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— 14? faltete sie krampfhaft die Hände und wieder flehte sie in höchster Angst: .Nur fest bleiben!" »Guten Abend, Fräulein von Brenken," sagte eine leise, gedämpfte Stimme dicht hinter ihr. »Gestatten Sie einem alten Bekannten, Sie zu begrüßen?" Langsam kehrte sie sich um. Sie standen sich gegenüber und sahen sich wieder in die Augen, die blauen hatten einen bittenden Ausdruck, die braunen streiften ihn mit einem stolzen, kalten Blick. »Ich wußte nicht, daß Sie hier sind," sagte sie sehr ruhig, obgleich ihr fast der Athem stockte. Eine halbe Sekunde vielleicht berührte sie seine auSgestreckte Hand, so kühl und fremd, als sähe sie ihn heute zum erstenmal. »Wie ist eS Ihnen und den Ihren ergangen, seit wir uns zuletzt sahen?" fragte er schüchtern, seine Handschuhe auf- und zuknöpfend. »Ich hörte lange nichts von Ihnen Allen." Sie hob das schöne Haupt noch höher. »O sehr gut," sagte sie kurz, »Axel ist in Kairo." »WaS thut er dort?" fragte sein ehemaliger Regiments kamerad erstaunt. »Er arbeitet, wie wir Alle es thun," erwiderte sie trocken. »Ich bin mit, — hm, — mit meiner Frau bei Ihren Verwandten zum Besuch," er räusperte sich verlegen. »Sie wollte das Conzert besuchen, weil einer Ihrer Vettern mit wirkt." Schnell und sich selbst überhastend sprach er diese Worte, um die schwüle Pause zu unterbrechen. »Leben Sie ganz in Stuttgart, gnädiges Fräulein?" »Ja, ich bin Musiklehrerin im R.'schm Institut." »Wie ist rS möglich, daß Sie, — gerade Sie sich in eine so abhängige Stellung hineinfinden konnten? Sagt sie Ihnen zu?" Ein hochmüthiger Blitz ihrer dunkeln Augen sprühte zu ihm hinüber. »Das ist meine Sache! gab sie eisig zurück. »Wir sind unS doch zu fremd, Herr von Haßfeld, als daß mein Wohl und Wehe Sie interessiren könnte. DaS Recht, darüber zu sprechen, räume ich nur meinen Freunden ein." Sie wollte ihm den Rücken wenden und sich entfernen, er haschte nach ihrer Hand und sagte mit vor leidenschaftlicher Erregung tonloser Stimme: »Einst hoffte ich, es zu sein!" Sie entzog sich seiner Berührung, als sei er ein giftiges Reptil, und ihn von Kopf bis zu Füßen messend, sagte sie sarkastisch: »Man bildet sich ost Vieles ein, mein Herr!" Er fuhr zurück, wie von einem scharfen Peitschenhiebe getroffen, da rief die breite, unangenehme Stimme seiner Frau über das ganze Zimmer: »Waldemar, wen hast Du denn da aufgegabelt? Laß doch sehen?" Sie rauschte in ihrem rothsridenen Kleide heran. »Ah! die junge Person, die vorhin so hübsch die Liszt'sche Rhap sodie spielte. Wirklich, meine Liebe, gar nicht übel, ganz charmant." Sie klopfte Gertrud ermuthigend auf den Arm und betrachtete sie aufmerksam durch ihr Lorgnon. Haßseld stand daneben, seine schwermüthigen, blauen Augen ruhten auf den beiden so verschiedenen Frauen, auf der, welche er geliebt, und auf der, welche er geheirathet hatte. Schlank und vornehm, mit dem Anstand einer Fürstin, sah Gertrud in dem einfachen creme Wollenkleide aus, jeder Zoll an ihr verrieth die Dame auS der großen Welt, jede Bewegung war welch und anmuthig. Sie trug keinen Schmuck nur die rothen Kamelien; was sie davon besessen, war lange schon verkauft, wenn die Noth eS erheischte und es ihnen daheim an dem Nöthigsten gefehlt hatte. Aber gerade in der Einfachheit ihres Anzuges kam ihre Schönheit voll zur Geltung, thaufrisch und königlich zugleich, glich sie der dunkel» rothen Rose, mit der sie Alma treffend verglichen hatte. Ihr zur Seite erschien die andere doppelt gewöhnlich und plump, der große unschöne Kopf mit den breiten Züge», das röthlich-blonde, krause Haar, die kurze, derbe Gestalt boten den auffallendsten Gegensatz zu Fräulein von BrenkenS Er scheinung. »Es ist Zeit, auf unsere Plätze zurückzugehen, Rosa linde," mahnte ihr Gatte ungeduldig, »das Conzert wird gleich wieder ansanqen." Frau Rosalinde von Haßield schob ihren Arm durch den ihre- Gatten und hing sich wie ein kleiner Sack daran. »Na, seien Sie nur nicht ängstlich, wenn eS wieder losgeht," rief sie im Fortgehen. »Ich werde schon tüchtig klatschen." Haßfeld zuckte spöttisch die Achseln. Dann, sich tief und ehrfurchtsvoll vor Gertrud verbeugend, verließ er mit seiner Frau daS Zimmer. Um diesen Preis hatte er sich verkauft. An dieses Ge schöpf war er gebunden, angeschmiedet fürs Leben! Wie sie ibn haßte und verachtete! So tief und heiß, so unaussprech lich! — Wie gern sie eS ihm nur einmal gesagt hätte, in dürren, klaren Worten! Vielleicht hatte er cs gemerkt! Sie freute sich bet diesem Gedanken. Als sie in den Saal zurücktrat, war sein Platz leer, ein flüchtiger Blick verrieth es ihr. Das laute Lachen seiner Frau ließ sich desto vernehmlicher hören, es mußte erst einige Mal um Stille gebeten werden, ehe sie sich beruhigte und die Vortragenden nicht weiter störte. — Gertrud sah weder ihn noch sie wieder, sie mußten die Stadt gleich nach dem Conzert verlassen haben. 12. Der verlorne Sohn. Unterdessen lag Egon fast sterbend zu Hause. Sein Uebel war sehr ernster Art und machte schnelle Fortschritte. Das ausschweifende Leben, das er geführt, die schwere Arbeit aus den Schiffen und die vernachlässigte Verwundung hatten ihn soweit gebracht. Wie der verlorne Sohn batte er voll Trotz daS Haus verlassen, um in der weiten Welt sein Glück zu versuchen; gebrochen an Leib und Seel« kehrte er nach wenig mehr als einem Jahre heim. Sie empfingen ihn voll Liebe und Nachsicht, kein Vor wurf traf sein Ohr, sie wetteiferten Alle darin, ihm die letzten Tage seines Lebens zu verschönen und zu schmücken. Frau ! von Brenken besonders war, obgleich tief erschüttert beim s Anblick ihres Lieblingssohnes, mit liebevollster Nachsicht um i ihn bemüht. Sie war selbst so leidend, daß sie geschont werden mußte, es war gut, daß sie die qualvollen Nächte, ' auf Wunsch Doktor Hansens, nicht bet dem Kranken zubrachte. Wie hätte ihr Mutterherz die traurigen Stadien dieses schreck- ! lichen Nebels ertragen? den kurzen, unruhigen Schlummer, ! das Ringen nach Luft, den hohlen Husten, der EgonS ringe- ! fallen« Brust zerriß. ! Die beiden treuen Freunde der Brenkenschen Familie ' standen ihnen in diesen trüben Tagen bei; der Arzt that ! Alles, um den Zustand des Sterbenden zu erleichtern, er war - es auch, welcher der armen Mutter aus die schonendste Art ! mittheilte, daß ihr Kind hoffnungslos krank sei, daß Egcn , daS Frühjahr nicht überleben werde. , Niemand ahnte es, wie furchtbar schwer eS ihm fiel, diese traurige Pflicht zu erfüllen. Tagelang kämpfte er mit sich, bevor er den Muth dazu fand. ' »Weiß Gott," dachte er, „ich möchte ihr jedes Leid er sparen, und doch ist eS besser, sie erfährt eS, der plötzliche — 143 Schlag träfe sie sonst unvorbereitet und könnte ihren erschüt terten Nerven schaden." Seine-gewöhnliche Trockenheit und Schroffheit traten ihr gegenüber niemals hervor, er sah in ihr noch immer Diejenige, die er einst heiß geliebt und deren Bild durch kein anderes verwischt worben war. Der junge Prediger, Robert Warnbeck, stc nd dem Kranken gleichfalls als Freund zur Seite, er wachte bei ihm und tröstete ihn in den Stunden der Verzagtheit, er richtete seinen Blick aufwärts zur ewigen, bessern Heimath. Anfänglich sprach Egon noch ost von der Zukunft, er machte Pläne und glaubte, er würde in kurzer Zett gesund sein. Alle seine liebens würdigen, bestechenden Eigenschaften kamen zur Geltung, er war wie umgetauscht, sanft und geduldig gegen Alle und für jede kleine Freundlichkeit dankbar. Das Leben hatte ihn in die Schule genommen, und in den langen, bangen Nächten vertraute er dem jungen Geistlichen noch und nach olle seine Tborheiten an, die in leichtsinniger und schlechter Gesellschaft verbrachten Stunden, den großen Fehltritt seine- Lebens, den er schwer gebüßt und jetzt innig bereute. DaS wahre, auf richtige Christenthum seines jungen Freund« 8 blieb nicht ohne Eindruck aus sein Herz, er richtete sich daran auf und fühlte sich gestärkt und getröstet. Gnmal, nach einer besonders schweren Nacht, fragte er Warnbeck: »Glauben Sie, daß ich noch gesund werden kann, Robert, ich möchte so gern leb n, um Alles gut zu machen." AlS cr angstvoll in daS Gefickt Roberts blickte, las er in den ernsten Zügen sein Todesurtheil. Da war eS denn wieder des Pastors glaubensvolles Zureden und Trösten, daS ihn stille machte, und ihn das ertragen lehrte, wrS Gott über ihn bestimmt halte. Zu Ostern kehrte Gertrud nach D. zurück. Sie wollte einige Wochen zu Hause bleiben, es war ihr unmöglich, ihre Mutter zu verlassen, so lange Egon krank war, auch bedurfte sie einer Erholung. »Trudchen," sagte er, als sie daS erste Mal allein waren, »kannst auch Du mir verzeihen, wie eS Axel und Heimchen bereits thaten, ich kann nicht ruhig sterben, bis Du eS mir gesagt hast." Sie kniete neben seinem Bett nieder und weint« leise, den Kops in sein« Kiffen vergraben, und sie sagte ihm, daß sie Alles vergessen und ihm nichts nachtragen wolle. Am Ostersonntag gingen sie All« zum Abendmahl, Egon hatte darum gebeten, und Robert Warnbeck hielt eine schöne, ergreifende Rede, die an dar Osterfest anknüpsend, von Aus erstehen und einer Wiedervereinigung im ewigen Baterhause sprach. Später lag Egon sehr friedlich da, daS Fenster war geöffnet, und die laue FrühlingSlust strömte in daS Sterbe zimmer, gemischt mit dem Dust der ersten Blumen, denn eS war, Ende April, und die Erde schmückte sich wie eine Braut zur Hochzeit. »Grüßt Axel," bat er mit kaum vernehmlicher, erlöschen der Stimme, »arme Mutter, bald ist er Dein einziger Sohn." In der Nacht starb er, ohne schweren TodeSkampf, daS schöne, abgezehrte Gesicht hatte einen glücklichen Ausdruck, ein seliges Lächeln verklärte rS, daß selbst die Mutter leise sprechen mußte: »WaS Gott thut, daS ist wohlgrthan." Neben dem kleinen Hügel, auf dem die Schneeglöckchen sproßten, fand er seine Ruhestätte, der verlorne Sohn, der wund und müde von der Wanderschaft heimgekehrt war uud nun hier, von allem Erdenleid geborgen, schlummerte. * * * Die Gesundheit Frau von BrenkenS war durch EgonS Tod schlechter als je, Doktor Hansen verlangte energisch eine Badekur in Rheme. Gertrud hoffte daS ihrige dazu bei tragen zu können, denn sie batte durch die Vermittelung von Fräulein Westerholz eine Stelle als Lehrerin im Süd« Deutschlands angenommen. Die Gag« war ein« so hohe, daß sie noch einem Vierteljahr eine ziemlich große Summe «ach Hauke schicken konnte, und auch Axel ermangelte nicht, sür die geliebte Mutter sein Sckerflein beizutragrv. Es wurde be stimmt, daß Heimchen sie begleiten und sie Ende Juli die Reise antreten sollten. Es war ihr dieses Mal besonders s h ver. sich von Ger trud zu trennen, sie bätte ihr gern anoertraut, wa« ivr Herz erfüllte, und bebte doch in mädchenhijter Scheu davor zurück. Ihr« Liebe zu Robert Warnbeck war durch das tägliche Beisammensein gewachsen nnd batte eine Diese und Stärke angenommen, die sie selbst sich nicht zugeiraat halte. Die liebenswürdige Persönlichkeit deS jungen M inne», sein immer heiteres, freundliches Wesen, der Eifer in stimm Beruf, sein warmes Christentbum, das sich tu ollen s in« Handlungrn kundgab, hatten ihr He,z gewonnen. Die Tage und Stunden am Schmerzenslager ihres BcuderS hatten ih« der Familie noch mehr genähert und ih« Allen sehr thrurr gemacht. Seine leuchtenden, brauncu Augen folgten H. laichen ver stohlen, wenn er sie hausmütterlich schalten und sorg« sah. Sie war in ihrer still«, bescheiden« Art die Seele del HauseS, wie Gntrud richtig gesagt. Die kranke Mutter ließ sich von ihr am liebst« pfleg«, sie erzog die jünger« Schwester n, süh'.tc die WIrthschast und dachte immer zuletzt an sich selbst. So lange Warnbeck kein festes Einkommen besaß, HM er es sür ein Unrecht, daS geliebte Mädchen an sich zu bind«. Ende Juli wurde er als Pfarrer in eine entfernte Provinz gewählt, ec mußte D. in vierzehn Tagen verlass« und wünschte vorher Gewißheit zu haben, ob seine Liebe erwidert wurde. Ein starker Südstmm hatte einen Tag getobt und i« dem klein« Gärtchen arge Verwüstungen ungerichtet. Heimchm betrachtet« einen hochstämmig« Rosenstock, dessen Ast halb ge brochen hinunterhing. Die Pfleg« ihres GartenS war ihre liebste Beschäftigung, der Vikar Hecks ihr dabei, und sie studir- ten eifrig Bücher und Zeitung«, die ihn« die aöthige An leitung gaien. Sie holte Bast, BaumwachS und eine Gartcnscheer^ konnte aber nicht allein mit der regelrecht« vandagirwU des beschädigte» Astes fertig werden. Da öffnete sich die kleine Pforte; sie sah schnell auf und rief erfreut: „Wie gnt, daß Sie komm«, Herr Warnbeck, bitte Helf« Sie mir, dies« armen Patimt« wieder herzustellen." Er trat herzu, und währmd sie behutsam dm Ast stützt^ schlang er Bast darum und verklebte die Stell« mit da« BaumwachS. »Der wird schnell gesund werd«,' sagte er, »Sie müsse» eS mich wissen lassen, wie ih« die Kur bekommen ist." Etwas in seinem To» ließ sie fragend zu ihm ausblickm, eS lag ein ungewöhnlicher Ernst auf seinem Gesicht. »Wie mein« Sie daS?" fragte sie erstaunt, .wollat Sie D. verlassen?" Sie waren, writerschreitend, in die Lindenlaube getretar, die mit ihren dichten Blättern eia verstecktes Ruheplätzchar bot. Warnbeck faßte ihre beiden Hände und sagte innig: »Ich habe eS soeben erfahren, daß ich zum Pfarrer i« K. gewählt bin. ES ist ein stilles Dörfchen, «ad daS Einkommen ist sehr gering. Lass« Sie mich aber nicht fortzieh«, «he Sie mir die Frage beantwort«, die mir fett Woch« auf da« Lipp« schwebt, Fräulein Heimchm!"