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8 Werk heS BaterS und deS Sohnes mit den im Biorast durch Werder gemessenen Fußspuren vervollständigten die Reihe der Beweismittel. Grawald blieb ini Gesängniß seinem System trotzigen Leugnens treu, er weigerte sich, die ihm vom Untersuchungs richter vorgelegten Fragen zu beantworten. Alle die sich mehr und mehr gegen ihn häufenden Beweise wies er, als Erfindungen des Polizeiraths Werder, der ihn verderben wolle, um Herrn von Heiwald weiß zu brennen, zurück. Bei dieser Arußerung blieb er fest. Niemals verwickelte er sich in Widersprüche, weil er niemals zu bewegen war, irgend eine bestimmte Aussage zu machen. Auf seinen harten, festen Sinn wirkte auch die sonst für Verbrecher so fürchterliche Einzelhaft nicht. Er saß den ganzen Tag fast regungslos in seiner einsamen Zelle. Andres war anfangs ebenso trotzig, aber seine Kraft brach bald zusammen. Als ihm der Untersuchungsrichter die ganze Kette der gegen ihn vorliegenden Beweisgründe entrollte, als > er ihm sagte, daß die Geschworenen gegen ihn das Schuldig sprechen würden, auch wenn er nicht gestehe, daß aber em reumüthiges Geständniß ihm vielleicht eine Milderung seiner Strafe erwirken werde, als dann in der einsamen Zelle sein Gewissen rege wurde, als er, durch stundenlange Verhöre bei Tage ermüdet, doch in der Nacht sich ruhelos auf dem Lager tvälzte, da vermochte er den alten Trotz nicht mehr aufrecht zu erhalten. Er legte ein umfassendes Geständniß nicht nur deS Mordes des Herrn v. Scharnau, sondern auch der früher in Gemeinschaft mit seinem Vater und seinem verstorbenen Bruder begangenen Verbrechen ab. Grawald hatte mit seinen beiden Söhnen den Viehhändler SaworSki erschlagen und beraubt, und auch den Postraub, besten Opfer der Kondukteur geworden war, begangen, endlich mit Andres den Herrn von Scharnau erschlagen. Andres verschwieg, nachdem er einmal zum Geständniß gebracht worden war, nichts mehr; selbst eine vierte Mordthat an einem Rei senden, der im Sternkrug ringekehrt war, entdeckte er, obgleich der Richter ihn nach derselben gar nicht fragte, denn von jenem verschollenen Unglücklichen, Vesten Namen Andres sechst nicht kannte, wußte Niemand etwas. Beruhigt durch die Erleichterung seines Gewissens ging Andres in sein Gesängniß zurück. Grawald wurde sofort nach dem Verhör des Sohnes vor den Untersuchungsrichter gerufen; dieser ließ ihm das aufgenommene Protokoll Wort für Wort vorlescn, aber auch dies erschütterte den ergrauten Verbrecher nicht. Er bleb bei seinem Leugnen. Man führte ihn in sein Gesängniß zurück. Als ihn derSchlicßer am anbercnMorgendieGesangenen- luppe brachte, sand er ihn tobt auf seinem Bette. Er hatte sich auf unerklärliche Weise ein Mester zu verschaffen geivußl und dieses sich mit sicherer Hand in das Herz gestoßen. Andres blieb bei seinem Geständniß. Er wurde zuni Tode verurtheilt, von dem Monarchen aber zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt. Die Verhaftung Grawalds und die Aufsuchung der Leiche deS ermordeten Herrn von Scharnan war die letzte Amtshandlung des Polizeirath Werder. Schon am solgenden Tage kehrte er, ohne noch einen Besuch auf Gromberg gemacht zu haben, nach M** zurück. Er reichte sofort feinen Abfchied ein. Vergebens bat ihn sein Schwager, der Polizei-Direktor, im Dienst, in welchem er sich so glänzend ausgezeichnet habe, zu bleiben. Werder ließ sich nicht bewegen. „Me wieder," sagte er fest entschieden, „werde ich als Polizist wirken. Ich habe eine furchtbare Lehre erhalten. Wie fest überzeugt war ich von der Schuld des unschuldigen Herrn von Heiwald ! Mit rastlosem Eifer sammelte ich die zu seinem Verderben führenden Beweisstücke, und hätte nicht ein Zufall mir den Arbeiter Schurre in den Weg geführt, wäre ich nicht durch einen so geistreichen und thätigen Beamten wie Ewald unter stützt worden, dann stände vielleicht heute Herr von Heiwald vor den Geschworenen, und ein Schuldig gegen ihn, ein Todesurtheil, würde bei dem allgemein herrschenden Volks glauben wahrscheinlich sein. Nie wieder will ich solche Ver antwortung auf mich nehmen!" Er blieb dabei, er erhielt seinen Abschied; Ewald wurde sein Nachfolger im Amt. Werders kleines Muttererbe reichte nicht aus, ihm eine ruhige Existenz im Vaterlande zu gewähren; auf eine Pension konnte er keinen Anspruch machen, er entschloß sich deshalb, zum zweiten Mal nach Amerika zu gehen, vor seiner Abreife aber drängte ihn sein Herz, noch einen Besuch in Gromberg zu machen, Abschied zu nehmen von den beiden ihm so theuren Menschen, versöhnt mit ihnen auf immer zu scheiden. Manche Woche war vergangen, seit Werder Ida zum letzten Mal gesehen hatte, in dieser ganzen Zeit war ihm keine Nachricht aus Gromberg zugegangen. Er hatte nicht geschrieben. Wie hätte der Herr von Heiivald Veranlassung finden sollen, sich an ihn zu wenden! Der Wagen, der Werder an einem sch'men Tage des Spätherbstes durch den Wald trug, rollte langsam auf dem schlechtem Wege der Haide durch den mahlenden Sand. Als er an die Parkgrenze kani, vermochte unser Freund seine Ungeduld nicht mehr zu zügeln. Er verließ das schwerfällige Fuhrwerk, schnellen Schrittes eilte er durch die Parkgänge dem Herrerhause zu. Da, als er aus dem schlängelnden Wege eben nm ein immergrünes Gebüsch bog, stand er plötzlich vor Ida. .Ida!" „Werder!" Laut ausjauchzend flog sic in seine Arme. Er ist nicht nach Amerika gegangen. Auf Gromberg lebt er mit seinem reizenden Weibchen. Herr von Heiwald, der in der ganzen Gegend früher so verkannte, jetzt hoch verehrte Mann ist glücklich in dem Glück seiner Kinder und Enkel. Denk- und Sinnsprüche. Mil der Freude zieht der Schmerz Traulich durch die Zeiten; Schwere Stürme, milde Weste, Bange Sorgen, frohe Feste Wandeln sich zur Seiten. War's nicht jo im alten Jahr? Wird's im neuen enden? Sonnen wallen auf und nieder, Wolken geh n und kommen wieder, lind kein Wunich wird's wenden. Gebe denn, der über uns Wägt mit rechter Waage, Jedem Sinn für seine Freuden, Jedem Muth für seine Leiden In die neuen Tage. Hebel. Druck von Langer ck Winterlich w Riesa. Für dj, Redavion verantworrua». .»i in Riesa. Erzähler an -er Clbe. Belletrist. Gratisbeilage r»» .Riesaer Tageblatt*. Rr. S. Riesa, de« 12. Januar 18V8. L8. Jahr» Ein Familiengehtimnitz. Bon Adolf Strccksuß. Nachdruck verboten 1. „Verlorener Brief". „Gestern ist in der Friedrichstraße ein Brief verloren worden. Der Finder nimmt zufälliger Weise an der Sache ein größeres Interesse, als der an welchen der Bries gerichtet ist, er verspricht dem Schreiber des Briefes nicht nur die strengste Diskreditivn, sondern auch eine reiche Belohnung, wenn eine Verständigung erzielt werden kann. Eine schleunige persönliche Besprechung ist dringend Wünschenswerth, sowohl im Interesse des Finders als des Verlierers; letzterer wird deshalb ersucht, seine Adresse in der Expediton der Rassischen Zeitung unter der Adresse 8. 117 abzugebeu. Er wird sicherlich zufriedengestellt werden." 2. Die Excellenz. Die Expedition einer vielgelesenen Zeitung wird vom frühen Morgen bis zum späten Abend nicht leer von Besuchern. Ter Expedient, der die Inserate zu übernehmen hat, ist ein so viel beschäftigter Mann, daß er sich sehr bald daran gewöhnt, sich um den Inhalt derselben nur soweit zu kümmern, als sie vielleicht einem Strafgesetz zuwiderlaufen und der Zeitung Unannehmlichkeiten mit der Polizei machen könnten, sonst aber gewähren sie ihm trotz ihres oft bunten und sonderbaren Inhalts nur selten ein Interesse. Auch dem alten Mann, der Morgens schon gleich nach neun Uhr in der Expedition erschien, uni ein kleines Inserat: „Ein Laufbursche kann sich Wilhelmstraßc 17 prrrt. melden." zu überbringen und zu bezahlen, nahm der Beamte die Anzeige ab, indem er sich kaum die Mühe gab, aufzusehen. Der Greis holte eine altmodische Geldbörse aus der t Tasche; ehe er die Ringe zurückschob und eine Anzahl kleiner Münzen vorsuchte, verging eine geraume Zeit. Endlich kam er zu stände. „Da ist das Geld!" sagte er hüstelnd. „Sie sind wohl nicht böse, wenn ich von dem weiten Weg ein ivenig auS- ruhe. Ich bin ein alter kranker Mann, und es ist gar weit von der Wilhelmstraßc bis nach der Breitcnstraße." — er hätte wohl uoch weiter geplaudert, aber ein heftiger Hustenanfall hinderte ihn daran. Der Expedient schaute auf; der alte Mann, der, um ein kleines Inserat zu bringen, von der Wilhelmstraßc bis nach der Expeditton hatte laufen müssen, that im leid. „Setzen Sie sich nur dort in die Ecke auf jenen Stuhl und ruhen Sie aus, so lange Sie wollen, alter Herr," sagte er freundlich. „Hier stören Sie Niemanden." Der Alte nickte dankend, sprechen konnte er nicht; der abscheuliche Husten quäkte ihn gar zu sehr. Er humpelte nach dem in der Ecke stehenden Stuhl, auf den er sich nieder ließ. - Er mußte wohl sehr müde und angegriffen sein, denn kaum hatte er sich bequem gesetzt, so fing er auch schon an zu'nicken. Der Kopf sank ihm vornüber nach der Brust, er hüstelte noch ein paar mal, dann athmete er ruhiger, und schon nach wenigen Minuten war er sanft entschlummert. „Isis hier recht bei der Boß?" fragte ein keck aussehender Bursche von etwa vierzehn Jahren, der eben vom Hof in die Expedition trat. „Jawohl! Weshalb?" entgegnete der Expedient. „Ein Brief an 8. 117. — Ein alter Herr hat ihn mir gegeben." Der Expedient nahm den Brief, warf ihn in daS Fach eines Repositoriums und schrieb weiter. .8 117 "O— Das ist ja der verlorene Brief!" ertönte eine Stimme aus dem Hintergründe der Expedition. „Verlorener Brief? Js nich," rief der Bursche ent rüstet. Ich hab' den Brief nicht gefunden, sondern von einem alten Herrn bekommen und nin paar Groschen dazu, wenn ich ihn abgebe." „Schon gut, mein Sohn, — Du kannst jetzt gehen. Die Sache ist in Ordnung." Der Bursche drehte dem Expedienten den Rücken; er war schon an der Thür, als sein Blick zufällig aus den alten Mann fiel, der auf dem Stuhl in der Ecke schlafend saß. er blieb plötzlich stehen und schaute den Schlafenden erstaunt an. — „So wat lebt nicht," sagte er. „Js denn das nicht der Alte, der mir den Brief an 8. 117 gegeben hat? Janz so sah er aus. Aber nee, doch nich. Der Olle hatte keene Mütze nich, sondern eenen Hut, auch trug er keene jrüne Brille. Aber so 'ne Aehnlichkeit!" — Kopf schüttelnd ging er fort, er machte sogar, als er schon hinaus gegangen war, noch einmal die Thür auf, um nach dem schlafenden Alten zu schauen, und erst als der Expedient ihm zürnend „Mach, daß Du fortkommst!" zurief, schlug er die Thür so krachend zu, daß der Alte erschreckt aus seinem Schlummer auffuhr. „Ich war wohl eingenickt?" fragte er hustend. „Ent schuldigen Sie nur. Ich bin so matt und müde und möchte gern noch ein Viertelstündchen ruhen." „Bleiben Sie ruhig sitzen, alter Herr," erwiderte der Erpedient gutmüthig. Ter Alte dankte, setzte sich wieder und üach wenigen Sekunden schlief er abermals so fest, wie vorher. — So blieb er sitzen, nicht rin Biertclstündchcn, wie er gewollt hatte, sondern zwei lange Stunden. Ungestört von. der ewigen Unruhe, von dem Ab- und Zugehen der immer wechselnden Zcitungsknndcn, von dem Klappen der Thür und dem lauten Gespräch nm ihn her, schlummerte er sanft. EH war gegen elf Uhr, als ein Tienstmann in die Ex peditton trat. - „Sind Briefe für 8. 117 eiugelausea?" jragte er. „Einer." „Hier ist die Quittung. Ich soll den Brief abholen." Der Expedient übergab dem Dieustman« den von dem Burschen überbrachten Brief. „Nehmen Sie die Quittung wieder mit," sagte er, „eS könnten noch mehr Adressen einlaufeu." Der Dienstmann hatte kaum die Expckition verlassen, als der alte Herr plötzlich aus seinem Schlummer emporsühr. Er schaute verwirrt um sich. „Ich habe gewiß wieder geschlafen?" rief er.