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— 63 »Ach. seine letzten, allerletzten Grüße. Wir muß er jene Leonore geliebt haben, daß er nicht einmal meiner gedacht, mir kein Won de- Trostes hinterlassen hat! Aber foltern Sie mich nicht länger und sagen Sie mir, wie kommen Sie zu diesem Sbschied-boten? Kennen Sie jene- Mädchen?" »Ich? Ob ich sie kenne? — Hier, meine theure Frau, fragen Eie Tantchen. Die wird Ihnen alles getreulich berich ten, denn ich selbst bin unfähig dazu. Doch zuvor küssen Sie mich nur einmal, als Ihr Kind. Ja? bitte! Als meines Arnold- und meine heißgeliebte Mutter — ich Hobe ja kein Mütterchen mehr und keinen Vater! — Jahrelang irrte ich verwaist unter Fremden, bis ich zu diesem, meinem herrlichen § Tantchen in den grünen, stillen Wald flüchtete. Dort spielte ich do» arme Mädchen; ich hatte e» wir immer so schön gedacht, ' um seiner selbst und nicht um deS Geldes willen geliebt zu werden, und al» wir unS fanden, Arnold und ich, verzog ich noch ein paar Stunden mit der Wahrheit, es fügte sich so — ach, zum Unheil so vieler edler Menschen, seiner und ' meiner selbst. Ich bin furchtbar gestraft für meinen Leichtsinn, gnädige Fra«, bin unsäglich elend geworden, ober nun —" »Kommt daS Glück, mein Kind; nun müssen wir ihn finden, wenn er überhaupt noch auf Erden wandelt, unser — Dein Arnold", sagte die tief erregte Frau und schloß das erglühende Mädchen fist an ihr Herz. .Sieh, Du Schöne, Holde, wenn ich auch noch nicht alles fassen, den Zusammen hang nicht begreifen, nicht einmal ahnen kann, eines weiß ich doch: wärest Du ihm als niedrige Magd entgegentreten, er hätte dich lieben müssen, wie ich Dich liebe nach dieser einen Stunde, unsagbar unendlich." Die Arrzte erschienen. »ES ist alles normal, verehrte Frau", lächelte der Sanitätsrath »Soeben marschiren die Trä ger ab —' Die Baronin erhob sich hastig. »Ich begleite sie; unmög lich kann ich die kostbare Last den fremden Männern allein anvertrauen." Auch Lori rüstete sich, mitzugehen, während ein durch da» Telephon am Büffet von ihr befohlener Diener Weiß- und Rothwekaflaschen entkorkte, fein geschliffene Gläser damit füllte und dieselben nebst den Jmbißplatten präsrntirte. »Sitzen bleibe», meine Damen!" gebot SanitätSrath Stock mann. »Mein Herr Kollege, unser vielberühmtrr Badearzt, läßt e» sich nicht nehmen, den Transport nach der Brunnecks« höh« persönlich zu überwachen. Sie können ganz ruhig sein; e- ist auch nicht die Idee einer Gefahr vorhanden. Einige Tage Ruh« werden unseren sieben Baron vollständig aus die Füße bringen; jetzt schläft er fest. Also wir habm die schönste Mnse noch edre andere, mich sehr interessirende Angelegenheit zu besprechen und zugleich rin Gläschen auf das Wohl unsere» Pattenten zu trinken. — Doch, ich Vergessener! — Herr Kollege, auf Ihr Spezielles!" Die Gläser erklangen, doch der »Herr Kollege" schnitt ein Gesicht, als sei der edle Wein eine bittere Arznei. Endlich hatte ihm ein gütiges Geschick die Zauber-Villa «schloffen; er durste sogar die längst heimlich und heiß ange- brtete Wunderfee in nächst« Nähe ansehen und bestaunen, und nun schickte ihn dies« Mephisto von einem Vorgesetzten in schnöder Weise fort! Schändlich. Noch nie war ihm seine ärztliche Pflicht so saun geworden wie diesmal. »Sie find sehr gütig, Herr Sanitätsrath!" knurrte n pathetisch untn dem schönen Schnurrbart hervor, empfahl sich >nit ein« tiefen Verbeugung den Damen und verließ stolz, wie ein beleidigt« KönigSsohn, die gastliche Schwelle. * * * Wo vor Jahiyehnten noch die Schrecken dn Wildniß ihre Riesensangarme auSstrrckren, alle Civilisation erwürgend, dem muthig vordringenden Wanderer rin unerbittliches „bis hinher und nicht weiter" entgegenschleudernd, da stand — beinahe mitten im Urwalde — die Fazenda eines der reich sten spanischen Handelsherren. Die Sonne schon im Nieder gehen, bestrahlte nur noch höchste Baumriesenhäupter oder warf einen Purpurgluthschein über den letzten zu Nest segeln den Bogel; heute war cs ein blau- und goldschimmernver Candidi. Wo kam er her? Wo flog er hin, heute, am Weih nachtsabend, da in Deutschland der Schnee im MondeSglanz leuchtet und sich höchstens ein verspäteter hungriger Spatz in die kalte Nachtlust verirrt? In der Ferne rauschte das Meer, bald wie vielstimmiger Gesang, bald wie Predigerstimmen herübertönend. Aus einer von Palmen umgrenzten Rasenfläche standen etwa zehn bis an die Knie mit weißen Hemden bekleidete Negerknaben in Reih und Glied, jeder einen dicken, geschälten Stab im Arm haltend, und richteten die kampflustig rollenden Augen gerade aus: dort vor ihnen, auf dem Rand eines Kahnes, welcher halb im Wasser lag, saß der erste Corresvondent der Firma, ein schlan ker, blondbärtiger, hellgekleideter Mann, von dessen gebräuntem Gesicht man unter dem großen Panamahute nicht viel mehr sah, als die blauen, ungewöhnlich ernstblickenden Augen. »Präsentirt das Gewehr!" kommandirte er soeben in deut scher Sprache; doch nicht der Abflug eines Lächelns glitt über sein Gesicht, so drollig die mageren Nrgerjungen-Arme sich mit den Stöcken bewegten. Nach einer Viertelstunde eifrigen Exerzirens erhob er sich ungeduldig. „Ganzes Bataillon kehrt! — Marsch! Marsch!" rief er noch, riß dann den Hut vom Kopse, warf ihn in- Gras und nahm die frühere Stellung auf dem Kahne, daS Gesicht aber in beide Hände geborgen, wieder ein. Als die kleine Truppe hinter einem der umliegenden Schuppen verschwunden war, trat ein schlankes, junges Neger mädchen lautlos hinter den Palmen hervor und schritt über de» Rasenplatz; cs war ebenso, aber bis an die Knöchel reichend, bekleidet wie die Knaben, nur trug eS eine feurrrothe Schärpe um die Taille und eine Korallenkette um den Hals. Fast unheimlich verlangend ruhten ihre Auge» auf dem Dasttzenden, der sie nicht sah, keine Ahnung von ihrem Kommen hatte, denn ihre Sohle berührte kaum den grasbewachsenen Boden, sie hielt sogar den Athem an, um ihn nicht zu stören. Erst als sie dicht vor ihm stand, schlug es in gedämpftem Laute an sein Ohr: „Sennor Arnolvo!" Der Angeredete fuhr auf. „Ah! Mam, Du bist es! Was willst Du?" „Es ist Zelt", sagte die Kleine auf deutsch und wies mit erhobenem Arme seitwärts, von wo die hellerleuchteten, weit offen stehenden Fenster, auf eine mit Papinlaternen ge schmückte Veranda schimmernd, herüberwinkten. Dn also Ungeladene «hob sich seufzend und wandte sich zum Gehen, doch Mam vntrat ihm den Weg. „Es ist Weihnachten. Sennor", sagte sie trotzig. »Ah so, Du willst Dein Geschenk? Hier ist es! Fang auf!" Ein grellbunter Ball flog ihr entgegen, doch sie stieß ihn verächtlich mit der Spitze ihres nackten Fußes bei Seite. „Nicht das! Mam ist kein Kind!" rief sie enttäuscht. „So willst Du eine Kette?" „Nicht das!" »Oder ein Tuch?" Sie schüttelte den dunkelwolltgen Lockenkopf traurig mit flehend« Grberde. Er ergriff eine ihrer Hände, die sie zitternd und heiß — 63 — um Dine Finger klammerte, und bat in weichem Stimmfall: »Sage es mir, Mam! wa» möchtest Du?" Sie schwieg eine Weile, dann blickte sie zu ihm auf, wie die gläubige Christi« zu dem gekreuzigten Erlös«, tiefernst und doch hoffnungsvoll. »Du weißt rS, Sennor", lispelte sie so leise, daß er sich zu'ihr niederbeugen mußte, um sie ver stehen zu können, und als er achselzuckend erwiderte: »Nein, Mam, ich weiß cs nicht", riß sie die Hand ungestüm loS, lief rin Stück über den Rasen hin und warf sich schluchzend zu Boden. »Mam will sterben", klagte sie dabei. D« lange Mann blickte kopfschüttelnd und verwundert zu ihr hin. »Steh aus und komm her", gebot er, indem « seinen Hut aussetzte und weitnschritt. Im Nu war sie auf de» Füße», bllrb indessen wie angewurzelt stehen; und als er nicht mehr herübnblickte, nicht ein einziges Mal, neigte sie daS thränenübnstlömte Gesichtchen tief aus die Brust, während sich ihre Arme schlaff an dem bebenden Körper heruntersenkten. »Mam ist eine Negerin!" Wie ein unterdrückt« Schmer zensschrei rang eS sich von den wulstigen Lippen; dann hob sie den Boll zu ihre» Füßen auf, warf ihn in weitem Bogen in den Fluß, daß daS Wasser hoch ausspritzte, und ranute flüchtigen Laufes in den Urwald hinein. Ec sah eS nicht, d« schlanke Deutsche, dem diese Thrä- nen galten; soeben betrat er die Veranda, von der Frau deS HauseS auf daS Herzlichste begrüßt. Die Rohrwände waren zul ückge sch oben, mitten auf einem reich mit Geschenken beladenen Tische strahlte der Weihnachtsbaum im Glanze von vielen Licht- flämmchen, und war es auch die deutsche Tanne nicht mit ihrcn duftenden Nadelzweigen, und schlug auch kein einziger Hrimathlaut an sein Ohr, die Liebe hotte ihm doch bescherrt. Fast zu Thränen gerührt, drückte ihm sein Chef, der vornehme Spanier, die Hände; die schöne Hausfrau in sei denem Gewände, reich mit Gold und Diamanten geschmückt, führte ihn selbst an seinen Platz, und am Flügel saß Anita, des HauseS junge Tochter, in lichtes Rosa gekleidet. »O, du schöne, o du fröhliche Weihnachtszeit" erklang rS unter ihren feinen Händen hnvor, di« alte, lieb« Melodie; aber die beglei tenden Worte fehlten doch, sie sang einen spanischen Text: Als der lctzte Laut verklungen war, Kat « zu ihr hi» und dankte ergriffen. Das kleine Fräulein schüttelte ihr wundervolles, frei wal lendes Blondhaar lachend in den Nocken und sagte wichtig mit erhobenem Zeigefinger: „DaS Beste zuletzt! Jetzt müssen wir speisen; aber dann!" Wie ein rosafarbener Schmetterling gaukelte sie vor ihm her in die luftige, auf Bambusstäben ruhende Halle, wo die reichgrdeckte, silberschimmernde Abendtasel gedeckt stand. »Heute sind keine Gäste da; wir bleiben ganz allein. Pa und Ma wollen es so, Ihretwegen, Sennor Arnolds; aber — Sie müssen mir etwas versprechen. Wollen Sie?" „Wie kann ich daS voraus wissen, Donna Anita?" sagte er freundlich, aber ernst, wie immer. „O, Sie können es gekost wagen, ja zu sagen; eS betrifft etwas sehr schönes. — Bitte, versprechen Sie!" »Und wenn ich rS nicht kann?" „So sind Sie ein deutscher Brummbär und sehr undank bar. Ich werde Sie dann nicht mehr lieben, und ich habe so lange geübt an Ihrem Liede, bis mir die Finger weh thaten." „Diese armen, Keinen Fingerchen", bedauerte er und zog die ringgeschmücktcn flüchtig an seine Lippen. Doch Anita gab ihm mit dem Fächer einen leichten Schlag auf die Schulter. »Da Sie sich daS Versprechen so schwer denken, so will ich eS Ihnen sagen: Sie sollen heute, api Helligen Weihnachtsabend, endlich einmal lachen, nicht wie tmmn so melancholisch, als trügen Sie den Schmerz der ganzen Welt in d« Brust, sondern wie ich, frisch, fröhlich, kant, au», tiefstem Herzen heraus. Wollen Eie?" »Ich wollte schon gern, doch rS wird nicht» werde«. Mein Herz ist todt, Donna Anita." Die Kleine sah ihm eine Welle ernsthaft in die Augen. »Nein, r» ist nicht todt, sondern nur verloren an eine schöne Deutsche; ich lese es hier auS diesen blauen Sternen in Var«, deutlicher Schrift. — Sagen Sie, warum sind Sie nicht dort, sondern bei u»S?" »Weil Dom Mondeiro, Ihr Vater, eine« Korrespondent«» und ich die Stelle eines solchen suchte." »So! DaS ist eine geistvolle Antwort, die ich mir auch selbst geben konnte. Wollen Sie immer hin bleiben?" „Bis Sie mich fortschickn» werd en." »Hahaha! DaS wird bald geschehe«, verlasse« Sie sich drauf! Ich bin sehr unzufrieden mit Ihnen, und Sie wissen, Anita hat die erste Stimme im Hause." »Im Hause, o ja; ab« nicht im Geschäft." »Doch! Wenn ich nämlich will — ober, da kommen Pa und Ma und dn langwellige Pedro mit seinem dummen Bedientengesicht und Ihren deutschen WethnachtSgerichte», extra für Sie gekocht und gebraten. Hu! wa» wird da» für rin Essen sein — saun und bitt« wie sie selbst!" Dn also Abgefntigk lächelte sein gewohnte», schmnzüche» Lächeln und nahm seinen Platz et», dem Chef gegenüber zwischen der Dame deS Hause» und ihrem sonnig schönen Töch terchen. Trotz all« Bemühung sein« Wktthe, ihm aufzuhettn», erschien er »och ernster und zerstreut« al» sonst, berührte die Speisen kaum, trotzdem sie sehr gut und heute — so gnt e» gegangen nach — nach deutscher Art zubereitet waren, und trank den feurigen Wein wie Wasser. Den Nachtisch präsentkte ihm Anita; fast ungestüm «ahm sie den schweren, silbernen Tafelaufsatz aus Pedro» Hände« und ging feierltch auf den steinernen Gast zu: »Bitte, diese Orange, Sennor Arnoldo! E» ist die schönste, und ich habe sie etgcnhändig für Sie ausgesucht und durchschnitten." Er vnbeugte sich und nahm gedankenlos die bezeichnete, ringsum mit einem seinen Durchschnitt versehene Frucht. E e kam ihm eigenthümltch leicht vor zu ihr« Größe, dennoch legte er sie auseinander, doch statt saftig süßen Fleische» fiel ihm rin kunstvoll zusammengesalte» mit deutschen Lettern bedruck te» Papieiknäuel entgegen. Sein Chef und die Hausfrau sahen gespannt zu ihm her. Anita lachte, lachte, lachte nicht wie eine wohlerzogene, junge Dame, sondern wie ein recht« Kobold. »Run lesen Sie doch! — Da, da! Wo der blaugemalte Streifen hinläuft. — Wie sehr» Sie mich denn an? — Fallen die deutsche« Helden in Ohnmacht? — Geben Sie her! Ich werde r» Ihnen vor lesen. — Hinaus, Pedro, bis ich klingle. — Also meine Herr schaften : An meinen Sohn, Arnold, Freiherr« von Brunneck zur Brunneckshöhe. Mein geliebter Sohn. Komm heim zu Deinen Eltern, Deinen Schwestern und zu Dein« Braut. E» ist AllcS gcordnet. Wir segnen Deinen HerzenSbund und er warten Dich sehnsuchtsvoll. Möchte diese Nachricht bald in Deine Hände gelange». Deine treuen Ettern Eberhardt Frei herr von Brunneck. Juli« Freifrau von Brunneck, geborne von Steyn. — Nun?D— Pa! Ma! — Ihr seid ja Alk so still. Fliegt denn ein Engel durch« Zimm«? Lachen Sie doch Arnold von Brunneck, wie Sie rS versprachen, oder ist cin Anderer der Gesuchte?" „Bitte, Donna Anita, geben Sie mir die Zeitung unh