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„Habe ich es Dir nicht eingeprägt, daß Du stets an der Seite Deiner Kousine bleiben solltest?" herrschte der finstere Mann mit leiser aber heftiger Stimme seinen Sohn an. „Gehe sofort zu ihr und verlasse sie nicht mehr. Tie Welt muß daran gewöhnt werden, Euch un zertrennlich nebeneinander zu sehen. -Du kennst meine Ab sichten! Keine Thorheiten oder —" Erich verstand nur zu wohl den drohenden Ausdruck in den Blicken seines Vaters. Ohne ein Wort der Wider rede begab er sich zu Elsa, welche am Arme des Kapi täns plaudernd daherschritt. Nun, da sie den Brief in sicheren Händen wußte, fühlte sie sich beruhigt, wie nie zuvor. Eine sanfte Heiterkeit verschönte ihre lieblichen Züge und Kapitän Franck dachte bei sich, es sei gut, daß er bald wieder Hamburg verlasse, um von neuem in See zu gehen, denn diese sinnigen braunen Augen drohten ihm nur gar zu gefährlich zu werden. Erich, der die beobachtenden Blicke seines Vaters aus sich ruhen fühlte, tat alles Mögliche, um die Aufmerk samkeit seiner Kousine an sich zu fesseln und ihren Lippen ein freundliches Lächeln zu entlocken. Er ahnte nicht, daß er dem jungen Mädchen jetzt noch viel weniger liebenswert als früher erschien, denn Elsa stellte unwillkürlich Vergleiche an zwischen dem ruhigen, männlich ernsten Wesen des Kapitäns und der flatterhaften Weise ihres jungen Kousins. Mit ihrem seinen Scharfblick hatte sie sofort er kannt, daß aus dem gutmütigen Knaben ein charakter schwacher Jüngling geworden war, der gleich einem im Winde schwankenden Rohr sich immer nur von dem Willen anderer lenken ließ. Und als ein Mann in des Mortes vollkommenster Bedeutung stand diesem farblosen Bilde Claudius Franck zur Seite. Endlich war das Fest zu Ende und Elsa kehrte in ihre stillen Gemächer zurück. Auf ihrer Hand brannte ein heißer Kuß, den Erich wider ihren Willen beim Abschied auf dieselbe gedrückt hatte; mit einigen scharfen Worten hatte sie den Kou- sin zurechtgewiesen. Fast mußte sie jetzt lächeln, während sie an sein be stürztes Gesicht dachte, als sie ihm die Schranken gezeigt, die ihm gezogen waren. „Wenn er nur nicht so ungestüm gewesen wäre!" dachte sie bei sich. „Der Aermste! Ich hätte nicht gar so schroff zu ihm sprechen sollen!" In demselben Moment fiel ihr plötzlich ein, wie auf fällig Onkel Rolf sie heute abend einige Male mit einem befremdend seltsamen Lächeln angesehen hatte, während sie an Erichs Seite an ihm vorüberschritt. Dieses Lächeln, was konnte es bedeuten? Eine eigentümliche Bangigkeit legte sich von neuem auf ihr Herz und preßte ihr die Kehle zusammen, daß es ihr war, als sollte sie ersticken, und sie krampfhaft nach Atem ringen mußte. Wiederholt, mit verdoppelter Angst fragte sie sich: Was hatte Rolf Feddersen mit ihr vor? Sie wußte aus ihrer Kindheit her: dieser Mann war nie schrecklicher gewesen, als wenn er sich zu einem Lächeln zwang, zu einem Lächeln gleich dem, mit welchem cs ihr gewesen war, als lege sich eine Schlange um ihr Herz und presse dasselbe zusammen mit eisigem Druck. V. Eine unerwartete Wendung. Am Morgen nach dem Feste gab es für Elsa eine große Ueberraschung. Tante Thekla erschien bei ihr und kündigte ihr an, der Onkel wünsche, daß Elsa für die Folge an den Mahl zeiten der Familie teilnehmen solle. Das junge Mädchen traute ihren Sinnen kaum: sie, die stets so gänzlich abgeschlossen gelebt hatte, sollte mit einem Male als Familienglied behandelt werden! Sie verbarg ihr Erstaunen indes so gut es ging, bis die stolze Frau, die es sogar nicht unter ihrer Würde gehalten, ihr selbst den Wunsch des Onkels zu über bringen, wieder aus dem Zimmer gerauscht war, den demütigen Gruß der Frau Lehr unbeachtet lassend. Als sie aber wieder allein war, gab diese unver mutete Annäherung Elsa zu denken. Sie beschloß, aus ihrer Hut zu sein und keine Vor sicht a ußer acht zu lassen, denn von der Familie Fedder sen konnte ihr nichts Gutes kommen. Als die Speiseglocke erscholl, erschien Elsa pünktlich an der Tafel; das Beisammensein mit ihren Verwandten war ihr jedoch ein unerquickliches. Tante Thekla zwang sich zu einer Freundlichkeit, die ihr nicht vom Herzen kam, und Erich erschöpfte sich in Aufmerksamkeiten, die dem jungen Mädchen lästig waren. Ter Onkel allein bewahrte sein dusteres Schweigen. Er hatte die Rollen vorgeschrieben und ließ die anderen an dem von ihm entworfenen Plan arbeiten, während er sich beobachtend verhielt, nm erst im ent scheidenden Moment einzugreifen. Er hielt Elsa für so schwach und willenlos wie ihre Mutter und war überzeugt, sie allen seinen Wünschen bald gefügig machen zu können. Einmal ihrem Stillleben entrissen, wurde Elsa nun auch weiter in die Öffentlichkeit eingesührt, freilich stets in der Gesellschaft Erichs, der fast nie mehr von ihrer Seite wich. So verging der Winter und der Frühling zog mit seltener Pracht ins Land. Ueberall grünte, sproßte und blühte es mit unwiderstehlicher Gewalt, und auch Elsa fühlte die Segnungen des neu erwachenden Frühlings. Ihre Wangen färbten sich mit leisem Rot und ihre klaren Augen zeigten jenen feuchten Schimmer, wie ihn nur die Jugend als glückliches Vorrecht zu besitzen pflegt. Ihre Formen waren jetzt von vollendetem Ebenmaß, ihre Bewegungen waren voll Anmut und ihre ernste Stirn trug den Ausdruck sanfter Entschlossenheit. Alles Kindliche und Unfertige war aus d en lieblichen Zügen verschwunden. Die Knospe hatte die fesselnde Hülle ge sprengt, nm ihre duftenden Blätter zu entfalten. Elsa liebte. Ihr selbst unbewußt war diese Liebe in ihr Herz gekommen, um mit leuchtendem Schiminer ihren einsamen Pfad zu erhellen. Das Bild des jungen Kapitäns, den Erich ihr an jenem ersten Ballabend vorgestellt, hatte sich tief in ihre Seele eingeprägt, so selten sie ihn auch seitdem gesehen und Lesprochen. Feddersen bewachte seine Nichte mit Argusaugen; er duldete keinen jungen Mann, seinen Sohn ausgenommen, für längere Zeit in Elsas Nähe und selbst in Gesellschaften war sie gleichsam von allen übrigen isoliert, denn eins der Glieder der Familie war stets an ihrer Seite. Trotz dieser Vorsichtsmaßregeln hatte Kapitän Franck doch Gelegenheit gefunden, mit Elsa einige, wenn auch nur flüchtige Worte zu wechseln. Sie wußte, daß er den ihm eingehändigten Brief seinem Vater übergeben hatte und daß dieser bemüht Ivar, den letzten Willen ihrer Mut ter getreulich zu erfüllen. Um was es sich dabei handelte, das war natürlich auch für den jungen Kapitän ein Ge heimnis geblieben. Aber diese Botschaft genügte Elsa schon; dem alten Freund ihrer Mutter durfte sie voll und ganz ver trauen. Claudius Franck war nun bereits seit Wochen von Hamburg fern auf offener See; aber in Elsas Herzen lebte sein Andenken ungeschwächt fort und ließ sie allen Gefahren, die ihr drohen konnten, kühn ins Auge sehen. An einem wunderbar schönen Frühlingstage forderte Frau Feddersen ihre Nichte auf, sie und Erich nach Blan kenese zu begleiten, um ein Landhaus zu besichtigen, welches Feddersen dort kaufen wollte. Elsa willigte ohne Widerrede ein, und ohne eine Ahnung dessen, was ihrer harrte, bestieg sie mit der Tante und Erich die bereitstehende elegante Equipage. Gegen seine Gewohnheit verhielt Erich sich während der Fahrt ziemlich einsilbig. Er wurde erst wieder leb hafter, als der Wagen vor dem Landhause hielt, an das sich ein großer, parkähnlicher Garten schloß. Ter Besitzer des Hauses hatte dasselbe schon seit Jahren nicht mehr bewohnt, aber es befand sich alles noch in gutem Zustande und wohl erhalten. Der Gärtner, der ein kleines Häuschen am äußersten Ende des Gartens inne hatte, führte die kleine Gesell schaft in den Zimmern umher, welche Frau Thekla flüch tigen Fußes durchschritt. Nachdem das Haus besichtigt war, betraten sie den Garten, der, sorgfältig gepflegt, mit seinen blühenden Bäumen und Sträuchern einen rei zenden Anblick bot. Erich hatte seiner Kousine den Arm gereicht, wäh rend die sonst so hochmütige Tante mit dem Gärtner leutselig plaudernd voranschritt. Bei dem kleinen Gärtnerhäuschen ««gelangt, fühlte sich Frau Feddersen plötzlich sehr ermüdet nnd ohne Zan dern nahm sie das Anerbieten des einfachen Mannes an, in seiner Wohnung ein wenig auszuruhen. Elsa traute ihren Ohren kaum; die stolze Tante, die ihre Diener sonst keines Blickes würdigte, betrat die arm selige, kleine Gärtnerwohnung! Ihre Ueberraschung sollte sich noch steigern, als Frau Feddersen sich zu ihrer Nichte wendend, sprach: „Laßt Euch in Eurer Promenade nicht stören. Ich werde Euch hier erwarten." Und freundlich nickend betrat sie hastig das kleine Haus, während Erich seine Kousine fast wider ihren Wil len mit sich fortzog. VI. Die Werbung. Das junge Paar wandelte eine Zeitlang schweigsam neben einander her; Elsa fühlte sich bedrückt und nieder geschlagen, während Erich vergeblich nach Worten suchte, um seiner Kousine das zu sagen, was ihm auf dem Her- zen lastete. Als sie vom Gärtnerhause weit genug entfernt waren, um von dort aus weder gesehen noch gehört zu werden, hob er mit leise bebender Stimme an: „Elsa, geliebte Elsa, willst Du mich anhören?" Das junge Mädchen blickte ihren Kvusin befrem det an. „Was hast Du mir zu sagen, Erich?" fragte sie mit stockendem Herzschlag. „Du errätst es nicht?" Ter leidenschaftliche Ton, in welchem er sprach, übte auf Elsa keine Wirkung aus; sie befreite ihre Hände ans den seinen, doch er, von neuem nach denselben haschend, fuhr mit Ungestüm fort: „Teure Elsa, ich liebe Dich!" Erbleichend trat das junge Mädchen um einen Schritt zurück. „Keine Komödie, Erich!" sprach sie kalt. „Du zweifelst an meinen Worten?" stieß er her vor. „Ja!" Mit ihren klaren Augen sah sie ihm fest und prü fend ins Gesicht und es entging ihr nicht, wie er zu sammenzuckte bei ihrer Antwort. Was war die Ursache dazu? Wenn er sie wirklich liebte? Doch war da- wirklich der Fall, so konnte es nur das beste sein, mit einem Schlage alles zur Klarheit zu bringen. Ihre Stimme zur Festigkeit zwingend, erwiderte sie: „Mache Dir keine Hoffnung, Erich! Ich kann niemals die Deine werden!" „Elsa, Du raubst mir jede Hoffnung?" ,Lch kann nicht anders! Was ich Dir sage, ist die Wahrheit. Ich vermöchte nie die Gattin eines Mannes zu werden, den ich nicht aus vollem Herzen liebe. Eher würde ich einsam meinen Weg durchs Leben wandeln, als am Altar einen falschen Schwur sprechen. Gib Dich daher keinen vergeblichen Hoffnungen hin. Mein Entschluß steht unwiderruflich fest!" „Tu bist hart und grausam, Elsa!" „Ich bin nur aufrichtig gegen Dich! Sei auch Du e- und antworte mir, ob Du nicht nur deswegen, weil Dein Vater es so will, diesen Schritt zu tun bereit bist?" Er mußte die Augen senken vor ihren forschenden Blicken. „Tu täuschest Dich, Elsa! Ich weiß allerdings, daß mein Vater meine Wahl billigen wird; einen weiteren Einfluß hat sein Wille aber nicht auf meine Gefühle." „Keine Verstellung, Erich! Wenn Tein Vater Deine Wahl mißbilligte, so würdest Du mich ohne weitere- kampflos aufgeben! Reden wir nicht mehr darüber, son dern kehren wir zur Tante zurück." Erregt vertrat Erich ihr den Weg. „Nein, ich lasse Dich nicht so von mir!" rief er mit bebender Stimme. „Du treibst ein grausames Spiel mit mir. . „Nicht weiter!" unterbrach Elsa ihn gebieterisch. „Nichts liegt mir ferner, als ein bloßes Spiel in einer solchen Angelegenheit. Weder Tu, noch Onkel Rolf, noch sonst jemand wird mich zu einer Abänderung meine- Entschlusses zwingen. Tas Nein, welches ich gesprochen habe, ist ein unwiderrufliches!" Hoch aufgerichtet stand sie vor dem jungen Mann, der, einem Verzweifelnden gleich, ihren Arm mit bei den Händen umklammerte. Erich liebte in der Tat seine Kousine, so weit er überhaupt dieses Gefühls fähig war. Die Wünsche seine- Vaters vereinigten sich mit den seinigen und es war ihm daher leicht geworden, die Rolle des gehorsamen Sohnes zu spielen. Dennoch mußte er sich sagen, daß Elsa ihn voll kommen richtig beurteilt hatte. Wenn sein Vater gegen eine Verbindung mit ihr gewesen wäre, so würde er sie ohne Widerstand aufgegeben haben. Er war ein schwacher Charakter, der trotz allem ihm anhaftenden Leichtsinn vor dem gestrengen Vater einen großen Respekt besaß; er hätte sich nie unterstanden, auch nur ein Wort des Widerspruchs gegen ihn zu wagen, in dessen Händen er ein nur zu gefügiges Werkzeug abgab, das zu allem fähig war. Er hatte nicht im Traume daran gedacht, daß Elsa seinen Antrag zurückweisen könnte, und de- Vater selbstbewußte Sicherheit hatte ihn erst völlig seiner Sache gewiß gemacht. Und nun? Dem jungen Manne bangte davor, als abgewiesener Freier vor seinen Vater hinzutreten, und so beschwor er Elsa trotz ihrer nachdrücklichen Weigerung aus das leiden schaftlichste von neuem, ihn nicht zurückzuweisen, son dern seinen Antrag anzunehmen. Ein kaltes, festes „Nein" war ihre wiederholte Ant wort. Erichs Bitten und seine sichtliche Angst machten keinerlei Eindruck aus das junge Mädchen.