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158 Die Neugier des HostischlerS war erregt; er hätte gar zu gern gewußt, welchem Zweck der Besuch des Polizisten galt. — »Ich sage ja nicht Nein," erwiderte er zögernd; „ober ich muß doch ungefähr wissen, um was es sich handelt. Ich möchte um keinen Preis dem Herrn Präsidenten eine Unan nehmlichkeit bereiten." „Sie sollen ihm im Gegentheil einen wichtigen Dienst leisten, ihm zur Wiedererlangung des geraubten Geldes behilf lich sein." „Dann verspreche ich Ihnen mit Freuden Schweigen." „Gegen Jedermann, auch gegen den Herrn Präsidenten selbst?" „Ja, auch gegen ihn, wenn es sein muß!" „So hören Sie denn," sagte Wetter, wieder Platz nehmend. „Der Haupteinbrecher, der Schlosser Weinert, ist zwar verhaftet und der Geldkasten bei ihm gesunden; aber das Geld selbst fehlt. Es kommt darauf an, es wieder herbeizu schaffen. Jedenfalls Hot es ein Verbrechensgenosse schon am frühen Morgen nach St** gebracht. Ich glaube den Hehler zu kennen. Er ist ein wohlhabender Mann und eine Haus suchung bei ihm hat keinen Nutzen, da er stets zu scinein Ge schäft viel baares Geld vorräthig hat, wenn wir nicht im Stande sind, nachzuweisen, daß unter dem Gelbe, welches wir vorfinden, das dem Herrn Präsidenten Geraubte enthalten ist. Sie verstehen mich, Herr Anselm." „Nicht ganz. Ich weiß wirklich nicht. Geld ist doch Geld. Wie soll man es erkennen?" „Befanden sich nicht in der Kirchenkaffe eine Anzahl großer Geldscheine?" „Ja. Zwei 500 Thalerscheine und mehrere 100 Tha- lerscheine." „Sehen Sie wohl. Von diesen Scheinen werden Sie doch jedenfalls die Nummern notirt haben." „Nur von den beiden 500 Thalerscheinen." „Das ist freilich nicht viel; aber möglicherweise führt cs doch zum Ziel. Wollen Sie mir die Nummern mitthcilen?" Hierzu war Herr Anselm gern bereit; aber er konnte noch immer nicht begreifen, weshalb eigentlich der Herr Präsident von diesen Nachforschungen nichts wissen solle. „Sein Hausarzt hat es verboten," sagte Wetter lächelnd, nachdem er sich die beiden Nummern notirt hatte. „Der Herr Präsident ist durch den schweren Verlust fieberhaft aufgeregt. Er würde es noch mehr sein, wenn er wüßte, daß eine ent fernte Hoffnung da ist, das Geld wieder zu bekommen. Zwischen Furcht und Hoffnung schwebend, würde er sich ganz aufreiben, während er sich jetzt einigermaßen gefaßt hat. Man fürchtet einen Schlaganfall. Sie verstehen, Herr Anselm, man darf überhaupt mit ihm über die ganze Sache so wenig wie mög lich sprechen, um ihn nicht noch kränker zu machen." Das verstand der gutmüthige Hoftischler, und er versprach, jedenfalls reinen Mund zu halten. Hatte er doch nie geglaubt, daß die Polizei so zarte Rücksichten nehme; aber freilich, der Herr Präsident war ein gar vornehmer Mann. Nicht ganz zufrieden mit dem Resultat seines Besuchs verabschiedete sich der Polizei-Kommiffarius. Er kehrte in sein Bureau zurück. Hier blieb' er während des Nachmittags und Abends. Bis tief in die Nacht hinein arbeitete er. Erst als es vom nahen Kirchthurme halb Zwei schlug, legte er die Feder fort. Er vertauschte jetzt die Uniform mit einem alten, schäbigen Civilanzuge. In diesem vevließ er das Bureau. Langsamen Schrittes wandelte er durch die menschenleeren Straßen der Stadt nach den Anlagen am Stadtgraben. — An der verab redeten Stelle traf er den mit einer langen Harke versehenen > Vigilanten, der auf einer einsamen Bank schon auf ihn wartete; i auf dem ganzen Spaziergange durch die Anlage hatte der Polizci-Kommissarius leinen anderen Menschen gesehen. „Du bist pünktlich, Sentner, so ist's recht. Hast Du auch einen Sack bei Dir?" „Ja, Herr Kommiffarius. Hier ist er." „Gut, aber sprich leiser. Es könnte doch vielleicht noch ein einsamer Nachtwandler auf dem Wall spazieren gehen und durch den Schall unserer Stimme angezogen werden. Ich wünsche nicht, daß wir Zuschauer bekommen." „Es ist keine Menschenseele in der ganzen Anlage." „Vorsicht schadet nichts. - Nun zieh' Dir 'mal die Stiefel und die Beinkleider aus, Sentner." „Nanu! Was soll denn das werden?" „Ein etwas nasses und kaltes Stück Arbeit, — aber ein heißer Punsch nachher wird Dich schon warm machen. Du sollst mir da im Wasser etwas suchen." — „Im Stadtgraben?" — „Freilich. Aber Donnerwetter, zieh' Dich aus! Wir haben keine Zeit zu verlieren." „Aber der Stadtgraben ist tief und ich kann nicht schwimmen." „Dummheiten, Du feiger Bursche. An der tiefsten Stelle ist der Graben noch nicht vier Fuß tief. — Mach' mich nicht wild, Sentner! Wenn ich Dir Gutes rathen soll, beeile Dich. Schncll! Donnerwetter!" — Widerwillig gehorchte der Vigilant. Er zog sich aus und auf des Kommiffarius Befehl ging er vorsichtig tappend und mit der Harke nach dem Grunde fühlend ins Wasser, — bald war er bis über die Hüsten in demselben; jetzt aber kommandirte Wetter, der sich auf der kleinen eisernen Brücke in der Mitte aufgestellt hatte: „Halt!" „Jetzt, Sentner, heißt es: Aufmerksamkeit! Zwei Thaler sind Dein, wenn Du findest, was ich suche, — fühle einmal vorsichtig mit der Harke auf dem Grunde entlang, genau hier an der Stelle, die ich Dir mit dem Finger zeige. Liegt da nichts?" „Ja, da liegt etwas. Vielleicht ein Stein." „Versuch' 'mal, ob Du ihn mit der Harke fassen und in die Höhe bringen kannst." „Nein, er trudelt nur, die Harke glitscht inimer wieder ab." — „Dann zieh' ihn nach dem Ufer hin. — Das Steinchen möchte ich mir 'mal besehen." Kopfschüttelnd befolgte Sentner den Befehl. Es gelang ihm leicht, den auf dem Grunde liegenden schweren Gegen stand ans Ufer zu ziehen, hier erwartete ihn schon Wetter, der sich eine kleine Blendlaterne angezündet hatte. „Gieb das Ding her. Ist es schwer?" „Nicht so gar sehr. Es scheinen ein Paar zusammenge- bundcne Schuhe zu sein." „Wahrhaftig, ein Paar Ueberschuhe. Donnerwetter, was haben die Kerle für Nägel am Hacken! Aber da steckt noch 'was d'rin. Was ist denn das? — Meiner Seele, ein Pechpflaster und ein Stemmeisen. Und hier? Ein Hammer und ein Stemmeisen. Nun, alker Freund, freue Dich. Dich haben wir fest, Du kommst mir nicht wieder aus den Klauen. Du bist geliefert für alle Zeiten. — Gieb 'mal den Sack her, Sentner. So! Ta hinein mit dem Zeug. Donnerwetter, das war ein kapitaler Fund. Wozu er nur die Ueberschuhe weg- geworfen hat? Na, wir werden ja schon sehen. Vielleicht? Richtig, so ist's! Um falsche Spur zu machen, hat er sie ge braucht. Der schlaue Hallunke ist zum Einbrecher geboren; aber für den Wetter ist er doch nicht schlau genug! Nun, Sentner, zieh' Dich nur wieder an. — Wir sind fertig mit — 15S unserer Arbeit. Hier hast Du zwei Thalerf, damit kannst Du Dir eine lustige Nacht machen; aber merk'S Dir, Bursche, sagst Du ein Wort! über unser» Nachtfischsang, dann auf'- Zuchthaus mit Dir. — Den Sack kannst Du mir noch bis nach dem Bureau tragen." — Sehr vergnügt ein Liedchen pfeifend, denn jetzt kümmerte er sich nicht mehr darum, ob er gehört und gesehen werde, kehrte der Polizei-Kommiffarius, dem Sentner den Sack nach trug, in sein Büreau zurück. 15. Die gerechte Strafe. Mit dem Präsidenten war seit dem Augenblick, in welchem er die Nachricht von dem großen Lotteriegewinn erhalten hatte, eine wunderbare Veränderung vorgegangen. Seine geistige Kraft war gebrochen; er konnte stundenlang unthätig, in dumpfes Hinbiüten versunken, den Kopf in die Hand gestützt, am Fenster seines Arbeitszimmers sitzen und hinüber schauen nach dem halb im Gebüsch versteckten Dach des Schlofferhauses. — Er floh die Gesellschaft, selbst die seiner Tochter, die er nur beim Mittagstisch sah und dann auch nur auf kuige Zeit, denn er beei'te sich, die einfache Mahlzeit so schnell wie möglich zu be enden und wieder in sein Arbeitszimmer zurückzukehren. Seine Amtsgeschäfte besorgte er zwar mit der früheren Pünktlichkeit, aber er that es mechanisch und ohne Lust an der Arbeit. Von der Sorge für die Zukunft war er in Folge des Lotteriegewinnes befreit. — Er hatte gleich am nächsten Tage den Geheimrath von Samuelsohn in St*' besucht und von ihm neben einem Darlehn von 12 000 Thalern daS Versprechen erhalte», daß der Glücksfall, der ihn getroffen, geheimgehalten werden solle. Mit den empfangenen 12 000 Thalern zahlte der Prä sident seine Schuld an die Kirchenbaukafle, er empfing voll- giltige Quittung, — die Bitte, auch ferner daS Schatzmeister amt beizubehalten, lehnte er ab; — ebenso das nochmalige Anerbieten eines Darlehns, welches ihm der Hoftischler Anselm machte. Dem freundlichen Mann, der recht betrübt war über die Vereitelung der Hoffnung, daß er dem hochverehrten Herrn einen Dienst leisten könne, dankte der Präsident herzlich, aber er erklärte, daß er durch das unerwartete Eingehen eines ver loren gegebenen Kapitals in den Stand gesetzt sei, die Kirchen baukaffe zu befriedigen, ohne sich durch eine Schuld zu be lasten. — Damit war diese Angelegenheit erledigt und sie trug viel dazu bei, den Präsidenten in M" noch beliebter und ge achteter zu machen, als er eS ohnehin war, denn die Mitglieder des Komitös der Kirchenbaukaffe, und vor allen anderen der Hoftischler Anselm, wußten nicht Worte genug zu finden, um aller Orten die Großmuth des Präsidenten, seine Rechtlichkeit und prompte Geschäftsführung zu rühmen. Auch die Abrechnung mit dem Baron Rechtenberg erledigte sich schnell und befriedigend. — Rechtenberg war am Tage nach dem Einbruch in St** eingetroffen und hatte sofort an seinen früheren Vormund geschrieben. Zu seinem hohen Er staunen erhielt er im Komptoir des Geheimraths von Samuel sohn die Baarbestände seines Vermögens prompt und richtig ausbezahlt; »egen der Abwickelung der übrigen Geschäfte ver wies ihn der Präsident an seinen Rechtsanwalt. — So war denn auch von dieser Seite nichts mehr zu besorgen. Der Präsident glaubte der eigenen Zukunft mit voller Sicherheit entgegensehen zu können, und dennoch peinigte ihn eine nicht zu unterdrückende Unruhe, die ihm auch deS Nachts den Schlaf raubte. Damals, als er noch für das eigene Leben kämpfte, war er im kalten Egoismus entschlossen gewesen, um fichs zu retten, jede Rücksicht zu opfern. Selbst einen Mord hätte er nicht gescheut, und nur durch einen glücklich« Zufall war er an der Ausführung desselben verhindert worden. Jetzt, wo er gerettet war, bebte er zurück vor dem Abgründe, an dessen Rand« er gestand« hatte. Er fühlte, daß er des Mordes schuldig war, obgleich er die That nicht begangm hatte. Er konnte de« alt« freundlichen Rendant« nicht mehr ohne ErrSthm ins Auge schaue». Fast nichtswürdiger noch, als der im Aogenbück der höchst« Erregung, im halb« Wahnsinn beabsichtigte Mord, er schien aber jetzt dem Präsidenten sein kaltblütig überlegtes systematisch vorbereitetes Vorgehen gegen den unglücklich« Weinert. Hätte ereS rückgängig mach« können! Freudig würde er die schwersten Opfer gebracht haben. Freilich, er konnte es thun. Wenn er sich selbst anklagte, wenn er den wahr« Zu sammenhang der Ereignisse rückhaltlos aufdeckte, dann mußte der falsche Verdacht gegen dm Unschuldig« schwind«. Dazu aber hatte er nicht die Kraft. Alle- wollte er thun, alles; nur dies Eine nicht! Sollte er ganz vergeblich die Achtung vor sich selbst und die Lust am Leb« verlor« hab«? Sollte er jetzt, wo er er wieder für sich und seine Tochter eine ehren volle, glückliche Zukunft vor sich sah, sich selbst vernichten, nur um Weinert auS einer jedenfalls doch nur kurz« Hast zu be freien? Er wollte ihn entschädigen, zum wohlhabend« Manne machen. Der Schlaffer sollte dereinst die ungerechte Strafe, auS der sein Glück entsproß, segn«! Mit solch« Scheingründm suchte der Präsident sein Ge wissen zu betäuben; aber eS gelang ihm nicht. Tag und Nacht verfolgte ihn daS Bild des im Kerker verzweifelnd« Ge fangenen und der schönen jungen Frau, die ihn als ihr« Wohlthäter segnete, währmd sie ih» doch als dm Zerstörer ihre- Glückes hätte verfluch« müssen. Nur drei kurze Tage waren seit der Verhaftung Weiaerts vergangen, aber sie hatten hingereicht, um dm frisch«, kräftig«, schönen Mann in einen lebensmüden Greis zu verwandeln. Die gebeugte Haltung, die Abspannung der schlaff« Züge, das er» loschme Auge waren so auffällig, daß die Freunde des Präsi denten ernstlich um ihn besorgt wurden, daß auch Marie mit ängstlicher Zärtlichkeit in ih« drang, ein« Arzt zu befrag«; er aber wies ihre Bitte schroff und bestimmt zurück, — er wußte ja sehr wohl, daß keine Arznei seine Seeleuleidm hell« könne. ES war am Morgen deS viert« TageS nach Weinerts Verhaftung, als dem Präsidenten, der wieder grübelnd am Fenster saß, der Polizci-KommissariuS Witter gemeldet wurde. Er hätte den widerwärtigen Menschen gern abgewtesm, das aber ging jetzt nicht an, er mußte dm unangenehm« Besuch schon empfangen. „Was wünsch« Sie?" fragte der Präsident, der in diesem Augenblick seine gewohnte vornehme Haltung wiederge» funden hatte, dm Polkzei-KommiffariuS, welcher sich ihm mit einer tiefen Verbeugung nahte. Er blieb steh« und lud auch den lästigen Besuchers nicht zum Sitz« ein, wie er es sonst seinen Untergebenen gegenüber stets that. Der Mensch war ihm so unangenehm, daß er ihm selbst die gewöhnliche, herab lassende Höflichkeit nicht zeig« wollte. lieber Wetters Gesicht flog bei dem barsch« Empfang ein höhnisches Lächeln. Er ließ sich nicht zu einer zweit« Verbeugung herbei, sondern näher tretend, stellte er sich recht breit und trotzig vor dm Präsidenten hin, und indem er sich den rothen Schnurrbart in die Höhe drehte, sagte er tu einem keineswegs unterwürfigen oder auch nur bittend«, sondern tu einem recht scharf herausfordernd« Tone: „Ich habe dem Her« Präsident« eine Bitte vor- zutragm." „Sprech« Sie!"