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— « „Freilich, alter Herr, wohl ein paar Stündchen,- ent eignete der Expedient lächelnd. „Ein paar Stündchen?" Er schaute nach der Uhr. . 77c b. hastig, es ist els Uhr! Ta hab' ich was Schönes eegeuchtet und ninß machen, daß ich sortkomme. Adieu, meine Herren. Er humpelte fort so eilfertig, als ihn seine alten Beine nur tragen wollten, gar zu rasch ging es aber freilich nicht. Als er die Thür der Expedition hinter sich geschloffen hatte und auf den Hof hinaustrat, schaute er sich forschend um; er sah den Ticnstmann, der vor ihm die Expedition verlassen batte, langsam durch den Hausflur gehen und auf die Straße treten, in die er nach links einbog. Es war ein recht heißer Tag und doch schien die Luft den alter Herrn merkwürdig zu erquicken, denn er eilte mit schnellem Schritte über den Hof und durch den Hausflur. Erst als er auf die Straße trat und den Tienstmann langsam nach dem Schloßvlatz zu schlendern sah, mäßigte auch er seinen Schritt so, daß er, den, Tienstmann solgend, von diesem immer gleich weit ent fernt blieb. Ter Tienstmann hatte den Schloßplatz erreicht. An der Erie der Breitenstraße schaute er sich um, dann ging er nach der Richtung der Kurfürstenbrücke zu; kurz vor der Brücke erwartete ihn ein junger, stutzerhaft gekleideter Mann. .Nun, Tienstmann, haben Sie Adressen bekommen?" fragte der junge Stutzer. „Ja, Herr, eine." „Geben Sie her." Ter Tienstmann suchte in seiner Tasche, cs dauerte einige Zeit, ehe er zwischen verschiedenen Papieren den Keinen Bries und die Quittung fand, die er dem jungen Mann übergab. „MozDvl Wu els Uhr können Sie mich hier wieder erwarten, piluktlich!" — Ter junge Mann schob bei diesen Worten VAPs und Quittung in eine elegante Brief tasche. Flüchtig grüßend gsttg er nach der Kurfürstenbrücke; er halte es nicht bemerkt, daß der alte Herr, der in der Zeitungs-Expedition so lange geschlafen hatte, langsam an ihm vorübergegangen und in die nächste Hausthür getreten war, ivo er sich bückte, um den einen Schuh zu lüften, in welchen sich wohl ein Steinchen verloren haben mochte. Der Schaden war bald reparirt, langsam ging der Alte weiter hinter dem jungen Stutzer her, dem er in einer Entfernung von kaum zehn Schritten folgte. Ter junge Mann ging über die Kurfürstenbrücke, die Königstraße entlang, er bog in die Klosterstraße ein, vor einem nicht sehr ansehnlichen Hause derselben machte er einen kurzen Halt, indem er versuchte, durch ein Fenster einen Blick in das Innere eines parterre gelegenen Restaurationslokal zu werfen; dann trat er in die Restauration; der Alte folgte ihm fast auf dem Fuße. Ter Eingangsthür der Restauration gerade gegenüber, so daß er sie siet« im Auge behalten konnte, saß ein ältlicher Herr, der seinem vornehmen Aeußeren nach kaum in das sonst nur von Gästen des mittleren und kleinäxcn Bürger standes besuchte Bierhaus paßte. Er war vor etwa einer halben Stunde in das Lokal getreten und hatte sich seinen Platz so gewählt, daß er einen Blick durch die niedrig liegen den Fenster auf die Straße werfen und zugleich jeden in das Lokal Eintrctcnden beobachten konnte. Von dem Bier, welches Vor ihm stand, hatte er kaum genippt, auch ver schmähte er die Z.-n. welche ihm der Kellner herbei- schke» '". Er CM ic wrtwe-hrend mit gespannter Aufmerk sam», .r ru.u, t s Fens.er auf die Straße und musterte jeden ein tickenden Gast mit scharfem Blick. Ter Fremde war ein Mann von wohl mindestens fünf zig Jahren. Er wäre trotz seines Alters noch immer ein schöner Mann gewesen, hätten nicht seine Züge einen so scharfen, häßlichen Ausdruck gehabt. Ter Glanz seines großen, dunklen Auges wurde selbst durch die Gläser der Brille nicht geschwächt, aber dies leuchtende Auge schaute so scharf und forschend aus, daß Niemand dem Blick desselben gern lange begegnete. Der edel geformte, von einem rabenschwarzen Vollbart, in welchem noch kein weißes Haar sich zeigte, umrahmte Mnnd wäre vollendet schön gewesen, wenn sein Lächeln nicht den Ausdruck der hochmüthigen Nichtachtung getragen hätte. „Endlich!" rief der Fremde aus, als der junge Monn in die Restauration trat und sich ihm mit einer tiefen Ver beugung nahte. Unmittelbar darauf öffnete ein alter Mann die Thür, er ließ sich nicht fern von dem Eingang nieder, be stellte ein Glas Bier und bezahlte cS gleich beim Empfang. Er ergriff eine auf dem Tisch liegende Zeitung und vertiefte sich schnell in ihren Inhalt. „Wo bleiben Sic so lange?" fragte der vornehme Herr unwirrsch. „Exccllcnz, ich — — —" „Dummkopf! Ich verbitte mir hier jeden Titel. Haben Sie eine Adresse erhalten?" „Ja wohl, mein Herr, hier ist sie. Ich werde morgen noch einmal den Tienstmann nach der Expedition schicken, um nachzusehcn, ob noch weitere Adressen einlaufen." „Wird nicht nöthig sein," entgegnete der vornehme Fremde, der von dem jungen Mann das mit 8. 117 bezeichnete Brief chen erhalten, es schnell geöffnet und den kurzen Inhalt durch flogen hatte. — „Es wird schwerlich noch eine Adresse cingehen, schaden aber kann es nichts, wenn Sie Nachfragen lassen. Sollte noch ein Brief kommen, dann mag ihn mir der Justizrath direkt überbringen, natürlich darf er nur mir per sönlich übergeben werden. Bestellen Sie das dem Justizrath. Sie können jetzt gehen." Ter junge Mann wurde dunkelroth, die scharf abweisende Art verletzte ibn, sein Auge flammte auf, aber ohne eine Silbe zu erwidern, verbeugte er sich respektvoll, Hann entfernte er sich. Das Gespräch war im Flüsterton geführt worden, sicher lich hatte keiner von den wenigen Gästen, die sich in dem Rcstaurationslokal befanden, ein Wort gehört, saßen sie doch alle ziemlich entfernt, am nächsten der alte Mann, der aber war ganz verlieft in seine Zeitung und obendrein stocktaub; als der Kellner ihn um eine der Zeitungen bat, hielt er die Hand hinter das Qhr und sagte: „Ein wenig lauter, wenn ich bitten darf, ich höre etwas schwer." - „Noch ein bißchen lauter!" jagte er, obgleich der Kellner doch schon ganz laut sprach, und erst als dieser ihm in das Ohr hineinschrie, gab er mir einem freundlichen Lächeln die Zeitung, die er zur Reserve an sich genommen hatte. Ter vornehme Fremde wartete, nachdem der junge Mann die Restauration verlassen hatte, noch etwa fünf Minuten, dann stand er auch aus. Ter alte Mann ließ die Zeitung, welche er bisher so aufmerksam gelesen hatte, sinken, er schaute nach dem Fenster; jetzt ging der vornehme Fremde draußen vor über. Ta beeilte sich auch der Alte, eiligst aufzubrecheu. At er aus dem Rcstaurationslokal in den ziemlich dunsten Heus flur trat, blieb er stehen. " Er trug einen schwarzen, bis an den Hals zugeknöpften Tuchrock. In einem Moment war der Rock aufgeknöpft und ausgezogen; unter demselben zeigte sich ein hellfarbiger, sehr fadenscheiniger Sommerrock, auch diesen zog der Alte aus, dann den schwarzen Rock an und den Sommerrock darüber. Beide Röcke ließ er offen, dadurch gewann seine Figur plötzlich 7 eine größere Fülle. Aus der Tasche des Sommerrockcs holte er einen runden Filzhut, die Mütze und die grüne Brille ver schwanden dagegen in der Tasche. Kaum eine halbe Minute hatte die ganze Veränderung des Anzuges in Anspruch ge nommen und doch hatte sie das Aeußere des Alten völlig ver wandelt. Als er jetzt auf die Straße trat und eiligen Schrittes die Richtung uach der Königstraße zu einschlug, hätte man ihn für zwanzig Jahre jünger, als in der Minute zuvor, gehalten. Er war noch nicht weit gegangen, als er vor sich den vornehmen Heren sah, jetzt mäßigte er seinen Schritt, er richtete ihn genau nach dem Tempo des vor ihm Gehenden, dem er in einer Entfernung von etwa zwanzig Schritten folgte. Ter Herr trat in der Königstroßc in einen Cigarrcnladcn, der Alte blieb vor dem Schaujeustcr eines Wcißwaarengeschästs stehen, bis der vor nehme Herr auf die Straße trat, dann folgte er ihm wieder, wie sein Schatten. Ter Herr ging gemächlich über den Schloßplatz, die Linden entlang, dann bog er in die Neue Wilhclmstraße und von dieser in die Dorothcenstraße ein. Vor einem eleganten Hause machte er Halt. Er zog die Portierglocke, die Thür öffnete sich, er trat ein und schloß sie hinter sich. Eine Minute später zog auch der Alte die Portierglocke. Er trat, als die Thür von innen durch einen Zug geöffnet wurde, in einen eleganten Hau-slur und wollte denselben ohne weiteres durchschreiten, als hinter ihm eine Stimme ertönte: „Zu wem wollen Sie denn?" (Fortsetzung folgt). Ter Sternkrug. Non Adolf Strccksuß. (Schluß.) Auf Werders Befehl wurde die Leiche sorgsam in mit gebrachte Decken gehüllt und nach dem Leiterwagen getragen. Weitere Untersuchungen anzustellen, war im Augenblick nicht möglich, da die Sonne bereits untergcgangen war und die Tunkclheit hereinbrach. Werder führte seine Gefangenen nach Bcullingen, wo er sie ins Gesängniß ablieserte und durch die beiden aus M** berufenen Beamten noch besonders über wachen ließ. Herr von Hciwald kehrte an demselben Abend, nachdem er herzlichen Abschied von dem Polizeirath genommen hatte, froh und glücklich nach Groin berg zurück. Un'ere Erzählung ist beendet. Wir haben nur -noch wenige Worte hinzuzufügen. Auf welche Weise der Polizeirath Werder von der Un richtigkeit seines ursprünglichen Verdachts und von der Schuld Grawalds überzeugt wurde, ergiebt sich zum größten Theil schon aus dem Erzählten. Seine so fest gewurzelte Ansicht wurde zuerst durch ein zufälliges Zusammentreffen mit dem Arbeiter Schurre bei einer seiner Streifereien durch die Haide erschüttert. Er hörte von Schurre, daß dieser Herrn von Hciwald an dem Tage, an welchem Herr von Scharnau er mordet worden war, im Walde begegnet sei. Ter Arbeiter erinnerte sich genau, daß sein Herr an jenem Tage einen leichten braunen Svmmerrock und hohe Jagdstiesel getragen Hube. Von einem anderen Arbeiter empfing er die Nachricht, daß Grawalds Wagen längere Zeit, in der Stunde zwischen elf und zwölf Uhr, an jenem Tage aus der Beutliuger Straße herrenlos gestanden habe; die Pferde waren abgesträngt und mit den Zügeln an einen Baum gebunden. T er Widerspruch zwischen der unverfänglichen Aussage des Arbeiters und der gerichtlich abgegebenen Grawalds, daß er vier Stunden ver geblich auf Herrn von Scharnau in seinem Wagen gewartet habe, bestätigte zuerst Werder den Verdacht, den er gegen den Sohn hegte, auch gegen den Vater. Eingehende Nachforschungen, bei denen Ewald besonders thätig und eifrig war, lieferten neue Beweise. Durch verschiedene Zeugenaussagen wurde festgestellt, daß Andres an dem Tage des Mordes in einem grauwollenen Sommerrock, mit dem Gewehr auf dem Rücken, nach der Ticbshaide auf die Jagd gegangen sei, und daß Grawald an jenen« Tage Schuhe and blauwollcne Strümpfe getragen habe. Werder wußte sich ein paar Fäden von der Wolle, aus denen die Strümpfe des Herrn von Hciwald gestrickt waren, und von dem grauen Jagdrock des Gutsherrn zu ver schaffen. Tas blaue, iin Walde gefundene Wollenhaar war weit gröber, die schwarzen Flecken ans den Wollenftocken standen weiter auseinander als auf der Probe, sie stimmten dagegen, was durch Ewald sestgestellt wurde, ebenso genau mit den Wollenjäden vom Rocke des Andres überein, wie das blaue Härchen mit der Stärke der Wolle in den blauen Strümpfen Grawalds. Mit einem unermüdlichen Eifer sammelte Ewald neue Beweise. Er stellte fest, daß Vater Grawald in de» letzten Jahren weit größere Kapitalien ausgeliehen hatte, als er auf redliche Weise erworben haben konnte; es war nicht leicht, dies zu erforschen, denn der schlaue Verbrecher hatte Sorge getragen, den Betrag seines Vermögens geheim zu halten. Es war in vielen kleinen Summen verliehen und die Schuldner hatten ihm versprechen müssen, nicht darüber zu plaudern. Da sie meist in Noth gewesen waren, wenn ihnen der gutck Vater Grawald mit einem Darlchn ausge holfen hatte, schrieben sie seinen Wunsch der edelmüthigen Absicht, im Geheimen wohlzuthun, zu; nur ihre überströmende Tanlbarkeit bewegte sie, dem harmlosen Professor zu er zählen, wie gut, wie edelmüthig der treffliche Wirth vom Sternkrug sei. Ten schlagendsten Beweis für die Schuld Grawalds hatte endlich die Entdeckung des geheimen Gcldkastens im Wein keller gegeben. Ewald hatte eine stille Nachtstunde, als alle Hausgenossen längst in ihren Betten lagen, benutzt, um seine Nachschlüssel zu gebrauchen. Er fand in dem Kasten noch den größten Theil des dem ermordeten Herrn von Scharnau ge raubten Geldes und außerdem eine Uhr mit schwerer goldener Kette, er erkannte sie sofort nach der Beschreibung, welche er mit sich führte, als die Uhr, welche dem ermordeten Viehhändler Saworski geraubt worden war. Selbst der schlaueste Verbrecher begeht irgend einen thörichten Streich, der ihn endlich entlarvt. So hatte auch Vater Grawald sich nicht entschließen können, die werthvolle goldene Uhr und Kette im Walde zu vergraben, er bewahrte sie in den« geheimen Kasten aus, den er so sicher verborgen zu haben meinte, daß kein Menschcnauge, am wenigsten das des lächerlichen kleinen Naturforschers, ihn aufzufinden vermöge. Nach der Verhaftung Grawalds häuften sich gegen ihn und Andres die Beweise täglich mehr. Das Küchenbeil, welches der alte Friedrich vom Sternkruge mitgenommen hatte, paßte mit seiner Schneide vollkommen in die tiefe Schädelspalte, welche der Kopf des Ermordeten zeigte; die Stricke, mit welchen die Steine in die Kleider der Leiche gebunden waren, um diese auf dem Boden des Sumpfloches sestzuhalten, zeigten sich als Abschnitte einer Vater Grawald gehörigen Leine, welche er stet«, ebenso wie das Bell, im Wage» mit sich führte. Es war dies eine durch die schlechten Wege, aus denen leicht ein Rad brach, gebotene Vorsichtsmaßregel. Ein schlecht ausgewaschener Blutfleck in dem grauen Rocke de» Andres, die genaue Uebereinstimmung zwischen dem Schuh-