämpfe und Ent sagungen erworbene Reife, dann würde cs nur freie, reiche Menschen geben, und die Straße des Lebens bliebe von Schmarotzern und Tagedieben verschont." Ter Wagen fuhr auf die Rampe. Tas Gespräch! ver stummte. Jürgen von Gertingen ging den Kommenden mit ruhiger Ehrerbietung entgegen. Es ist eine nüchsternc Unterredung, die die drei Männer eine Stunde später miteinander führen. Ernst und vor sichtig, wie erfahrene Kaufleute, deren Geschäftsverbin dungen noch zu jung sind, um ohne die peinliche Vor sicht, die den guten Rechner auszcichnet, fertig zu werden. Graf Herbert hat den Stift zur Hand genommen und notiert das, was Gras Bogisläw ihm mit leiser Stimme diktiert. „13000 Mark Wechjselschuld inklusive Zinsen an Ephraim Seeliger. 3000 Mark an den Grasen Egon von Witzleben. 16000 Mark an den Weinhändler Gutzkow. 1800 Mark an Schneidermeister Jesse. 200 Mark Miet zins. 350 Mark rückständiger Lohn an den Bedienten Gotthold Laute. Hast Tu dos, Herbert?" „Ja, Großohm!" „Summa sumutarum?" „20000 Mark!" „Hm! Tie Forderung des Stud. jur. et- cam. Joseph Rederer deckt sich durch den Verkauf des'Automobils. Nun kommt die Erwägung des notwendigen Betriebs kapitals zwecks Anschaffung von Saat- und Futtcrkorn, Stroh und Kartoffeln. 60000 Mark erscheinen mir der angemessene Betrag. Summa suminarum?" „80000 Mark, Grvßohm!" „Schön, die Rechnung stimmt." Jürgen von Gertingen, der immer reoch nicht weiß, daß man ihm helfen will, murmelt etwas. „Im Falle das flüssige Vermögen von Herbert nicht ausreichen sollte, sind ja auch noch die Eichen vorhanden. 20- bis 25 000 Mark sind sie wohl wert." Ter Greis lächelt ein wenig. „Tie Eichen habe ich gestern mit einem tückstigcn tzolzhändlcr abgeschätzt. Sie sind durchweg gesund und gut. Erstklassiges Baumaterial, wie ich cs- seit einein halben Jahrhundert nicht mehr sah. Wir haben sie ach 40000 Mark bewertet. Aber sie müssen noch stehen bleiben, denn sie sind im Wachsen. — Jetzt haben wir Dich genug gepeinigt, Jürgen! Ich sehe so klar, daß ich in Gottes" Namen zu Tciner Er lösung komme. Herbert wird nicht Bornhagen überneh men, sondern Tu wirst weiter wirtschaften. Tic not wendige Summe gebe ich Dir! Wie Tir bekannt ist, be sitze ich keine Familie. Ich kann daher mit dem Meinen tun und lassen, mass, mir beliebt. Ihr vier Gerlingens seid meine gesetzlichen Erben. Tu kriegst einfach Tein Erbteil im voraus. So, und nun konisch und gib mir Deine Hand. Gottes Segen über Deiner Arbeit und einen neuen frohen Anfang "nach dem traurigen vermeint lichen Schlüsse!" Tas ist die längste Rede des alten Herrn, die er je mals in seinem Leben gehalten hat. Gras Herbert steht am Fenster und hält das Gesicht an die Scheiben gepreßt. Er kann sich nicht umwcnden, um zu sehen, wie Jürgen die Mitteilung von seiner Ret tung agsnimmt. Er schämt sich seiner Rührung. Tic vergangenen Wochien sind auch für ihn zur peinvoltsteu Zeit seines Lebens geworden. Man mutete ihm auf 107 Grund der über seinen Kopf hinweg festgesetzten Bc- stimmüngen zu, ein Gut Tn Empfang zu nehme», das eines anderen SMveiß und Herzblut gekostet hatte. Golt sei Tank, daß das Schlimmste vvrübergcgangen war! Jürgen von Gertingen steht vor seinen! Wohltäter und sucht nach einem Worte des Tankes. Umsonst! Es geht nur ein Ton aus seiner Kehle, der wie der Schrei eines aus dem Fangeisen erlösten Stück Wildes klingt. ,/Quäl Dich nicht, mein Sohn/" sagt der Greis milde, „ich verstehe Tich doch!" Ta neigt sich Jürgen tief über die magere Hand des alten Aristokraten und küßt sie. Ein paar Minuten steht der Greis unbeweglich einem ehrwürdigen Bilde aus guter alter Zeit gleichend! Er hat die freie Linke auf Jürgens Haupt gelegt. Ein Heller Schein, den der Blick von dem höchsten Gipfel des Lebens in das ferne Land der Zukunft schafft, liegt aus seinem stolzen Fattengcsichte. „Gottes Segen auch über Tein künftiges Geschlecht, mein Sohn! Möge Tein Blut und Tcine Art einst stark und mächtig in ihm jein!" An diesen Worten zerbricht das Steinharts, das seiner Stimme den Klang nahm, in Jürgens Seele; er kann weinen. Vielleicht Mer das vergangene Leid, vielleiclst über das Glück, das das Leid zudeckt, vielleicht auch da rüber, daß der letzte Segenswunsch des Greifes rächt an ihm in Erfüllung gehen kann, weil er einsam biei ben muß! Wer vermag das zu ergründen? Menschenseelen gleichen den Schnecken. Sie ziehen sich scheu in sich selbst zurück, sobald ein Finger das Rätsel ihres Daseins zu lösen versucht- * « * Aeußerlich geht in Bornhagen nach diesem Tage alles im alten Geleise weiter. Tic Kornschläge, von denen der Rest des teils verfaulten, teils brüchigen Strohes entfernt wurde, sind zum größten Teile bereits herum gerissen, und die vereinzelt wehenden Zähnchen, die sich schließlich noch zu starken Halmen auswuchsen, zusam- ! mcngeeggt. Tas milde Gold eines Septcniberiagcs leuch- ? tet über den bunten Farben der Blätter. Jürgen von Gertingen schafft den ganzen Tag, ohne die geringste Rücksicht auf seine Kraft zu nehmen. Nur dadurch kann er cs ertragen, in Mariannes Nähe zu leben, ohne ein Recht an sie zu haben. Sie hat Thm keinen Glückwunsch gesandt, nachdem ! sie durch Tante Berta erfahren, daß cP auf seiner Scholle bleiben durfte. Vielleicht hat sie noch rechtzeitig die f Ironie, die ein solcher aus ihrem Munde für ihn ge- ' habt hätte, gefühlt. . Heute ist Graf Jürgen früher als sonst vom Felde ' gekommen. Er hat vom Gaul aus den alten Brief träger zu einer ungewohnten Stunde über den Sturz acker nach Bornhagen queren sehen. Deshalb hat er drau ßen nicht länger Ruhe gehabt. Tante Berta klommt ihm aufgeregt entgegen. Ihr feines, altes Gesicht glüht in Hellem Rot, und ihre Lip pen zittern, als wenn sie nicht länger die Botschaft, die auf ihnen liegt, zurückhaltcn könnten. „Jürgen," sagt sic atemloch „in Teinein Arbeitszim mer liegt ein Eilbrief. Neben ihm habe ich Dir ein Glas von dem schweren, alten Wein gestellt, der wunderbar aufrecht erhält. Tas trinke aus, Jürgen, und dann denke, Gott hat alles gnt gemacht, er wird auch das letzte zum Besten wenden. Ich kenne die Handschrift auf dem Briefe. Er ist von — Hans Heinrich!" Jürgen stürzt vorwärts. Er reißt den Brief vom Tische herunter. Eine wilde Gier ist in ih n. Sehen! Wissen! Tann Wägt ihm ein heißes Gefühl den Brief j aus der Hand. Unrein! laß liegen! Er nimmt ihn wieder auf. Er reißt den Umschlag auf. Sechs lose Papierblätter flattern zu Boden. Er sieht sie nicht. Nur die steifen, weißen Bogen,- die eng mit Buchstaben angefüllt 'sind, sieht er. Schinell, schnell lesen! — Er kann nicht. Rotes Blut aus zuckendem Herzen wallt vor seinen Lugen, sein eigene- und das des toten Paters, der diesen Sohn so sehr ge liebt hat. Er stürzt den funkelnden Inhalt des Glases herunter und machst die Augen weit auf. Er muß! Und endlich gelingt ihm das Können. „Tu erwartest die Reue des verlorenen Sohnes," steht da, „und es wird doch nur der Schrei des Sün ders daraus werden, der sich viel zu hart für das Be gangene bestraft fühlt. Sin ausführliches Bekenntnis meiner Frcvcltatcn wird nickst erfolgen. Andere wer den mir diese Arbeit abgcnvmänen haben. Es ist alles wahr, was sie Tir gesagt haben mögen, und mehr, das sic nickst wissen können, dazu. Ich mußte hierher gehen, sonst hätte ich zu Tir kommien müssen, um Tich zu töten. Ho sehr habe ich Tich gehaßt. Weißt Tu, warum? Warum «rolltest Tu nickst der Einsame blei ben? Tic Gewalt der Sinne, die Tir fremd ist, Jür gen, glaube cs mir,: daraus kam alles. Zuerst das Fiebern nach ihr, zu dessen Kühlung ich mein Wort brach Ja, darum) denn nur im Spiel und in sinnloser Trunkenheit lionntc ich vergessen, daß sie an Tich dachte, während sie in meinen Armen liegen mußte. Sie mußte cs Hast Tu das nickst gewußt? Tic Pistole habe ich herau-sgcrissen und ihr gedroht: „sobald Tu Tich gegen mich-»»ehrst, bin ich ein toter Mann." Da vor hat sic Angst gehabt, damit zwang ich "säe. Lst schlecht war ich damals schon. Sie hat gehofft, ich würde bald zur Einsicht kom men und sie frcigeben. Ich tat es nicht. Ich ließ sic weiter schleppen, was ich ihr aufpackte. Sie brach fast unter der Last zusammen, aber sic wagte keinen Ver such, sich von mir zu lösen. Sie wollte Dir den ein zigen Bruder nickst raubrir. Sa. lieb har sic Tich. Und ich ich hatte sic auch lieb. Anders jsvar, tol ler, nickst weniger. Auch heule noch wo mich doch kein ehrlicher Mann mehr aus seiner SelMfsel essen lassen würde. Hst j Vielleicht hätte sich der Rest der Menschlichkeit doch in mir geregt. Vielleicht lstitte ich sie srcigc- geben. Ta Iain Tante Verlas Brief. Schdvarz aus weiß sah cs mir entgegen, was ich längst ahnte: „Marianne liebt Teincn Bruder, wie er sic liebt, und Du — sei so gut und geh ihnen aus dem Wege, wenn Tu kein Schuft bist". Ich war aber ein Schuft. Ich wollte, daß Tu noch ärmer sein solltest, als Tu cs durch mich schon gcnwrden warst. Damit Tu es nicht mehr wagen konntest, die Hand nach ihr au-szustrcckcn. Da rum fälschte ich in aller Eile noch Deine Unterschrift auf dem Wechsel, darum bestahl ich den Grafen Witz leben. st ! Tas erste, das Eleld für die Vcrsichierung, habe ich nicht wissentlich unterschlagen. Dass schwöre ich Tir hente an der Pforte des'Soaes. Ein Vergessen war's, ein Sclwachwerdcn hinterher. Sv kam's. Hier habe ich wieder gespielt. Tag und Nächst. Und denke Tir, ich habe gewonnen, immer auf Eoeurdame. Ist das nickst wie Wahnsinn? 25000 Mark in 32 Tagen. Tas gibt pw 24 Stunden einen anständigen Arbeitslohn. Sieh Dir die einliegenden sechs Quittungen genau an. Sic sind sämtlich echt. Ter Wechsel, Witzlcben und die kleinen Leute sind bezahlt. Ten Rest hat eine Straßen dirne bekommen, die mich geküßt hat, weil ich ge weint habe.