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kenkeu vertieft. Daräuf wandte er sich an Claudia und sagte zu ihr beinahe mit einem Ton der Mtte: „Wollt Ihr mir jetzt erzählen, was Euch in jener Nacht aus gefallen ist?" Claudias Bewegung war sichtbar. Sie war offenbar unschlüssig, was sie sagen sollte. Sie zögerte mit der Antwort, wie Jemand, der bedacht ist, nicht zu viel zu sagen. Endlich sprach sie unsicher: „Auch ich habe die Hilferufe vernommen, wie Julia." Hier hielt Claudia etwas inne. Dann setzte sie mit zögernder Stimme hinzu: „Cassia, die Sklavin, kam in Hast zu mir gestürzt, als ich in großer Angst beim Altäre im Tempel stand. Sie führte mich zu Julia. Tas Uebrige wißt Ihr," setzte sie rascher hinzu. „Wie kam es, daß Ihr Euch so rasch zur Flucht ent schlossen hattet?" fragte Ambrosius, dem nichts im Wesen Claudias entgangen war. „Ich nahm mir nicht die Zeit zur Ueberlegung. Ich glaube, es war die Furcht vor dem, was mir bevorstand, wenn man Julias Anwesenheit und deren Zusammen treffen mit ihrem Kinde bemerkt hätte." „Also weiter wißt Ihr nichts?" Ter Ton in Am brosius' Stimme und die Weise, wie er das sagte, be kundeten deutlich, daß er noch Anderes vermuthete. Claudia verblieb schweigend. Sie senkte bloß den Kopf aus ihre Brust herab und schien mit sich zu kämpfen. Nach einer Weile erst wiederholte sie die Worte von Ambrosius: „Weiter weiß ich nichts." Es trat nochmals eine Pause ein. „Kanntet Ihr Martinus nicht?" Jetzt erfolgte die Antwort Claudias unbefangen und bestimmt: „Ich habe nie mit ihm gesprochen. Ich hatte ihn nur einige Male bemerkt, als er bei Anlässen, die mich in die Leffentlichkeit führten, nach mir mit dem Ausdruck der Theilnahme gesehen hatte." „Dieses glaube ich Euch," sagte Ambrosius mit cigen- 1 sinnlicher Betonung. Sein Antlitz war weder herrisch, nvch strenge, als er so sprach. Es drückte lediglich die An sicht eines hohen Geistes aus, der jedes menschliche Füh len ergründet und deshalb Nachsicht zu üben weiß. Er sagte nur: „Ter arme, unschuldige Martinus wird ver- urtheilt werden und den Tod. erleiden müssen." Claudia durchfuhren diese Worte wie glühende Stahl klingen. Eine entsetzliche Gemüthsbewegung bemächtigte sich ihrer. Sie vermochte kein Wort mehr hervorzubringen, wie versteinert stand sie da. . „Ihr wolltet Christin werden, Claudia?" hob Am brosius wieder an. „Ten reuigen Sünder nur empfängt der Herr in seine mitleidsvollen Arme. Prüft Euch, Claudia! Kehrt in Euch ein und erforscht Euer Gewissen, ob Ihr würdig seid, die heilige Taufe zu empfangen! Wenn Ihr Euch rein und vollständig reuesähig findet, dann kommt zu mir!" Ambrosius hatte sich erhoben, sein edles Antlitz drückte tiefen Ernst und Trauer aus. Er hatte sich abgewandt und war von Julia begleitet hinausgeschritten. Claudia war nicht fähig, sich zu bewegen. Sie lvollte rufen, die Stimme versagte ihr, sie wollte Ambrosius nachstürzen und konnte kein Glied bewegen. Als sich der furchtbare Krampf, der sic bewegungslos fesselte, löste, stürzte sie mit einem Schrei ohnmächtig zu Boden. Als Julia nach einiger Zeit zurückkehrte, fand sie Claudia noch besinnungslos am Boden liegen. Tie brachte sie wieder zu sich, doch schien Claudia wie geistes abwesend, nicht mehr fähig, einen Gedanken zu erfassen. Rnhkks irrte sie nun Tage und Nächte in ihren« engen Gemach herum. — MartinuS unschuldig sterben lassen, oder Philippus beschuldigen, kein anderer Ausweg bot sich ihr, und das Leid, das sie darüber empfand, hatte ihre Geistesfähigkeiten gleichsam gelähmt und ihre ganze Kraft vernichtet, sie war nicht mehr fähig, sich zu einem Ent schlüsse aufzuraffen. * * Shmachus, der Präfekt, Procvpus und seine Anhänger waren auf das Aeußerste aufgebracht, daß die Richter des Martinus die öffentliche Gerichtsverhandlung verzögerten, daß der Mord eines der Ihren, die Entweihung ihres größten Heiligthums, nicht die gerechte Strafe empfangen sollte. Mehrmals hatten diese Parteihäupter durch Auftvand ihrer letzten Kraft und Mittel Leute aufgebracht, die sich vor dem kaiserlichen Palast zusammenrvtten mußten, um niit Heftigkeit auf die Bestrafung von Martinus zu dringen. Alle Nachforschungen waren umsonst geblieben. Nie mand anders wie Martinus konnte, nach der Meinung der Richter, den Mord begangen haben. Selbst falsche Zeugen hatte Procvpus zu beschaffen gewußt, um den Verdacht gegen Martinus zu bestärken. Bald nach dem Besuche des Ambrosius bei Claudia erfuhren die Römer, daß die Gerichtsverhandlung über die Mordthat im Hause der Vestalinnen stattfinden sollte. Tie Christen hatten jede Hoffnung aufgegeben, Martinus zu retten. Bon Seiten der heidnischen Priester tvaren Beweise ausgebracht worden, die leinen Zweifel darüber aufkommen zu lassen schienen, da!ß der Jünger des Ambrosius das Verbrechen begangen habe. Es waren an dem Morgen nach der That blutige Fußspuren entdeckt worden von der Stelle, wo der Mord begangen wurde, bis zu dem Orte, wo Martinus von den Wachen festgcnommen worden Ivar. Auch hatte man in der Nähe den Tvlch gefunden, den der Mörder dort von sich geworfen haben mußte. Es war ein Fall, der unter den Römern die größte Aufregung hervorrief, und die Gefühle der beiden Parteien auf das Heftigste gegeneinander aufgebracht hatte. Claudia bemerkte trotz ihres zerrütteten Gemüths- zustaudes, daß Julia und der alte Hausvater in große Betrübniß verfallen waren. Diese beiden guten Menschen trachteten Claudia den Grund ihrer Bekümmerniß zu ver hehlen, da sie fürchteten, daß eine solche Mittheilung sie Vollends krank machen würde. Doch die verweinten Augen Julias verriethen ihr, daß etwas Außerordentliches vor liegen müsse. Eine furchtbare Unruhe bemächtigte sich ihrer. Sie hatte tagelang in einer Art von verworrenen, unklaren Befürchtungen wie in einem drückenden Traume hingelebt, der gleichsam ihre Sinne befangen hielt. Plötzlich zerrissen die Skebel, die ihren Geist umdunkelt hatten, und sie begriff mit durchdringender Sicherheit die Ursache des Schmerzes ihrer Freundin. Eine Gemüthsbewegung hatte sie dem Irrsinne nahe gebracht, eine zweite, noch heftigere, hatte ihr dis Fähig keiten ihres Verstandes zurückgegeben. Zu Julias größtem Erstaunen trat Claudia, die sich in der letzten Zeit scheu von Mlen abgewandt hatte, mit Sicherheit auf sie zu und frug sie, ernst und gefaßt, ob vielleicht eine Entscheidung über Martinus gefallen sei. Als Julia sie vollkommen bei Besinnung sah, ant wortete sie traurig, daß am nächsten Tage die öffentliche Gerichtsverhandlung stattfinden sollte, und daß sehr wenig Hoffnung vorhanden sei, MartinuS vor dein Todesurtheil zu bewahren »SM »ne? 27 Claudia wurde todtenblaß, doch äußerte sie sonst keine Aufregung. Einige Stunden blieb sie in tiefes Nachdenken versunken, als ob sie sich zu einem Entschlüsse vvrbereiten würde. Am nächsten Morgen war das römische Forum, das in den letzten Zeiten viel von seiner Anziehungskraft auf die Bewohner Roms verloren hatte, weil die Christen die Stellen mieden, wo Alles au den von ihnen verabscheuten Götterglauben mahnte, von Menschen überfüllt. Seit den frühesten Morgenstunden waren die Römer aller, auch der entferntesten Stadttheile herbeigeeilt. Tie Basilika Julia, uw die Gerichtsverhandlung stattfinden sollte, war von Leuten der verschiedensten Stände über füllt. Diejenigen, die in dem weiten Raume des Gerichts saales nicht hatten Unterkommen können, hatten sich auf dem Forum aufgestellt. Tie Stufen, die zu den Tempeln führten, sowohl der hoch als nieder gelegenen, waren vom Volke besetzt. Alle blickten mit größter Spannung die Via Sacra entlang, wo die Menschenfülle nur eine schmale Gasse frei gelassen hatte für den Zug, der den Angeklagten von dem Marmertinischen Kerker aus in deu Gerichtssaal begleiten sollte. Eine große Erregung gab sich in dieser Volksmenge kund. In hehrer Ruhe wölbte sich der tiefblaue wolkenlose Himmel über dieses Bild menschlicher Leidenschaft. Nie mand von den vielen Tausenden, die da versammelt waren, schien die heißen Strahlen der Julisonnc zu beachten, die auf die unbedeckten Köpfe niederbrannte. Tie Christen waren die ersten zur Stelle gewesen; sie bildeten die enge Gasse, durch die Martinus zu schreiten hatte. In schmerzlichster Bewegung harrten sie seiner, den Alle kannten und seines sanften, liebevollen Wesens halber geliebt hatten. Worte der Ermuthigung und des Trostes wollten sic ihm zurufen, um ihm das Furchtbare zu erleichtern, das ihm bcvorstand. Im Gegensätze zu der großen Betrübniß der Christen drückten die Anhänger der Götter nur Schadenfreude aus, und rücksichtslos besprachen sie untereinander, über die Köpfe der Christen hinweg, was vorging, ohne mit Schmähungen gegen Diejenigen zu largcn, die ihr Heilig- thum entweiht hatten. Endlich, nach langem Warten der Zuschauer, erschien der Zug, vom Mamertinischen Kerker kommend, am un teren Ende des Forums. Man gewahrte die Soldaten mit den Helmen auf dem Kopfe und kurzen gezogenen Schwertern in der Hand. Zwischen ihnen kam der Angeklagte. Wer nicht von Haß und Rache erfüllt war, hätte isfort an dem Aussehen von Martinus seine Unschuld erkennen müssen. In sein weißes, faltiges Gewand gehüllt, das nur die mit Sandalen bekleideten Füße freilich, sielen die dunklen Locken seines langen .Haupthaares um sein schönes Gesicht auf die Schultern herab. Er hatte die in Ketten ge- auf die Schultern herab. Er hatte die in Ketten ge fesselten Hände auf der Brust gefaltet und schritt mit dem Ausdruck der demüthigften Hingebung seinen Marlerweg dahin. Ter Angeklagte schien nichts von dem, was um ihn vorging, zu bemerken. Er hatte seine Blicke zum Himmel erhoben. Er schien nicht mehr dieser Welt anzu gehören. Tie Christen begriffen, daß er sich in der Hoffnung auf die Seligkeit im Jenseits mit Ergebung in den Willen des Herrn fügte. Lautlos beugten sie Alle die Köpfe wie im stummen Gebete. Sie empfanden, daß Martinus ihres Trostes nickt bedurile. Ans die rachsüchtigen Gegner hrachte des Angeklagten Aussehen eine ganz andere Wirkung hervor. Sie brachen in heftige Schmähungen aus. „Heuchler. Verführer, Tempclschänder und Mörder?" waren noch die sanftesten Worte, die ihm von den geschickt unter die Menge verteilten Anhängern des Procvpus zu gerufen wurden. „Wir wollen sehen," so riefen sie, „ob Tu auch nach den« lkrtheile eine so freche Haltung beibehalten wirst! Wenn die Richter gerecht sind, so sollst Tu nicht bloß am »kreuze sterben, sondern vorher mit glühenden Zangen ge zwickt, gerädert und geröstet werden!" Tie Wuth und Rohheit des tollen Haufens schien sich zu steigern, je weniger die Schmähungen auf Martinus von Wirkung waren, llüoch länge, nachdem er unter den Hallen der Basilika verschwunden war, tobte das Volk der feindlichen Partei in dieser Weise fort. Im Gerichtssaale war Alles anwesend, was es in Rom, außer dem Kaiser und seiner Mutter, Hervorragendes gab, Patrizier und Bürger jeden Standes. Ter lange weite Marmorsaal bot ein bewegtes Bild dar. Ten erhöhten Platz unter dem runden Theil des Saales, der Exedra, nahmen die Richter ein. Unweit von ihnen befand sich der Angeklagte. An den Längsseiten des Saale- waren so nahe, daß sie sich berühren konnten, die Anhänger und Gegner von Martinus ausgestellt. Procvpus hatte, als öffentlickcr Ankläger, den Rich tern gegenüber seinen Platz gewählt. Cs herrschte die größte Spannung und Erregtheit unter den Anwesenden. Tie Zeugen wurden vernommen. Es waren ihrer nur wenige, und sie sagten nur das aus, was Alle in Rom schon wußten. Tie Reihe war au den Oberpriefter gekommen. Er versäumte nicht. Alles haarklein zu schildern, was den Mord des Priesters als eines der gräßlichsten Verbrechen darstellen konnte. Zum Schlüsse beantragte er, daß der Mörder zur Todesstrafe vcrurtheilt werde, verschärft durch vorhergehende Folterung des Körpers. Mit grausamer Wollust betrachteten Shmachus und Procvpus die Christen, die im Saale standen, denn weit mehr diese, als Martinus selbst, empfanden die Schmach, die cinetn der Ihren widerfuhr. Ter Vertheidiger von Martinus, der ein angesehener Mann der christlichen Gemeinde war, tonnte keine andern Beweise anführen, um die furchtbare Anklage zu Nichte zu machen, als daß Martinus durch seinen makellosen Lebenswandel stets bewiesen hätte, wie wenig er eines Verbrechens fähig sei. Ter Umstand aber, daß Martinus bei dem Verhöre ganz offen eingestanden hatte, Julia zu dem Hause der Vestalinnen gebracht zu haben, um wo möglich ihr Kind zu befreien, erschwerte seine Lage sehr. Martinus hatte der ganzen Verhandlung, die wegen der geringen Anzahl von Zeugen nicht gar zu lange ge währt, mit verklärter Ruhe beigewohnt- Ter Blick seiner sanften Augen, seine gefalteten Hände, welche die Fesseln nicht zu empfinden schienen, drückten nur Gottvertrauen und Ergebung in den höchsten Willen aus. Ter Augenblick war herangetommcn, wo die Richter sich in einen Nebenraum begeben sollten, um über das Urtheil zu berathen. Tief gedrückt von der schmerzlichen Gewißheit der Ver- urtheilung des Martinus neigten die Christen ihre Häupter Ivie im stummen Gebet. Tie Richter hatten sich schon von ihren Plätzen er hoben, als sich von dem Forum aus ein Geräusch ver nehmen ließ, das wie Stimmengewirr einer aufgeregten Menge sich anhörte. Tas harrende Bolt zwischen und an den großartigen Bauten des Forums war durch eine über raschende Erscheinung in Erstaunen versetzt worden, das