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— iso — Kassenschränken umkehren müssen, da schon vor Beginn der Borstellung die Tafeln mit „Ausverkauft" aufgepflanzt wurden. Tas Auftreten des Schulreiters Mr. Konstantin war als erste Nummer des zweiten Teiles angesetzt. Ob wohl auch während des ersten Teiles hervorragende Kräfte auftraten, wurde den Leistungen der Künstler doch nicht die Aufmerksamkeit entgegengebracht, welche sie tat sächlich verdienten. Auch die Ausstattungspantomime zum Schluß mit ihrem Aufwand von Kostümen und glän zendem Feuerwerk, eine Haupt-Zugnummer des Zirkus, errang nicht den gewohnten Erfolg. Und dann ein staunendes Ach! der Bewunderung, als der Erwartete endlich in die Manege sprengte. Ein prächtiger Anblick war es aber auch, der jeden Kenner entzücken mußte. Wie verwachsen schien der Reiter mit seinem feurigen Lollbluthengst, der nur widerwillig und im Gebiß knirschend dem Zügel zu gehorchen schien. In leichtem Galopp umkreiste Mr. Konstantin die Manege einige Male, um das Tier an' den Anblick der Menschenmenge zu gewöhnen, bevor er mit einer schnei digen Bolte seine eigentlichen Produktionen begann. Im Niederschlagen traf der Huf des Pferdes einen Explosionskörper, der wohl bei den voraufgegangcnen Pantomimen nicht zur Entzündung gekommen und im Sande verborgen der Aufmerksamkeit der Bedienten ent gangen war. Ein krachendes Aufblitzen — mit einem furchtbaren Ruck flog das Tier zur Seite, den eines solchen Zwischen falls nicht gewärtigen Reiter in weitem Bogen aus dem Sattel schleudernd. In dem tausendstimmigen Angstschrei, welcher diesem mit blitzartiger Schnelligkeit, sich abspielendem Vorgänge folgte, verhallte die um Ruhe bittende Stimme des Direk tors fast ungehört. Während rasch hinzuspringende Stall knechte den bewußtlos daliegenden hinaus trugen, fingen andere das wild umherjagende und an allen Gliedern zitternde Tier ein und entzogen es ebenfalls dem An blick des Publikums. Und als dann der Direktor zum zweiten Male in die Mitte der Bahn trat um mit lauter Stimme zu ver künden, die Verletzung des Mr. Konstantin wäre nur ganz leichter Natur, die Borstellung würde deshalb ungestört ihren Fortgang nehmen, da glätteten sich allmählich die hochgehenden Wogen der Erregung, obwohl leise Nach klänge noch bis an den Schluß durchzitterten. In Wirklichkeit hatte jedoch der Sttrrz recht ernste Folgen gehabt. Man hatte den Verunglückten alsbald in seine Woh nung geschafft und für ärztliche Hilfe gesorgt. Mit be- denllichem Kopfschütteln stellte der Arzt außer mehreren Rippenbrüchen und einer Quetschung der Brust schwere innere Verletzungen fest, die das Schlimmste befürchten Raßen Als der Arzt am nächsten Morgen wiederkehrte, er wachte der Schwerverletzte zum ersten Male-aus seiner tiefen Bewußtlosigkeit. Allmählich kehrte ihm auch die Erinnerung zurück. „Es geht wohl zu Ende — Herr Doktor? Ja, ja, ich fÜhls — dagegen gibts keine Rettung." „Es steht ernst, aber noch dürfen wir die Hoffnung nicht aufgeben. Ihre jugendkräftige Konstitution —" Er wurde von einem Telegraphenboten unterbrochen, der, ein Telegramm in der Hand, nach dem Grafen Kon stantin von Wersen fragte. „Der bin ich!" antwortete der Kranke und machte einen Versuch sich emporzurichten, sank jedoch mit lautem Auf- stöhnen in die Kissen zurück. „Oeffnen Sie, lesen Sie, Herr Doktor," rief er mit scharfer Stimme, „ein Gefühl sagt mir, es ist — von — meiner Mutter!" Mit erstauntem, tiefernsten Gesicht erbrach der Arzt den Verschluß des Papieres. Es enthielt nur die wenigen Worte: „Kehre zu Deiner Mutter zurück, die ein Schlaganfall an den Rand des Grabes gebracht hat." Ein bitteres, qualvolles Anflachen entrang sich der totwunden Brust. „Jetzt endlich also findet sie das Wort zur Ver söhnung, welches ich sehnsüchtig erwartet habe Jahr um Jahr! Des Todes knöcherne Faust mußte erst an dies starre Herz pochen, um es einer weicheren Regung fähig zu machen! Warum konnte diese Nach richt nicht um einen Tag früher eintreffen? Jedoch es steht mir, der ich selbst in wenigen Stunden vor dem Richterstuhl des Höchsten stehen werde, schlecht an, mit dem Geschick zu hadern. Meine Mutter vertrat ihre strengen, durch Erziehung und Ueberlieferung erworbenen Grundsätze, die ich in störendem Uebermut über den Haufen zu werfen gedachte. An mir war es also, den Schritt zur Versöhnung zu tun. In trotzigem Stolz habe ich es unterlassen — mich trifft also der größte Teil der Schuld. Aber jetzt werde ich — heim kehren — Mut ter ! Freilich nicht so, wie Du es erhoffst! Herr Doktor — bitte schreiben Sie — ein Telegramm an — meine Mutter!" Tief erschüttert neigte sich der Arzt über den Ster benden. „Schreiben Sie — Ich werde heimkehren — aber laß nicht die Prunkzimmer — sondern die Familiengruft von Wersenhof öffnen — als ein — Toter — kehrt der letzte Wersen — zur Heimat zurück! Diese Worte sind zugleich der letzte Gruß — Deines — Sohnes — Konstantin. Nur wie ein Hauch noch waren die letzten Worte über seine Lippen gekommen, ein leises Zucken des Gesichts und der Hände — das Herz hatte aufgehört zu schlagen. — Und daheim saß am Abend dieses Tages eine alte, am ganzen Körper gelähmte Frau und ließ die starren, ausdruckslosen Augen auf dem Sonnenuntergang des regenfeuchten Oktobertages ruhen. Dieselben fahlen Licht strahlen, welche sie und das auf ihrem Schoß liegende Papier mit der verhängnisvollen Botschaft umspielten, fielen auch auf das erstarrte Gesicht des fern, der Heimat Verstorbenen. Aber er würde heimkehren? Dann konnte man auch für sie einen Platz in der Familiengruft bereit halten — auch sie war bereit, mit dem letzten Träger des Namens einzugohen zur ewigen Heimat! Herbstabend. FckerlicheS Schweige» Geht durchs Ervtrseld, Goldne Sterne zrigeu Sich der müvrn Welt. Sonst iah ich noch wellen Hier «in Arhrrnmsrr, Nu» an alün Sollen Ist eS kahl und leer. Weiße Nebel stauen R>ngS sich ge'sterllckch, — Wurden drru die Auen Schon zvm Toteurrich? Stille, Totenstille! Zittrr, Seele, nicht, AuS di» Himmels Fülle Bricht ja Stnurnllcht! Hot des Tode» Zügel Rouh gehemmt den Lauf, Uebrr jrtem Hügel Gehn die Sterne aus. Bald auch ouS dem Staube Blüht r» neu hervor, Und im FrüblirgSloub» Rauscht de» Leben» Chor. H. «. Druck eaeHBerlag von Lang« L Winterlich, Mesa; für die Redaktion »«antwortlich Hermann Schmidt in Riesa. ErMIrr an der Elbe. velletr. Gratisbeilage za« „Riesaer Tageblatt". Nr. 40. Riesa, den 3. Oktober 1003. »0. Jechr* "Im Schlosse^der^Ahnen. Origiaal-Roman^vonIOtto König-Liekthal. Mlälr. NachdruckAvertötm. I. Doktor Kraft lag in den letzten Zügen. An seinem Lager saß seine Frau, welche, leise schluchzend, in das geliebte Angesicht ihres treuen Gatten sah, mit dem sie vierundzwanzig Jahre gemeinsam Leid und Freud' geteilt hatte. Sie wußte, welcher Verlust ihr bevorstand. Als Frau eines Arztes kannte sie die Anzeichen eines nahen Todes ganz genau; und daß sie sich nicht getäuscht hatte, bestätigte ihr jetzt auch Dr. Wendt, der gleichfalls am Sterbelager weilte. „Es geht mit ihm zu Ende," flüsterte der Arzt, der unverwandt den Kranken betrachtete, „möge er sanft hinüberschlummern." ,Za, ich sehe es," hauchte sie schmerzvoll. Sie machte sich stark, das Schrecklichste zu tragen. „Aber noch einmal möchte ich in seine Augen schauen, noch einmal seine Stimme hören. — Ach, wo doch Helmut bleibt! Er verlangte doch so sehr nach seinem Sohne!" „Fassen Sie sich, Frau Kraft," tröstete Dr. Wendt die Frau, „Ihr Sohn muß ja gleich hier sein; der Zug, mit dem er kommen mußte, ist vor einer Viertelstunde auf dem Bahnhof eingelaufen." Leise trat er an das geöffnete Fenster, kehrte aber sofort an das Krankenlager zurück und sagte: „Er kommt!" Bald darauf wurde die Tür behutsam geöffnet, und ein junger Mann mit bestaubten Reisekleidern trat ein. Fragend schritt er auf die Mutter zu und um armte sie, während er den ihm bekannten Arzt durch einen Händedruck begrüßte. Mit Tränen in den Augen sah er in das liebe, ach, so bleiche Antlitz seines Vaters, der noch vor vierzehn Tagen ihn durch einen uner warteten Besuch in der Universitätsstadt erfreut hatte und nun totkrank hier ruhte. „Vater!" rief er schluchzend und ergriff die welke Hand des Kranken. Der Arzt wehrte es ihm nicht. Als ob der Schlummernde den Ruf vernommen, schlug er die Augen auf und ein müder Blick fiel auf seine Frau und seinen Sohn. Ein mattes Lächeln glitt über die bleichen Gesichtszüge, und mit der letzten Kraft versuchte der Kranke, sich aufzurichten. Der Arzt legte stützend seinen Arm unter den Rücken seines Freundes und Kollegen. ,Zch muß . . sterben," flüsterte Dr. Kraft mit kaum vernehmbarer Stimme. „Nicht gern . . geh' ich von Luch . . . Doch wie . . Gott will. Ein Geheimnis .. . muß ich noch . . offenbaren, ehe ich sterbe. . Für Dich, mein Sohn, kann . . es einst von großem . . Nutzen sein. Doch . . ich kann nicht mehr . . die Papiere liegen . . lie. . gen . . in . ." Plötzlich brach der Kranke ab. Er fiel zurück. Ein letztes schweres Röcheln wurde hörbar. Er hatte aus gerungen. — Die Widerstandskraft der armen Frau hatte jetzt ein Ende. Laut schluchzend ergriff sie die Hand des teuren Toten, dann brach sie ohnmächtig zusammen. Der Arzt bettete sie mit Helmuts Hilfe im Nebenzimmer. Nach einigen Minuten kehrte ihr Bewußtsein zurück. Der Arzt gab Helmut die nötige Anweisung für die Pflege seiner Mutter und verließ dann traurig das Haus, nach dem er der Frau seines verstorbenen Freundes seine Hilfe in den trüben Tagen zugesagt hatte. Am dritten Tage wurde Dr. Kraft zu Grabe ge tragen. Standhaft ertrugen Frau Kraft und Helmut die schweren Stunden in dem Bewußtsein, daß Gotteß Wille es war, der solch' herbes Geschick über sie verhängt hatte. Einige Tage später saß Frau Kraft in ihrem Zim mer und schaute gedankenvoll in ihren Schoß. Helmut trat ein und, einen Blick auf die Mutter werfend, er kannte er sofort ihren Kummer. „Gräme Dich nicht, Mutter," sagte er mit weicher Stimme, „Tu sollst keine Not leiden, ich werde für Dich sorgen. Vater hat ja auch einige tausend Taler Hinder lassen; von den Zinsen kannst Du ja nicht leben, doch reicht das Geld für die nächste Zukunft. Freilich, mein Studium muß ich aufgeben, und einen Beruf ergreifen, in dem ich sofort Geld verdiene, um mich von nun an selbst zu ernähren." Frau Kraft wehrte energisch ab. „Nein, nein, das sollst Du nicht, Helmut," er widerte sie zärtlich. „Ich verkaufe alle entbehrlichen Sachen, damit Du Dein Ziel erreichen kannst. W«m ich nur wüßte, was es mit dem Geheimnis auf sich hat! Ich habe alle Winkel durchsucht, leider aber nichts gefunden. Ich bin eine alte Frau, aber Du, Helmut, bist jung und: Für Dich kann es einst von großem Nutzen sein — so sagte doch Vater. Um Deinetwillen tut eS mir leid, daß er das Geheimnis Mit ins Grab genom men hat." » „Darüber beruhige Dich, liebste Mutter, und gräme Dich nicht. Ich bin gottlob gesund und kräftig und werde mich schon d stech die Welt schlagen. Mein Entschluß ist schon gefaßt und nicht mehr rückgängig zu machen. Ich studiere nicht Wetter. Vielleicht enthüllt sich uns das Geheimnis später, aber laß uns nicht darüber grübeln und sorgen." Traurig schüttelte Frau Kraft den Kvpf. „Aber, was willst Du beginnen, Helmut?" Er zog ein Zeitungsblatt aus seiner Rocktasche und reichte es seiner Mutter, die eine mit Blaustift ange strichene Stelle hastig überflog. „Also um diese Hauslehrerstelle willst Du Dich be werben?" rief Frau Kraft staunend aus. „Helmut," fuhr sie fort, „stellte Dir das nicht so leicht vor! Und wer weiß auch, ob Du derjenige sein wirst, welcher sie er hält, denn sicherlich wirst Du nicht der einzige sein, der sich darum bewirbt." „Meine Bewerbung ist vorgestern abgegangen, Mut ter," entgegnete Helmut, die Hand seiner Mutter lieb kosend. „Ich hoffe, die Stelle zu erhalten," setzte er zu versichtlich hinzu. Und schon der folgende Tag brachte die Antwort. Freudestrahlend suchte er, von einem Spaziergange heim kehrend, seine Mutter aus. „Meine Hoffnung hat mich nicht betrogen!" rief er und reichte ihr den Brief. „Da, lieS selber." „Ja, wie schnell der liebe Gott Hilst," sagte sie mit