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8 verzichten. Ich hatte ja auch auf meinen Lieblingswunsch verzichtet, Baleria taufen zu lassen. Ich wollte sie nur lehren, gut zu sein, wie ich es von Euch gelernt hatte. Deshalb kam ich solange nicht wehr zu den Versamm lungen. Ach, ich ertrug ja Alles, Alles meinem Kinde zu liebe. Nur um sie bei mir zu behalten." Wieder schluchzte Julia. „Mein Mann behandelte mich schlecht, er ließ mich darben. Ich litt Hunger sür mein Kind! Alles verschwendete er an die Sklavinnen in unserm Hause! Alles. . . Alles ertrug ich geduldig, ohne Jam mer, ohne Aage! Nur in meiner Kammer an dem Bette meines Kindes weinte und betete ich. O Herr, da mußte ich mich heute Morgen eines nöthigen Geschäftsganges halber vom Hause entfernen, und als ich nach einer Stunde heimkam, war Valeria fort. Mein Kind! Mein And!" schluchzte sie wieder, dann fuhr sie fort: „Ich irrte im Hause herum, ich suchte sie bei den Nachbarn, überall. Niemand wußte mir Bescheid. Endlich hatte einer der alten Sklaven Mitleid mit mir: „Ter Herr und seine Mutter haben sie fortgenvmmen." Eine böse Ah nung erfaßte mich. Ich eilte ohne Verzug auf das Forum zu dem Hause der Vestalinnen. Kaum hatte ich das Forum erreicht, als ich meines Mannes ansichtig wurde, der mit seiner Mutter von der Vestalinnen Haus lam. Valeria war nicht mehr bei ihnen. In furchtbarer Angst stürzte ich auf meinen Mann los. „Wo ist Baleria ?" rief ich ihm entgegen. „Tie ist, wo Tu ihr nicht mehr schaden kannst. Sie muß Priesterin der Vesta werden." Ta stürzte ich besinnungslos zusammen. Man brachte mich heim. Kaum kehrten mir die Sinne wieder, so floh ich von Hause zu Euch, Bruder. „Ambrosius, Ambrosius!" schrie Julia flehend und verzweiflungsvoll, „verschaffe mir mein Kind, lasse mir mein Kind zurückgeben! Dich werden sie an hören! Ambrosius, habe Erbarmen!" Tie Christen standen erschüttert um Julia herum. Ambrosius verhielt sich schweigend. Ernst war seine hohe Denkerstirn gefurcht. „Steh auf, Julia!" sagte er nach einer Weile. „Gehe heim und trag« Teinen Kummer mit Ergebung!" „Ich heim gehen — ich! ich! nach dem, was sie mir angethan? Nie, niemals!" schrie sie in furchtbarer Er regung auf. „Morden würde ich sie, die Elenden!" „Mein And! Mein Kind!" schrie sie wieder in stei gender Verzweiflung. Ta erhob auch Ambrosius seine Stimme. Er hatte sich hoch aufgerichtet, strafend und gebieterisch sah er auf Julia nieder, die sich in ihrer Verzweiflung windend an seine Knie anklammerte. „Erhebe T-ich, Weib!" fuhr er sie zornig an. „Tu wolltest Christin sein! Unwürdige, geh! Erst, wenn Tu Deine Worte der Rache bereut haben wirst, kehre zu mir zurück!" Und mit würdiger Festigkeit sich von Julia losmachend, schritt Ambrosius den Christen voran der Stadt zu. Einige der christlichen Frauen brachten Julia, die unter den Worten des Ambrosius zusammengebrochen tvar, in ihr Haus zurück. * * * Neben dem Hause der Vestalinnen stand ein anderes kleines, aber nicht minder prachtvolles, mit Statuen und feiner Steinarbeit geschmücktes Haus. Sein Inneres prangte ebenso von Vergoldungen, seltenen Marmor gattungen, künstlichen Wandmalereien und Purpurstoffen. An seiner Stelle war von jeher die Regia gestanden, oder das Königshaus, wo einst der Pontifex Maximus, der höchste Priester, gewohnt hatte. Seit Kaiser Augustus war diese Würde mit der Würde des Imperators ver schmolzen worden, es wohnte also in diesem Hause nur mehr der Oberpriester, der das Amt des höchsten Priesters zu versehen hatte. Und mit ihm wohnten da mindere Priester, Pontifici benannt. Ter Oberpriester Procvpus Livus befand sich in einem reichen Gemache, das schwere Purpurvorhänge an den Thüren von der Außenwelt abschlossen. Hier empfing Procvpus seine Besucher und Bittsteller, die aus dem Vorsaale, wo sie oft lange warten mußten, einzeln ein-? gelassen wurden. Procvpus stand noch in voller Mannes kraft. Er hakte ein glattes Gesicht, durchdringende Augen und ein hartes, vorstehendes Kinn. Tücke und Willens kraft hatten ihm den Weg gebahnt zu dem einträglichen Amte, das er betlcidetc. Bei Procvpus befand sich ein anderer Mann, dessen Gesicht leicht den gewissenlosen Wüstling errathen ließ. „Ich meine, Sempronius, ich hätte Euch schon genug gegeben. Ihr fordert aber unersättlich weiter." „Mir dünkt, der Gefallen, den ich Euch erwiesen habe, ist nie genug bezahlt. Erst nachträglich wurde ich mir des ganzen Werthes meiner Gefälligkeit bewußt. Ihr hattet Euch schon nach allen Seiten vergebens gewendet. Tie Schwierigkeit, Euch Priester zu verschaffen, steigt immer mehr, und vollends für den Tienst der Vesta will Niemand mehr eine Tochter abtreten. So sah ich ein, daß ich Euch mein reizendes, hochbegabtes Kind um viel zu wenig hingegeben habe. Ich bin nun gekommen, Euch aufzusordern, mir gleich noch einmal so viel zu geben, oder mir die Kleine zurückstellen zu lassen." Fortsetzung folgt. Denk- und Sinnsprüche. Harr' aus mein Herz, wenn auch der Gram J«S Leben dich getroffen, Wenn auch entweiht in Grimm und Scham Dein jugendliches Hoffen. Führt auch dein Päd auS Wald und Feld Hinaus auf öde Haide — Im Glücke trotzest du der Welt, Nun kotz' ihr auch Im Leide. Und will auch dein gekühltes Blut Kein künftig Heil mehr glauben. Laß dir den todeskühnen Muth, Den freie» Trotz nicht rauben! Bleib' selbst dir kru, bleib' dein bewußt Im Jammern und im Zorne, Und falle, wenn du fallen mußt, Als Held, die Wunden vorne. Wilhelm Herz. * Zwei Augen, deren Blick unS verdammt, Die üben gewaltiges Richteramt; Doch zwei, die nun geschloffen der Tod, Die Einer weinen machte in Noth, Die lassen ihn nimmer aus Erden ruh'», Wie tief ihr sie möget In die Erde thun. Alter Spruch. * . * Wenn es heil'gr Pflicht ist, einen Todten, Wer er auch immer sein mag, zu bestatten, So ist die Pflicht noch heir'ger, ihn von Schmach Zu reinigen, wenn er sie nicht verdient. Hebbel AM «b w" Sauger S »iuterlich kn Richu — Mr di« Redaktion verantworüich: Hermau» Schmidt in Ries». Erßhler an der Elbe. velletr. Gratisbeilage zu« „Riesaer Tageblatt". Rr. S. Rief«, der» LI. Januar 1»«». SS. JechrG. Die letzten Vestalinnen. Erzühlung von Emil Clement. Fortsetzung Das war die letzte Mahnung. Tann bot Flaminia ihren Gruß und verließ den Raum. Auch Claudia ent fernte sich und eilte in das obere Stockwerk. Sie begab sich vorerst in ihr Gemach, das reich geschmückt war, wie die Gemächer der vornehmen Frauen Roms. Dienende Sklavinnen erwarteten sie dort. Sie lösten der jungfräu lichen Priesterin die goldene Schnalle, die ihren Schleier an der Brust zusammen faßte, und nahmen ihr die Fest gewänder ab, um ihr ein einfaches weißes Gewand an zulegen. Claudias Gedanken beschäftigten sich, indeß sie die Sklavinnen gewähren ließ, mit dein, was sie in den letzten Stunden erlebt hatte. Nachdem das feierliche Opfer der Priester im Jupiter- Tempel beendet war, hatte sie mit den drei anderen Vestalinnen, geführt vom Obermagister und den Ober priestern, den Heimweg über das Capitol und die Via Sacra des Forums angetreten. Sie hatte schon bemerkt, daß einige Römer, die den Zug von dem capitolinischen Hügel herabkommen sahen, schleunig andere Wege ein schlagend, ihnen auszuweichen suchten. Als ihr Zug an die Basilica Julia herangekommeu war, trat aus dem Wege, der unterhalb derselben, von der Via Niova kommend, in die Via Sacra einmündete, eine große Schaar von Volk hervor. Arme und Reiche waren es. Niedere und Vornehme, die da friedlich nebeneinander herschritten. Ein hoheits voller Mann mit geistvollen edlen Zügen führte sie an. Zugleich hatte Claudia die Gestalt eines Mannes erblickt, der abseits des Zuges stand und nur ein müßiger Zu schauer zu sein schien. Sobald Claudia dieses Mannes ansichtig wurde, fühlte sie sich erzittern, denn er war es, dem sie immer und immer legegnete, wenn sie sich mit den Gefährtinnen und Priestern zu einer heiligen oder weltlichen Feierlichkeit begab. Claudia wußte nicht, wer der schöne Mann war, sie sah nur, daß er den höchsten Ständen Roms angehörte. Mit vornehmer Nachlässigkeit trug er die gefaltete roth- gesäumte Patrizier-Toga um seine schlanke Gestalt ge schlungen. Ein feingekräuselter Bart umgab sein wohl formtes Gesicht, und sein dunkles Haar tvar svrgfältigst geordnet. Ringgeschmückt waren seine langen, schmalen Hände. Auch heute, wie er es immer gethan hatte, be trachtete der schöne Unbekannte Claudia mit bewun dernden Blicken. Claudia hatte sofort, als sie seine Augen auf sich ge richtet fühlte, die Blicke zur Erde uiedergesenkt. Ihr Herz hatte aber stürmisch zu schlagen begonnen, und ihr liebliches Antlitz war erst sehr blaß getoorden, und dann waren ihr die heißen Bluttvellen vom Herzen in die Wangen emporgeschossen. Tas Gesicht des Patriziers verrieth Befriedigung, als er die Wirkung seiner Gegenwart auf die reizende Vestalin bemerkte. Indeß war der Zug der Priester und Priesterinnen an die Bolisschaar herangekommen, die sich ihnen entgegen be wegte. Die Vestalinnen schickten sich soeben an, den Gruß, der ihnen stets vom Volke geboten wurde, zu empfangen und zu erwidern, als sie gewahr werden mußten, daß so wohl der hoheitsvolle Anführer jener BolkSschaar als diese selbst die Köpfe mit dem Ausdruck von Abscheu und Verachtung von ihnen wegwandten, ihre Schritte beschleu nigend, als betrachteten sie, sich so schnell als möglich aus einer verhaßten Nähe zu entfernen. Der Eindruck, den Flaminia, die als Vorsteherin vvranschritt, empfand, war so heftig, daß sie wie vom Schlag gerührt stehen geblieben war, mit namenlosem Erstaunen und Entrüst ung der Vvlksschaar nachblickend, die rasch und schweigend sich entfernte. Auch Claudia erschrak heftig über das Unterbleiben der nie verweigerten Ehrenbezeugung von Seiten des Volkes. Als sie so dastand, wartend, bis Flaminia sich weiterzubcwegen im Stande Ware, fühlte sie sich wieder unwiderstehlich angetrieben, nach Jemandem zu schauen, der herangclvmmen und unweit ihres Zuges stehen ge blieben war. Tem Drange nachgebend, sah sie den schönen Patrizier, der spöttisch lächelnd sich an diesem Auftritt zu ergötzen schien. Er betrachtete mit unverhohlener Schadenfreude die liebreizende Claudia und ihre Gefährtinnen, die noch alle unter dem Eindrücke der unerhörten Frevelthat wie ver steinert standen. „Vorwärts!" hatte sich da die zornige Stimme des Obermagisters vernehmen lassen, und der Zug setzte sich wieder in Bewegung dem Tempel der Vesta zu. So rasch sich das Alles abgespielt, es war doch Jemand unter der Vvlksschaar gewesen, der es gewagt hatte, theilnehmend nach den Vestalinnen zu sehen. Seine Blicke waren be sonders aus Claudia gerichtet, die hoch und schlank in ihrer anmuthigen Haltung die anderen Priesterinnen überragte. Es war ein junger Mann, der ein ernstes Gesicht hatte. Nicht frech begehrlich, betrachtete er Claudia, nur ein tiefes Mitleid schien er für sie zu empfinden. Als er Claudias Blicken folgend, den vornehmen Patrizier, den echten Sohn des altrömischen Adels, an der andern Seit« des Weges gewahrte, verwandelte sich der Ausdruck seiner Züge in Angst zünd Sorge. Und da geschah es, daß auch Claudia ihn bemerkte. Weit mehr als der Schimpf, den die Priesterinnen empfangen hatten, beschäftigte des Pa triziers cigenthümliches Wesen Claudias Gedanken. Tas war es auch gewesen, was sie die Vorwürfe der Vorsteherin hatte so leicht hinnehmen lassen. Sie selbst machte sich längst Vorwürfe, des schönen Unbekannten zu gedenken, den sie oft bemerkt hatte, sowohl in der Stille ihrer Kammer, als wenn sie am Altar stand und daS heilige Feuer nährte, oder wenn sie im heiligen Wäldchen an ihrem Hause unter den uralten immergrünen Eichen sich erging. Und jetzt sann sie über den eigenthiimlichen Ausdruck seiner Züge nach, als er spöttisch lächelnd sie betrachtet hatte. S-ie tvar sich selbst bewußt, daß sie nur mehr mit halben Sinnen ihre Pflichten erfüllen konnte. So begab sich Claudia, nachdem sie um ihr einfaches weißes Hausgewand unter der Brust den Gürtel gelegt hatte, der deutlich den Liebreiz ihrer Gestatt hervortreten ließ, in das Gemach der Kinder. Sie suchte, sich Gewalt anthuend, an das zu denken, was sie nun zu thun hatte.