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Riesaer G Tageblatt und Anzeiger MM« m- Anzeiger). Telegramm-ALcesje „Tageblatts Riesa. Arntsölatt Fernjprrchstell« Nr. 20. der König!. Amtshauptmannschast Großenhain, des König!. Amtsgerichts und des Stadtraths zu Riesa 38. Sonnabend, IS. Februar 1896, Abends. 49. Jahrg. DaS Riesaer Tageblatt erscheint je»« Ta, Abend« mtt Ausnahme der Sonn- und Festtage. Bierteljtlhrlicher Sezu,SpreiS bei Abholung tn den Expeditionen in Riesa und Strehla oder durch unsere TrSger frei in« Hau« 1 Mark SV Ps., bei Abholung am Schalter der kaiserl. Postanstalten 1 Mark 25 Pf., durch den Briefträger frei in« Hau« 1 Mark S5 Pf. A>q-t,e»«mahi« für die Nuunr« de« Ausgabetage« bi« vormittag 9 Uhr ohne Gewähr. Druck und »erlag von Langer L Winterlich tn Rteia. — Geschäftsstelle: «aftantenstraße 59. — Fitr die Redartton verantwortlich: Hermann Schmidt, Riesa. Die Anerkennung des Koburgers. * Prinz Ferdinand hat seinen Erstgeborenen nach russisch orthodoxem Ritus „umtaufen" lassen und der „Beherrscher aller Gläubigen" (d. h. aller an Mohammed Glaubenden), der Sultan, ist darüber so erfreut, daß er, wie schon ge- meldet, den Prinzen Ferdinand förmlich als Fürsten von Bulgarien anerkannt hat. Dabei hat er sich ohne jeden Zweifel zuvor der Zustimmung des Zaren versichert, mit dem der Großsultan jetzt auf dem besten Fuße steht. Der Koburger brachte als brauchbare Eigenschaft für einen Fürstenthron nichts weiter mit, als seine fürstliche Ab stammung und die Millionen seiner Mutter, die es sich ein Stück Geld kosten ließ, um ihren Sohn Karriere machen zu lassen. Im Wiener Cafee Ronacher wurde seine Fürsten schaft gemacht. Dann war er jahrelang die Drahtpuppe Gtambulows, bis er diesen in nicht ganz einwandsfreier Weise stürzte. Nach diesem Sturze hat es der Fürst für nützlich gehalten, fortwährende Verbeugungen vor Rußland zu machen und endlich hat er ein Opfer gebracht — ein „grausames" nennt er es selbst, „das in der Geschichte völlig unerhört" sei. Ehemals war er der Günstling des Habs burgischen Herrschers. Vielleicht geht es ihm, dem Koburger, just so, wie es einem anderen Donaufürsten ging, da er die Treue gegen Oesterreich vergaß und sich dem Russenthum in die Arme warf. Milan mußte seinen Gesinnungswechsel bald genug mit seiner Krone bezahlen. Vom Gesichtspunkte des allgemeinen Friedens aus be trachtet, könnte man Genugthuung darüber empfinden, daß mit der formellen Anerkennung des Fürsten festere Verhält nisse in Bulgarien platzzugreifen scheinen. Aber das ist viel leicht nur scheinbar. Heute freilich triumphirt der Koburger in dem Jubel über Rußlands Gnade. Er tröstet sich über den Fluch des Occidents, da er die Gnade des Orients ge funden hat. Der Zar hat zu der Umtaufe des kleinen Bo: iS einen General nach Sofia gesandt. Vielleicht bleibt der General gleich dort, um die Statthalterschaft zu übernehmen. Die russische Politik setzt sich dort fort, wo sie vor einer Reihe von Jahren mit dem Fiasko des Generals Kaulbars aufgehört hat. Hiermit freilich nimmt die Angelegenheit eine größere Bedeutung an. In Bulgarien besteht gegenwärtig noch ein Zustand, der dem Völkerrecht widerstreitet. Nach dem Berliner Vertrage muß der Fürst von Bulgarien von der großen Sobranje gewählt, von der Türkei bestätigt und von allen Mächten, die den Berliner Vertrag unterzeichnet haben, anerkannt werden, sonst ist er '.'.icht legitim. Hier freilich kommen jetzt Fragen zur ErörtM-ng, die nicht so kurzer Hand gelöst werden können. Bulgarien ist heute etwas anderes als zur Zeit des Berliner Vertrages. Inzwischen hat die Revolution von Philippopel stattgefunden, die Ostrumelien mit Bulgarien vereinigte. Formell ist diese Vereinigung von den Mächten keineswegs anerkannt. Im Gegentheil, Rußland besonders hat, wiewohl es selbst diese Vereinigung schon im Vertrage von San Stefano forderte, sie entschieden bekämpft, freilich nur, weil der BaUenberger der russischen Diplomatie ntcht mehr sympathisch war und weil der Staatsstreich ohne Mit wirkung der russischen Staatsmänner auSgesührt wurde. Man hat die Form gefunden, daß die Türkei den Fürsten von Bulgarien zum Generalgouverneur von Ostrumelien ernannte. Wenn jetzt die ausdrückliche Anerkennung des Fürsten von Bulgarien durch die Mächte erfolgt, so wird es sich kaum von der Hand weisen lassen, auch die ostrumelische Frage alsbald zum AuStrag zu bringen. Rußland würde damit seine Vorposten gegen die Türkei is auf wenige Pfeilen von Konstantinopel vorschteben. Denn nach dem Sinne der russischen Machthaber soll Bulgarien ein Vorposten des MoSkowiterthumS im Kampfe gegen die Pforte sein. Daß aber Bulgarien diesen Zweck nicht erfülle, daß eS vielmehr neutral bleibe, das ist das berechtigte Ver langen Oesterreich.Ungarns, und wenn Bulgarien diesem «erlangen nicht streng nachkommt, so wird der Koburger nur in ein eben so übles Verhältnis zu Oesterreich gerachen, als es bisher zu Rußland bestand. Was übler ist, muß die Zu kunft lehren. LogeSgefchichte. Deutsches Reich. Une Mtern Vörmittäg in BeÄin abgehaltene Versammlung von etwa 2000 Schneidermeistern der Damenmäntelbranche protestirte gegen die anläßlich des Slreiks der Arbeiter und Arbeiterinnen gegen die seitens der R gierung, der Presse und der öffentlichen Meinung an den Meistern geübte Kritik und nahm eine Resolution an, in welcher die Versammlung erklärt, daß den Meistern die durchaus gedrückte Lage ihrer Arbeiter und Arbeiterinnen wohl bekannt sei. Sie hätten die weitgehendsten Schritte zur Aufbesserung der Arbeitslöhne versucht, seien jedoch auf den energischen Widerstand der Konfektionäre gestoßen, welche erklärten, infolge der allgemein schlechten Geschäftslage einen höheren Preis nicht bewilligen zu können. Der von der Agitationskommission der Arbeiter und Arbeiterinnen den Meisten vorgelegte Lohntarif konnte nicht angenommen werden, weil die darin aufgestellten Forderungen noch nicht einmal als Preise von den Schneidermeistern bei den Kon fektionären erzielt werden. Die geforderten Betriebswerk stätten sind bei den Meistern bereits vorbanden und ent sprechen den hygieniscten Anforderungen. Die Versammlung macht nun folgende Reformvorschläge: Die Schneidermeister und Konfektionäre beschließen, einen gemeinsamen Ring gegen die Schundkonkurrenz und den unlauteren Wettbewerb in ihrer Branche zu bilden. Die Ringmeister verpflichten sich, nach einem gemeinsam mit den Konfektionären auszuarbeiten- den Lohnkarif unter den aufgestellten Preisen keine Arbeiten von den Konfektionären entgegenzunehmen und ihre Arbeits kräfte nicht unter dem aufgestellten Lohntarif zu beschäftigen. Die Versammlung erwartet von der Regierung, d.,ß diese nunmehr aus diejenigen Arbeitgeber einwirkt, wrlche sich diesen Bedingungen nicht anschließen, und entsprechende gesetz liche Maßnahmen vorbereitet. — Der Streik der Arbeiter und Arbeiterinnen der Konfektionsbranche nimmt inzwischen an Ausdehnung zu. Bis gestern Mittag hauen sich über 10000 Ausständige Streikkarten ausfertigen lassen. Der „Vorwärts" gebärdet sich geradezu sinnlos vor Wuth über die trotz aller Proteste zur Thatsache heran reifende sächsische Wahlrechtsreform. In seiner heutigen Nummer schreibt das führende Blatt der Sozialdemokratie: Die sächsische Regierung und ihre Parteien können sich unter solchen Umständen keiner Täuschung hingeben: sie handeln gegen den Willen des Volkes. Und damit stellen sie sich ans den Boden der Newalt. Ob die Gewalt sich in Staatsstreichen äußert oder in das Gewand des Gesetzes hüllt, daß ist gleichgültig: der Punkt, aus den es anlommt, ist, daß die in den Händen der Regierung und der herrschenden Classen und Parteien befindlichen Machtmittel zur Ver gewaltigung des Volkswillens, oder sagen wir richtiger des Majoritäts willens benutzt werden. Oder ist «s keine Vergewaltigung, wenn einem Volke gegen den ausgesprochenen Willen und leidenschaftlichen Protest der Mehrheit deS Volkes ein politisches Grundrecht genommen, die politische Mündigkeit geraubt wird? Ist die Entmündigung eine« Volles, die Unterkuratelslellung eines Volkes nicht Vergewaltigung? — die schlimmste Vergewaltigung, die überhaupt gedacht werden kann? Gewalt aber, das ist ein alter Grundsatz — kann niemals Recht werden. Wird das Attentat aus das sächsische Landtags- Wahlrecht verwirklicht, was bei der Verblendung der herrschenden Classen mit Bestimmtheit zu erwarten ist, so ist jedem Menschen in Sachsen, der sich in seinem Rechte gekränkt fühlt und der einen Funken von Mrnnhaftigkeit im Herzen und .Ehre im Leibe' hat — die Pflicht auserlegt, mit aller Kraft dahin zu wirken, daß da« neu geschaffene System wieder beseitigt wird. DaS Volk wird zum Kamp, gegen die Regierung gezwungen. Und Ruhe kann nicht eher ins Land kommen, als tis entweder der Widerstand deS Volkes ge brochen und die Ruhe deS Kirchhofe- hergestellt oder das geschaffene Wahlunrecht weggesegt ist. Daß die Ruye des Kirchhofs nach Inkrafttreten des neuen Wahlgesetzes nicht eintreten wird, dafür dürften die Herren Sozialdemokraten, die doch durch das Gesetz nicht mundtodt gemacht werden, schon selber sorgen. Kühn ist die Behauptung, daß die Regierung und ihre Parteien gegen den Willen des Volkes handelten, oder, wie es an einer anderen Stelle des Artikels heißt, den Majoritätswillen verge waltigen. Die Regierung hat einfach in der Erfüllung eines s Wunsches der Kammermajorität gehandelt und die Kammer majorität muß doch als Repräsentation der Mehrheit des Volkes angesehen werden; eine andere Repräsentation giebt es eben nicht. Bestände nun diese Kammermehrheit au« Sozialdemokraten «nd die Regierung weiger« e sich, deren Wünschen und Forderungen zu entsprechen, wozu jedenfalls sehr begründete Veranlassung vorhanden sein würde, was würde dann der „Vorwärts" sagen? Genau dasselbe wie heute: die Regie '»' handelt gegen den Willen des Volkes, sie vergewaltigt de», Major.lä.swiüen. Dies Geschrei mr sozialdemokratischen Führer ist demnach reche unsinnig. Dem „Daily Ehronicle" wird aus Kor.stam.nopel be richtet: Das englische Dotfchafterfchisf „Jmogeae" fand, nach zeitweiliger Abwesenheit zurückkehrend, seinen Ankerplatz von dem deutschen Schiff „Loreley" eingenommen. Es scheint, daß die türkische Hafenbehörde dem deutschen Schiffe die seit zwanzig Jahren von den Engländern benutzte Boje zugetheilt hat. Da es im Bosporus nicht an Ankerplätzen mangelt, wird natürlich angenommen, daß die Türken die Gelegenheit benutzten, um die Engländer zu beleidigen, indem sie den Deutschen eine auffallende Begünstigung zeigten. Die Sache wurde den Botschaftern Rußlands, Frankreichs und Italien» zum Schiedsspruch unterbreitet, fand aber damit ihre Lösung, daß die „Loreley" plötzlich Ausbesserungen nöthig fand und in Dock ging, worauf die englische „Jmogene" ihren früheren Ankerplatz wieder einnahm. Vom Reichstag. Der Reichstag setzte gestern die Berathung des Etats des Auswärtigen Amts fort. Auf Anfragen der Abgg. Schmidt-Warburg (Ctr.) und Spahn (Crr.) erklärte der SlaatSminister Frhr. v. Marschall, daß in Griechenland unter dem jetzigen Ministerium die Staatseinkünfte, die früher verpfändet gewesen, zum Theil zur Befriedigung von Gläubigern des griechischen Staates benutzt würden. Gegenwärtig schwebten in Paris Verhand lungen über die endgiltige Regelung der Frage, über die er aber Einzelheiten nicht mittheilen könne. Durchgangstarife für Getreide aus Rußland beständen nur für Sendungen nach Königsberg, Danzig und Memel. Abg. Bebel (sozd.) beschwerte sich, daß der Botschafter in Wien zur Zeit der Ermordung StambulowS nicht auf seinem Posten gewesen, sondern an einer Seereise theilgenommen habe. Staats minister Frhr. v. Marschall erwiderte, der Kaiser und der Reichskanzler hätten den Urlaub der Botschafter zu be stimmen; die Kritik des Vorredners sei daher nicht berechtigt. Abg. Richter (freis. Volksp.) hielt die Kritik für berechtigt. Wenn in einem solchen Augenblick ein Vertreter des Bot schafters genüge, so werde dadurch die Bedeutung der Bot schafter herabgedrückt. Frhr. v. Marschall betonte, es handle sich hier um eine Frage des inneren Dienstes, er verweigere daher eire Auskunft. Abg. Frhr. v. Stumm (Reichsp.) bemerkte, daß der Abg. Bebel gar nicht beurtheilen könne, ob die Anwesenheit des Botschafters bei jener See reise damals nicht nothwendiger gewesen sei, als sein Aufent halt in Wien. Abg. Bebel (sozd.) bestand darauf, eine Auskunft über den Dienst zu erhalten. Staatsminister Frhr. v. Marschall entgegnete, daß über den Dienst allein der Kaiser und seine Bevollmächtigten entschieden, er verweigere daher jede Auskunft hierüber. Der Rest des Etats ward nach kurzer Debatte erledigt. — Es folgte die Berathun des Etat« der Heeresverwaltung. Auf eine Anregung des Abg. Weiß (freis. Volksp.) theilte der SlaatSminister v. Bötticher mit, daß den preußischen Volksschullehrer-Semi- narien auf Antrag der preußischen Regierung das Einjährig- Freiwilligen-Recht ertheilt worden sei. Die andere» Bundes staaten dürften nachfolgen. Abg. Bebel (sozd.) brachte wie alljährlich eine Reihe von Beschwerden über angebliche Vor kommnisse in der Armee vor. Der KriegSminifter Bron- sart v. Schellendorf stellte fest, daß von den ange führten Fällen ein großer Theil weit übertrieben, ein Theil aber objektiv unwahr sei. Abg. Schall (kons.) bezeichnete die Beschwerden des Abg. Bebel als eine HerostratuSarbeit, mit welcher er den in unserer Armee herrschenden Geist, um den uns das Ausland beneide, herabzusetzen sich bemühe. Oesterreich-Uugarr». Im niederösterreichischen Land tage gab es Donnerstag anläßlich eines auf den bevorstehen den Ausgleich mit Ungarn bezugnehmeriden Antrages wie derum argen Skandal. Die Antisemiten, insbesondere ihr Führer, Dr. Lueger, griffen die ungarische Regierung in schärfster Weise an. Selbst die sonst so ungarfreundlichen und zahmen Liberalen verurtheilten gleichfalls den jetzt noch in Kraft befindlichen Ausgleich. Schließlich wurde ein zwischen beiden Parteien vereinbarter Antrag einstimmig unter stür mischem Beifall angenommen. Der Antrag verlangt Kün digung des Zoll- und Handelsbündnisses und Erneuerung nur für den Fall, daß eine Gewähr für loyale Einhaltung der V rtragspflichten von ungarischer Seite geboten wird, ferner Herabminderung der jetzigen Beitragsquote, die be kanntlich für Oesterreich 70 v. H. beträgt. Der Antrag sprich: ferner die Erwartung aus, daß alle Abgeordnete« Ntcoerösterreichs im Reichsralhe einmüthig im Sinne dieser Entschließung sich verhalten. Während der einstimmigen An nahme des Antrages wurden Zischlaute auf der Galerie lauL I die von zwei ungarischen Juden stammten. Es erhob sich